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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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mit der kriechenden Poesie.

§ 16. Die Schnecke gehöret wol ausser
Streit mit unter die kriechende Thiere. Eine
poetische Schnecke ist also ein solcher Poete,
der über seinen Einfällen, ehe er sie aushecken
kann, lange dichtet und nachsinnet, so daß ihn
ein gewandter Kopf im Vorrennen weit über-
trifft. Jndessen trägt die Schnecke immer ihr
Haus bey sich, und holet wol den Elephanten
endlich ein, wenn solcher zu lange sich an einen
Baum lehnet, allda auszuschnarchen. Die
poetische Schnecken sind also unter denen krie-
chenden Poeten die bedachtsamsten. Sie plaz-
zen nicht flugs mit ihren Gedanken heraus, und
gehn mit den Reimen sparsam um, solche auf
ein andermal anzuwenden, und nicht mit ein-
mal zu verschwenden. Bey Uebersetzungen las-
sen sie manchmal gar die reimende Verse weg,
da denn ihre Poesie wie ein Zwitter zwischen
Prose und Dichtkunst aussiehet, oder einem
Castraten gleichet, der gern wollte und nicht
kann. Das macht ihre Commodität, die sie
lieben. Daher der Uebersetzer des verlohrnen
Paradieses vom Milton
in diesem Stücke, und
weil das Original sowol, als die deutsche Ueber-
setzung, nicht reimende Verse hatte, unter die
poetische Schnecken zu rechnen, wenn sie gleich,
in Ansehung der Erfindung und des Ausdrucks
der Gedanken, zu der uns fatalen Classe erha-
bener Poeten
gehören.

§ 17. Jch schliesse meine Abhandlung, und
beschreibe nur noch dasjenige Würmlein, das

die
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mit der kriechenden Poeſie.

§ 16. Die Schnecke gehoͤret wol auſſer
Streit mit unter die kriechende Thiere. Eine
poetiſche Schnecke iſt alſo ein ſolcher Poete,
der uͤber ſeinen Einfaͤllen, ehe er ſie aushecken
kann, lange dichtet und nachſinnet, ſo daß ihn
ein gewandter Kopf im Vorrennen weit uͤber-
trifft. Jndeſſen traͤgt die Schnecke immer ihr
Haus bey ſich, und holet wol den Elephanten
endlich ein, wenn ſolcher zu lange ſich an einen
Baum lehnet, allda auszuſchnarchen. Die
poetiſche Schnecken ſind alſo unter denen krie-
chenden Poeten die bedachtſamſten. Sie plaz-
zen nicht flugs mit ihren Gedanken heraus, und
gehn mit den Reimen ſparſam um, ſolche auf
ein andermal anzuwenden, und nicht mit ein-
mal zu verſchwenden. Bey Ueberſetzungen laſ-
ſen ſie manchmal gar die reimende Verſe weg,
da denn ihre Poeſie wie ein Zwitter zwiſchen
Proſe und Dichtkunſt ausſiehet, oder einem
Caſtraten gleichet, der gern wollte und nicht
kann. Das macht ihre Commoditaͤt, die ſie
lieben. Daher der Ueberſetzer des verlohrnen
Paradieſes vom Milton
in dieſem Stuͤcke, und
weil das Original ſowol, als die deutſche Ueber-
ſetzung, nicht reimende Verſe hatte, unter die
poetiſche Schnecken zu rechnen, wenn ſie gleich,
in Anſehung der Erfindung und des Ausdrucks
der Gedanken, zu der uns fatalen Claſſe erha-
bener Poeten
gehoͤren.

§ 17. Jch ſchlieſſe meine Abhandlung, und
beſchreibe nur noch dasjenige Wuͤrmlein, das

die
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[55/0063] mit der kriechenden Poeſie. § 16. Die Schnecke gehoͤret wol auſſer Streit mit unter die kriechende Thiere. Eine poetiſche Schnecke iſt alſo ein ſolcher Poete, der uͤber ſeinen Einfaͤllen, ehe er ſie aushecken kann, lange dichtet und nachſinnet, ſo daß ihn ein gewandter Kopf im Vorrennen weit uͤber- trifft. Jndeſſen traͤgt die Schnecke immer ihr Haus bey ſich, und holet wol den Elephanten endlich ein, wenn ſolcher zu lange ſich an einen Baum lehnet, allda auszuſchnarchen. Die poetiſche Schnecken ſind alſo unter denen krie- chenden Poeten die bedachtſamſten. Sie plaz- zen nicht flugs mit ihren Gedanken heraus, und gehn mit den Reimen ſparſam um, ſolche auf ein andermal anzuwenden, und nicht mit ein- mal zu verſchwenden. Bey Ueberſetzungen laſ- ſen ſie manchmal gar die reimende Verſe weg, da denn ihre Poeſie wie ein Zwitter zwiſchen Proſe und Dichtkunſt ausſiehet, oder einem Caſtraten gleichet, der gern wollte und nicht kann. Das macht ihre Commoditaͤt, die ſie lieben. Daher der Ueberſetzer des verlohrnen Paradieſes vom Milton in dieſem Stuͤcke, und weil das Original ſowol, als die deutſche Ueber- ſetzung, nicht reimende Verſe hatte, unter die poetiſche Schnecken zu rechnen, wenn ſie gleich, in Anſehung der Erfindung und des Ausdrucks der Gedanken, zu der uns fatalen Claſſe erha- bener Poeten gehoͤren. § 17. Jch ſchlieſſe meine Abhandlung, und beſchreibe nur noch dasjenige Wuͤrmlein, das die D 4

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/63>, abgerufen am 24.11.2024.