Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

mit der kriechenden Poesie.
legen sie ihnen so saftige Reime in den Mund,
daß man glauben sollte, sie hätten ein Stück
aus der Aloysia Sigea übersetzet, oder die Eco-
le de filles.
Ovidius, Catullus, Tibullus
und andere haben in vielen Gedichten gezeiget,
daß sie sich auch manchmal in poetische Mist-Kä-
for
verwandeln könnten.

§ 15. Der Schmetterling oder Butter-
Vogel
ist bekanntermaßen erst eine Art Raupen
gewesen, und verwandelt sich auch wieder in
ein kriechendes Gewürm. Hiermit vergleiche
ich unsere Phöbus-Poeten, wie sie von unsern
Feinden, den neuen Dichtern, genennet werden.
Es sind aber poetische Schmetterlinge. Sie
steigen in die Höhe, und verwandeln sich doch
bald wieder in kriechende Thiere. Sie sind so
dreist, über die Welt, über alle Religion, ja
über den Ursprung aller Dinge hinweg zu flad-
dern. Sie erkühnen sich, Himmel und Erde
mit ihren Flügeln zu zerschmettern; aber es ist
ein Unglück, daß sie sich meist die Flügel ver-
brennen, oder ihnen solche zeitig beschnitten wer-
den. Jch weiß nicht, ob der Erfinder des Leib-
Liedgens,
das nunmehr alle Candidaten in der
Froschmäusler-Gesellschaft absingen müssen, ein
solcher poetischer Schmetterling gewesen?
Wenigstens dürften manche muthmaßen, und
sich ereifern, als habe er durch das Liedlein:
Hans Sachs so löblich etc. einen gewissen alten
Kirchen-Gesang höhnisch durchziehen wollen.
Weil aber die jetzige Herren Gesellschafter mich

ver-
D 3

mit der kriechenden Poeſie.
legen ſie ihnen ſo ſaftige Reime in den Mund,
daß man glauben ſollte, ſie haͤtten ein Stuͤck
aus der Aloyſia Sigea uͤberſetzet, oder die Eco-
le de filles.
Ovidius, Catullus, Tibullus
und andere haben in vielen Gedichten gezeiget,
daß ſie ſich auch manchmal in poetiſche Miſt-Kaͤ-
for
verwandeln koͤnnten.

§ 15. Der Schmetterling oder Butter-
Vogel
iſt bekanntermaßen erſt eine Art Raupen
geweſen, und verwandelt ſich auch wieder in
ein kriechendes Gewuͤrm. Hiermit vergleiche
ich unſere Phoͤbus-Poeten, wie ſie von unſern
Feinden, den neuen Dichtern, genennet werden.
Es ſind aber poetiſche Schmetterlinge. Sie
ſteigen in die Hoͤhe, und verwandeln ſich doch
bald wieder in kriechende Thiere. Sie ſind ſo
dreiſt, uͤber die Welt, uͤber alle Religion, ja
uͤber den Urſprung aller Dinge hinweg zu flad-
dern. Sie erkuͤhnen ſich, Himmel und Erde
mit ihren Fluͤgeln zu zerſchmettern; aber es iſt
ein Ungluͤck, daß ſie ſich meiſt die Fluͤgel ver-
brennen, oder ihnen ſolche zeitig beſchnitten wer-
den. Jch weiß nicht, ob der Erfinder des Leib-
Liedgens,
das nunmehr alle Candidaten in der
Froſchmaͤusler-Geſellſchaft abſingen muͤſſen, ein
ſolcher poetiſcher Schmetterling geweſen?
Wenigſtens duͤrften manche muthmaßen, und
ſich ereifern, als habe er durch das Liedlein:
Hans Sachs ſo loͤblich ꝛc. einen gewiſſen alten
Kirchen-Geſang hoͤhniſch durchziehen wollen.
Weil aber die jetzige Herren Geſellſchafter mich

