Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

des Winters, wo die Gäste fehlen, manches Meisterwerk der Literatur gelesen, von dem unsere hochgebildeten Fräulein in der Regel hören, aber nichts wissen.

Doch zur Sache.

Wenn Sie über die Brücke bis zum Baunzner gehen, schließt den Hintergrund des Thales der waldige Mamos. Von den Hügeln, welche ihm vorliegen, leuchten Jedem drei große, aus Stein gebaute Bauernhöfe entgegen, deren Aussehen auf einen bedeutenden Wohlstand der Besitzer schließen läßt. Sie heißen: Beim untern, mittlern, und obern Nidinger. Die Bauern sind nahe verwandt und gemeinsamen Stammes. Ihrem Urgroßvater, vielleicht reicht es auch weiter zurück, zeigte ein Venedigermandl, das er mit einer geweihten Stutzenkugel vor dem Rachen einer Schlange gerettet, zum Danke das Goldbrünnlein auf dem Sonnenwendjoch. Dieses fließt über einen grauen Letten, welcher, wenn man ihn zu Hause trocknet, ganz von Goldflinserln schimmert. Da holte sich nun der alte Niedinger, so viel er zu schleppen vermochte, und hatte er wieder etliche Centner beisammen, so fuhr er mit dem Kohlenwagen nach Brixlegg in das Hüttenamt, wo man ihm das edle Erz theuer bezahlte. Als er grau zu werden anfing und an die vier letzten Dinge dachte, entschloß er sich, den Söhnen die Quelle des Reichthumes zu zeigen. Diese waren jedoch liederlich; je mehr der Vater Geld herbeischleppte, desto

des Winters, wo die Gäste fehlen, manches Meisterwerk der Literatur gelesen, von dem unsere hochgebildeten Fräulein in der Regel hören, aber nichts wissen.

Doch zur Sache.

Wenn Sie über die Brücke bis zum Baunzner gehen, schließt den Hintergrund des Thales der waldige Mamos. Von den Hügeln, welche ihm vorliegen, leuchten Jedem drei große, aus Stein gebaute Bauernhöfe entgegen, deren Aussehen auf einen bedeutenden Wohlstand der Besitzer schließen läßt. Sie heißen: Beim untern, mittlern, und obern Nidinger. Die Bauern sind nahe verwandt und gemeinsamen Stammes. Ihrem Urgroßvater, vielleicht reicht es auch weiter zurück, zeigte ein Venedigermandl, das er mit einer geweihten Stutzenkugel vor dem Rachen einer Schlange gerettet, zum Danke das Goldbrünnlein auf dem Sonnenwendjoch. Dieses fließt über einen grauen Letten, welcher, wenn man ihn zu Hause trocknet, ganz von Goldflinserln schimmert. Da holte sich nun der alte Niedinger, so viel er zu schleppen vermochte, und hatte er wieder etliche Centner beisammen, so fuhr er mit dem Kohlenwagen nach Brixlegg in das Hüttenamt, wo man ihm das edle Erz theuer bezahlte. Als er grau zu werden anfing und an die vier letzten Dinge dachte, entschloß er sich, den Söhnen die Quelle des Reichthumes zu zeigen. Diese waren jedoch liederlich; je mehr der Vater Geld herbeischleppte, desto

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018"/>
des Winters, wo die Gäste fehlen, manches Meisterwerk                der Literatur gelesen, von dem unsere hochgebildeten Fräulein in der Regel hören,                aber nichts wissen.</p><lb/>
        <p>Doch zur Sache.</p><lb/>
        <p>Wenn Sie über die Brücke bis zum Baunzner gehen, schließt den Hintergrund des Thales                der waldige Mamos. Von den Hügeln, welche ihm vorliegen, leuchten Jedem drei große,                aus Stein gebaute Bauernhöfe entgegen, deren Aussehen auf einen bedeutenden Wohlstand                der Besitzer schließen läßt. Sie heißen: Beim untern, mittlern, und obern Nidinger.                Die Bauern sind nahe verwandt und gemeinsamen Stammes. Ihrem Urgroßvater, vielleicht                reicht es auch weiter zurück, zeigte ein Venedigermandl, das er mit einer geweihten                Stutzenkugel vor dem Rachen einer Schlange gerettet, zum Danke das Goldbrünnlein auf                dem Sonnenwendjoch. Dieses fließt über einen grauen Letten, welcher, wenn man ihn zu                Hause trocknet, ganz von Goldflinserln schimmert. Da holte sich nun der alte                Niedinger, so viel er zu schleppen vermochte, und hatte er wieder etliche Centner                beisammen, so fuhr er mit dem Kohlenwagen nach Brixlegg in das Hüttenamt, wo man ihm                das edle Erz theuer bezahlte. Als er grau zu werden anfing und an die vier letzten                Dinge dachte, entschloß er sich, den Söhnen die Quelle des Reichthumes zu zeigen.                Diese waren jedoch liederlich; je mehr der Vater Geld herbeischleppte, desto<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] des Winters, wo die Gäste fehlen, manches Meisterwerk der Literatur gelesen, von dem unsere hochgebildeten Fräulein in der Regel hören, aber nichts wissen. Doch zur Sache. Wenn Sie über die Brücke bis zum Baunzner gehen, schließt den Hintergrund des Thales der waldige Mamos. Von den Hügeln, welche ihm vorliegen, leuchten Jedem drei große, aus Stein gebaute Bauernhöfe entgegen, deren Aussehen auf einen bedeutenden Wohlstand der Besitzer schließen läßt. Sie heißen: Beim untern, mittlern, und obern Nidinger. Die Bauern sind nahe verwandt und gemeinsamen Stammes. Ihrem Urgroßvater, vielleicht reicht es auch weiter zurück, zeigte ein Venedigermandl, das er mit einer geweihten Stutzenkugel vor dem Rachen einer Schlange gerettet, zum Danke das Goldbrünnlein auf dem Sonnenwendjoch. Dieses fließt über einen grauen Letten, welcher, wenn man ihn zu Hause trocknet, ganz von Goldflinserln schimmert. Da holte sich nun der alte Niedinger, so viel er zu schleppen vermochte, und hatte er wieder etliche Centner beisammen, so fuhr er mit dem Kohlenwagen nach Brixlegg in das Hüttenamt, wo man ihm das edle Erz theuer bezahlte. Als er grau zu werden anfing und an die vier letzten Dinge dachte, entschloß er sich, den Söhnen die Quelle des Reichthumes zu zeigen. Diese waren jedoch liederlich; je mehr der Vater Geld herbeischleppte, desto

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-23T13:06:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-23T13:06:45Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/18
Zitationshilfe: Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pichler_fluechtling_1910/18>, abgerufen am 24.11.2024.