Die
sensorischen
Functionen des Rückenmarks
der
Wirbelthiere
nebst
einer neuen Lehre über die Leitungsgesetze der
Reflexionen
von
Eduard Pflüger.
Berlin 1853.
Verlag von August Hirschwald.
69 Unter den Linden, Ecke der Schadowstrasse.
„L'auteur (Flourens) conclut, que la sensation et la contraction
„n'appartiennent pas plus à la moêlle épinière qu'aux nerfs. — — Ce
„serait une grande question de savoir si cette conclusion est certaine
„pour les animaux, qui ont perdu leur encéphale et qui dans certaines
„classes paraissent loin de perdre sur-le-champ toutes leurs fonctions
„animales; mais c'est une question à laquelle nous aurons occasion
„de revenir dans la suite — —, mème à l'égard des animaux à
„sang chaud.“
Cuvier.
Herrn
Emil du Bois-Reymond
in
aufrichtiger Verehrung
zugeeignet
vom
Verfasser.
Inhaltsverzeichniss.
Seite.
|
Vorrede | VII
|
Capitel I.
Geschichtliche Notizen | 1
|
Capitel II.
Allgemeiner Ueberblick über die „scheinbar“ willkürlichen
Bewegungen enthaupteter Wirbelthiere oder blosser Wirbel¬
thierstücke | 14
|
Capitel III.
Kritik der vorhandenen Beweise für die Ausschliesslichkeit des
Gehirns als Organ des Bewusstseins
| 29 |
Capitel IV.
Die Lehre von den Leitungsgesetzen der Reflexionen | 62
|
Capitel V.
Pathologische Fälle zur Begründung der Lehre von der Reflex-
Leitung | 80 |
Seite.
|
Capitel VI.
Erste Reihe der Experimente | 112
|
Capitel VII.
Zweite Reihe der Experimente | 119
|
Capitel VIII.
Dritte Reihe der speciellen Untersuchungen über die sensorische
Function des Rückenmarkes | 130
|
Capitel IX.
Die Bewegungen Schlafender | 133
|
Anhang | 137 |
Vorrede.
Es ist der Zweck dieser Untersuchungen, eine seit geraumer
Zeit in der Physiologie geltende Irrlehre zu widerlegen und auf
dem Boden exacter Forschung die Verhältnisse, an welche es
sich handelt, in ihrer Wahrheit darzustellen. Jene Irrlehre ist
die Behauptung, dass nur das Gehirn das Organ des Senso¬
riums sei; die Wahrheit aber: dass die sensorische Function
im ganzen Cerebrospinalorgan wurzele.
Die Ansichten über den vorschwebenden Gegenstand wech¬
selten im Laufe der letzten hundert Jahre sehr und begünstig¬
ten bald diese, bald die entgegengesetzte Anschauung. Es ist
deshalb nicht meine Absicht, nochmals die Menge des Geschrie¬
benen zu vermehren, ohne in mir die gewisse Ueberzeugung
zu tragen, dass es meinen Argumenten gelingen werde, der
Wahrheit den Sieg zu erringen.
Indem ich bemüht gewesen bin, die sensorischen Functio¬
nen des Rückenmarks zu erforschen, musste eine Auseinander¬
setzung mit dem Reflexgesetze nothwendige Vorbedingung sein.
So fand ich auf dem Wege, welcher in den Untersuchungen
eingeschlagen ist, bestimmte Normen für den Act der sogenann¬
ten Reflexion und an ihm einen ersten Führer in das dunkle
Gebiet meiner Forschung. Doch muss ich hier erwähnen, dass
ich keineswegs eine Monographie der Reflexfunction schreiben
wollte und dieselbe nur in solchen Beziehungen abhandelte, in
welchen ich Neues zu geben im Stande war.
Zu gleicher Zeit war es unabweisbar, mich ebenso mit der
Argumentation derjenigen Autoren auseinanderzusetzen, welche
Beweise für die Ausschliesslichkeit des Gehirns als Organ des
Bewusstseins aufstellen wollten, und vorzugsweise einen unter
ihnen nach Gebühr zurecht zu weisen. Der englische praktische
Arzt Marshall Hall, welcher von den Deutschen über Gebühr
bekrönt worden ist, verdient für sein Werk über die Reflex¬
function vollkommen den Ausspruch: Was er Wahres bringt,
ist alt; was nicht alt, ist nicht wahr. Prochaska hat im vo¬
rigen Jahrhundert den bereits von ihm so benannten Reflex¬
prozess sehr gut, viel besser als Hall verstanden, und eine
Reihe von Erscheinungen am Thierorganismus richtig erklärt.
Derselbe Hall, welcher, laut eigener Angabe „24000 Stunden“
Reflexstudien gemacht, welcher nachher die hinteren Wurzeln
für motorische hält, weil er unglaublichermassen trotz 24000-stün¬
diger Studien die hintere Wurzel nicht durchschnitt und also
bei Reizungen derselben Reflexe oder willkürliche Bewegung
für Irritabilitätsphänomene betrachtete, derselbe, der anatomi¬
sche Verschiedenheiten zwischen dem Rückenmarke des Fro¬
sches und der Kröte deshalb statuirt, weil (!!) eine geköpfte
Kröte anders auf einen Reiz reagirte, als ein Frosch, derselbe,
welcher das Leben der niederen Thiere für eine Art excito¬
motorisches erklärt, derselbe, der die unbefugte Hypothese des
excito-motorischen Nervensystems aufgestellt hat, derselbe, der
mit den lächerlichsten Argumenten vergebens bemüht ist, die
Empfindung aus den Reflexprozessen hinweg zu argumentiren,
derselbe, dessen absurde Phrasen, Argumente genannt, wir zu
widerlegen gezwungen sein werden, verdient absolut nichts
weniger als unsere Bewunderung. Im Laufe der Untersuchun¬
gen werden wir Herrn Hall das Suum cuique noch weiter
abtragen.
Betrachten wir indessen alles über den vorliegenden Ge¬
genstand sowohl für als gegen Geschriebene, so findet sich fast
überall eine ziemliche Verwirrtheit der Begriffe. — Diejenigen,
welche dem Rückenmarke sensorische Functionen zuerkannten,
steiften sich hauptsächlich auf die „Zweckmässigkeit“ der Be¬
wegungen Enthaupteter, indem sie das, wie mir scheint, richtig
Geahnte mit einem unpassenden Namen belegten. Sie bedachten
nicht, dass die Zweckmässigkeit in der höchsten Potenz recht
gut die bewusste Thätigkeit ausschliessen könne. Das aber
gilt im weitesten Sinne! Denn die organische Form ist nicht
zweckmässig, weil sie ist, sondern sie ist, weil sie zweckmässig
ist. — Aus der Zweckmässigkeit lässt sich kein Beweis construi¬
ren. — Diejenigen Autoren hingegen, welche dem Rückenmarke
die sensorische Function absprachen, steiften sich ganz beson¬
ders auf die Gesetzmässigkeit, welche sich in den Bewegungen
Enthaupteter ausspricht. Sie bedachten nicht, dass sie ja noch
nicht bewiesen hätten, dass die sensorische Function selbst nicht
ein Erfolgen nach Gesetzen, d. h. eine Gesetzmässigkeit zulasse.
Derartige problematische Prämissen über die Natur der „Seele“
sind fortwährend von den Autoren als Grundstein ihrer Beweise
beansprucht.
In vielen Beziehungen indessen ist es nicht gleichgültig
für die Erkenntniss der Bewegungen Enthaupteter, welchen
Standpunkt man einnimmt in Hinsicht der Ansicht über die
Natur sensorischer Thätigkeit. Hier bin ich denn offen und ohne
Rückhalt mit meiner Ueberzeugung herausgetreten, den einmal
angenommenen Standpunkt als den meinigen bezeichnend und
dem Götzen die Opfer verweigernd, welche ihm Aberglauben
und Unverstand in so reichem Maasse darbringen.
Das Bewusstsein ist Leben und Werden. Ihm kommt kein
Sein zu. Leben ist Bewegung. Die Ursachen, welche diesem
Leben zu Grunde liegen, sind bestimmte, welche nicht Grund
sein können, dass in einem und demselben Zeitdifferential Etwas
geschehe und zugleich auch nicht geschehe. Diese Bewegung,
die Bewusstsein genannt wird, ist ein Theil des Ganzen, dieses
Leben ein Theil des grossen Lebens der Welt. Wie im Ocean
eine Woge die andere treibt, wie durch den Weltraum die
Lichtwelle dahinblitzt, dass die erschütterten Aethermolekel
beben und die einen wider die andern geworfen, die Bewe¬
gung in die Unendlichkeit fortpflanzen, wie die lichtbringende
Mutter Sonne die Planeten zu sich heranzieht, so geht die grosse
Kette des Bedingenden und Bedingten, das wiederum Bedin¬
gendes zu anderem Bedingten wird, durch das ganze All, und
mit Millionen Armen reichen sich die Massentheilchen die Hände
und stossen sich wiederum ab. Und während die Unendlich¬
keit im Kleinsten wie im Grössten schweigend und demuths¬
voll sich dem Gesetze beugt, sollte die verschwindend kleine
Function eines Theilchens vom Ganzen, weil es Bewusstsein
heisst und die Basis unseres Eigendünkels bildet, sich allein
auflehnen wollen gegen die grosse Herrschaft, eine zweite Welt
bildend zum Hohne der ersten? —
Das im Raume ausgedehnte Bewusstsein findet sich nur da,
wo centrale Nervensubstanz in ihrer Integrität besteht und hört
auf zu sein, wenn diese Integrität bis zu einer gewissen Grenze
aufgehoben ist. — Wenn bei Krankheiten der Hemisphären das
Gedächtniss erlischt, und das Gedächtniss etwas nur der „Seele“
Eigenthümliches wäre, wie könnte es möglich sein, dass desor¬
ganisirte Materie offenbar ein Stück aus diesem immateriellen
Wesen reissen könnte? Wenn ein auf die Hemisphären, resp.
das Cerebrospinalorgan wirkender Druck das Bewusstsein auf¬
hebt und Beseitigung des Druckes dasselbe oft eben so schnell
wieder herstellt, so kann das Verschwinden des Bewusstseins
durch den Druck nicht in einer Compression des immateriellen
Wesens gesucht werden, da dieses von Materie nicht gedrückt
werden kann, sondern in der Compression des Nervenmarks.
Will man immer noch das immaterielle Wesen halten, so muss
zugegeben werden, dass erst aus dessen Wechselwirkung mit
der bestimmt organisirten Materie des Cerebrospinalmarks Be¬
wusstsein möglich werde. Was bleibt aber noch an dieser
„Seele“, wenn sie nach Zerstörung der Nervensubstanz nicht
mehr empfinden, nicht denken, nicht wollen kann? — Es müsste
ein Etwas bleiben, das Alles eingebüsst hat, wodurch es Das
ist, was es eigentlich vorstellen soll. Könnt Ihr aber wohl und
wollt Ihr ein Etwas „Seele“ nennen, was nicht empfindet, nicht
weiss, nicht urtheilt, nicht mehr will? — Und thätet Ihr es,
was wäre Euch Damit gedient? — ——
Bis jetzt wissen wir bereits, dass die „Seele“ der niede¬
ren Thiere ein theilbares Individuum ist, das mit dem Schnitte
in so viele Individuen zerfällt, als Körperstücke vorhanden sind.
Ich werde zeigen, dass die Theilbarkeit des Sensoriums nicht
allein für die niedersten Thiere, sondern für die ganze Thier¬
welt gilt. Ich werde zeigen, dass ein Kätzchen, dessen Dorsal¬
mark durchschnitten ist, zwei „Seelen“ bekommen hat. Denn
das vordere Stück äussert noch spontane Acte der Willkür:
schreit, läuft, beisst und kratzt; das hintere empfindet, will
und bewegt sich ebenso willkürlich. Obgleich beide Theile
vollständig unabhängig voneinander ihre Nervenfunctionen aus¬
üben, sind doch in beiden die Vernunftprincipien speciell vor¬
handen, weil diese eben nichts Anderes als Markfunction sind,
und die Marktheile die ihnen innewohnende Function fort¬
setzen. — Die noch vorhandene sensorische Thätigkeit erscheint
allerdings fast nur auf äussere Reize und bleibt sonst in Ruhe,
wie ein aus dem Körper ausgeschnittener Muskel. Wirkt aber eine
Bewegungsursache auf diesen oder jenen Mechanismus, so zuckt
hier der Muskel, so entsteht dort sensorische Function. — —
Durch die Darlegung der sensorischen Functionen des
Rückenmarkes habe ich den Streit über die centralen Enden
der Rückenmarksnerven entschieden, da es nicht möglich er¬
scheint, auf rein mikroanatomischem Wege die Verhältnisse der
einzelnen Structuren mit ihren Functionen zu erforschen. —
Die von mir gegebenen Experimente sind nun möglichst
einfach, in sehr reichem Maasse angestellt, mit scharfer Auf¬
merksamkeit von Anfang bis zu Ende überwacht, und stets ist
in diesen Blättern nur das Gesammtresultat mitgetheilt worden.
Ich habe nur ganz Bestimmtes, Entschiedenes und Ganzes ge¬
geben, um meinen Leser nach Kräften zu befriedigen und mich
selbst dem Zweifel vollkommen zu überheben, dass die Bestä¬
tigung der Resultate meiner Experimente lange werde auf
sich warten lassen.
Erst nachdem man klar ist über den Standpunkt, welchen
man zur Lösung unserer Frage fixiren muss, d. h. über jenen
Standpunkt, der kein anderer ist, als die Erkenntniss, dass
nimmermehr problematische Prämissen, sondern absolut nur
Thatsachen zu sicheren und wahren Schlüssen benutzt werden
dürfen, wird es möglich, den von Kürschner und Anderen
für unentwirrbar gehaltenen Knoten zu lösen und Licht zu
bringen in ein Gebiet, das bisher Dunkel und Ungewissheit
umschleiert hat.
Berlin, im Juli 1852.
Der Verfasser.
Capitel I.
Geschichtliche Notizen.
Wenn wir einen geschichtlichen Ueberblick über das Gebiet
unserer Forschung hier darzulegen beabsichtigen, so liegt der
Beweggrund hierzu einerseits in der Anforderung der Voll¬
ständigkeit, welche vorzugsweise für die Monographie gilt,
anderntheils aber und zwar ganz besonders darin, dass ein
forschender Blick aus den Schranken der Gegenwart in die
Vergangenheit, und das hiermit verknüpfte Studium der Ent¬
wicklung bestimmter Dogmen der Erkenntniss eine gewisse
Objectivität und Läuterung von befangenen Begriffen zu sichern
vermag.
