Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Grundstücke so lang zieht, als Keiner von euch ohne seine Schuld verarmt. Tritt dieser Fall ein, so darf er den Anspruch auf ein Drittel des Betrages erheben, bis er sich erholt. So ist's, da liegt die Urkunde. Euer Vater hat sich eine Zelle in einem Kloster ausbedungen, dort hofft er ein seliges Ende zu erlangen. Ist er abgeschieden, werd' ich es euch sagen, damit ihr für sein Heil in der andern Welt Messen zahlen könnt. Seid brav und gottesfürchtig wie er, und jetzt kniet nieder und nehmt durch mich seinen Segen. Die Bauern knieten schluchzend nieder, Jeder gelobte sich im Stillen zu thun, wie der Vater befohlen -- sie sind auch rechtschaffen geblieben. Ihr Stamm pflanzt sich in Ehren fort: wie der Vater, so der Sohn. Der mittlere Nidinger hatte einen Buben und eine Tochter. Obgleich sie erwachsen waren und sehr brav arbeiteten, reichten ihre Kräfte doch nicht aus, das weitschichtige Gut ordentlich zu bewirthschaften. Der Alte dingte deßwegen zu Georgi einen Knecht, unsern Klaus. Er war ein bildsauberer Bursch, daß ihm die Mädeln auf der Straße nachguckten, eben so flink beim Tanz als beim Mähen; rechtschaffen in allen Stücken, schaute er auf das Gut seines Herrn, wie auf sein eigenes. Doch da hatte er freilich nicht viel zu schauen; unehelicher Sohn einer Bauerndirne bei Schwaz, welche starb, als er eben ausgeschult war, lernte er bald, wie bitter es sei, fremdes Brod zu essen, erlangte aber auch das stolze Gefühl, daß, wer Grundstücke so lang zieht, als Keiner von euch ohne seine Schuld verarmt. Tritt dieser Fall ein, so darf er den Anspruch auf ein Drittel des Betrages erheben, bis er sich erholt. So ist's, da liegt die Urkunde. Euer Vater hat sich eine Zelle in einem Kloster ausbedungen, dort hofft er ein seliges Ende zu erlangen. Ist er abgeschieden, werd' ich es euch sagen, damit ihr für sein Heil in der andern Welt Messen zahlen könnt. Seid brav und gottesfürchtig wie er, und jetzt kniet nieder und nehmt durch mich seinen Segen. Die Bauern knieten schluchzend nieder, Jeder gelobte sich im Stillen zu thun, wie der Vater befohlen — sie sind auch rechtschaffen geblieben. Ihr Stamm pflanzt sich in Ehren fort: wie der Vater, so der Sohn. Der mittlere Nidinger hatte einen Buben und eine Tochter. Obgleich sie erwachsen waren und sehr brav arbeiteten, reichten ihre Kräfte doch nicht aus, das weitschichtige Gut ordentlich zu bewirthschaften. Der Alte dingte deßwegen zu Georgi einen Knecht, unsern Klaus. Er war ein bildsauberer Bursch, daß ihm die Mädeln auf der Straße nachguckten, eben so flink beim Tanz als beim Mähen; rechtschaffen in allen Stücken, schaute er auf das Gut seines Herrn, wie auf sein eigenes. Doch da hatte er freilich nicht viel zu schauen; unehelicher Sohn einer Bauerndirne bei Schwaz, welche starb, als er eben ausgeschult war, lernte er bald, wie bitter es sei, fremdes Brod zu essen, erlangte aber auch das stolze Gefühl, daß, wer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020"/> Grundstücke so lang zieht, als Keiner von euch ohne seine Schuld verarmt. Tritt dieser Fall ein, so darf er den Anspruch auf ein Drittel des Betrages erheben, bis er sich erholt. So ist's, da liegt die Urkunde. Euer Vater hat sich eine Zelle in einem Kloster ausbedungen, dort hofft er ein seliges Ende zu erlangen. Ist er abgeschieden, werd' ich es euch sagen, damit ihr für sein Heil in der andern Welt Messen zahlen könnt. Seid brav und gottesfürchtig wie er, und jetzt kniet nieder und nehmt durch mich seinen Segen. Die Bauern knieten schluchzend nieder, Jeder gelobte sich im Stillen zu thun, wie der Vater befohlen — sie sind auch rechtschaffen geblieben. Ihr Stamm pflanzt sich in Ehren fort: wie der Vater, so der Sohn.</p><lb/> <p>Der mittlere Nidinger hatte einen Buben und eine Tochter. Obgleich sie erwachsen waren und sehr brav arbeiteten, reichten ihre Kräfte doch nicht aus, das weitschichtige Gut ordentlich zu bewirthschaften. Der Alte dingte deßwegen zu Georgi einen Knecht, unsern Klaus. Er war ein bildsauberer Bursch, daß ihm die Mädeln auf der Straße nachguckten, eben so flink beim Tanz als beim Mähen; rechtschaffen in allen Stücken, schaute er auf das Gut seines Herrn, wie auf sein eigenes. Doch da hatte er freilich nicht viel zu schauen; unehelicher Sohn einer Bauerndirne bei Schwaz, welche starb, als er eben ausgeschult war, lernte er bald, wie bitter es sei, fremdes Brod zu essen, erlangte aber auch das stolze Gefühl, daß, wer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
Grundstücke so lang zieht, als Keiner von euch ohne seine Schuld verarmt. Tritt dieser Fall ein, so darf er den Anspruch auf ein Drittel des Betrages erheben, bis er sich erholt. So ist's, da liegt die Urkunde. Euer Vater hat sich eine Zelle in einem Kloster ausbedungen, dort hofft er ein seliges Ende zu erlangen. Ist er abgeschieden, werd' ich es euch sagen, damit ihr für sein Heil in der andern Welt Messen zahlen könnt. Seid brav und gottesfürchtig wie er, und jetzt kniet nieder und nehmt durch mich seinen Segen. Die Bauern knieten schluchzend nieder, Jeder gelobte sich im Stillen zu thun, wie der Vater befohlen — sie sind auch rechtschaffen geblieben. Ihr Stamm pflanzt sich in Ehren fort: wie der Vater, so der Sohn.
Der mittlere Nidinger hatte einen Buben und eine Tochter. Obgleich sie erwachsen waren und sehr brav arbeiteten, reichten ihre Kräfte doch nicht aus, das weitschichtige Gut ordentlich zu bewirthschaften. Der Alte dingte deßwegen zu Georgi einen Knecht, unsern Klaus. Er war ein bildsauberer Bursch, daß ihm die Mädeln auf der Straße nachguckten, eben so flink beim Tanz als beim Mähen; rechtschaffen in allen Stücken, schaute er auf das Gut seines Herrn, wie auf sein eigenes. Doch da hatte er freilich nicht viel zu schauen; unehelicher Sohn einer Bauerndirne bei Schwaz, welche starb, als er eben ausgeschult war, lernte er bald, wie bitter es sei, fremdes Brod zu essen, erlangte aber auch das stolze Gefühl, daß, wer
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Zitationshilfe: | Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/20>, abgerufen am 16.02.2025. |