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Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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von eigener Arbeit lebe, selbst dem, welcher ihm das Brot dafür giebt, völlig gleichberechtigt sei und sich vor ihm nicht zu demüthigen brauche. Mit diesem Grundsatz kam er freilich nicht überall zurecht und verließ daher manchen Dienst, wo ihm ein hochmüthiges Bürschlein auf den Fuß treten wollte, aber von jedem Haus schied er mit vollen Ehren. Der Nidinger, selbst ein tüchtiger Charakter, wußte ihn zu schätzen, das Burgl lernte bald ihn lieben. -- Und auch er vergaß, wenn er dem netten Diendl in die nußbraunen Augen guckte, nur zu bald, daß er nichts sei als ein armes Knechtl, dessen ersparte Kreuzer kaum ausreichen würden, eine Kuh zu kaufen. Glücklich, wer sich in der Jugend dem Strom einer reinen Empfindung überlassen darf, das ist mehr werth als die Weisheit des Alters, diese Spätfrucht herber Enttäuschung und verzehrender Sorge! Das Mädchen dachte nur an ihn, an ihn allein, er aber hatte zu viel erfahren und gelitten, daß ihm nicht endlich Bedenken aufsteigen sollten. Was wird der Nidinger sagen? Er konnte es nicht länger mehr über das Herz bringen, den alten Mann, der ihn in ganz anderer Absicht aufgenommen und stets liebreich behandelte, zu täuschen, aber das Reden war eben so schwer. Nur noch bis zum Herbst wollte er warten, Nidinger sollte ihn ganz kennen lernen, die Kraft seiner Arme war ja auch ein Capital, das mit Gottes Hülfe Zinsen tragen konnte, und dem Ahnenstolz des

von eigener Arbeit lebe, selbst dem, welcher ihm das Brot dafür giebt, völlig gleichberechtigt sei und sich vor ihm nicht zu demüthigen brauche. Mit diesem Grundsatz kam er freilich nicht überall zurecht und verließ daher manchen Dienst, wo ihm ein hochmüthiges Bürschlein auf den Fuß treten wollte, aber von jedem Haus schied er mit vollen Ehren. Der Nidinger, selbst ein tüchtiger Charakter, wußte ihn zu schätzen, das Burgl lernte bald ihn lieben. — Und auch er vergaß, wenn er dem netten Diendl in die nußbraunen Augen guckte, nur zu bald, daß er nichts sei als ein armes Knechtl, dessen ersparte Kreuzer kaum ausreichen würden, eine Kuh zu kaufen. Glücklich, wer sich in der Jugend dem Strom einer reinen Empfindung überlassen darf, das ist mehr werth als die Weisheit des Alters, diese Spätfrucht herber Enttäuschung und verzehrender Sorge! Das Mädchen dachte nur an ihn, an ihn allein, er aber hatte zu viel erfahren und gelitten, daß ihm nicht endlich Bedenken aufsteigen sollten. Was wird der Nidinger sagen? Er konnte es nicht länger mehr über das Herz bringen, den alten Mann, der ihn in ganz anderer Absicht aufgenommen und stets liebreich behandelte, zu täuschen, aber das Reden war eben so schwer. Nur noch bis zum Herbst wollte er warten, Nidinger sollte ihn ganz kennen lernen, die Kraft seiner Arme war ja auch ein Capital, das mit Gottes Hülfe Zinsen tragen konnte, und dem Ahnenstolz des

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T13:06:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/21>, abgerufen am 26.04.2024.