ver-
D 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0061" n="53"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">mit der kriechenden Poe&#x017F;ie.</hi></fw><lb/>
legen &#x017F;ie ihnen &#x017F;o &#x017F;aftige Reime in den Mund,<lb/>
daß man glauben &#x017F;ollte, &#x017F;ie ha&#x0364;tten ein Stu&#x0364;ck<lb/>
aus der <hi rendition="#fr">Aloy&#x017F;ia Sigea</hi> u&#x0364;ber&#x017F;etzet, oder die <hi rendition="#aq">Eco-<lb/>
le de filles.</hi> Ovidius, Catullus, Tibullus<lb/>
und andere haben in vielen Gedichten gezeiget,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;ich auch manchmal in poeti&#x017F;che <hi rendition="#fr">Mi&#x017F;t-Ka&#x0364;-<lb/>
for</hi> verwandeln ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
        <p>§ 15. Der <hi rendition="#fr">Schmetterling</hi> oder <hi rendition="#fr">Butter-<lb/>
Vogel</hi> i&#x017F;t bekanntermaßen er&#x017F;t eine Art <hi rendition="#fr">Raupen</hi><lb/>
gewe&#x017F;en, und verwandelt &#x017F;ich auch wieder in<lb/>
ein kriechendes Gewu&#x0364;rm. Hiermit vergleiche<lb/>
ich un&#x017F;ere <hi rendition="#fr">Pho&#x0364;bus-Poeten,</hi> wie &#x017F;ie von un&#x017F;ern<lb/>
Feinden, den neuen Dichtern, genennet werden.<lb/>
Es &#x017F;ind aber poeti&#x017F;che <hi rendition="#fr">Schmetterlinge.</hi> Sie<lb/>
&#x017F;teigen in die Ho&#x0364;he, und verwandeln &#x017F;ich doch<lb/>
bald wieder in kriechende Thiere. Sie &#x017F;ind &#x017F;o<lb/>
drei&#x017F;t, u&#x0364;ber die Welt, u&#x0364;ber alle Religion, ja<lb/>
u&#x0364;ber den Ur&#x017F;prung aller Dinge hinweg zu flad-<lb/>
dern. Sie erku&#x0364;hnen &#x017F;ich, Himmel und Erde<lb/>
mit ihren Flu&#x0364;geln zu zer&#x017F;chmettern; aber es i&#x017F;t<lb/>
ein Unglu&#x0364;ck, daß &#x017F;ie &#x017F;ich mei&#x017F;t die Flu&#x0364;gel ver-<lb/>
brennen, oder ihnen &#x017F;olche zeitig be&#x017F;chnitten wer-<lb/>
den. Jch weiß nicht, ob der Erfinder des <hi rendition="#fr">Leib-<lb/>
Liedgens,</hi> das nunmehr alle Candidaten in der<lb/>
Fro&#x017F;chma&#x0364;usler-Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ab&#x017F;ingen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, ein<lb/>
&#x017F;olcher <hi rendition="#fr">poeti&#x017F;cher Schmetterling</hi> gewe&#x017F;en?<lb/>
Wenig&#x017F;tens du&#x0364;rften manche muthmaßen, und<lb/>
&#x017F;ich ereifern, als habe er durch das Liedlein:<lb/><hi rendition="#fr">Hans Sachs &#x017F;o lo&#x0364;blich &#xA75B;c.</hi> einen gewi&#x017F;&#x017F;en alten<lb/>
Kirchen-Ge&#x017F;ang ho&#x0364;hni&#x017F;ch durchziehen wollen.<lb/>
Weil aber die jetzige Herren Ge&#x017F;ell&#x017F;chafter mich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0061] mit der kriechenden Poeſie. legen ſie ihnen ſo ſaftige Reime in den Mund, daß man glauben ſollte, ſie haͤtten ein Stuͤck aus der Aloyſia Sigea uͤberſetzet, oder die Eco- le de filles. Ovidius, Catullus, Tibullus und andere haben in vielen Gedichten gezeiget, daß ſie ſich auch manchmal in poetiſche Miſt-Kaͤ- for verwandeln koͤnnten. § 15. Der Schmetterling oder Butter- Vogel iſt bekanntermaßen erſt eine Art Raupen geweſen, und verwandelt ſich auch wieder in ein kriechendes Gewuͤrm. Hiermit vergleiche ich unſere Phoͤbus-Poeten, wie ſie von unſern Feinden, den neuen Dichtern, genennet werden. Es ſind aber poetiſche Schmetterlinge. Sie ſteigen in die Hoͤhe, und verwandeln ſich doch bald wieder in kriechende Thiere. Sie ſind ſo dreiſt, uͤber die Welt, uͤber alle Religion, ja uͤber den Urſprung aller Dinge hinweg zu flad- dern. Sie erkuͤhnen ſich, Himmel und Erde mit ihren Fluͤgeln zu zerſchmettern; aber es iſt ein Ungluͤck, daß ſie ſich meiſt die Fluͤgel ver- brennen, oder ihnen ſolche zeitig beſchnitten wer- den. Jch weiß nicht, ob der Erfinder des Leib- Liedgens, das nunmehr alle Candidaten in der Froſchmaͤusler-Geſellſchaft abſingen muͤſſen, ein ſolcher poetiſcher Schmetterling geweſen? Wenigſtens duͤrften manche muthmaßen, und ſich ereifern, als habe er durch das Liedlein: Hans Sachs ſo loͤblich ꝛc. einen gewiſſen alten Kirchen-Geſang hoͤhniſch durchziehen wollen. Weil aber die jetzige Herren Geſellſchafter mich ver- D 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/61
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/61>, abgerufen am 27.04.2024.