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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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einmal Reflexbewegung eintrat, während sonst oft wiederholtes
Stechen und Brennen immer Bewegung erzeugt. (Muller's
Archiv v. 1838.) Dasselbe sagt Nasse (a. a. O. p. 269.)

Eine andere Trivialität giebt uns der englische praktische
Arzt in Folgendem a. a. O. p. 63 u. 64:

"Ich entfernte den Kopf einer Schlange. Angeregt bewegte
sie sich lange Zeit fort, weil jede Bewegung neue Theile in Be¬
rührung mit dem Tische brachte. Ich wurde hinweggerufen (!!).
Zurückgekehrt fand ich sie mit einem Drittheil ihres Körpers über
einer scharfen Kante des Tisches hängen. Eine qualvollere Lage
kann man sich kaum denken, wenn wir bei dem Thiere wirk¬
lich Gefühl vermuthen. Es ist daher sicher (!!!??), dass die
Empfindung verloschen war."

Hiergegen ist zunächst zu bemerken, dass derartige halbe
Beobachtungen nicht geboten werden sollen. M. Hall hätte
bedenken sollen, dass ein Thier, wenn es auch die Fähigkeit.
Locomotionsbewegungen auszuführen, nicht mehr besitzt, doch
noch empfinden kann. Er hat ja nicht gesehen, wie das Thier
vielleicht längere Zeit gegen die Kante umsonst reagirte und
endlich erschöpft dem Unvermeidlichen nachgab, nachdem sich
die Theile gegen den Reiz abgestumpft hatten. Der ergötzliche
Argumentator fährt weiter fort a. a. O.:

"Ich nahm zwei Aale und schnitt denselben die Köpfe ab;
darauf legte ich sie auf einen Tisch mit Wasser befeuchtet. Einer
derselben war (!) mit vielen langen Nadeln durchstochen. Beide
waren gleich bewegungslos, wenn sie nicht berührt wurden,
aber beide waren gleich erregbar bei der geringsten Reizung.
Wäre die geringste Empfindung vorhanden gewesen, der Aal,
in welchem die Nadeln eingesenkt waren, hätte sich unaufhör¬
lich winden müssen.

"Ich schnitt einem Frosche den Kopf ab und hing das Thier
mittelst eines Bandes, welches fest um die Füsse gelegt war,
auf. Er blieb regungslos. Ich reizte die Haut an verschiedenen
Theilen, immer zeigten sich starke Muskelcontractionen und
dann sank er wieder in die hängende Lage zurück. Der Erfolg

einmal Reflexbewegung eintrat, während sonst oft wiederholtes
Stechen und Brennen immer Bewegung erzeugt. (Muller's
Archiv v. 1838.) Dasselbe sagt Nasse (a. a. O. p. 269.)

Eine andere Trivialität giebt uns der englische praktische
Arzt in Folgendem a. a. O. p. 63 u. 64:

„Ich entfernte den Kopf einer Schlange. Angeregt bewegte
sie sich lange Zeit fort, weil jede Bewegung neue Theile in Be¬
rührung mit dem Tische brachte. Ich wurde hinweggerufen (!!).
Zurückgekehrt fand ich sie mit einem Drittheil ihres Körpers über
einer scharfen Kante des Tisches hängen. Eine qualvollere Lage
kann man sich kaum denken, wenn wir bei dem Thiere wirk¬
lich Gefühl vermuthen. Es ist daher sicher (!!!??), dass die
Empfindung verloschen war.“

Hiergegen ist zunächst zu bemerken, dass derartige halbe
Beobachtungen nicht geboten werden sollen. M. Hall hätte
bedenken sollen, dass ein Thier, wenn es auch die Fähigkeit.
Locomotionsbewegungen auszuführen, nicht mehr besitzt, doch
noch empfinden kann. Er hat ja nicht gesehen, wie das Thier
vielleicht längere Zeit gegen die Kante umsonst reagirte und
endlich erschöpft dem Unvermeidlichen nachgab, nachdem sich
die Theile gegen den Reiz abgestumpft hatten. Der ergötzliche
Argumentator fährt weiter fort a. a. O.:

„Ich nahm zwei Aale und schnitt denselben die Köpfe ab;
darauf legte ich sie auf einen Tisch mit Wasser befeuchtet. Einer
derselben war (!) mit vielen langen Nadeln durchstochen. Beide
waren gleich bewegungslos, wenn sie nicht berührt wurden,
aber beide waren gleich erregbar bei der geringsten Reizung.
Wäre die geringste Empfindung vorhanden gewesen, der Aal,
in welchem die Nadeln eingesenkt waren, hätte sich unaufhör¬
lich winden müssen.

„Ich schnitt einem Frosche den Kopf ab und hing das Thier
mittelst eines Bandes, welches fest um die Füsse gelegt war,
auf. Er blieb regungslos. Ich reizte die Haut an verschiedenen
Theilen, immer zeigten sich starke Muskelcontractionen und
dann sank er wieder in die hängende Lage zurück. Der Erfolg

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[54/0076] einmal Reflexbewegung eintrat, während sonst oft wiederholtes Stechen und Brennen immer Bewegung erzeugt. (Muller's Archiv v. 1838.) Dasselbe sagt Nasse (a. a. O. p. 269.) Eine andere Trivialität giebt uns der englische praktische Arzt in Folgendem a. a. O. p. 63 u. 64: „Ich entfernte den Kopf einer Schlange. Angeregt bewegte sie sich lange Zeit fort, weil jede Bewegung neue Theile in Be¬ rührung mit dem Tische brachte. Ich wurde hinweggerufen (!!). Zurückgekehrt fand ich sie mit einem Drittheil ihres Körpers über einer scharfen Kante des Tisches hängen. Eine qualvollere Lage kann man sich kaum denken, wenn wir bei dem Thiere wirk¬ lich Gefühl vermuthen. Es ist daher sicher (!!!??), dass die Empfindung verloschen war.“ Hiergegen ist zunächst zu bemerken, dass derartige halbe Beobachtungen nicht geboten werden sollen. M. Hall hätte bedenken sollen, dass ein Thier, wenn es auch die Fähigkeit. Locomotionsbewegungen auszuführen, nicht mehr besitzt, doch noch empfinden kann. Er hat ja nicht gesehen, wie das Thier vielleicht längere Zeit gegen die Kante umsonst reagirte und endlich erschöpft dem Unvermeidlichen nachgab, nachdem sich die Theile gegen den Reiz abgestumpft hatten. Der ergötzliche Argumentator fährt weiter fort a. a. O.: „Ich nahm zwei Aale und schnitt denselben die Köpfe ab; darauf legte ich sie auf einen Tisch mit Wasser befeuchtet. Einer derselben war (!) mit vielen langen Nadeln durchstochen. Beide waren gleich bewegungslos, wenn sie nicht berührt wurden, aber beide waren gleich erregbar bei der geringsten Reizung. Wäre die geringste Empfindung vorhanden gewesen, der Aal, in welchem die Nadeln eingesenkt waren, hätte sich unaufhör¬ lich winden müssen. „Ich schnitt einem Frosche den Kopf ab und hing das Thier mittelst eines Bandes, welches fest um die Füsse gelegt war, auf. Er blieb regungslos. Ich reizte die Haut an verschiedenen Theilen, immer zeigten sich starke Muskelcontractionen und dann sank er wieder in die hängende Lage zurück. Der Erfolg

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/76>, abgerufen am 02.05.2024.