So kann besonders hier die Gegenwart sich überzeugen,
obgleich sie sich gewöhnlich brüstet, auf der Höhe der Wis¬
senschaft zu stehen, dass ein ganzes Jahrhundert vor uns Männer
gelebt haben, welche manche Gebiete der Natur und ihres Lebens
tiefer und wahrer erfassten, als die jetzt bestehende physiolo¬
gische Schule. Unter jenen Männern hebe ich den vor nunmehr
hundert Jahren lebenden geistvollen Schotten hervor, den zu
Edinburg als Professor lehrenden Robert Whytt. Er erkannte
die sensorische Function des Rückenmarkes; aber seine wahre
Lehre ist dem Irrthum gewichen und nunmehr nach hun¬
dert Jahren tritt die Lehre nochmals vor die Schranken der
gelehrten Welt, gegen die Unwahrheit und den Irrthum laut
1
protestirend und das Recht fordernd, welches ihr unverant¬
wortlicher Weise genommen worden ist.
Füglich können wir die Controversen über den sogenannten
Sitz des Bewusstseins bis auf Haller übergehen, weil ihre
Paradoxa, fast nie auf Thatsachen gestützt, keine Belehrung zu
geben im Stande sind.
Haller vertritt im vorigen Jahrhundert die Meinung der¬
jenigen, welche das Gehirn als Centrum aller Nervenaction
betrachten. Er sagt:
„Vidimus convulsionis, seu motus musculorum validissimi,
causam a cerebro per truncos in nervos singulares corporis
descendere. Non tamen absque exemplo est, graviores nervo¬
rum irritationes aut remotos aut omnino universos, nervos in
similium malorum consensum traxisse, dum vehemens sit irri¬
tatio; deque ea re et ex vivorum animalium et ex aegrotorum
hominum casibus constat“. — (Alberti Halleri, Elementa Phy¬
siologiae Corporis Humani. Tom. IV. p. 334. Lausannae 1766.)
„Collecta haec omnia“, so fährt er weiter unten fort,
„evincunt graviorem in nervis irritationem cerebrum primum in
consensum ciere, deinde in universis musculis convulsionem
excitare“ (a. a. O. p. 337).
Wie Haller aber das Gehirn als das Centralorgan für die
Communication der Fasern, resp. für die Nervensympathien be¬
zeichnet, so versetzt er auch in dasselbe allein das Sensorium,
indem er folgendermassen argumentirt:
„Non locus hie est, de anima dicere, sed ea cum corpore
nihil commune habet nisi sensum motumque. Nunc et sensus
et motus in cerebri medulla scaturiginem suam habent. Erit
ergo ea animae sedes.
„In homine, cum medulla spinali utcumque compressa et
vitiata, etiam in collo, tamdiu integra mens sit, quamdiu super¬
vivitur, diximus non posse in ea medulla animae sedem esse“.
(Haller a. a. O. p. 393.)
Ganz anders hat Robert Whytt diese Verhältnisse aufge¬
fasst. So sagt er p. 285 seiner Works.
„Auch verdient noch angeführt zu werden, dass, obgleich
nach der Zerstörung des Rückenmarkes die Fasern solcher
Muskeln, die gereizt wurden, eine schwache zitternde Bewe¬
gung zeigten, doch zwischen den verschiedenen Muskeln oder
Theilen des Körpers keine Sympathie, sowie vor der Zerstörung
des Rückenmarkes stattfand; woraus denn zu folgen scheint,
dass die in den verschiedenen Theilen des Körpers vertheilten
Nerven keine Gemeinschaft mit einander haben, ausser wo sie
sich in dem Gehirn oder Rückenmarke endigen, und dass viel¬
leicht blos davon die unter ihnen bemerkte Uebereinstimmung
oder Sympathie herkommt“. (Robert Whytt's Works. Edin¬
burgh 1768.)
Ueber die Verbreitung des Sensorium durch den Körper
spricht er sich in Folgendem aus:
„Die wahrscheinlichste Meinung scheint demohngeachtet
diese zu sein, dass die Seele in den Enden der Nerven durch
den ganzen Körper ebensowohl, als in dem Gehirne gegenwär¬
tig sein kann. In jenen ist sie blos des Gefühls oder der ein¬
fachen Empfindung fähig; in diesem aber übt sie die Kräfte der
Ueberlegung, des Bewusstseins und der Vernunft aus. Wenn
die Verbindung des Gehirns mit einem Theile abgeschnitten ist,
so wird das einfache, in einem solchen Theile erregte Gefühl
von der Seele nicht mehr im Gehirne wahrgenommen und ist
also nicht mit überlegendem Bewusstsein verbunden“. (Whytt
a. a. O. p. 288 Anm.)
Derselbe Autor erklärt uns ebenfalls die Bewegungen Ent¬
haupteter :
„Ferner müssen wir entweder annehmen, dass Beides,
sowohl der Kopf als der Körper eines Frosches, nachdem sie
von einander abgesondert wurden, beseelt bleiben; oder im
entgegengesetzten Falle behaupten, dass das Leben, Gefühl und
die thätigen Kräfte der Thiere blos Eigenschaften derjenigen
Materie sind, aus welcher sie bestehen. Die erstere Meinung
ist mit einigen Schwierigkeiten verknüpft, welche ihren Grund
in unserer Unkenntniss der Natur immaterieller Wesen haben;
1 *
die letztere scheint sich nicht vertragen zu können mit allen
bekannten Eigenschaften der Materie. Nimmt man also das
Letztere an, so schreiben wir der Materie nicht blos Eigen¬
schaften zu, die sie gar nicht hat, sondern wagen es auch mit
unseren eingeschränkten und unvollkommenen Fähigkeiten die
Kräfte unkörperlicher Naturen, ihre Wirkungsart auf die Körper
und Verbindung mit denselben zu bestimmen“. (Whytt a. a.
O. p. 289.)
Einige Decennien später bildet Prochaska mit Mar¬
herr und Hartley (Haller, Elem. Phys. IV. p. 393 Anm.) die
Whytt'sche Lehre weiter aus. (Prochaska, Opera minora.
Tom. II.)
Prochaska setzt nicht allein das Sensorium in das Cerebro-
Spinalorgan und die Nerven, sondern er hält dieses für den
Ort, wo durch die Communication der Fasern die Nervensym¬
pathien möglich werden. Er entwickelt bereits das Prinzip der
von ihm zuerst so genannten „Reflexion“ von sensitiven nach
motorischen Nerven, erklärt hieraus das Schliessen der Augen¬
lieder bei Berührung ihrer Ränder, das Niesen nach Reizung der
Rami nasales des Quintus, das Erbrechen nach Kitzeln des
Gaumens, ja sogar die Fortbewegungen des Intestinalinhalts
u. s. w.
Denn er sagt mit ungeschminkten und klaren Worten:
„Totum cerebrum, cerebellumque certe non videtur ad sen¬
sorium commune constituendum spectare, quae partes systematis
nervosi videntur potius instrumenta esse, quibus anima imme¬
diate utitur, ad actiones suas, animales dictas, peragendas; sed
sensorium commune proprie dictum se per medullam oblonga¬
tam, crura cerebri cerebellique etiam thalamorum opticorum
partem et totam medullam spinalem, quam late patet nervorum
origo extendere non improbabile utique videtur. Ad medullam
spinalem usque sensorium commune extendi docent motus in
animalibus decapitatis superstites, qui sine nervorum ex medulla
spinali oriundorum consensu ac commercio fieri non possent;
nam rana decapitata, si pungitur, non tantum punctam partem
retrahit, verum etiam repit et saltat, quod absque consensu
nervorum sensoriorum et motoriorum fieri nequit, cujus con¬
sensus sedes in medulla spinali, superstite sensorii communis
parte, sit oportet“ (a. a. O. p. 152–153).
Er sagt aber ferner in Bezug auf die Reflexfunction:
„Impressiones externae, quae in nervos sensorios fiunt, per
totam eorum longitudinem celerrime ad originem usque propa¬
gantur; quo ubi pervenerunt, reflectuntur (!) certa lege et in
certos ac respondentes nervos motorios transeunt, per quos
iterum celerrime usque ad musculos propagatae motus certos
ac determinatos excitant. Hic locus, in quo tanquam centro,
nervi tarn sensui quam motui dicati concurrunt ac communicant
et in quo impressiones nervorum sensoriorum reflectuntur in
nervos motorios vocatur termino plerisque Physiologis jam re¬
cepto sensorium commune“ (a. a. O. p. 150–151).
In diesem Jahrhundert, und zwar in den zwanziger Jahren,
hat wiederum der französische Physiologe César Legallois im
Allgemeinen dieselbe Lehre, aber mit noch weiter gediehener
Ausbildung, aufgestellt.
Derselbe sagt:
„Nicht allein hängt das Leben des Rumpfes im Allgemeinen
von dem Rückenmarke ab, sondern das Leben eines jeden Theils
speziell von der Partie, aus welcher die Nerven dieses Theiles
entspringen, sodass man durch Zerstörung einer Spinalpartie
nur diejenigen Theile tödtet, welche ihre Nerven aus dem zer¬
störten Marke empfingen. Alle diejenigen Theile, welche die
ihrigen von dem nicht zerstörten Marke empfangen, bleiben
längere oder kürzere Zeit lebend.
„Wenn man, anstatt das Mark zu zerstören, transversale
Schnitte hindurchführt, so besitzen die jedem Rückenmarksstücke
entsprechenden Theile Empfindung und willkürliche Bewegung,
aber ohne alle Harmonie und in einer von einander so unab¬
hängigen Weise, als ob man durch den ganzen Körper des
Thieres transversale Schnitte geführt hätte; mit einem Worte,
es sind in diesem Falle eben sowohl unterschiedene Empfin¬
dungscentra als Rückenmarkssegmente vorhanden“. (César
Legallois, Oeuvres. I. p. 134.)
Die Berichterstatter der Akademie stimmen Legallois bei
und bemerken:
„Legallois hat gezeigt, dass die Durchschneidung des
Rückenmarkes in der Höhe der ersten oder letzten Cervical¬
wirbel nur die respiratorischen Bewegungen aufhält, in dem
ganzen Körper aber das Gefühl und die willkürliche Bewegung
bestehen lässt. Diese Unterscheidung ist wichtig: Niemand hat
sie vor ihm gemacht“. (Legallois a. a. O. T. I. p. 251 u.
259.)
Hiermit begnügen sich die Berichterstatter indessen noch
nicht, sondern sprechen sich dahin aus:
„Dass man sich hüten müsse, Legallois' Ansicht über die
Ausbreitung des Sensoriums so aufzufassen, dass jeder Theil in
seinen Nerven, einzeln genommen, das Prinzip seines Lebens
und seiner Bewegungen finde. Er betrachte das Sensorium
nicht allein als einen Centralort, wo die Empfindungs- und Be¬
wegungsnerven endigen und wo die verschiedenen Theile des
Körpers zu einander in Beziehung gebracht werden. Im Ge¬
gentheil habe Legallois gezeigt, dass das Rückenmark nicht
nur ein Mittel der Communication zwischen den verschiedenen
Theilen sei, sondern dass nur von ihm das Prinzip des Lebens
und der Kraft, welche den ganzen Körper belebe, ausgehe.
Prochaska, welcher überdies seine Ansicht nur als Vermu¬
thung gebe, sei weit entfernt gewesen, auch nur eine Ahnung
von den wirklichen Functionen des Rückenmarkes gehabt zu
haben, weil er dasselbe wie einen grossen Nervenstamm,
„crassus funis nerveus“, betrachte“. (César Legallois
a. a. O. p. 265 u. 266.)
Für die angegriffene Ehre Prochaska's bemerken wir den
in ihrem Patriotismus viel zu weit gehenden Berichterstattern,
dass nicht allein Prochaska, sondern auch Robert Whytt
ähnliche Ideen, wie Legallois, aufgestellt hat. Wenn sie sich
an das Wort crassus funis nerveus durch einen sophisti¬
schen Kunstgriff halten wollen, so muss bemerkt werden, dass
Prochaska so gut wie Legallois sagt, dass die Nerven im
Rückenmarke, gleich einem „Centrum“ (!!) („tanquam centro“),
endigen, communiciren und auf einander einwirken. Wie kann
also behauptet werden, dass der Wiener Physiologe das Rük¬
kenmark blos als einen Nervenstrang betrachtet hätte. Was
aber die „wichtige“ Unterscheidung Legallois' betrifft, dass
nur das Rückenmark das Prinzip des Lebens trage, welches
den Nerven nur mitgetheilt werde, keineswegs aber diesen
eigentümlich sei, so bemerken wir hiergegen, dass diese Frage
heut noch des Beweises der Entscheidung harrt und Legallois
nirgends einen Schatten von einem Beweise für oder gegen
erbracht hat.
Eine interessante Entdeckung Fodéra's schien die Lehre
Prochaska's und Legallois' zu bestätigen. (Longet, Sy¬
stème nerveux. Tom. I. p. 313–314.)
„Bei einem mit Strychnin narkotisirten Thiere kann man
nach Willen die Convulsionen in diesem oder jenem Theile des
Körpers aufhören machen, wenn man das blossgelegte Rücken¬
mark an den entsprechenden Stellen comprimirt“.
Marshall Hall und Grainger werden indessen sagen,
dass weder die ächte Empfindungsfaser, noch auch die ächte
Willensfaser an der Erzeugung dieser tetanischen Erscheinun¬
gen betheiligt sei, sondern im Gegentheile nur das excito-mo¬
torische System. Da dieses in der That seine Centralstätte im
Rückenmarke habe, so erkläre sich hieraus das Experiment
Fodéra's zur Genüge.
Kölliker wird wohl sagen, dass an der Stelle der Com¬
pression die hier abtretenden Nerven zwar paralysirt würden,
dass aber dennoch die weiter im Rückenmark verlaufende mo¬
torische Faser von der grauen Substanz erregt werde.
Zu ähnlichen Ansichten mit Legallois ist Calmeil durch
seine Experimente gekommen. (Recherches sur la structure,
les fonctions et le ramolissement de la moëlle épinière. Dans
Journal des progrès. Tom. XI. p. 87 etc. 1828 und Traité d'ana¬
tomie et de physiologie du Système nerveux. par Calmeil.
