Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_473.001
geschilderte Gegenstand selbst, vermittelst der neuen ppo_473.002
Einkleidung und Versinnlichung, als ein komischer ppo_473.003
Stoff erscheint, der Lachen erregt, und durch dessen ppo_473.004
sinnlich vollendete Darstellung ein reines Gefühl der ppo_473.005
Lust bewirkt und erhalten wird.

ppo_473.006

Die Zahl der Parodieen ist in der teutschen ppo_473.007
Literatur weit größer, als die Zahl der Travestirungen, ppo_473.008
obgleich nur wenige Parodieen, in dem ppo_473.009
aufgestellten Sinne, zu den durchgängig gelungenen ppo_473.010
gerechnet werden können. Jn dramatischer Hinsicht ppo_473.011
ist Mahlmanns Herodes vor Bethlehem eine ppo_473.012
sehr treffende Parodie von Kotzebue's Hussiten ppo_473.013
vor Naumburg. Unter den Travestirungen der ppo_473.014
Teutschen behauptet, bei vielen einzelnen Derbheiten ppo_473.015
und metrischen Härten, Blumauers (nicht vollendete) ppo_473.016
travestirte Aeneis doch den Charakter des ppo_473.017
Hochkomischen und vieler gelungenen Schilderungen. ppo_473.018
Kotzebue travestirte selbst sein Trauerspiel Octavia. ppo_473.019
Ungleich tiefer in ästhetischer Hinsicht stehen die travestirte ppo_473.020
Jungfrau von Orleans, so wie der travestirte ppo_473.021
Hamlet und Nathan der Weise.

ppo_473.022

Wenn manche Theoretiker im Allgemeinen gegen ppo_473.023
alle Parodieen und Travestirungen sich erklärten, ppo_473.024
weil durch sie ein gefeiertes Kunstwerk in den Kreis ppo_473.025
des Lächerlichen gezogen würde, und dadurch an seinem ppo_473.026
ästhetischen Werthe verlöre; so beweiset eine ppo_473.027
solche Behauptung zu viel. Denn der psychologische ppo_473.028
Grund des Wohlgefallens an der Parodie und ppo_473.029
Travestirung ist der Grund des Wohlgefallens am ppo_473.030
Komischen und Lächerlichen überhaupt, und also an ppo_473.031
sich
in der menschlichen Natur gegründet, und keineswegs ppo_473.032
verwerflich. Selbst das ernsthafte Kunstwerk, ppo_473.033
das parodirt und travestirt wird, kann an ppo_473.034
sich dadurch nicht verlieren, weil ihm ein selbstständiger

ppo_473.001
geschilderte Gegenstand selbst, vermittelst der neuen ppo_473.002
Einkleidung und Versinnlichung, als ein komischer ppo_473.003
Stoff erscheint, der Lachen erregt, und durch dessen ppo_473.004
sinnlich vollendete Darstellung ein reines Gefühl der ppo_473.005
Lust bewirkt und erhalten wird.

ppo_473.006

Die Zahl der Parodieen ist in der teutschen ppo_473.007
Literatur weit größer, als die Zahl der Travestirungen, ppo_473.008
obgleich nur wenige Parodieen, in dem ppo_473.009
aufgestellten Sinne, zu den durchgängig gelungenen ppo_473.010
gerechnet werden können. Jn dramatischer Hinsicht ppo_473.011
ist Mahlmanns Herodes vor Bethlehem eine ppo_473.012
sehr treffende Parodie von Kotzebue's Hussiten ppo_473.013
vor Naumburg. Unter den Travestirungen der ppo_473.014
Teutschen behauptet, bei vielen einzelnen Derbheiten ppo_473.015
und metrischen Härten, Blumauers (nicht vollendete) ppo_473.016
travestirte Aeneis doch den Charakter des ppo_473.017
Hochkomischen und vieler gelungenen Schilderungen. ppo_473.018
Kotzebue travestirte selbst sein Trauerspiel Octavia. ppo_473.019
Ungleich tiefer in ästhetischer Hinsicht stehen die travestirte ppo_473.020
Jungfrau von Orleans, so wie der travestirte ppo_473.021
Hamlet und Nathan der Weise.

ppo_473.022

Wenn manche Theoretiker im Allgemeinen gegen ppo_473.023
alle Parodieen und Travestirungen sich erklärten, ppo_473.024
weil durch sie ein gefeiertes Kunstwerk in den Kreis ppo_473.025
des Lächerlichen gezogen würde, und dadurch an seinem ppo_473.026
ästhetischen Werthe verlöre; so beweiset eine ppo_473.027
solche Behauptung zu viel. Denn der psychologische ppo_473.028
Grund des Wohlgefallens an der Parodie und ppo_473.029
Travestirung ist der Grund des Wohlgefallens am ppo_473.030
Komischen und Lächerlichen überhaupt, und also an ppo_473.031
sich
in der menschlichen Natur gegründet, und keineswegs ppo_473.032
verwerflich. Selbst das ernsthafte Kunstwerk, ppo_473.033
das parodirt und travestirt wird, kann an ppo_473.034
sich dadurch nicht verlieren, weil ihm ein selbstständiger

