Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ob wohl Alles sicher sei, und schleppte Naz bei einem Fuß über den Schnee abwärts in den Wald. Dort legte er ihn, so daß er sich nicht mit Blut besudeln konnte, quer über die Schulter und verbarg ihn unter zusammengescharrtem Laub am Schafbachl. Bei Nacht kehrte er mit einerm Pickel zurück, grub ein Grab und beerdigte ihn. Um die Stelle unkenntlich zu machen, legte er sorgfältig Moos darauf und trat es fest.

Samstag war nicht mehr fern. Wenn ihn auch nicht die leiseste Gewissensangst drückte, so fühlte er sich doch im Innern beunruhigt; es giebt eben Verhältnisse, wo der Mensch des Menschen bedarf, um sich ihm gegenüber voll und warm auszusprechen. Dafür eignen sich Diejenigen, welche uns durch die heiligsten und edelsten Bande verknüpft sind, nicht immer; wir suchen einen Mann, der, weil er uns ferner steht, die Sache ruhiger und von allen Gesichtspunkten anschaut, einen Mann, der uns zugleich mit höherer Würde entgegentritt. In solchen Fällen entspricht die Beichte einem echten menschlichen Bedürfnisse, und auf dieser unleugbaren Grundlage ist jenes Sacrament gegründet. -- Deßwegen vertraute er auch weder Burgl, noch dem Alten, was sich ereignet, wohl aber bat er Letzteren, er möge den Curaten von Steinberg besuchen, ihm seinen Aufenthalt und was sonst nöthig unter dem Beichtsiegel mittheilen und bitten, ihm heimlich die heiligen Sacramente zu spenden, damit er nicht wie ein Heide über Weihnachten in das neue Jahr wandere.

ob wohl Alles sicher sei, und schleppte Naz bei einem Fuß über den Schnee abwärts in den Wald. Dort legte er ihn, so daß er sich nicht mit Blut besudeln konnte, quer über die Schulter und verbarg ihn unter zusammengescharrtem Laub am Schafbachl. Bei Nacht kehrte er mit einerm Pickel zurück, grub ein Grab und beerdigte ihn. Um die Stelle unkenntlich zu machen, legte er sorgfältig Moos darauf und trat es fest.

Samstag war nicht mehr fern. Wenn ihn auch nicht die leiseste Gewissensangst drückte, so fühlte er sich doch im Innern beunruhigt; es giebt eben Verhältnisse, wo der Mensch des Menschen bedarf, um sich ihm gegenüber voll und warm auszusprechen. Dafür eignen sich Diejenigen, welche uns durch die heiligsten und edelsten Bande verknüpft sind, nicht immer; wir suchen einen Mann, der, weil er uns ferner steht, die Sache ruhiger und von allen Gesichtspunkten anschaut, einen Mann, der uns zugleich mit höherer Würde entgegentritt. In solchen Fällen entspricht die Beichte einem echten menschlichen Bedürfnisse, und auf dieser unleugbaren Grundlage ist jenes Sacrament gegründet. — Deßwegen vertraute er auch weder Burgl, noch dem Alten, was sich ereignet, wohl aber bat er Letzteren, er möge den Curaten von Steinberg besuchen, ihm seinen Aufenthalt und was sonst nöthig unter dem Beichtsiegel mittheilen und bitten, ihm heimlich die heiligen Sacramente zu spenden, damit er nicht wie ein Heide über Weihnachten in das neue Jahr wandere.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="6">
        <p><pb facs="#f0071"/>
ob wohl Alles sicher sei, und schleppte Naz                bei einem Fuß über den Schnee abwärts in den Wald. Dort legte er ihn, so daß er sich                nicht mit Blut besudeln konnte, quer über die Schulter und verbarg ihn unter                zusammengescharrtem Laub am Schafbachl. Bei Nacht kehrte er mit einerm Pickel zurück,                grub ein Grab und beerdigte ihn. Um die Stelle unkenntlich zu machen, legte er                sorgfältig Moos darauf und trat es fest.</p><lb/>
        <p>Samstag war nicht mehr fern. Wenn ihn auch nicht die leiseste Gewissensangst drückte,                so fühlte er sich doch im Innern beunruhigt; es giebt eben Verhältnisse, wo der                Mensch des Menschen bedarf, um sich ihm gegenüber voll und warm auszusprechen. Dafür                eignen sich Diejenigen, welche uns durch die heiligsten und edelsten Bande verknüpft                sind, nicht immer; wir suchen einen Mann, der, weil er uns ferner steht, die Sache                ruhiger und von allen Gesichtspunkten anschaut, einen Mann, der uns zugleich mit                höherer Würde entgegentritt. In solchen Fällen entspricht die Beichte einem echten                menschlichen Bedürfnisse, und auf dieser unleugbaren Grundlage ist jenes Sacrament                gegründet. &#x2014; Deßwegen vertraute er auch weder Burgl, noch dem Alten, was sich                ereignet, wohl aber bat er Letzteren, er möge den Curaten von Steinberg besuchen, ihm                seinen Aufenthalt und was sonst nöthig unter dem Beichtsiegel mittheilen und bitten,                ihm heimlich die heiligen Sacramente zu spenden, damit er nicht wie ein Heide über                Weihnachten in das neue Jahr wandere.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0071] ob wohl Alles sicher sei, und schleppte Naz bei einem Fuß über den Schnee abwärts in den Wald. Dort legte er ihn, so daß er sich nicht mit Blut besudeln konnte, quer über die Schulter und verbarg ihn unter zusammengescharrtem Laub am Schafbachl. Bei Nacht kehrte er mit einerm Pickel zurück, grub ein Grab und beerdigte ihn. Um die Stelle unkenntlich zu machen, legte er sorgfältig Moos darauf und trat es fest. Samstag war nicht mehr fern. Wenn ihn auch nicht die leiseste Gewissensangst drückte, so fühlte er sich doch im Innern beunruhigt; es giebt eben Verhältnisse, wo der Mensch des Menschen bedarf, um sich ihm gegenüber voll und warm auszusprechen. Dafür eignen sich Diejenigen, welche uns durch die heiligsten und edelsten Bande verknüpft sind, nicht immer; wir suchen einen Mann, der, weil er uns ferner steht, die Sache ruhiger und von allen Gesichtspunkten anschaut, einen Mann, der uns zugleich mit höherer Würde entgegentritt. In solchen Fällen entspricht die Beichte einem echten menschlichen Bedürfnisse, und auf dieser unleugbaren Grundlage ist jenes Sacrament gegründet. — Deßwegen vertraute er auch weder Burgl, noch dem Alten, was sich ereignet, wohl aber bat er Letzteren, er möge den Curaten von Steinberg besuchen, ihm seinen Aufenthalt und was sonst nöthig unter dem Beichtsiegel mittheilen und bitten, ihm heimlich die heiligen Sacramente zu spenden, damit er nicht wie ein Heide über Weihnachten in das neue Jahr wandere.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T13:06:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T13:06:45Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/71
Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/71>, abgerufen am 26.06.2024.