Bruxelles 1840. p. 136.)
In seinem Traité charakterisirt er aber die Rückenmarks¬
functionen in folgender Weise:
„Die Rückenmarksfunctionen sind bezüglich zur Empfin¬
dung, willkürlichen Bewegung, Irritabilität, zu den Acten der
Circulation, der Respiration, den Secretionen, der Wärme¬
erzeugung und anderen Bewegungen, welche von der organi¬
schen Sensibilität abhängen. Das Rückenmark spielt ebenso
eine wichtige Rolle bei den Sympathien.
„Die Durchschneidung des Rückenmarkes ein wenig unter¬
halb des Gehirns beraubt die vier Glieder und die anderen von
ihm abhängigen Theile der Sensibilität. Die willkürlichen Be¬
wegungen sind ebenfalls sofort verloren. Das Rückenmark in¬
tervenirt deshalb in den Acten der Sensibilität und Mobilität.
Dieses Organ indessen urtheilt nicht über die Natur der Em¬
pfindungen und ist nicht der Sitz des Willens, da es ja hin¬
reicht, dass seine Continuität einen Augenblick unterbrochen
sei, um die verschiedenen Theile des Rumpfes und der Glied¬
massen zu paralysiren. Das Rückenmark ist deshalb nur be¬
stimmt, dem Gehirne die Sensationselemente mitzutheilen. Diese
Fundamentalwahrheit, durch tausend Beispiele und Facta be¬
stätigt, hat indessen einige Ausnahmen. Man weiss, dass sehr
junge, enthauptete Säugethiere noch durch ihr Geschrei Zeichen
von Schmerz äussern können, sobald man sie von Neuem ver¬
stümmelt; menschliche, kopflose Foetus haben auch Beweise
von Sensibilität gegeben und ihre Glieder bewegt. Es scheint
deshalb, dass bei jungen Individuen, welche nicht mehr un¬
verletzt und ganz sind, und bei denjenigen, die unvollkommen
geblieben sind, das Rückenmark nicht absolut die Fähigkeit der
Empfindung entbehrt und dass die Erregung, welche die Mus¬
keln zuweilen zu Contractionen bestimmt, in dem Schoosse der
Spinalachse ihren Ursprung nehmen kann. Viele Meinungen
erheben sich gegen den letzten Schluss, den wir zugelassen
haben; aber ich kann nicht umhin, der Irritabilität Phänomene
zuzulegen, welche sich darstellen mit dem Charakter der Em¬
pfindung und des Willens.“
Calmeil würdigt aber Legallois' Verdienst durch folgende
Worte:
„Legallois, begabt mit dem Genie der Inductionen wie
der Erfahrung, hat sich wohl gehütet, der Irritabilität die re¬
gelmässigen Bewegungen zuzuschreiben, welche er bei des Hirns
beraubten Thieren beobachtete. Auch war er bemüht, die be¬
stehende Theorie zu bekämpfen. Aber das Andenken Legal¬
lois' ist ungerechter Weise von seinen Gegnern in Schatten ge¬
drängt; seine Meinungen sind in Misscredit gekommen und der
Irrthum hat obgesiegt.“
Es würde zu weitläufig sein, weiter noch die ähnlichen
Meinungen von Autoren verbo tenus aufzuführen, weshalb Die¬
ses genügen möge, um dem Leser zu zeigen, dass sehr begabte
Geister keineswegs den Ansichten der neueren physiologischen
Schule huldigen, da diese dem Rückenmarke absolut alle sen¬
sorische Function abspricht. (S. noch: A. Desmoulins, Ex¬
position succincte du développement et des fonctions du système
cérébro-spinal. Dans Archives générales de Médecine. Vol. II.
p. 242 – 243. 1823. — Ollivier, Traité la moêlle épinière.
Paris 1827. p. 96. — Lallemand, Observations pathologiques
propres à éclairer la physiologie. Paris 1825. p. 561. — Bo¬
stocks Elementary System of Physiology. Vol. I. London 1824.
p. 263. — Nasse's Untersuchungen zur Physiologie und Patho¬
logie. Bonn 1839. p. 246 – 290. — Volkmann in Müller's Ar¬
chiv für Physiologie etc. von 1838 p. 15. etc. etc.)
Es haben sich indessen viele Stimmen gegen die bisher
entwickelten Ansichten erhoben und früh schon war Gilbert
Blane bedacht, dieselben zu widerlegen, indem er sagt:
„Es giebt Erfahrungen, welche zeigen, dass instinktartige
Handlungen selbst in Thieren, die ein Gehirn und Nerven ha¬
ben, nicht von Empfindung abhängen. Ich durchschnitt einem
lebenden ein paar Tage alten Kätzchen das Halsmark. Als dann
die Hinterpfoten desselben durch Stechen und Berühren mit
einem heissen Drahte gereizt wurden, geriethen die Muskeln der
hinteren Gliedmassen in eine Bewegung, als ob sie vor der Ver¬
letzung zurückführen. Dasselbe geschah an einem anderen Kätz¬
chen, dem ich den Kopf ganz abgeschnitten hatte. Bei Wieder¬
holung dieses Versuchs fand ich, dass nach Durchschneidung
des Rückenmarks zwischen den Lendenwirbeln und dem Hei¬
ligenbein die hinteren Gliedmassen jene Bewegungsfähigkeit ver¬
loren, der Theil unterhalb dem Schnitt, der Schwanz dieselbe
aber behielt. Man könnte demzufolge sagen, es habe hier das
Rückenmark unterhalb der Durchschnittsstelle zum Sensorium
gedient; darauf lässt sich indess erwidern, dass, da auch in
dem abgeschnittenen Kopfe die Bewegungsfähigkeit fortdauert,
wie das Verhalten des Ohres auf Kneipen und auf Berührung
mit einem heissen Drahte zeigt, hier Bewusstsein und Empfin¬
dung in zwei von einander getrennten Theilen des Körpers vor¬
handen sein müssten. Ein Acephalus gab die nämlichen Er¬
scheinungen; er zog die Beine an den Leib, wenn man seine
Fusssohlen kitzelte, konnte saugen, schied Urin und Faeces aus
und verschluckte Nahrung. — Diese Thatsachen zeigen klar (??),
dass instinktartige oder vielmehr automatische Bewegungen ohne
Dazwischenkunft des Sensorium commune und deshalb ohne
Empfindung und Bewusstsein statt finden können.“ (Gilbert
Blane, Select Dissertations on several subjects of medical
science. p. 262.)
Nach ihm hat sich Cruveilhier mit folgenden Argumen¬
ten für dieselbe Ansicht ausgesprochen:
„Die Unabhängigkeit der verschiedenen Theile der Medulla
vom Gehirn, die man so allgemein in der neueren Zeit annimmt,
scheint mir ein grosser physiologischer Missgriff (?), wenn auch
durch geistreiche Versuche veranlasst. Die Meinung der Alten,
welche das Rückenmark als einen starken Nervenstrang betrach¬
teten, bestimmt alle Nerven des Organismus aufzunehmen, um
dem Gehirn Eindrücke zuzuführen und von da den Impuls zu
willkürlichen Bewegungen oder zur Anregung organischer Pro¬
zesse zu erfahren, stimmt weit besser mit den Thatsachen und
dem durchgreifenden anatomischen Gesetze von der Continuität
des Nervensystems.“ (Cruveilhier, Anatomie pathologique.
fasc. III.)
Die Untersuchungen von Flourens arbeiteten vor für die
gründliche und ausschliessliche Verbreitung dieser Lehren. Er
behauptet:
„In der That, man hat durch meine Experimente gesehen,
dass nicht allein das kleine Gehirn, die Vierhügel etc. nicht der
Ausübung der Intelligenz vorstehen, sondern dass die Hemi¬
sphären ausschliesslich dieses thun, während alle übrigen Theile
nicht vorhanden zu sein brauchen für die Acte der Intelligenz.“
(Flourens, Recherches expérimentales sur les fonctions et les
propriétés du système nerveux chez les animaux vertebrés.
p. 263. u. Préface p. XI. u. XIII.)
Umsonst hat sich Cuvier gegen die Kritiklosigkeit und
Verwirrtheit der Ansichten dieser Autoren erhoben. Denn er
drückt sich in seinem Berichte über die Flourens'schen Unter¬
suchungen folgendermassen aus:
„Der Autor zieht den Schluss, dass Empfindung und Con¬
traction dem Rückenmarke nicht mehr als den Nerven angehö¬
ren; und dieser Schluss ist für die ganzen Thiere sicher. Es
wäre eine grosse Frage, zu wissen, ob es sich auch so verhält
bei den Thieren, welche ihr Gehirn verloren haben, und welche
in gewissen Classen weit entfernt zu sein scheinen, ihre ani¬
malen Functionen auf der Stelle zu verlieren; das ist aber eine
Frage, auf welche wir zurückzukommen Gelegenheit in der Folge
dieses Berichtes haben werden, selbst in Bezug der warmblü¬
tigen Thiere.“ (Flourens a. a. O. p. 70.)
In der Folge aber sagt Cuvier:
„In Wahrheit, ein so verstümmeltes Thier nimmt ein Aus¬
sehen von Betäubtheit an, es hat keinen Willen mehr aus sich
selbst und entwickelt keine spontane Bewegung; wenn man es
aber stösst, wenn man es sticht, so zeigt es das Benehmen eines
erwachenden Thieres. Bringt man es in eine andere Lage, so
sucht es das Gleichgewicht, legt man es auf den Rücken, so
steht es auf; es geht, wenn man es stösst. Ist es ein Frosch,
so springt er, wenn man ihn berührt; ist es ein Vogel, so fliegt
er, wenn man ihn in die Luft wirft; er wehrt ab, wenn man
ihn belästigt; wenn man ihm Wasser in den Schnabel giesst,
so verschluckt er es.
„Ohne Zweifel wird man Mühe haben zu glauben, dass alle
diese Actionen vollzogen werden, ohne durch irgend eine Em¬
pfindung hervorgerufen zu sein. Es ist sehr wahr, dass sie
nicht der Ausfluss des Urtheils sind. Das Thier entwischt ohne
Zweck; es hat kein Gedächtniss mehr und stösst sich mehre
Male gegen dasselbe Hinderniss: Das beweist aber höchstens
und das sind die eigenen Worte des Herrn Flourens, dass
ein solches Thier sich in einem Schlafzustande befindet; oder
es handelt, wie ein schlafender Mensch. Aber wir sind weit
entfernt zu glauben, dass ein Mensch, welcher schläft, welcher
sich im Schlafe bewegt, welcher bequemere Lagen in diesem
Zustande anzunehmen weiss, absolut der Empfindungen beraubt
sei; und weil die Perceptionen nicht distinkt waren, und weil
er sich deren nicht mehr erinnert, so ist es noch nicht bewie¬
sen, dass er sie nicht gehabt hat. (Sehr gut!) Deshalb, anstatt
zu sagen, wie der Verfasser, dass die Hemisphären das einzige
Organ der Empfindungen seien, verwahren wir uns für die be¬
merkten Fakten und beschränken uns zu sagen, dass diese Lobi
das alleinige receptaculum sind, wo die Empfindungen des Ge¬
sichts und Gehörs verbraucht werden können und perceptibel
für das Thier. Noch können wir hinzufügen und sagen, dass
die Hemisphären auch der Ort sind, wo alle Sensationen eine
bestimmte Form annehmen und Spuren und dauerndes Gedächt¬
niss zurücklassen; dass dieselben in einem Worte dem Gedächt¬
nisse zum Sitze dienen, durch welche Eigenschaft sie dem Thiere
das Material seiner Urtheilsacte liefern. (Sehr gut!) Dieser
Schluss, auf diese Weise in richtiger Weise ausgedrückt, wird
um so probabler, als die vergleichende Anatomie eine andere
Bestätigung in der constanten Proportion des Hemisphärenvolums
mit dem Grade der Intelligenz zeigt.“ (Flourens a. a. O. p. 77–79.)
Es ist hier nicht speziell der Physiologe, nicht speziell der
vergleichende Anatom, welcher uns die Ehrfurcht abnöthigt, son¬
dern es ist die hohe Weisheit eines die Verhältnisse in ihrer
Totalität und Tiefe erfassenden Denkers, der selbst da, wo ihm
die Beweise fehlen, getragen durch das Genie, manche Schleier
lüftet und Licht in manches Dunkel bringt.
Der durch die Epoche machende Entdeckung von 1811 des
Engländers Charles Bell gebotene reine und edle Stoff ist von
Marshall Hall zur Bearbeitung des Reflexprozesses missbraucht,
wie die besseren Gedanken des Sokrates in manchen seiner
Schüler zur Karrikatur verzerrt sind.
Dieser Marshall Hall trat im Anfange der dreissiger Jahre
mit einer Lehre auf, die er eine neue nennt, und der er aus
eigenem Witz den Namen „Reflexion“ beigelegt zu haben vor¬
giebt. Weiss denn Marshall Hall nicht, dass bereits Prochaska
diesen Ausdruck gebraucht? Er nannte nun die Erregung einer
Bewegungsfaser durch und nach Erregung einer Gefühlsfaser
unter Vermittlung des Centralorganes einen Reflex. Auf un¬
glaublich heitere Weise ist er bemüht, Beweise aufzustellen, die
darthun sollen, dass bei diesen Acten die Empfindung nicht be¬
theiligt sei und improvisirt deshalb ex abrupto ein excito-moto¬
risches Nervensystem, das eigens für die „Reflexfunction“ be¬
stimmt sein soll. Johannes Müller hatte zu gleicher Zeit in
Deutschland das Prinzip bearbeitet, ohne die excito-motorische
Fasernmasse anzunehmen. Auch er machte damals die Reflexion
nicht von Empfindung abhängig und sprach dem Rückenmark
die sensorische Function ab. Marshall Hall hat sich Grain¬
ger angeschlossen. (Marshall Hall, Abhandlungen über das
Nervensystem. Deutsch von Kürschner. — Grainger, Ob¬
servations on the structure and functions of the spinal cord.
Solly, On the brain and spinal marrow.)
Die deutschen Physiologen haben sich Johannes Müller an¬
geschlossen und die Reflexlehre weiter verbildet, aber nicht
ausgebildet. (Kürschner, Nachträge und Ergänzungen zu der
Uebersetzung von Marshall Hall's Abhandlungen. Marburg 1840.
