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Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895.

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böse Leidenschaft oder auf cretinartige Degeneration ge-
rechtfertigt erscheint. Die Beobachtung am Lebenden be-
stätigt endlich, wenn auch weniger sicher und constant
als die an der Leiche, das häufige Vorkommen von Mikro-
cephalie, Asymmetrie, Schrägheit der Augenhöhlen, Vor-
springen der Kiefer, Auftreibung der Stirnhöhlen. Sie hebt
neue Thatsachen von Ähnlichkeit zwischen Irren, Wilden
und Verbrechern hervor."

Nun fährt im Allgemeinen derjenige Mensch im Kampf
um's Dasein besser, der Geschmack an äusseren Formen
hat, deren Besitzer, wie z. B. altruistische Naturen, seinem
Lebensprocess förderlich sind, woraus sich die allmähliche
Züchtung unseres Geschmacks in der bestimmten vor-
liegenden Richtung erklärt. Erklärt wenigstens in darwini-
stischem Sinne. Weshalb nun grade diese bestimmte
Form an jenen bestimmten Charakter gebunden ist, das
ist uns ebenso sehr ein Geheimniss, als warum grade die
und die Anordnung der Zellen in einem Organ an die und
die bestimmte Function gebunden ist. Wir müssen uns da-
bei beruhigen, dass Function und Form feste Beziehungen
zu einander haben, von deren Erkennen wir noch weit ent-
fernt sind.

So sehr es für die überwiegende Mehrzahl schöner
Eigenschaften einleuchtet, dass sie in irgend einer Bezie-
hung zur grösseren Erhaltungs- oder Fortpflanzungskraft
der Individuen, also ihrer Constitutionskraft stehen, so
haben wir doch keinen Grund abzuläugnen, dass es ge-
wisse Theile der menschlichen Schönheit gibt, die beson-
ders bei der geschlechtlichen Auslese von dem anderen
Geschlecht nur gewählt werden, weil sie einem Schönheits-
bedürfniss entsprechen, das seine Entstehung nicht der
Nützlichkeit der Function verdankt, die etwa an den schönen
Theil geknüpft ist, sondern das mit der Bewegungsart der
lebendigen Substanz oder der Substanz überhaupt auf's
Engste verbunden ist. Ich erinnere an Helmholtz' Erklär-

böse Leidenschaft oder auf cretinartige Degeneration ge-
rechtfertigt erscheint. Die Beobachtung am Lebenden be-
stätigt endlich, wenn auch weniger sicher und constant
als die an der Leiche, das häufige Vorkommen von Mikro-
cephalie, Asymmetrie, Schrägheit der Augenhöhlen, Vor-
springen der Kiefer, Auftreibung der Stirnhöhlen. Sie hebt
neue Thatsachen von Ähnlichkeit zwischen Irren, Wilden
und Verbrechern hervor.“

Nun fährt im Allgemeinen derjenige Mensch im Kampf
um’s Dasein besser, der Geschmack an äusseren Formen
hat, deren Besitzer, wie z. B. altruistische Naturen, seinem
Lebensprocess förderlich sind, woraus sich die allmähliche
Züchtung unseres Geschmacks in der bestimmten vor-
liegenden Richtung erklärt. Erklärt wenigstens in darwini-
stischem Sinne. Weshalb nun grade diese bestimmte
Form an jenen bestimmten Charakter gebunden ist, das
ist uns ebenso sehr ein Geheimniss, als warum grade die
und die Anordnung der Zellen in einem Organ an die und
die bestimmte Function gebunden ist. Wir müssen uns da-
bei beruhigen, dass Function und Form feste Beziehungen
zu einander haben, von deren Erkennen wir noch weit ent-
fernt sind.

So sehr es für die überwiegende Mehrzahl schöner
Eigenschaften einleuchtet, dass sie in irgend einer Bezie-
hung zur grösseren Erhaltungs- oder Fortpflanzungskraft
der Individuen, also ihrer Constitutionskraft stehen, so
haben wir doch keinen Grund abzuläugnen, dass es ge-
wisse Theile der menschlichen Schönheit gibt, die beson-
ders bei der geschlechtlichen Auslese von dem anderen
Geschlecht nur gewählt werden, weil sie einem Schönheits-
bedürfniss entsprechen, das seine Entstehung nicht der
Nützlichkeit der Function verdankt, die etwa an den schönen
Theil geknüpft ist, sondern das mit der Bewegungsart der
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Engste verbunden ist. Ich erinnere an Helmholtz’ Erklär-

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[110/0130] böse Leidenschaft oder auf cretinartige Degeneration ge- rechtfertigt erscheint. Die Beobachtung am Lebenden be- stätigt endlich, wenn auch weniger sicher und constant als die an der Leiche, das häufige Vorkommen von Mikro- cephalie, Asymmetrie, Schrägheit der Augenhöhlen, Vor- springen der Kiefer, Auftreibung der Stirnhöhlen. Sie hebt neue Thatsachen von Ähnlichkeit zwischen Irren, Wilden und Verbrechern hervor.“ Nun fährt im Allgemeinen derjenige Mensch im Kampf um’s Dasein besser, der Geschmack an äusseren Formen hat, deren Besitzer, wie z. B. altruistische Naturen, seinem Lebensprocess förderlich sind, woraus sich die allmähliche Züchtung unseres Geschmacks in der bestimmten vor- liegenden Richtung erklärt. Erklärt wenigstens in darwini- stischem Sinne. Weshalb nun grade diese bestimmte Form an jenen bestimmten Charakter gebunden ist, das ist uns ebenso sehr ein Geheimniss, als warum grade die und die Anordnung der Zellen in einem Organ an die und die bestimmte Function gebunden ist. Wir müssen uns da- bei beruhigen, dass Function und Form feste Beziehungen zu einander haben, von deren Erkennen wir noch weit ent- fernt sind. So sehr es für die überwiegende Mehrzahl schöner Eigenschaften einleuchtet, dass sie in irgend einer Bezie- hung zur grösseren Erhaltungs- oder Fortpflanzungskraft der Individuen, also ihrer Constitutionskraft stehen, so haben wir doch keinen Grund abzuläugnen, dass es ge- wisse Theile der menschlichen Schönheit gibt, die beson- ders bei der geschlechtlichen Auslese von dem anderen Geschlecht nur gewählt werden, weil sie einem Schönheits- bedürfniss entsprechen, das seine Entstehung nicht der Nützlichkeit der Function verdankt, die etwa an den schönen Theil geknüpft ist, sondern das mit der Bewegungsart der lebendigen Substanz oder der Substanz überhaupt auf’s Engste verbunden ist. Ich erinnere an Helmholtz’ Erklär-

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Zitationshilfe: Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895/130>, abgerufen am 24.11.2024.