Der Bauer hatte inzwischen in einer Ecke des Zimmers sein Wesen für sich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide schrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wischte er die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus, und trat zu dem Händler. "A Märker dreihundert wer'ch brauchen," sagte er mit gedämpfter Stimme, "was blußig de Handschulden sen."
Der Händler klappte die Brieftasche auf und blätterte darin.
"De Weibsen megen a mal nausgihn!" sagte der Bauer, als er bemerkte, daß Ernestine und Therese lange Hälse machten und die Köpfe zusammensteckten. "Mutter, Du kannst bleba und Karle och!" Die drei jüngeren Frauen entfernten sich darauf schleunigst.
Sam hatte der Tasche ein Paket blauer Scheine ent¬ nommen. "Ein glücklicher Zufall!" sagte er, "daß ich gerade heute Geld einkassiert habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht soviel bei mir zu tragen." Er legte drei Hundertmarkscheine neben einander auf den Tisch und behielt die übrigen in der Hand. "Hier wäre das Gewünschte, lieber Büttner! Soll ich Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's einmal hier habe?"
Der Bauer starrte mit großen Augen auf das Geld, rührte aber keinen Finger und sagte auch nichts.
"Ihnen gebe ich Kredit, soviel Sie wollen, Büttner. Ein so tüchtiger Wirt wie Sie, mit solch einer Ernte auf dem Felde! Ihre Unterschrift ist mir so gut wie bar Geld."
Dem alten Manne drehte sich alles vor den Augen. Er sah bald den Händler, bald seine Frau an, die neben ihm stand. Durfte er denn seinen Sinnen trauen! war das nicht etwa ein Spuk! Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch mehr, auf der Tischplatte, so viel, um ihn aus allen seinen Nöten zu reißen. Hier saß einer, der ihm die Hilfe geradezu aufnötigte. Was sollte man davon denken?
In seiner Ratlosigkeit wollte er schon den ältesten Sohn um seine Meinung befragen. Aber Karl sah dem ganzen Vorgange mit einer so völlig verständnisleeren Miene zu, daß
Der Bauer hatte inzwiſchen in einer Ecke des Zimmers ſein Weſen für ſich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide ſchrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wiſchte er die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus, und trat zu dem Händler. „A Märker dreihundert wer'ch brauchen,“ ſagte er mit gedämpfter Stimme, „was blußig de Handſchulden ſen.“
Der Händler klappte die Brieftaſche auf und blätterte darin.
„De Weibſen megen a mal nausgihn!“ ſagte der Bauer, als er bemerkte, daß Erneſtine und Thereſe lange Hälſe machten und die Köpfe zuſammenſteckten. „Mutter, Du kannſt bleba und Karle och!“ Die drei jüngeren Frauen entfernten ſich darauf ſchleunigſt.
Sam hatte der Taſche ein Paket blauer Scheine ent¬ nommen. „Ein glücklicher Zufall!“ ſagte er, „daß ich gerade heute Geld einkaſſiert habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht ſoviel bei mir zu tragen.“ Er legte drei Hundertmarkſcheine neben einander auf den Tiſch und behielt die übrigen in der Hand. „Hier wäre das Gewünſchte, lieber Büttner! Soll ich Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's einmal hier habe?“
Der Bauer ſtarrte mit großen Augen auf das Geld, rührte aber keinen Finger und ſagte auch nichts.
„Ihnen gebe ich Kredit, ſoviel Sie wollen, Büttner. Ein ſo tüchtiger Wirt wie Sie, mit ſolch einer Ernte auf dem Felde! Ihre Unterſchrift iſt mir ſo gut wie bar Geld.“
Dem alten Manne drehte ſich alles vor den Augen. Er ſah bald den Händler, bald ſeine Frau an, die neben ihm ſtand. Durfte er denn ſeinen Sinnen trauen! war das nicht etwa ein Spuk! Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch mehr, auf der Tiſchplatte, ſo viel, um ihn aus allen ſeinen Nöten zu reißen. Hier ſaß einer, der ihm die Hilfe geradezu aufnötigte. Was ſollte man davon denken?