— Volkmann in Wagner's Handwörterbuch der Physiologie.
Artikel: Gehirn. und Nervenphysiologie. — Valentin, De func¬
tionibus nervorum cerebralium et nervi sympathici libri IV. Ber¬
nae et Sangalii Helvetiorum 1839.)
Die zweckmässigen Bewegungen der Enthaupteten erklärten
sich die genannten Autoren nun in der Weise, dass sie sich
dachten, im Rückenmarke seien die Fasern combinirt zu bestimm¬
ten Bewegungen und so ein prädisponirter Mechanismus zu den
Zwecken des Bewusstseins vorhanden. Werde dieser Mecha¬
nismus von Aussen angeregt, so würde er noch ebenso ablau¬
fen können, als ob er vorn Bewusstsein erregt werde. Die Hy¬
pothese wurde alsbald zum Dogma und ist es bis heute geblieben.
Nur Nasse hatte bemerkt, dass die Lehre Robert Whytt's
und Legallois' durch das was Marshall Hall und Grainger
dagegen eingewandt hatten, nicht widerlegt sei. (Nasse a. a. O.)
In den letzten Jahren hat sich aber auch Johannes Müller
gegen die Lehre erhoben, dass die Bewegungen Enthaupteter
reflectorische seien, weil sie eine so grosse Aehnlichkeit mit
den willkürlichen hätten.
Capitel II.
Allgemeiner Ueberblick über die „scheinbar“ willkürli¬
chen Bewegungen enthaupteter Wirbelthiere oder blosser
Wirbelthierstücke.
Da diese Bewegungen die Basis unserer Untersuchungen
sind, so wird hier ein kurzer Ueberblick derselben gegeben.
Wir beginnen mit dem am meisten beobachteten Frosche.
Dieses Thier macht, während man es enthauptet, verschieden¬
artige Bewegungen, je nachdem diese oder jene Spinalpartie
zerschnitten worden ist. Zuweilen streckt er die Schenkel,
macht selbst noch einen sehr kräftigen Sprung oder abduzirt
die Schenkel in der Weise, dass die Füsse über dem Kopfe zu¬
sammen kommen.
Nicht selten greift er nun, wenn man den Kopf nicht ganz
abgeschnitten, sondern nur die Wirbelsäule getrennt hat, indem
man die beiden Spitzen einer Scheere zu beiden Seiten der
Säule hindurchführte, nach der Halswunde mit einem der Hin¬
terfüsse, setzt seine Pfote gegen die oberen Lappen der Wunde,
als ob er den Kopf vollständig vom Rumpfe losreissen wolle.
Es scheint also, dass das Thier, d. h. das hintere Stück, das
bei der schmerzenden Halswunde befindliche vordere als einen
fremden Gegenstand betrachtet, gegen den es reagirt.
Zuweilen sehen wir den enthaupteten Frosch sofort nach
der Operation unruhige Bewegungen mit Rumpf und Gliedern
machen, die aus einem Gefühle von Unbehaglichkeit zu fliessen
scheinen.
Streckt man den an den Leib gezogenen Schenkel aus,
oder ist dieser bereits noch nach der Decapitation ausgestreckt,
so wird ihn der Frosch fast immer an den Leib ziehen, solange
das Mark nicht unter dem fünften Wirbel durchschnitten ist.
Bereits Robert Whytt hat das Phänomen mitgetheilt. (Whytt's
Works. p. 303.) Wie auch von Volkmann bestätigt wird, kann
dieses Anziehen der Beine erst nach einem Zeitraume von fünf
bis zehn Minuten erfolgen, während deren der Frosch vollkom¬
men ruhig gelegen und kein nachweisbar diese Bewegung er¬
zeugender Reiz eingewirkt hat. Das Phänomen findet selbst
dann statt, wenn man dem ganzen Frosch die Haut abgezo¬
gen hat, wodurch, wie Volkmann zeigte, der Reflexprozess
auf ein Minimum beschränkt ist. (S. Volkmann in Müller's
Archiv v. 1838. Heft 1. Ueber Reflexbewegung.) Die in Rede
stehende Bewegung wird aber auch dann bemerkt, wenn man
den Frosch an den gelähmten Armen schwebend in der Luft
hält. Die Flexion der Beine ist dann häufig bei recht kräftigen
Thieren keine schnell vorübergehende, sondern eine andauernde.
Nach und nach sinken dann später, wenn die Muskeln ermüden,
die Schenkel in Intervallen und keineswegs plötzlich tiefer her¬
unter, bis sie schlaff herabhängen.
Wenn man nun die Pfote des enthaupteten Frosches kneift,
so zieht er sie zurück; wiederholt man es, so versteckt er die
Pfote unter den Bauch und kauert sich, als sei er in Furcht,
in sich zusammen. Incommodirt man das Thier intensiver mit
Messer und Pincette, so greift es mit seiner Pfote dagegen, stösst
oder drückt die Gegenstände zurück und wehrt sie überhaupt
mit so überraschender Zweckmässigkeit ab, dass der Bewegung
im hohen Grade der Schein der Berechnung aufgeprägt ist.
Bischoff beobachtete, dass die Rana arborea, wenn ihre Kloake
mit einem Instrumente irritirt wird, mehrmalige Versuche mit
den Hinterbeinen machte, das Instrument zu entfernen. Als ich
einmal ein Brettchen auf dem Rücken des Fussgelenks eines
enthaupteten Frosches mit einem Bindfaden befestigte, um das¬
selbe zum Behufe eines Experimentes unbeweglich zu machen,
stiess mir das Thier mit der anderen Hinterpfote fortwährend
die Finger weg, streifte den Faden ab und, als ich endlich mit
Mühe dennoch mein Vorhaben durchgesetzt hatte, gelang es
seinen unablässig wiederholten Anstrengungen dennoch den
ganzen Apparat vom Fusse wegzustreifen.
Fasst man den enthaupteten Frosch bei der Brust mit der
Pincette, so sucht er sich loszuarbeiten. Grainger beobachtete,
dass bei Application von Feuer gegen die Vorseite des Rumpfes
heftige Bewegungen der Hinterbeine entstanden, um die Quelle
des Reizes zu entfernen.
Kneift man eine Hautstelle bei einem enthaupteten Frosche,
so frottirt er diese mit dem Fusse und ganz und gar nicht
immer mit demselben Fusse, wenn man auch dieselbe Haut¬
stelle irritirt.
Bringt man corrodirende Säure auf die Haut, so putzt er
diese mit der Pfote ab und ganz und gar nicht immer mit der¬
selben Pfote, wenn man auch dieselbe Stelle reizt. Bringt man
z. B. dicht unter den Ansatz des musculus gluteus ein wenig
Essigsäure auf den Schenkel, so putzt er es bald mit dem crus
der anderen Seite, bald mit dem crus derselben Seite ab. Bringt
man etwas Essigsäure auf die äussere Seite der Wade, so putzt
er es häufig mit dem crus und pes der anderen Seite ab; zu¬
weilen aber auch mit der planta des gleichseitigen Fusses, indem
die ausserordentliche Beweglichkeit des Fussgelenkes diese aller¬
dings schwierige Bewegung begünstiget. Dass der enthauptete
Frosch nun Essigsäure, welche an die Seite des Rumpfes ge¬
bracht wird, mit dem Hinterschenkel derselben Seite stets ab¬
wischt, hat eben darin seinen einfachen Grund, dass das Thier
es nicht anders kann. Soll er etwa mit dem anderen Schenkel
um den Rumpf herumgreifen? — Rudolph Wagner legt eine
naive Freude über diese Gesetzmässigkeit an den Tag, indem
er sagt: „Es ist sehr interessant, wenn man sieht, wie auf be¬
stimmte Hautreize immer bestimmte Bewegungen eintreten. Reizt
man die Haut auf der rechten Seite, so greift der Frosch mit
der gleichnamigen hinteren Extremität vor und sucht gleich¬
sam die Stelle abzuputzen, ebenso auf der linken Seite.“ Nun
natürlich! Er wird entweder das einzige Mittel nehmen,
das er besitzt, oder doch das nächste! — (Siehe Rudolph
Wagner's Lehrbuch der speziellen Physiologie p. 485. An¬
merkung 7.) Wir werden dieses Capitel unten sehr genau
besprechen und gerade hieraus unsere schlagendsten Beweise
schöpfen.
Eine andere höchst interessante Beobachtung habe ich bei
der Rana temporaria im Anfange des Frühjahrs in den ersten
Märztagen gemacht. Wenn nämlich die aus dem Winterschlafe
erwachten Frösche an den ersten schönen Tagen aus dem
Schlammbett hervorkommen, beginnen sie alsbald das Geschäft
der Fortpflanzung. Wenig gewandt in ihren Bewegungen, un¬
bekümmert um fast jede ihnen drohende Gefahr, gleichsam mit
ihrem ganzen Wesen in dem Acte der Zeugung versunken, las¬
sen sich diese sonst so gewandten und vor einer Gefahr so
leicht fliehenden Thiere leicht greifen. Fängt man nun ein
2
in der Begattung begriffenes Pärchen, so kann das Weibchen,
indem nur das Männchen erfasst wird, zugleich mit aus dem
Wasser gezogen werden, indem das Männchen das Weibchen
fest umschlossen hält und sich in seiner Umarmung nicht stö¬
ren lässt. Durchschneidet man nun dem Männchen das Rücken¬
mark zwischen dem Atlas und zweiten Wirbel, also unter der
medulla oblongata, so lässt es deshalb nicht los, sondern hält
sie fest in seinen Armen. Versucht man, sie sanft heraus zu
ziehen, oder ist sie selbst bemüht, sich loszuwinden, so umfasst
er sie nur noch fester und presst seine Arme unter den ihrigen
tief in ihre Brust ein. Wird nun etwas Essigsäure auf einen
seiner Arme getupft, so lässt er mit diesem Arme los, während
der andere das Weibchen hält und putzt mit dem Hinterfusse
derselben Seite die ätzende Substanz ab. Hierauf aber umfasst
er wiederum sein Weibchen wie früher mit beiden Armen. Wenn
man, während er auf diese Weise die geschlossenen Arme öff¬
net, um die ätzende Substanz abzuwischen, das Weibchen schnell
hinwegzieht, oder falls Dies nicht angeht, dasselbe aus seinen
Armen schneidet, weil er es mit sehr grosser Kraft umschliesst,
so kann man verschiedene Gegenstände, die man hin und her
bewegt, auf ihn legen, ohne dass er darauf weiter reagirt. Die
Arme sind nun flectirt wie früher, da er das Weibchen hielt.
Mehrmals sah ich nun, dass der Enthauptete, wenn man einen
sich bewegenden Frosch auf ihn legte, plötzlich sich aufrichten
zu wollen schien, die gebeugten Arme öffnete, nach dem sich
zurückziehenden Frosche griff, ihn erfasste, zu sich heranzog
und mit beiden Armen wiederum so fest umschloss, dass der
Ergriffene nicht zu entfliehen vermochte, oder wenn er dies
that, den andern mit sich tragen musste.
Alle hier gegebenen Phänomene lassen sich an Fröschen
beobachten, welche nicht mehr die Medulla oblongata besitzen.
Ist diese aber noch vorhanden, so treten die Bewegungen in
grösserem Umfange und grösserer Mannigfaltigkeit auf. Wäh¬
rend diese Bewegungen von vielen bedeutenden Physiologen
wie Cuvier, Joh. Müller u. s. w. für willkürliche angesehen
werden, betrachten Bell, Hall, Grainger, Kürschner u. s. f.
auch diese für reflectorisch erregte.
Volkmann theilt uns ein hierher bezügliches interessantes
Experiment mit: „Bei einem Frosche,“ so erzählt er, „dem
ich fünf Tage früher die grossen Hemisphären genommen hatte,
und welcher schon ziemlich matt war, entfernte ich auch das
kleine Gehirn und die Sehhügel; das Thier lag nun auf einer
Platte von Glas regungslos wie todt auf dem Bauche. Ich
versenkte dann die Glasplatte in eine Wanne voll Wasser, so
dass der Frosch ½ Zoll unter der Oberfläche desselben befind¬
lich war. Hier lag er eine halbe Stunde unbeweglich, dann
richtete er sich auf, scheinbar um zu athmen, denn die Nasen¬
löcher kamen an die Oberfläche. Wiederum nach einiger Zeit
fing der Frosch von selbst an zu schwimmen, die Vorderfüsse
machten hierbei eine schreitende Bewegung, erst nach Vorn und
dann nach Hinten und mit der Bewegung eines Vorderfusses
fiel die Bewegung des gegenüberstehenden Hinterfusses zusam¬
men. Diese Schwimmbewegungen waren matt, aber ziemlich
regelmässig, nur hing das Thier beständig etwas nach einer
Seite. Bei einer stärkeren Bewegung, welche es ohne äusseren
Anlass machte, schlug es um und kam auf den Rücken zu lie¬
gen, aber es brachte sich von selbst wieder in die rechte Lage.
24 Stunden später war das Schwimmen noch regelmässiger,
indem selbst die Seitenlage des Thieres nicht mehr bemerklich
war; nur schien die Bewegung der einen Körperhälfte kräftiger
und das Thier schwamm stets im Kreise nach Links.“ (S. Volk¬
mann in Wagner's Handwörterbuch der Physiologie. Artikel:
Gehirn. p. 582.)
Ausserdem hüpfen die Frösche noch, so lange sie die Me¬
dulla oblongata besitzen; incommodirt man sie mit Messer oder
Pincette, so machen sie ganz energische Fliehversuche. (S. Joh.
Müller, spez. Physiologie Bd. I. p. 721.)
Legt man solche Frösche auf den Rücken, so stehen sie
auf; bringt man sie aus ihrer Lage, so suchen sie das Gleich¬
gewicht. (S. Joh. Müller a. a. O.)
2 *
Aale kriechen noch über den Tisch, wie ich häufig mich
zu überzeugen Gelegenheit hatte.
