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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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hindurch. Nur hier und da richtete der Wind die Geknickten
wieder auf. Die Ähren standen nicht in freier Luft aufrecht,
dem Lichte zugekehrt, wie es nötig ist für die Entwickelung
jeglicher Kreatur und jeglicher Pflanze; sie senkten sich dem
dunklen, feuchten Erdreiche zu, das ihren Wurzeln wohl
Nahrung zum Sprießen, ihren Häuptern aber nicht Wärme,
Licht und Bewegung zu gewähren vermochte. So kränkelten
die Körner, das Wachstum war ohne Saft und Kern. Da
gab es viele leere Hülsen und leichte Früchte, nnd schädlicher
Rost fraß die welken Körner an.

Auf den Wiesen hatte prächtiges Gras gestanden. Selbst
auf den feuchten und sumpfigen Flecken wuchsen heuer, be¬
günstigt durch das trockene Frühjahr, bessere Kräuter, als
sonst; die sauren Gräser hatten nicht die Oberhand gewinnen
können. Infolge der häufigen Regenschauer war überall ein
dichtes Bodengras gewachsen. Zu Beginn der Heuernte regnete
es anhaltend. Nach alt bewährter Bauernregel ließ man
sich jedoch durch den Regen nicht vom Hauen abhalten. Ein¬
mal mußte es ja doch mit Gießen aufhören; der liebe Gott
konnte doch unmöglich wollen, daß der Segen, den er hatte
wachsen lassen, so in Grund und Boden verdürbe.

Aber die himmlischen Schleusen schlossen sich nicht. In
der Kirche wurde eifrig für gutes Erntewetter gebetet -- es
regnete unbekümmert weiter. Sieben Wochen lang mußte
schlechte Witterung bleiben; es hatte ja am Siebenschläfer
geregnet.

Als es endlich doch aufhörte, da war es gerade um acht
Tage zu spät. Das Heu war zwar aus weiser Vorsicht in
große Schober gesetzt worden; aber die Nässe war doch durch¬
gedrungen. Als man die Haufen öffnete, dampfte und stank
es. Dumpfe Gährung hatte sich darin entwickelt. Manches Heu
war wie verbrannt. Kein Vieh wollte das verdorbene Futter
mehr anrühren. Statt auf den Heuboden, wanderte es auf die
Düngerstätte, oder in den Stall zum Einstreuen.

Nun schien die Sonne durch volle vierzehn Tage herrlich.
"Der alte Gott lebt noch!" sagte der Pfarrer von der Kanzel,

hindurch. Nur hier und da richtete der Wind die Geknickten
wieder auf. Die Ähren ſtanden nicht in freier Luft aufrecht,
dem Lichte zugekehrt, wie es nötig iſt für die Entwickelung
jeglicher Kreatur und jeglicher Pflanze; ſie ſenkten ſich dem
dunklen, feuchten Erdreiche zu, das ihren Wurzeln wohl
Nahrung zum Sprießen, ihren Häuptern aber nicht Wärme,
Licht und Bewegung zu gewähren vermochte. So kränkelten
die Körner, das Wachstum war ohne Saft und Kern. Da
gab es viele leere Hülſen und leichte Früchte, nnd ſchädlicher
Roſt fraß die welken Körner an.

Auf den Wieſen hatte prächtiges Gras geſtanden. Selbſt
auf den feuchten und ſumpfigen Flecken wuchſen heuer, be¬
günſtigt durch das trockene Frühjahr, beſſere Kräuter, als
ſonſt; die ſauren Gräſer hatten nicht die Oberhand gewinnen
können. Infolge der häufigen Regenſchauer war überall ein
dichtes Bodengras gewachſen. Zu Beginn der Heuernte regnete
es anhaltend. Nach alt bewährter Bauernregel ließ man
ſich jedoch durch den Regen nicht vom Hauen abhalten. Ein¬
mal mußte es ja doch mit Gießen aufhören; der liebe Gott
konnte doch unmöglich wollen, daß der Segen, den er hatte
wachſen laſſen, ſo in Grund und Boden verdürbe.