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0485" n="473"/><lb n="ppo_473.001"/>geschilderte Gegenstand selbst, vermittelst der neuen <lb n="ppo_473.002"/>Einkleidung und Versinnlichung, als ein komischer <lb n="ppo_473.003"/>Stoff erscheint, der Lachen erregt, und durch dessen <lb n="ppo_473.004"/>sinnlich vollendete Darstellung ein reines Gefühl der <lb n="ppo_473.005"/>Lust bewirkt und erhalten wird.</p>
          <lb n="ppo_473.006"/>
          <p>  Die Zahl der Parodieen ist in der teutschen <lb n="ppo_473.007"/>Literatur weit größer, als die Zahl der Travestirungen, <lb n="ppo_473.008"/>obgleich nur wenige Parodieen, in dem <lb n="ppo_473.009"/>aufgestellten Sinne, zu den durchgängig gelungenen <lb n="ppo_473.010"/>gerechnet werden können. Jn <hi rendition="#g">dramatischer</hi> Hinsicht <lb n="ppo_473.011"/>ist <hi rendition="#g">Mahlmanns</hi> Herodes vor Bethlehem eine <lb n="ppo_473.012"/>sehr treffende Parodie von <hi rendition="#g">Kotzebue's</hi> Hussiten <lb n="ppo_473.013"/>vor Naumburg. Unter den Travestirungen der <lb n="ppo_473.014"/>Teutschen behauptet, bei vielen einzelnen Derbheiten <lb n="ppo_473.015"/>und metrischen Härten, <hi rendition="#g">Blumauers</hi> (nicht vollendete) <lb n="ppo_473.016"/>travestirte Aeneis doch den Charakter des <lb n="ppo_473.017"/>Hochkomischen und vieler gelungenen Schilderungen. <lb n="ppo_473.018"/><hi rendition="#g">Kotzebue</hi> travestirte selbst sein Trauerspiel Octavia. <lb n="ppo_473.019"/>Ungleich tiefer in ästhetischer Hinsicht stehen die travestirte <lb n="ppo_473.020"/>Jungfrau von Orleans, so wie der travestirte <lb n="ppo_473.021"/>Hamlet und Nathan der Weise.</p>
          <lb n="ppo_473.022"/>
          <p>  Wenn manche Theoretiker im Allgemeinen gegen <lb n="ppo_473.023"/>alle Parodieen und Travestirungen sich erklärten, <lb n="ppo_473.024"/>weil durch sie ein gefeiertes Kunstwerk in den Kreis <lb n="ppo_473.025"/>des Lächerlichen gezogen würde, und dadurch an seinem <lb n="ppo_473.026"/>ästhetischen Werthe verlöre; so beweiset eine <lb n="ppo_473.027"/>solche Behauptung zu viel. Denn der psychologische <lb n="ppo_473.028"/>Grund des Wohlgefallens an der Parodie und <lb n="ppo_473.029"/>Travestirung ist der Grund des Wohlgefallens am <lb n="ppo_473.030"/>Komischen und Lächerlichen überhaupt, und also <hi rendition="#g">an <lb n="ppo_473.031"/>sich</hi> in der menschlichen Natur gegründet, und keineswegs <lb n="ppo_473.032"/>verwerflich. Selbst das ernsthafte Kunstwerk, <lb n="ppo_473.033"/>das parodirt und travestirt wird, kann an <lb n="ppo_473.034"/>sich dadurch nicht verlieren, weil ihm ein selbstständiger
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[473/0485] ppo_473.001 geschilderte Gegenstand selbst, vermittelst der neuen ppo_473.002 Einkleidung und Versinnlichung, als ein komischer ppo_473.003 Stoff erscheint, der Lachen erregt, und durch dessen ppo_473.004 sinnlich vollendete Darstellung ein reines Gefühl der ppo_473.005 Lust bewirkt und erhalten wird. ppo_473.006 Die Zahl der Parodieen ist in der teutschen ppo_473.007 Literatur weit größer, als die Zahl der Travestirungen, ppo_473.008 obgleich nur wenige Parodieen, in dem ppo_473.009 aufgestellten Sinne, zu den durchgängig gelungenen ppo_473.010 gerechnet werden können. Jn dramatischer Hinsicht ppo_473.011 ist Mahlmanns Herodes vor Bethlehem eine ppo_473.012 sehr treffende Parodie von Kotzebue's Hussiten ppo_473.013 vor Naumburg. Unter den Travestirungen der ppo_473.014 Teutschen behauptet, bei vielen einzelnen Derbheiten ppo_473.015 und metrischen Härten, Blumauers (nicht vollendete) ppo_473.016 travestirte Aeneis doch den Charakter des ppo_473.017 Hochkomischen und vieler gelungenen Schilderungen. ppo_473.018 Kotzebue travestirte selbst sein Trauerspiel Octavia. ppo_473.019 Ungleich tiefer in ästhetischer Hinsicht stehen die travestirte ppo_473.020 Jungfrau von Orleans, so wie der travestirte ppo_473.021 Hamlet und Nathan der Weise. ppo_473.022 Wenn manche Theoretiker im Allgemeinen gegen ppo_473.023 alle Parodieen und Travestirungen sich erklärten, ppo_473.024 weil durch sie ein gefeiertes Kunstwerk in den Kreis ppo_473.025 des Lächerlichen gezogen würde, und dadurch an seinem ppo_473.026 ästhetischen Werthe verlöre; so beweiset eine ppo_473.027 solche Behauptung zu viel. Denn der psychologische ppo_473.028 Grund des Wohlgefallens an der Parodie und ppo_473.029 Travestirung ist der Grund des Wohlgefallens am ppo_473.030 Komischen und Lächerlichen überhaupt, und also an ppo_473.031 sich in der menschlichen Natur gegründet, und keineswegs ppo_473.032 verwerflich. Selbst das ernsthafte Kunstwerk, ppo_473.033 das parodirt und travestirt wird, kann an ppo_473.034 sich dadurch nicht verlieren, weil ihm ein selbstständiger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/485
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/485>, abgerufen am 22.11.2024.