Aale und Erdsalamander, welche unter der Med. oblongata
enthauptet sind, ziehen den Schwanz ab, wenn man eine Flamme
nähert. Selbst der blosse abgeschnittene Schwanz wendet sich
weg, wenn man dies Experiment mit ihm vornimmt. Auffallend
ist es mir, bei Grainger zu lesen, dass sich der kopflose Rumpf
„contant“ dem Reize zukehre. („In these experiments it was
found, that, when the surface of the body was touched, the
headless trunk of the salamander was constantly turned in the
direction of the irritation.“ Grainger, Observations on the
structure and functions of the spinal cord. London 1837.
p. 60.) Nähert man Feuer dem Seitentheile des Rumpfes, so
zieht sich dieser zurück; bringt man es gegen einen Fuss, so
wird dieser zurückgezogen; bewegt man es gegen den Seiten¬
theil des Schwanzes, so entfernt sich dieser sofort aus dem
Bereiche des Feuers. Dasselbe findet bei Aalen statt. Ich habe
Dasdas so häufig beobachtet, dass von einer Täuschung keine Rede
sein kann.
Der Erdsalamander und auch der Aal erheben sich, ohne
die Medulla oblongata zu besitzen, wenn sie auf den Rücken
gelegt werden, wieder auf den Rauch. Indessen thun sie es
hier nicht ohne einwirkenden Reiz. Kitzelt man sie aber mit
der Pincette, so tritt die Bewegung in der Weise ein, dass sich
nicht der Rumpf dem reizenden Objecte zuwälzt, sondern dass
die gereizte Seite die Peripherie der rotatorischen Rumpfbewe¬
gung ist, während die nicht gereizte die Achse bildet, um welche
die Bewegung statt findet. Beim Erdsalamander geschieht Dies
selbst dann, wenn die Durchschneidung nicht im oberen Rücken¬
marke vorgenommen ist, sondern wenn man es über dem Niveau
der unteren Extremitäten durchschneidet. So erhebt sich noch
das Stückchen Thier, welches aus Nichts als zweien Beinen und
einem Schwanze besteht, bei einem einwirkenden Reiz, wieder
vom Rücken auf den Bauch. Sichtlich scheint es nun bemüht,
das Gleichgewicht zu erhalten, weil es wegen der abgeschnitte¬
nen vorderen Partie, welche den Körper nach Vorne stützte,
leicht vorn über fällt. Man sieht dann, wie der Thiertheil seine
Hinterbeinchen weit auseinander stellt, wenn man ihn nochmals
reizt, um zu sehen, ob er sich nun auch wohl wieder vom
Bauche auf den Rücken legen werde, und wie er bei den Schmer¬
zensbewegungen bemüht ist, das Gleichgewicht zu erhalten.
Wenn man einer enthaupteten Salamandra maculata einen
Fuss aus der normalen Lage bringt, so führt sie ihn früher oder
später wieder in die normale zurück. Rückt man den kurzen
und normal stehenden Hinterfuss ein wenig zurück und zwar
in der Weise, dass das dorsum pedis den Boden berührt, die
planta nach Oben sieht, so wird das Thierchen diese Stellung
nicht beibehalten, sondern den Fuss wieder in die gewöhnliche
Lage zurückbringen.
Der Erdsalamander macht nach der Enthauptung noch Schrei¬
tebewegungen bei einwirkendem Reize, ohne dass ein Vorschrei¬
ten bemerkt wird. Die Combination zu dieser Bewegung scheint
nicht im Rückenmarke, sondern in der Med. oblongata zu lie¬
gen, wie wir gesehen haben und noch sehen wollen.
Enthauptete Erdsalamander bewegen sich noch mehre Tage
lang, wenn man sie auch nach Hall's Rath unter einer Glas¬
glocke vor jedem Reize zu sichern sich bemüht. Mir scheint
indessen diese Vorsicht ziemlich unnütz, indem sich etwaige
Reize doch nicht controlliren lassen und das Absterben des
Nervensystems selbst z. B. schon einen Reiz abgiebt. Jene Be¬
wegungen aber sind keineswegs convulsivisch, sondern ruhig,
langsam, träge, wie schläfrig, ohne äusseren Zweck, und ihre
eigenthümliche Weise erinnert den Beobachter an die Bewe¬
gungen Schlafender oder Träumender.
Hat man beim Erdsalamander aber bei der Enthauptung
die Medulla oblongata oder einen Theil derselben erhalten, so
bemerken wir auch hier bei Weitem ausgedehntere zweckmäs¬
sige Bewegungen. Ich enthauptete eine kräftige Salamandra
maculata in der Weise, dass ich die Mundwinkel mit einer
Scheere nach Hinten erweiterte und sodann ohne weitere Ver¬
letzung der Mandibula einen Schnitt durch die Articulation des
Occiput mit dem Atlas führte. Die Mandibula schonte ich des¬
halb, um die an ihrem Grunde sich verzweigenden grossen
Arterienstämme des hoch gelegenen Herzens zu vermeiden,
was doch selbst bei diesen Thieren angenehm sein dürfte.
Wenn man sich merkt, dass ein Punkt, welcher zwischen den
beiden Augen des Thieres gedacht wird, gleich weit entfernt
ist von der Schnauzenspitze und der Atlanto-Occipitalarticula¬
tion, so wird man nicht wohl diese letzte verfehlen. Uebrigens
ist es nothwendig, sofort am abgeschnittenen Kopfe sich zu
überzeugen, ob man auch den rechten Punkt getroffen habe,
da gerade beim Erdsalamander wegen der von der Parotiden¬
gegend nach dem Halse sich seitwärts ausdehnenden Drüsen¬
haufen eine Täuschung leicht möglich ist. Nachdem ich nun
die nach der Operation sich einstellende Blutung durch eine
verdünnte Essigsolution so gut als möglich gestillt hatte, sass
das Thier einige Zeit ruhig auf einer Stelle. Alsbald aber
richtete es sich auf den Vorderfüssen hoch in die Höhe, reckte
den Hals in die Luft, als ob dieser seinen Kopf suche, wendete
sich Rechts und dann Links, um hierauf wieder die frühere
ruhige Stellung einzunehmen. Nach einer Minute Pause hob
das Thier sein rechtes Hinterbein, machte damit eine Schreit¬
bewegung nach Vorn, bewegte dann das linke Vorderbein,
worauf der zuerst bewegte rechte Hinterfuss kräftig aufgestemmt
wurde und den Körper vorwärts schob. In dieser Weise folg¬
ten sich eine Reihe Schreitbewegungen, welche Anfangs lang¬
sam und schwach waren, dann aber an Kraft und Intensität
merklich zunahmen, in Folge dessen ein Weg von drei Zoll
zurückgelegt wurde. Nachdem das Thierchen hierauf eine Ruhe
von 5 Minuten beobachtet hatte, begannen die eben beschrie¬
benen Bewegungen von Neuem, in Folge deren nun ein Weg
nach Links eingeschlagen und eine Strecke von 2 Zoll zurück¬
gelegt wurde. Legt man solche Erdsalamander, die noch die
Medulla oblongata besitzen, auf den Rücken, so stehen sie von
selbst wieder auf.
Es ist ferner bekannt, dass der abgeschnittene Schwanz
der Eidechse, selbst ein Stück desselben, fortwährende Bewe¬
gungen macht, indem er sich bald nach der einen, bald nach
der andern Seite wendet. Es geschieht Dies selbst dann, wenn
man den Schwanz an einem Ende frei hält, sodass kein äusse¬
rer Gegenstand die Haut berührt. (G. Valentin, de functio¬
nibus nervorum cerebralium et nervi sympathici libri quattuor.
Bernae et Sangalii Helvetiorum 1839. p. 97.)
Calmeil beobachtete, dass geköpfte Eidechsen sich vom
Bauche auf den Rücken und von diesem wieder auf jenen
wandten, wenn ihnen durch Feuer Schmerzen bereitet wurden.
Calmeil erzählt ferner das interessante Factum, dass eine
über eine brennende Kerze gehaltene geköpfte Kröte, nachdem
sie sich hin- und hergewandt, die sie an einem Vorderfusse
haltende Pinzette zum Stützpunkt nahm, um sich von der
Flamme zu entfernen. (Calmeil, Journal des progrès des
sciences et institutions médicales. Tom. XI. 1828.)
Eine andere Beobachtung, welche Marshall Hall beschrie¬
ben und zu erklären gesucht hat, bezieht sich auf die fortwäh¬
renden Bewegungen enthaupteter Schlangen oder blosser Schlan¬
gentheile, welches Dadurch erklärt werden soll, dass durch die
Bewegung selbst immer neue Körpertheilchen und mithin sen¬
sitive Nerven gereizt würden, aus welchem Reize dann Bewe¬
gung resultire. (Marghall Hall, On the reflex-function. p. 641.)
Bei Schildkröten beobachten wir, dass dieselben sich in
ihrem Gehäuse verstecken, wenn man sie mit der Pinzette oder
dem Messer incommodirt. Schildkröten sollen selbst nach der
Decapitation noch herumgekrochen sein, wie einige Autoren
berichten. (Redi, Opuscula. P. III. p. 209.) Redi sagt (a. a.
O. p. 209), er habe den Schädel geöffnet, das Gehirn heraus¬
genommen, die Höhle gereinigt, ita ut nulla vel minima cerebri
pars superesset. Dennoch sollen sie noch längere Zeit herum¬
gekrochen sein. Nasse erinnert nicht ohne Grund an den
warmen florentinischen Himmel, unter welchem die Versuche
angestellt wurden (a. a. O. p. 265).
Die bisher betrachteten zweckmässigen Bewegungen von
Fischen und Amphibien, welche man enthauptet hat, tragen
den Schein intellectueller Thätigkeit aufgeprägt. Wie ich in¬
dessen bereits in meinem Aufsatze, welcher im Müller'schen
Archive v. 1851, Heft 5. über diesen Gegenstand abgedruckt
ist. Darauf hingewiesen habe, dass es nicht allein der Act der
Intelligenz sei, welcher bei den vorliegenden Untersuchungen
uns Aufklärung über noch vorhandenes oder nicht vorhandenes
Sensorium geben könne, so giebt es ausserdem noch Bewegun¬
gen, welche aus der Gemüthsseite des Sensoriums und nicht
aus der Intellectualität fliessen. Die Gefühle des Angenehmen
und Unangenehmen, welche im Sensorium entstehen, influen¬
ziren ohne Dazwischenkunft von Begehren oder Wollen die
motorischen Sphären in eigenthümlicher Weise. So erzeugt die
Erregung, welche Freude heisst, ein charakteristisches motori¬
sches Phänomen, das Lachen, dessen Erregung, wie es scheint,
seinen Centralheerd in dem verlängerten Marke hat. So prägen
sich die verschiedenartigsten Leidenschaften in den mannigfach¬
sten Abstufungen, vorzüglich in den eigenthümlichen Innerva¬
tionen des Nervus Facialis aus. Der Schmerz influenzirt zu¬
nächst diesen Nerven und strahlt, wenn er, an Intensität zu¬
nehmend, das Sensorium bedeutend alterirt, über die sämmtlichen
motorischen Apparate des cerebro-spinalen Systems aus. Diese
Bewegungen aber sind eigenthümlicher Natur und lassen sich
nicht gut beschreiben. Wer erinnerte sich indessen nicht an
diese Bewegungen des Bäumens und Windens bei einem ge¬
tretenen Wurme? — Wer nicht an die ganz ähnlichen Bewe¬
gungen, die während chirurgischer Operationen von den Patienten
gemacht werden? — Unruhig sitzen sie auf dem Stuhle oder
liegen auf dem Lager, beugen bald ein Glied, um es sodann
wieder zu strecken. Die ergriffenen Muskeln agiren dann mit
ungemeiner Energie und ihre Conturen sprechen sich deutlicher
unter den Integumenten aus. In derselben Weise wie die
Glieder sich hin und her bewegen, bäumt sich der Rumpf und
windet sich, die Gesichtsmuskeln sind verzerrt, mit einem
Worte, die Erscheinung macht den Eindruck des tiefsten
Schmerzes in dem leidenden Menschen oder Thiere. Wer ein¬
mal diese Bewegungen bei einer unverletzten Salamandra ma¬
culata, die man dem Schmerze des Feuers aussetzt, gesehen
hat und dieselben Bewegungen sodann auch bei der enthaup¬
teten oder blossen Rumpfstücken unter denselben Verhältnissen
in ganz derselben Weise eintreten sieht, dem möchte es doch
in der That ungemein schwierig sein, sich selbst einreden zu
wollen, dass er eine nicht empfindende Masse vor sich sehe.
Dass ich hier ohne Vorurtheil rede, dürfte ein Ausspruch be¬
zeugen, den selbst Grainger gethan hat, obgleich seine An¬
sicht fast noch über die von Marshall Hall hinausgeht, indem
er sagt, „dass jene Bewegungen des Beckens und Schwanzes
in der That das Ansehen haben, als wänden sich die Theile
unter heftigem Schmerze“. (Grainger, On the structure and
functions of the spinal cord. p. 57.)
Die bisher betrachteten Phänomene Enthaupteter sind in¬
dessen nicht allein an Fischen und Amphibien, sondern ebenso,
wenn auch in weniger auffallender Weise, bei Vögeln und
Säugethieren, ja selbst beim Menschen beobachtet.
Nach den Berichten verschiedener Beobachter sollen Vögel
nach der Enthauptung noch geflogen sein. K. Boerhaave
erzählt eine interessante hierher bezügliche Thatsache:
„Toto prius collo galli junioris robusti a capite ad truncum
deplumato, inclusi illum caveae sine ullo omnino pabulo, saepe
interim eodem spargendo in distante loco; cum ita per duode¬
cim horas famelicum satis irritatum crederem, curavi uno mo¬
mento aperiri caveam, ex qua avidum escam accipiendi, celeri¬
terque ad hanc accurentem excepi cultro rasorio bene firmato
et optime scindente ita, ut uno ictu caput a collo descinderem;
quid fit? animal impetu incitatum absque capite eadem celeri¬
tate percurrit spatium per rectam lineam viginti et trium pedum
circiter rhenolandiacorum, et credo ulterius cucurisset, nisi in
obstaculum irruisset, unde lapsum diutissime convellebatur alas,
pedesque movens“. (Kaau Boerhaave, Impetum faciens. p.262.)
Volkmann erzählt, dass junge Hunde nach der Excere¬
bration noch abwehrend nach dem Messer gegriffen hätten, gleich
als ob sie es abwehren wollten. Kneipte man ihren Schwanz,
so zogen sie ihn ein, was Kaninchen nicht thun sollen. (Volk¬
mann, Artikel: Nervenphysiologie, in Wagners Handwörterbuch.
p. 545.)