In ſeiner Ratloſigkeit wollte er ſchon den älteſten Sohn um ſeine Meinung befragen. Aber Karl ſah dem ganzen Vorgange mit einer ſo völlig verſtändnisleeren Miene zu, daß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0108"n="94"/><p>Der Bauer hatte inzwiſchen in einer Ecke des Zimmers<lb/>ſein Weſen für ſich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide<lb/>ſchrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wiſchte er<lb/>
die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus, und trat zu dem<lb/>
Händler. „A Märker dreihundert wer'ch brauchen,“ſagte er<lb/>
mit gedämpfter Stimme, „was blußig de Handſchulden ſen.“</p><lb/><p>Der Händler klappte die Brieftaſche auf und blätterte<lb/>
darin.</p><lb/><p>„De Weibſen megen a mal nausgihn!“ſagte der Bauer,<lb/>
als er bemerkte, daß Erneſtine und Thereſe lange Hälſe<lb/>
machten und die Köpfe zuſammenſteckten. „Mutter, Du kannſt<lb/>
bleba und Karle och!“ Die drei jüngeren Frauen entfernten<lb/>ſich darauf ſchleunigſt.</p><lb/><p>Sam hatte der Taſche ein Paket blauer Scheine ent¬<lb/>
nommen. „Ein glücklicher Zufall!“ſagte er, „daß ich gerade<lb/>
heute Geld einkaſſiert habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht<lb/>ſoviel bei mir zu tragen.“ Er legte drei Hundertmarkſcheine<lb/>
neben einander auf den Tiſch und behielt die übrigen in der<lb/>
Hand. „Hier wäre das Gewünſchte, lieber Büttner! Soll ich<lb/>
Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's<lb/>
einmal hier habe?“</p><lb/><p>Der Bauer ſtarrte mit großen Augen auf das Geld,<lb/>
rührte aber keinen Finger und ſagte auch nichts.</p><lb/><p>„Ihnen gebe ich Kredit, ſoviel Sie wollen, Büttner. Ein<lb/>ſo tüchtiger Wirt wie Sie, mit ſolch einer Ernte auf dem<lb/>
Felde! Ihre Unterſchrift iſt mir ſo gut wie bar Geld.“</p><lb/><p>Dem alten Manne drehte ſich alles vor den Augen. Er<lb/>ſah bald den Händler, bald ſeine Frau an, die neben ihm<lb/>ſtand. Durfte er denn ſeinen Sinnen trauen! war das nicht<lb/>
etwa ein Spuk! Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch<lb/>
mehr, auf der Tiſchplatte, ſo viel, um ihn aus allen ſeinen<lb/>
Nöten zu reißen. Hier ſaß einer, der ihm die Hilfe geradezu<lb/>
aufnötigte. Was ſollte man davon denken?</p><lb/><p>In ſeiner Ratloſigkeit wollte er ſchon den älteſten Sohn<lb/>
um ſeine Meinung befragen. Aber Karl ſah dem ganzen<lb/>
Vorgange mit einer ſo völlig verſtändnisleeren Miene zu, daß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[94/0108]
Der Bauer hatte inzwiſchen in einer Ecke des Zimmers
ſein Weſen für ſich gehabt. Mit Hülfe eines Stückes Kreide
ſchrieb er dort Zahlen an die braune Wand. Jetzt wiſchte er
die Zahlenreihe mit dem Rockärmel aus, und trat zu dem
Händler. „A Märker dreihundert wer'ch brauchen,“ ſagte er
mit gedämpfter Stimme, „was blußig de Handſchulden ſen.“
Der Händler klappte die Brieftaſche auf und blätterte
darin.
„De Weibſen megen a mal nausgihn!“ ſagte der Bauer,
als er bemerkte, daß Erneſtine und Thereſe lange Hälſe
machten und die Köpfe zuſammenſteckten. „Mutter, Du kannſt
bleba und Karle och!“ Die drei jüngeren Frauen entfernten
ſich darauf ſchleunigſt.
Sam hatte der Taſche ein Paket blauer Scheine ent¬
nommen. „Ein glücklicher Zufall!“ ſagte er, „daß ich gerade
heute Geld einkaſſiert habe. Für gewöhnlich pflege ich nicht
ſoviel bei mir zu tragen.“ Er legte drei Hundertmarkſcheine
neben einander auf den Tiſch und behielt die übrigen in der
Hand. „Hier wäre das Gewünſchte, lieber Büttner! Soll ich
Ihnen vielleicht noch hundert Mark darüber geben, da ich's
einmal hier habe?“
Der Bauer ſtarrte mit großen Augen auf das Geld,
rührte aber keinen Finger und ſagte auch nichts.
„Ihnen gebe ich Kredit, ſoviel Sie wollen, Büttner. Ein
ſo tüchtiger Wirt wie Sie, mit ſolch einer Ernte auf dem
Felde! Ihre Unterſchrift iſt mir ſo gut wie bar Geld.“
Dem alten Manne drehte ſich alles vor den Augen. Er
ſah bald den Händler, bald ſeine Frau an, die neben ihm
ſtand. Durfte er denn ſeinen Sinnen trauen! war das nicht
etwa ein Spuk! Hier lag das Geld, das er brauchte, und noch
mehr, auf der Tiſchplatte, ſo viel, um ihn aus allen ſeinen
Nöten zu reißen. Hier ſaß einer, der ihm die Hilfe geradezu
aufnötigte. Was ſollte man davon denken?
In ſeiner Ratloſigkeit wollte er ſchon den älteſten Sohn
um ſeine Meinung befragen. Aber Karl ſah dem ganzen
Vorgange mit einer ſo völlig verſtändnisleeren Miene zu, daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/108>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.