Aber die himmliſchen Schleuſen ſchloſſen ſich nicht. In
der Kirche wurde eifrig für gutes Erntewetter gebetet — es
regnete unbekümmert weiter. Sieben Wochen lang mußte
ſchlechte Witterung bleiben; es hatte ja am Siebenſchläfer
geregnet.

Als es endlich doch aufhörte, da war es gerade um acht
Tage zu ſpät. Das Heu war zwar aus weiſer Vorſicht in
große Schober geſetzt worden; aber die Näſſe war doch durch¬
gedrungen. Als man die Haufen öffnete, dampfte und ſtank
es. Dumpfe Gährung hatte ſich darin entwickelt. Manches Heu
war wie verbrannt. Kein Vieh wollte das verdorbene Futter
mehr anrühren. Statt auf den Heuboden, wanderte es auf die
Düngerſtätte, oder in den Stall zum Einſtreuen.

Nun ſchien die Sonne durch volle vierzehn Tage herrlich.
„Der alte Gott lebt noch!“ ſagte der Pfarrer von der Kanzel,

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[114/0128] hindurch. Nur hier und da richtete der Wind die Geknickten wieder auf. Die Ähren ſtanden nicht in freier Luft aufrecht, dem Lichte zugekehrt, wie es nötig iſt für die Entwickelung jeglicher Kreatur und jeglicher Pflanze; ſie ſenkten ſich dem dunklen, feuchten Erdreiche zu, das ihren Wurzeln wohl Nahrung zum Sprießen, ihren Häuptern aber nicht Wärme, Licht und Bewegung zu gewähren vermochte. So kränkelten die Körner, das Wachstum war ohne Saft und Kern. Da gab es viele leere Hülſen und leichte Früchte, nnd ſchädlicher Roſt fraß die welken Körner an. Auf den Wieſen hatte prächtiges Gras geſtanden. Selbſt auf den feuchten und ſumpfigen Flecken wuchſen heuer, be¬ günſtigt durch das trockene Frühjahr, beſſere Kräuter, als ſonſt; die ſauren Gräſer hatten nicht die Oberhand gewinnen können. Infolge der häufigen Regenſchauer war überall ein dichtes Bodengras gewachſen. Zu Beginn der Heuernte regnete es anhaltend. Nach alt bewährter Bauernregel ließ man ſich jedoch durch den Regen nicht vom Hauen abhalten. Ein¬ mal mußte es ja doch mit Gießen aufhören; der liebe Gott konnte doch unmöglich wollen, daß der Segen, den er hatte wachſen laſſen, ſo in Grund und Boden verdürbe. Aber die himmliſchen Schleuſen ſchloſſen ſich nicht. In der Kirche wurde eifrig für gutes Erntewetter gebetet — es regnete unbekümmert weiter. Sieben Wochen lang mußte ſchlechte Witterung bleiben; es hatte ja am Siebenſchläfer geregnet. Als es endlich doch aufhörte, da war es gerade um acht Tage zu ſpät. Das Heu war zwar aus weiſer Vorſicht in große Schober geſetzt worden; aber die Näſſe war doch durch¬ gedrungen. Als man die Haufen öffnete, dampfte und ſtank es. Dumpfe Gährung hatte ſich darin entwickelt. Manches Heu war wie verbrannt. Kein Vieh wollte das verdorbene Futter mehr anrühren. Statt auf den Heuboden, wanderte es auf die Düngerſtätte, oder in den Stall zum Einſtreuen. Nun ſchien die Sonne durch volle vierzehn Tage herrlich. „Der alte Gott lebt noch!“ ſagte der Pfarrer von der Kanzel,

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/128>, abgerufen am 19.05.2024.