Nach den Berichten desselben Physiologen reiben junge
Kätzchen nach der Enthauptung die Halswunde, wie ich eine
ähnliche Beobachtung bereits oben von den Fröschen mitgetheilt
habe. Legallois erzählt, dass die indischen Schweine, in
welchem Alter sie auch sein mögen, sobald sie sich von der
Betäubung erholt haben, in welche sie die Decapitation versetzt,
heftig den Schmerz zu empfinden scheinen, welchen ihnen die
Halswunde verursacht. Sie sollen abwechselnd bald diese, bald
jene Hinterpfote nach derselben hinführen, um sich daran zu
reiben, indem sie die Beine mit vieler Lebhaftigkeit bewegen.
(Oeuvres de César Legallois avec des notes de M. Pariset.
Paris 1824. p. 19.)
Wie Blane gezeigt hat (Select dissertations. p. 262), zie¬
hen enthauptete Kaninchen sofort den Fuss zurück, wenn man
Feuer gegen ihn bringt. (Grainger, On the structure and
functions of the spinal cord. London 1837. p. 4.) Ich kann
Das auch für junge Kätzchen bestätigen.
„Neugeborne Hunde und Kaninchen, welche aus dem Lager
der Alten genommen werden, machen unaufhörlich Bewegun¬
gen unruhiger Art; sie scheinen sich übel zu befinden, beson¬
ders zu frieren, und Hunde namentlich winseln. Entfernt man
nun das grosse und kleine Gehirn, so dauern diese Bewegungen
eine Zeit lang fort, ebenso das Knurren der jungen Hunde. Bei
einem Kaninchen sah ich diese Bewegungen scheinbaren Unbe¬
hagens in Folge von Erwärmung durch Anhauchen schnell
aufhören. Nach einiger Zeit tritt nun zwar Ruhe ein, und das
verstümmelte Thier scheint in tiefem Schlafe zu liegen; biswei¬
len bewegt es indessen ohne allen äusseren Anlass eine Ex¬
tremität, nicht zuckend, sondern ganz so wie schlafende Thiere
sich auch bewegen, wahrscheinlich in Folge von traumartigen
Empfindungen und Vorstellungen“. (Volkmann, Artikel: Ge¬
hirn in Wagners Handwörterbuch. p. 581.)
Es ist nun interessant genug, wenn auch natürlich und
nothwendig, dass die analogen Beobachtungen beim Menschen
sich in derselben Weise darstellen, wie wir Dies bisher bei den
Thieren gesehen haben.
Leider sind die Untersuchungen an enthaupteten Verbre¬
chern entweder unverbürgt oder ohne Resultat. Haller, wel¬
cher Einiges hierüber berichtet, fügt hinzu:
„Haec ab hominibus philosophicis oportuerat testimonium
habere“. (Haller, Elementa physiologiae. Tom. IV. p. 393. —
Siehe auch: Legallois, Oeuvres. Tom. I. p. 42.)
Nur eine Beobachtung aus der neueren Zeit ist mit der
notwendigen Sorgfalt von Bischof am Raubmörder Zink
nach der Enthauptung angestellt, aber ohne ein Resultat zu
liefern. Denn es zeigten sich keine Bewegungen auf Reize.
(Müller's Archiv. 1838. p. 486.)
Klein hat ausserdem eine interessante Beobachtung mit¬
getheilt, die an einer enthaupteten, schwerathmig gewesenen
Frau gemacht wurde. (Harless, Jahrbücher der deutschen
Medicin und Chirurgie. Bd. III. p. 37.) Nach Trennung des
Kopfes vom Rumpfe waren noch fünf Minuten lang deutliche
Athmungsbewegungen zu sehen, obgleich das Schwert zwischen
dem zweiten und dritten Wirbel hindurch gegangen war. Da
nun der Respirationsmechanismus in der Medulla oblongata ge¬
legen, und an Schwerathmigkeit Leidende notorisch durch
Willensimpuls respiriren, so könnte hier wohl an eine solche
Ursache der Bewegungen gedacht werden.
Wir müssen bei der geringen Zahl der Beobachtungen an
enthaupteten Menschen unsere Kenntnisse aus der Geschichte
der zufälligen Hirnverletzungen und Missbildungen ergänzen.
Gegen jene lässt sich indessen der Einwand machen, dass nicht
eine einzige mit der Genauigkeit angestellt ist, um sicher zu
stellen, dass kein Gehirntheil mehr vorhanden war.
Die Geschichte der Missbildungen allein liefert brauchbare
Momente. Als Beispiel führe ich einen von Ollivier mitgetheil¬
ten, und mit bemerkenswerther Gründlichkeit berichteten Fall
im Auszuge an. (Traité de la moëlle épinière. Tom. I. éd. 2.
p. 155.)
Perrine Vivieu, 40 Jahre alt, gebar zwei Kinder, deren
eines ein Acephalus weiblichen Geschlechts war. Derselbe war
übrigens wohl gebildet und vollkommen entwickelt. Seine
Augen waren stets geschlossen; er stiess heftiges Geschrei aus,
welches man leicht beruhigte, wenn man den Finger in seinen
Mund brachte; er saugte alsdann daran zu wiederholten Malen.
Er bewegte seine Glieder mit hinlänglicher Kraft und erfasste
die Körper, welche man in seine Hände legte.
Drei Stunden nach der Geburt wurden Füsse und Hände
violet und kalt; die Respiration beschleunigt; die Bewegungen
des Rückenmarkes fuhren fort und folgten jeder der tiefen und
langen Inspirationen, die er ausführte. Die Schreie wurden
schwächer und weniger häufig.
Die Kälte dehnte sich allmälig über Extremitäten und Rumpf
aus; die Respiration geschah in immer längeren Intervallen und
wurde convulsivisch. Dieser Zustand dauerte acht Stunden.
Indem die bemerkten Erscheinungen zunahmen und Convulsio¬
nen hinzugetreten waren, starb der Acephalus in einem Zu¬
stande von Asphyxie. Er hatte im Ganzen zwanzig Stunden
nach der Geburt gelebt.
Die Section ergab, dass das Rückenmark gesund war, Oben
aber sofort in desorganisirte Massen überging, aus welchen in¬
dessen vermöge der noch vorhandenen Spuren von Hirnnerven
zu schliessen war, dass das Gehirn früher durch pathologische
Processe verwüstet worden.
Marshall Hall (a. a. O. p. 21) erzählt einen ähnlichen Fall
aus eigner Erfahrung:
„Es begegnete mir vor drei Jahren, als ich die Enthirnung
durch die vordere Fontanelle vornahm, dass das Kind, welches
zehn Minuten nach der Operation geboren wurde, tief aufath¬
mete und geschrieen haben würde, wenn es nicht daran ver¬
hindert worden wäre. Die Bewegungen der unteren Extremi¬
täten dauerten eine halbe Stunde, obgleich das ganze Gehirn
entfernt worden und ein stumpfes Instrument mehrmals durch
das Foramen magnum herabgestossen war“.
In der That ein festes Vertrauen in die Richtigkeit der
excito-motorischen Hypothese, in welchem sich der englische
Arzt derartige empörende Grausamkeiten erlaubt hat. —
Und dennoch kann man hier einigermassen gewahr werden,
dass vielleicht fast Alle, welche dem Rückenmark Empfindung
absprechen, beim Ansehen der Bewegungen Enthaupteter ihren
Verstand nothzüchtigen. Warum stösst denn Marshall Hall ein
Instrument in den Wirbelkanal? — Wenn die Bewegungen
nicht der Ausfluss eines Bewusstseins sind, warum stören sie
ihn? — Der Schlag und Tiktack einer Uhr wird nur Demjenigen
etwas Unheimliches sein, der einen Willen und bewusstes Sein
dahinter sucht. — Die Bewegung eines Gegenstandes in der
Nacht ist nur dann erschreckend, wenn sie von einem bewuss¬
ten Wesen veranlasst zu sein scheint. Das als sogenannt rein
mechanisch Erkannte kümmert uns in seinen Bewegungen gar
nicht! — — —
Capitel III.
Kritik der vorhandenen Beweise für die Ausschliesslichkeit
des Gehirns als Organ des Bewusstseins.
Es dürfte nunmehr am Platze sein, speciell auf diejenigen
Momente einzugehen, welche man von vielen Seiten rückhaltlos
als Beweise aufgestellt hat, dass nur das Gehirn und kein an¬
deres Organ des Körpers ausschliesslich der „Sitz“ des Senso¬
riums sei. Eine derartige strenge Zerlegung jener Beweise giebt
uns eine gewisse Erkenntniss, was als unbezweifelt sicheres
Gut des Wissens betrachtet werden darf, was nicht. Erst
nachdem wir durch diese sichere Erkenntniss alle Vorurtheile
und alle Scrupel abgeworfen haben, welche ein noch nicht
hinreichend in seiner Nichtigkeit erkanntes Dogma und ver¬
jährte Vorurtheile in uns aufrecht zu erhalten vermöchten, be¬
treten wir mit freierem Blicke das Gebiet unserer Forschung.
Betrachten wir sämmtliche von den Autoren geltend ge¬
machte Momente, so sehen wir dieselben von vielen Gesichts¬
punkten aus bemüht, dem schreckhaften Gespenst der Theil¬
barkeit des Bewusstseins bei den Wirbelthieren durch alle
Mittel zu entrinnen. Ohnmächtig und spärlich nur vermögen
sie die Schwäche ihrer Dialektik zu verdecken; denn die Wahr¬
heit lässt sich eben doch nicht so ganz leicht aus dem Felde
schlagen. Sehen wir zu, ob unsere Behauptung wahr sei.
I. Zunächst liegt einem grossen Theile von Experimenten
die theils ausgesprochene, theils stillschweigend als ausgemacht
betrachtete Idee zu Grunde, dass die „Seele“ oder wie wir
sagen: das Sensorium ein einheitliches, untheilbares Ganze dar¬
stelle. So stellt bereits Blane im vorigen Jahrhundert das
Argument auf, dass Empfindung und Bewusstsein nicht in zwei
von einander getrennten Theilen des Körpers stattfinden könne.
(Philosophical Transactions v. 1788 und Select Dissertations.
p. 262.) Seinem Vorgange haben sich Marshall Hall, Grainger,
Flourens und im Allgemeinen auch Volkmann und Kürschner
angeschlossen. Um aus den vielen Versuchen nur einen her¬
auszugreifen, möge folgender, von M. Hall an einem Frosche
angestellte hier beispielsweise eine Stelle finden:
„Bei einem Frosche wurde das Rückenmark zwischen den
„vorderen und hinteren Extremitäten durchgeschnitten. Der
„Kopf und die vorderen Extremitäten allein (?) waren spon¬
„taner, absichtlicher Bewegung fähig; die Respiration regel¬
„mässig. Die hinteren Extremitäten waren indessen nicht ge¬
„lähmt; sie waren angezogen, blieben aber freilich bewegungs¬
„los, bis sie gereizt wurden. Nach Anwendung eines Reizes
„wurden sie kräftig bewegt, aber auf einen Reiz folgte nur
„eine und zwar ganz eigenthümliche (!?) Bewegung. Der Reiz
„selbst kam nicht zum Bewusstsein (?), denn der Kopf und
„die vorderen Extremitäten blieben bei der Einwirkung dessel¬
„ben völlig bewegungslos (!!). Nirgends kann deutlicher und
„schlagender der Unterschied zwischen bewussten und willkür¬
„lichen Erscheinungen, wie sie an dem vorderen Theile, und
„reflectirten Erscheinungen, die am hinteren Theile des Thieres
„beobachtet wurden, nachgewiesen werden (??!)“.
„Dasselbe Experiment, mit einer Kröte angestellt, gab nicht
„so gleichförmige Resultate, wahrscheinlich wegen anatomischer
„Verschiedenheiten (!!!)“. (Marshall Hall's Abhandlungen über
das Nervensystem. Deutsch von Kürschner. p. 22. — Siehe
noch: Flourens, Recherches expérimentales sur les propriétés
et les fonctions du système nerveux dans les animaux verté¬
brés. Paris 1842. p. 9–12 u. 29–30. — Stilling, Unter¬
suchungen über die Spinalirritation. 1840. p. 314–315. —
Grainger, On the structure and functions of the spinal cord.
p. 63. — Kürschner, Nachträge und Ergänzungen zu Marshall
Hall's Abhandlungen über das Nervensystem. p. 169.)
Volkmann stimmt dem englischen Physiologen in sofern
bei, als er sagt:
„Sehr richtig bemerkt Marshall Hall, dass man sich hüten
„müsse, Bewegungen, welche auf Reize entstehen, zu voreilig
„als Reactionen auf Empfindung zu betrachten. Man hat bei
„Menschen Paralysen beobachtet, wo Kitzeln der Fusssohle nicht
„empfunden wurde und dennoch, wie beim Kitzelgefühl, ein
„Zurückziehen der Füsse, und zwar ohne Wissen des Kranken,
„zur Folge hatte“. (Volkmann in Wagner's Handwörterbuch
der Physiologie. Artikel: Gehirn. p. 576.)
Hierher gehört, um nur ein Beispiel anzuführen, der von
Marshall Hall citirte interessante Fall einer Paraplegie, welchen
Herr W. F. Barlow diesem Autor mitgetheilt hat.
„John Bright, 19 Jahre alt, stieg am 1. October 1836 auf
einen Wallnussbaum, um die Früchte zu pflücken. Auf einer
beträchtlichen Höhe glitt er aus und stürzte herab. Man fand
ihn später kalt und pulslos und seine unteren Extremitäten
taub und bewegungslos. Eine hartnäckige Verstopfung konnte
nur durch starke Purgantien, und eine Urinverhaltung nur durch
Application des Catheters beseitigt worden. Drei Monate nach
dem Ereignisse war die Lage des Kranken folgende: Die untere
Hälfte des Körpers und die unteren Extremitäten waren aller
Empfindung gänzlich beraubt und der Wille hatte nicht den
geringsten Einfluss darauf. Manchmal fühlte der Patient Schau¬
der, und während dabei die Muskeln, deren Nerven oberhalb
der Stelle der Verletzung entsprangen, erschüttert wurden,
blieben die, deren Nerven unterhalb der Stelle entsprangen,
völlig regungslos. — Trotz dieser Anästhesie und einer völligen
Unfähigkeit zu willkürlichen Bewegungen bei dem Patienten,
wurden die Extremitäten, wenn man die Bedeckung derselben
stach oder vorzugsweise, wenn man die Fusssohle kitzelte, mit
bedeutender Kraft angezogen. Bespritzte man die Haut mit
kaltem Wasser, so zeigte sich dieselbe Wirkung, ohne Kälte¬
gefühl zu erregen. Ein Schenkel befand sich beständig im
Zustande der Flexion; wurde er gerade gebogen, so nahm er
gleich seine frühere Stellung wieder ein. Bei Einführung des
Catheters gerieth der penis in einen vollkommnen Erections¬
zustand, eine Wirkung, welche dem Durchführen des Instru¬
mentes durch die Urethra zugeschrieben werden muss. Gleich¬
zeitig wurden die Schenkel in die Höhe gezogen und eine
hüpfende Bewegung ihrer Muskeln fiel dabei in die Augen.
