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Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Der Alte ging Sonntags nach der Vesper zum Curaten. Dieser war über das, was er hörte, höchlich erstaunt; das Wasser schoß ihm vor Freude in die Augen, daß er einem so wackeren Tiroler, welcher mannhaft für das Vaterland gestritten, einen wichtigen Dienst erweisen könne. Sag Klaus, sprach er zum Alten, er möge morgen das Gewissen erforschen und von zwölf Uhr Mittags nichts mehr essen; ich werde ihn, sobald es dunkelt, am Schafbachl aufsuchen.

Der Priester hielt Wort. Er nahm sein Brevier, legte eine Hostie hinein und ging, nachdem er eine Schale Kaffee geschlürft, langsam fort. Klaus hatte den Tag in religiösen Uebungen zugebracht; als er des Geistlichen ansichtig geworden, nahm er den Hut ab, begrüßte ihn ehrerbietig und küßte ihm die Hand. Ich dank' Euch, sagte er, daß Ihr Euch eines armen Menschen erbarmt, mög' es Euch Gott in der Sterbestunde vergelten! Dann führte er ihn tief ins Gebüsch, der Priester setzte sich auf einen Stein, Klaus kniete in das Moos zu seinen Füßen und beichtete ihm mit wahrhaft kindlichem Vertrauen. Als er fertig war, begann der Priester die herkömmlichen Gebete, tröstete ihn über sein ungewisses Loos und sprach ihm zu, er möge alle Leiden, die er bereits geduldet und noch dulden müsse, Gott als Buße aufopfern. Segnend hob er die Hand: Ego absolvo te a peccatis tuis! Dann forderte er Klaus auf, sich kurz auf das heilige Abendmahl vorzubereiten, und weihte, während Dieser, die

Der Alte ging Sonntags nach der Vesper zum Curaten. Dieser war über das, was er hörte, höchlich erstaunt; das Wasser schoß ihm vor Freude in die Augen, daß er einem so wackeren Tiroler, welcher mannhaft für das Vaterland gestritten, einen wichtigen Dienst erweisen könne. Sag Klaus, sprach er zum Alten, er möge morgen das Gewissen erforschen und von zwölf Uhr Mittags nichts mehr essen; ich werde ihn, sobald es dunkelt, am Schafbachl aufsuchen.

Der Priester hielt Wort. Er nahm sein Brevier, legte eine Hostie hinein und ging, nachdem er eine Schale Kaffee geschlürft, langsam fort. Klaus hatte den Tag in religiösen Uebungen zugebracht; als er des Geistlichen ansichtig geworden, nahm er den Hut ab, begrüßte ihn ehrerbietig und küßte ihm die Hand. Ich dank' Euch, sagte er, daß Ihr Euch eines armen Menschen erbarmt, mög' es Euch Gott in der Sterbestunde vergelten! Dann führte er ihn tief ins Gebüsch, der Priester setzte sich auf einen Stein, Klaus kniete in das Moos zu seinen Füßen und beichtete ihm mit wahrhaft kindlichem Vertrauen. Als er fertig war, begann der Priester die herkömmlichen Gebete, tröstete ihn über sein ungewisses Loos und sprach ihm zu, er möge alle Leiden, die er bereits geduldet und noch dulden müsse, Gott als Buße aufopfern. Segnend hob er die Hand: Ego absolvo te a peccatis tuis! Dann forderte er Klaus auf, sich kurz auf das heilige Abendmahl vorzubereiten, und weihte, während Dieser, die

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[0072] Der Alte ging Sonntags nach der Vesper zum Curaten. Dieser war über das, was er hörte, höchlich erstaunt; das Wasser schoß ihm vor Freude in die Augen, daß er einem so wackeren Tiroler, welcher mannhaft für das Vaterland gestritten, einen wichtigen Dienst erweisen könne. Sag Klaus, sprach er zum Alten, er möge morgen das Gewissen erforschen und von zwölf Uhr Mittags nichts mehr essen; ich werde ihn, sobald es dunkelt, am Schafbachl aufsuchen. Der Priester hielt Wort. Er nahm sein Brevier, legte eine Hostie hinein und ging, nachdem er eine Schale Kaffee geschlürft, langsam fort. Klaus hatte den Tag in religiösen Uebungen zugebracht; als er des Geistlichen ansichtig geworden, nahm er den Hut ab, begrüßte ihn ehrerbietig und küßte ihm die Hand. Ich dank' Euch, sagte er, daß Ihr Euch eines armen Menschen erbarmt, mög' es Euch Gott in der Sterbestunde vergelten! Dann führte er ihn tief ins Gebüsch, der Priester setzte sich auf einen Stein, Klaus kniete in das Moos zu seinen Füßen und beichtete ihm mit wahrhaft kindlichem Vertrauen. Als er fertig war, begann der Priester die herkömmlichen Gebete, tröstete ihn über sein ungewisses Loos und sprach ihm zu, er möge alle Leiden, die er bereits geduldet und noch dulden müsse, Gott als Buße aufopfern. Segnend hob er die Hand: Ego absolvo te a peccatis tuis! Dann forderte er Klaus auf, sich kurz auf das heilige Abendmahl vorzubereiten, und weihte, während Dieser, die

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Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/72>, abgerufen am 26.06.2024.