Nach dem Tode fand man Verletzung des Rückenmarkes nahe
am Nacken“. (Marshall Hall a. a. O. p. 64 u. 65.)
Brachet theilt sogar einen Fall mit, wo ein Paraplektischer
Vaterfreuden nach einem Beischlaf erfuhr, der „sans sensation et
sans secousse“ gewesen sein soll (?). Das Factum wäre gerade
Nichts Unmögliches. Indessen bemerkt das Corpus iuris Justinia¬
neum weniger gutmüthig: Pater est, quem nuptiae demonstrant!
Wenn wir nun die zum Beweise erbrachten Experimente
einerseits, die pathologischen Thatsachen andererseits in's Auge
fassen, so erhellt, dass das einheitliche, untheilbare Ganze des
Bewusstseins als Prämisse der Beweisführung aufgestellt ist.
Diese Prämisse ist selbst nur eine Theorie — eine Hypothese.
Mit Hypothesen kann man aber Nichts beweisen. Da es eine
ausgemachte Sache ist, dass das Bewusstsein in den niederen
Thieren theilbar ist, dass das eine Bewusstsein einer Naide
z. B. in so viel Bewusstseinscentra zerlegt werden kann, als
Stücke aus dem Thiere gebildet werden durch beliebige Thei¬
lung, so wäre es eben eine grosse Frage, ob Das nicht auch
bei den höheren Thieren der Fall sein könne, wenn wir es
nicht geradezu der Analogie halber als ein Wahrscheinliches
hinstellen wollen. Wenn nun dem Rückenmarke sensorische
Functionen zukämen, so könnte nach der gegebenen Analogie
das eine Centralbewusstsein eines Thieres durch Durchschnei¬
dung des Rückenmarkes in so viele Bewusstseinscentra zerlegt
werden, als das Centralmark in Stücke zerlegt ist. — Wir
würden also bei einem Schnitt ein Hirnbewusstsein und ein
Rückenmarksbewusstsein herstellen, welche beide, unabhängig
von einander, als zwei Centralheerde fungiren. Die von den
Autoren zum Beweise erbrachten physiologischen Experimente,
von denen wir eines als Beispiel aus Marshall Hall oben mitge¬
theilt haben, sowie die pathologischen Thatsachen von Para¬
plegie sollen beweisen, dass das unter der Trennung gelegene
Centralmark nicht mehr der Empfindung und willkürlichen Be¬
wegung fähig sei. Wenn man nun dargethan hat, dass jeder
Theil des Centralmarkes, sowohl der über als unter der Tren¬
nung gelegene, nicht mehr auf Reize reagirt, welche Nerven
treffen, die dem anderen Centralmarksstücke angehören, so be¬
weist Das nicht mehr, als dass eben beide Centraltheile nun¬
mehr in keiner Beziehung zu einander stehen, sondern selbst¬
ständige Centren sind. Es beweist aber keineswegs, was eben
zu beweisen war, dass nämlich nicht jeder Theil für sich
empfinde und für sich willkürliche Bewegung erzeuge. Aller¬
3
dings wenn man einem Frosche, dessen Rückenmark zerschnit¬
ten ist, die Schenkel kneift, so wird der Kopf nicht mehr
Darauf reagiren; wenn im Kopf aber ein Willensact Muskelbe¬
wegung auszulösen beabsichtigt, so wird der hintere Theil
ebenso wenig Daran Antheil nehmen. Denn beide Theile haben
keine sensorische Gemeinschaft mehr. Ein Paraplektischer wird
uns deshalb auch Nichts sagen können über Reize, welche
Nerven treffen, die aus dem unter der Trennung gelegenen
Rückenmarkstheile entspringen. Denn wir können im Para¬
plektischen nur das Hirnbewusstsein befragen; aber weder die¬
ses, noch wir können wissen, ob nicht doch in dem unter der
Trennung gelegenen Marke noch Empfindungen für sich statt¬
finden, und ob die Bewegungen, welche von hier aus erfolgen,
nicht Reactionen auf Empfindungen sind.
Obgleich Volkmann, wie wir sahen, im Allgemeinen Mar¬
shall Hall beistimmte, erklärt, er dennoch, die Wahrheit füh¬
lend, „dass die gegebenen Erscheinungen, streng genommen
(!!), eigentlich (?) nicht mehr beweisen, als dass der mit dem
Gehirn versehene Theil des Thieres solche Reize nicht empfin¬
det, welche Partien treffen, deren Verbindung mit dem Gehirn
zerstört ist (!). Ob aber das vom Gehirn getrennte Rücken¬
mark nicht doch gewisse, wenn auch dunkle Empfindungen für
sich habe, ist aus ihnen nicht ersichtlich (!). Bei den niederen
Thieren ist eine Theilbarkeit des empfindenden Princips un¬
zweifelhaft, z. B. bei den Naiden, welche sich durch Theilung
fortpflanzen; ob bei höheren Thieren etwas Entsprechendes
angenommen werden dürfe, ist kaum zu entscheiden! (?)“
Es ist unbegreiflich, wie sich diese Argumentation mit der vori¬
gen, von demselben Autor erbrachten, ihr absolut entgegenge¬
setzten zusammenreimen lässt. Denn wo es sich um strin¬
gente Beweise handelt, kann nur von „Eigentlichem“ und
„streng Genommenem“, nicht aber von Uneigentlichem und
nicht streng Genommenem die Rede sein, welches doch den
Gegensatz zu Jenem bildet.
II. Nahe verwandt mit der so eben besprochenen Beweis¬
führung ist eine andere, welche sich Darauf stützt, dass ent¬
hauptete Thiere keine Bewegungen mehr aus freien Stücken
unternehmen sollen, sondern nur durch äussere Reize hierzu
bestimmt würden. Wir treffen hier auf dieselbe Schwäche und
dieselbe Begriffslosigkeit, wie früher. Denn es konnte und durfte
den Autoren, wenn sie logisch dachten, unter keiner Bedingung
entgehen, dass Derjenige, welcher von dem Fehlen spontaner
Bewegungen auf das Fehlen des Bewusstseins schliesst, eines¬
theils stillschweigend sich an die Prämisse gehalten hat, die
sensorische Thätigkeit sei überhaupt etwas Spontanes, andern¬
theils aber die „spontane“ Bewegung zur Bedingung des Sen¬
soriums macht oder um es recht trivial, aber in die Augen
springend, zu sagen, behauptet, dass da, wo die willkürliche
„spontane“ Bewegung fehle, auch kein Bewusstsein vorhan¬
den sei.
Viele der Leser werden aus eigener Erfahrung das zuwei¬
len den Schlafenden belästigende Alpdrücken kennen. In die¬
sem Zustande wird man sich recht klar bewusst, dass man
schlafe; und der Wille macht die energischsten Anstrengungen,
die Glieder aus den Fesseln des Schlafes zu lösen. Dennoch
aber regt sich kein Muskel, und das Erwachen erfolgt nicht
sogleich. Der Beobachter kann vielleicht nur aus der beklom¬
menen Respiration schliessen, dass den Schlafenden ein Traum
ängstige. Also trotz der fehlenden spontanen Bewegungen
Bewusstsein und Wille!
Mir selbst begegnete es einmal, dass ich durch einen kräf¬
tigen Faustschlag gegen die Schläfe die Besinnung verlor. Als
das Bewusstsein wiederkam, fand ich mich am Boden hinge¬
streckt und suchte mich von demselben zu erheben. Aber
trotz des lebhaften Willens regte sich kein Muskel. Dennoch
aber sah ich die Füsse der Umstehenden, hörte, was sie spra¬
chen, und fühlte ihre Arme, die mich weg trugen und mich
für besinnungslos hielten, weil ich kein „Lebenszeichen“ von
mir gegeben, d. h. wohl keine sogenannten spontanen Bewe¬
3 *
gungen unternommen hätte. (Hier erinnere ich an das Ex¬
periment Marshall Hall's, wo ein Pferd, nach einem Schlag
auf den Kopf, für besinnungslos und gefühllos gehalten wird,
weil es zusammengestürzt war, um dann zu Versuchen über
excito-motorische Prozesse benutzt zu werden. Marshall Hall
a. a. O. p. 61 u. 63.)
Hieraus geht aber hervor, dass es im Allgemeinen unstatt¬
haft ist, von den fehlenden „Lebenszeichen“ oder spontanen
Bewegungen auf das fehlende Bewusstsein und den fehlenden
Willen schliessen zu wollen.
Gehen wir aber auf die oben berührte Prämisse ein, welche
den Gedanken ausspricht, dass die sensorische Thätigkeit über¬
haupt eine spontane sein müsse, so muss vor der Hand dage¬
gen die Bemerkung gemacht werden, dass die Beweisführer hier
eine Theorie und wie Manche meinen, eine abgeschmackte Theo¬
rie als Basis ihrer Deduction beanspruchen. Deshalb nochmals
die Erwiderung: Mit Theorien kann Nichts bewiesen
werden! —
Obgleich schon durch diese wenigen Worte die Schärfe
des Argumentes zerstört ist, wollen wir dennoch, um jegliches
Bedenken zu beseitigen, gründlicher auf die vorschwebende
Frage eingehen.
Das Nächste, was sich der Erörterung darlegt, ist eine Kri¬
tik des gegebenen Faktums selbst. Giebt es in der That keine
„spontanen“ Bewegungen bei Enthaupteten mehr, wie Hall und
Kürschner behaupten? — Redi, Perrault, Beerhave,
Whytt, Legallois und selbst Volkmann, ja sogar Grain¬
ger berichten uns das Gegentheil!
Volkmann sagt: „Ich habe mehrfach gesehen, dass ge¬
köpfte Frösche ohne irgend eine Veranlassung gewisse Bewe¬
gungen mit den Hinterschenkeln machten, scheinbar, als woll¬
ten sie sich bequemer zurecht setzen. Ich kann sogar einen
sicheren Weg angeben, dergleichen selbständige Bewegungen
an geköpften Fröschen zu beobachten. Ist der Kopf vom Rumpfe
getrennt und haben sich die ersten krampfhaften Bewegungen
verloren: so tritt ein Zustand der Ruhe ein, welcher Folge der
Erschöpfung zu sein scheint. In dieser Periode, gewöhnlich
wenige Minuten nach dem Köpfen, ist der verstümmelte Körper
sehr wenig reizbar, und während später die geringste Berüh¬
rung der Haut Reflexbewegungen veranlasst, so kann man jetzt
das Cadaver auf verschiedene Weise handhaben, ohne Bewe¬
gung zu veranlassen. Man bringe in dieser Periode die Hinter¬
schenkel in eine vollständig gestreckte Lage und lasse das Thier
auf festem Boden ruhig liegen, so wird man bemerken, dass
zwar 5–10 Minuten diese Stellung beibehalten wird, nachmals
aber zieht der Frosch die Schenkel ohne irgend eine Veran¬
lassung an, nicht allmählich, sondern plötzlich.“ (Müller's Ar¬
chiv v. 1838. Heft I.)
Hängt man den Frosch in die Schwebe, indem man ihn
an den gelähmten Armen aufhängt, so zieht er mehrmals die
Beine in die Höhe, wie Dies auch von Volkmann und Kürsch¬
ner bestätigt wird (Volkmann a. a. 0. p. 17. — Kürschner
a. a. 0. p. 132.); häufig habe ich gesehen, dass dieses Anziehen
der Beine eine Zeitlang beibehalten wird. Nach und nach sin¬
ken dann später, wenn die Muskeln ermüden, die Schenkel in
Intervallen und keineswegs immer plötzlich tiefer herunter, bis
sie, den Gesetzen der Schwere folgend, schlaff herabhängen.
Die Bewegung kann nicht aus einem Uebergewichte der
Flexoren- über die Extensorenmuskeln erklärt werden, wie Dies
von Valentin geschehen und von Volkmann gutgeheissen ist.
Einerseits kann man sich bei galvanischer Reizung der plexus
lumbo-ischiadici leicht überzeugen, dass der Schenkel gestreckt
und nicht gebeugt wird; anderntheils resultirt aus dem blossen
Muskeltonus keineswegs eine so intensive Bewegung.
Kürschner (a. a. 0. p. 133.) sagt nun: „Ein decapitirtes
Thier, welches noch das Rückenmark besitzt, wird demnach
bei jeder unbequemen Lage eine Bewegung ausführen, nicht in
der Absicht eine bequemere Lage zu suchen, wie die Bewe¬
gungen von Fröschen, die man auf den Rücken legt oder schwe¬
bend mit einer Pincette an der Brust oder den vorderen Ex¬
tremitäten in der Luft hält, sattsam zeigen: sondern lediglich,
weil hier sensible Nerven durch Zug und Dehnung, welche sie
nothwendig erleiden müssen, gereizt werden. Noch mehr wird
man in dieser Ansicht bestärkt, wenn man die Erscheinungen
bei Schlafenden und im sopor liegenden Kranken beachtet. Wird
bei diesen durch irgend einen Umstand eine unbequeme Lage
hervorgebracht, so ändert sich dieselbe unbewusst (?) und ge¬
streckte Extremitäten werden schnell angezogen.“ (Ich erinnere
hier an die geistvolle Auffassung der Bewegungen Schlafender,
welche Cuvier in seinem Berichte über die Untersuchungen
Flourens' gegeben hat. (Flourens, a. a. O. p. 78.) Ausser
dem verweise ich den Leser auf Capitel IX., wo der Beweis
geführt ist, dass die Bewegungen Schlafender nicht reflectorisch
erregte, sondern willkürliche sind.) „Was aber noch am mei¬
sten für die Richtigkeit der gegebenen Ansicht spricht, ist der
oben von Barlow erzählte Fall von Paraplegie“, mit dem wir
uns bereits als nichtssagend abgefunden haben.
„Es lässt sich“, so fährt Kürschner fort. „demnach bei
allen den genannten Bewegungen, welche die einzigen (???)
sind, die man beobachtet, ein Impuls, der peripherische Nerven¬
enden traf, wohl (?) nachweisen (?), und der Satz von Marshall
Hall, dass keine spontane Bewegungen bei geköpften Thieren
vorkommen, erscheint gerechtfertigt.“ (??)
Wenn nach diesen Erörterungen ein die peripherischen Ner¬
venendigungen treffender Reiz Kürschner als nachgewiesen
erschien, so lag es ihm ja sehr nahe, sich durch ein stringentes
Experiment von der Wahrheit oder Unwahrheit seines Ausspru¬
ches zu überzeugen. Wie er selbst (a. a. O. p. 135.) bemerkt,
kann man die Stämme der Hautnerven sehr stark reizen, ehe
man Bewegung erhält, sie sind viel weniger empfindlich, als
ihre peripherischen Ausbreitungen, was Volkmann zuerst beob¬
achtete und Müller bestätigt hat. Ich habe deshalb Fröschen
die sämmtlichen Hautdecken abgenommen und zum Ueber¬
flusse auch die Fusszehen abgeschnitten, weil an ihnen immer
etwas Haut hängen bleibt. Fast immer aber habe ich nun den¬
noch nach wie vor die Frösche ihre Beine an den Leib ziehen
sehen, nachdem also die peripherischen Nervenendigungen gar
nicht mehr vorhanden waren und mithin von einem für Kürsch¬
ner nachgewiesenen diese treffenden Reize keine Rede mehr
sein konnte. Kürschner sagt nun aber selbst (a. a. O. p. 135.):
„Alle unter der Haut gelegenen Gebilde müssen sehr (!) stark
verletzt werden, wenn Bewegungen erfolgen. Bei frisch deca¬
pitirten Thieren habe ich Muskeln gebrannt, mit Schwefel- und
Salpetersäure betupft, ich habe sie gezerrt und gerissen und
oft ohne Erfolg.“ Wenn man nun trotz alle Dem und trotz der
Entfernung der peripherischen Nervenendigungen die Frösche
ohne jede nachweisbare Veranlassung nach wie vor ihre Beine
an den Leib ziehen sieht, so erscheint die Annahme reflectori¬
scher Thätigkeit vollkommen unstatthaft, und die Bewegung
centralen Ursprungs.
Man könnte gegen die Bewegung als willkürliche noch den
Einwand machen, dass sie bedingt sei durch den Wundreiz
des durchschnittenen Markes. Da nämlich nach Engelhardt
(Müller's Archiv v. 1841 p. 260.) ein Reiz der oberen Rücken¬
markspartie vorzugsweise Beugung, der unteren vorzugsweise
Streckung der Gliedmassen erzeugt, da ausserdem die Enthaup¬
tung fast immer in der oberen Rückenmarkshälfte vorgenommen
wird, so dürfte dieser Einwand vorerst nicht ohne Gewicht sein.
Es lässt sich indessen leicht zeigen, dass auch er unhaltbar ist.
Man köpfe einen Frosch dicht hinter dem Occiput; denn auch
dieser entwickelt nach Bell, Hall, Grainger, Flourens,
Kürschner keine sensorischen Functionen mehr durch die
Vermittlung des noch vorhandenen Stückes der Medulla oblon¬
gata. Dieser Frosch zieht ebenfalls die Beine an und setzt sich
zurecht. Man reize nun mit einem Drahte die Durchschnitts¬
stelle des Markes, und man wird finden, dass die Schenkel mei¬
stens ganz ruhig bleiben und nur in den Hals- und Armmuskeln
bebende und zitternde Erschütterungen sichtbar werden! Zur
genaueren Beobachtung enthäutet man den Frosch. Somit giebt
uns auch der Wundreiz des Centralmarks keinen Aufschluss.
Die Behauptung Valentin's endlich, dass mit dem Weg¬
fallen des Cerebraleinflusses das antagonistische Gleichgewicht
zwischen Extensoren und Flexoren in der Weise gestört werde,
dass letztere die Ueberhand bekommen, ist eine aus der Luft
gegriffene Behauptung, da sie das propter hoc vom post hoc
nicht unterscheidet.
Mit alle Dem will ich indessen nicht mehr, aber auch unter
keiner Bedingung weniger bewiesen haben, als dass Niemand
berechtigt gewesen ist, diese Bewegung für eine nicht „spon¬
tane“ zu erklären, d. h. das Dogma aufzustellen, dieselbe sei
nicht durch eine sensorische Action erzeugt.
An die soeben betrachtete Bewegung schliesst sich eine
andere, welche ebenfalls „spontan“ erscheint, und von Valen¬
tin beschrieben ist.
„Serpentis decapitati corpus vel partem corporis continuo
moveri experimento a Marshall Hall facto notissimum est, quam¬
vis eo quod truncus res vicinas semper tangat, experimentum
ex parte tantummodo referendum huc sit. Motus vero caudae
lacertae, qui post eius a cetero corpore sejunctionem observan¬
tur, haud dubie (?) huc pertinent. Nam volutiones non solum
continuantur, si caudae fragmentum in tabula ponitur, sed etiam
si altero fine libere tenetur, ut nulla res externa, quam movendo
tangit, adsit. Ibi aut unius lateris flexio cum flexione alterius
lateris alternat aut flexio uno aut utroque latere cum adductione
majori minorive (nec tamen semper tanta, quanta flexio est)
conjungitur.“ (Valentin, de functionibus nervorum cerebralium
et nervi sympathici libri quattuor. 1839. p. 97.)
Auch Kürschner erwähnt und erklärt diese Bewegungen
a. a. O. p. 132:
„Hält man eine geköpfte Schlange oder den abgetretenen
Schwanz einer Eidechse schwebend in die Höhe: so zeigte sich
nicht eine einzelne Bewegung, sondern die Theile winden sich
eine längere Zeit, zeigen also eine Reihe von Bewegungen. Die
Untersuchung der Muskeln und der beweglichen Theile, auf
welche sie wirken, giebt, wofern ich nicht sehr irre, eine voll¬
ständige (??) Erklärung dieses merkwürdigen Verhaltens an
die Hand. Bei diesen walzenförmigen Theilen sind alle Muskeln
Flexoren. Durch die Zusammenziehung der Muskeln einer Seite
werden die der anderen (?), durch Contraction des unteren
Theils die des obern Theils gedehnt oder gezerrt (?) und müs¬
sen daher in Bewegung gerathen (?), wenn die Thätigkeit jener
nachlässt und so lange die Reizbarkeit nicht erschöpft ist, muss
daher der walzenförmige Theil sich unaufhörlich (?) winden.“
— „Es lässt sich demnach ein Reiz auf peripherische Nerven¬
enden wohl nachweisen (?).“
Wir wollen nun diese Bewegung etwas genauer, als die
genannten Autoren studiren, die nur höchst oberflächlich die¬
selbe behandeln. Denn es ist weniger diese Bewegung als das
Princip, welches ein möglichst genaues Studium dieser Erschei¬
nung bedingt. Wir wollen also einer Eidechse den Schwanz
abschneiden. Er springt sofort umher und geräth auf dem Tische
in so heftige Bewegung, dass er einige Zoll hoch in die Luft
geschnellt wird. Ich durchstosse das Rückenmark eine kleine
Stelle weit vom Durchschnitte aus, um eine Nadel quer durch
den oberen anäthesirten Theil zu führen und dieselbe irgendwo
einzustechen, damit der Schwanz nun frei und nur der Schwere
überlassen in der Luft schwebe. Derselbe windet sich eine ge¬
raume Zeit und hört endlich auf! Nachdem er ein Weilchen
geruht hat, beginnt er wiederum sich zu bewegen, hört auf
und beginnt von Neuem. Hieraus folgt, dass Kürschner's
Bemerkung unrichtig ist, welche den Satz aufstellt, dass sich
diese walzenförmigen Theile „unaufhörlich“ bewegen müssen.
Wenn aber ein Körper, welcher eine Zeitlang vollkommene Ruhe
beobachtet hat und mit keinem Gegenstande in Contact ist, plötz¬
lich Bewegungen zu machen beginnt, so ist ein äusserer Reiz
nichts weiter als eine willkürliche Annahme. Verfolgen wir die
Bewegung noch weiter, um zu sehen, ob eine Reizung der peri¬
pherischen Nervenendigungen einer Stelle Muskelbewegungen an
derselben Stelle auslöst, wodurch sich Kürschner so apo¬
diktisch das Phänomen erklärt, so werden wir uns baldigst
eines Anderen belehrt finden. Ein in der angegebenen Weise
präparirter Eidechsenschwanz hängt in der Luft und muss be¬
reits etwas erschöpft sein, so dass er nicht mehr heftig auf
Reize antwortet, wodurch die klare Einsicht verhindert wird.
Wir nähern nun langsam dem bewegungslos hängenden Schwanze
ein Feuer und sehen zu, ob eine motorische Action der Mus¬
keln der gereizten Stelle erfolgt, sodass der Schwanz sich dem
Feuer zubiegt. Geschieht Dies? — Mit Nichten! Er wendet
sich weg. Die Erregung der Nerven einer Seite hat mithin eine
Muskelaction der entgegengesetzten Seite bedingt! Bei diesem
Experimente muss man sich indessen hüten, nicht an einem
todten Schwanze zu experimentiren. Dieser kehrt sich ganz
ruhig der Hitze zu durch eine nur locale Zusammenziehung der
Weichtheile, welche wahrscheinlich ein Austrocknungsphänomen
ist. Hiermit erweist sich die Erklärung Kürschner's als un¬
brauchbar. Wir wollen indessen die Bewegung noch weiter
verfolgen. Kürschner sagt, „es erschiene ein Reiz, der peri¬
pherische Nervenenden träfe, bei diesen Bewegungen nachge¬
wiesen.“ Entfernen wir nun einmal diese peripherischen Ner¬
venenden, um zu sehen, ob die Bewegung alsdann aufhöre.
Ich nehme eine Blindschleiche, deren leicht abspringender
Schwanz dieselben Bewegungen macht, wie sie oben beschrie¬
ben sind, köpfe das Thier, führe mit einer Scheere einen Längs¬
schnitt am Bauche von Vorne bis Hinten und beginne nunmehr
die Haut zuerst von Vorn nach Hinten abzuziehen. Sobald ich
aber in die Nähe des so leicht abspringenden Schwanzes komme,
blättere ich die Haut von der Bauchseite nach der Rückenseite
in Ringen vorsichtig ab. Beinahe bin ich zu Ende, so beginnt
das Thier lebhafte Bewegungen, und der Schwanz springt
ab. Ich schneide die noch nicht enthäutete kleine Schwanz¬
spitze ab, präparire den Theil wie den oben erwähnten Eidech¬
senschwanz und lasse ihn in der Luft schweben. Die Bewe¬
gung dauert aber gerade so fort, als ob die peripherischen Ner¬
venendigungen noch vorhanden wären! — Ich nehme sodann
sogar die Fascia superficialis weg. Aber die Bewegung dauerte
lange Zeit fort und erlosch erst nach einer halben Stunde! —
Aehnlich wie beim Eidechsenschwanze wechselte Ruhe mit Be¬
wegung. Somit gilt auch für diese Bewegung, was oben weit¬
läufig beim Anziehen der Froschbeine auseinander gesetzt ist. —
Kürschner stellt nun die Behauptung auf, dass Dieses die
einzigen beobachteten spontanen Bewegungen seien, welche vor¬
kämen. Das ist indessen unrichtig.
Bereits Redi berichtet, dass enthirnte Schildkröten noch
Monate lang gelebt und herumgekrochen wären. Weil dies Fak¬
tum den bestehenden Theorien nicht günstig ist, hat man sich
damit getröstet, dass Redi sich getäuscht habe. Diejenigen,
welche Das behaupten, haben das Original nicht gelesen; denn
er hat nicht an einem, sondern an vielen Thieren experimen¬
tirt, beschreibt die Operation der Excerebration ganz genau und
nimmt nach dem Tode des Thieres die Section vor. Es muss
deshalb, wie Nasse sagt, das Faktum unverkleinert bleiben.
Lassen wir Redi indessen selbst reden:
„Cum aliquando animi gratia nonnulla circa cerebrum et
animalium motus inquirerem, ac propterea saepius multis vola¬
tilium, quadrupedumque generibus cerebrum abstulissem, quid
inde sequeretur observans, in mentem venit idem in testudini¬
bus terrestribus experiri. Initio autem Novembris facto fora¬
mine in testudinis cranio, indeque educto omni cerebro, purgata
accurate cavernula, ita ut nulla (!) vel minima cerebri pars
superesset, cranii foramine non occluso, liberam dimisi testudi¬
nem, quae quasi nullo afflicta malo, movebatur, libere incedebat
et quocumque libitum erat iter praetentando se conferebat. Iter
eam praetentasse dico, quia scilicet ubi primum cerebrum ami¬
sit, oculos simul clausit nec eos amplius aperuit. Interim na¬
tura, quae sola malis vere mederi novit, post triduum, latum
illud cranii foramen, ubi os deficiebat novo carnis tegumento
operuit et apprime clausit. Ipsa vero testudo vim libere ince¬
dendi pro lubitu et se quocumque alio modo movendi nunquam
amittens ad medium usque Majum vixit, ita ut sex integros men¬
ses in vivis fuerit ex quo cerebrum ipsi ablatum est. Postquam
mortua fuit, inspexi cavernulam, in quo cerebrum stare solebat,
eamque nitidam, laevigatam et penitus vacuam reperi, si minu¬
tum, siccum nigrumque sanguinis grumum excipias. Vixerunt
quoque multae aliae testudines terrestes, postquam iis eodem
modo totum cerebrum abstulissem mensibus Novembri, Januario,
Februario et Martio, hoc tarnen cum discrimine quod nonnullae
locum mutarent, seque huc illuc pro lubilu converterent, aliae
vero, licet diu sine cerebro vita fruerentur, nunquam tamen
locum mutarent, quamvis agerentur motibus.“ (Francisci Redi,
de Animalculis Vivis etc. Amstelaedami 1708. p. 208—210.)
Nasse erinnert nicht ohne Grund an den warmen floren¬
tinischen Himmel, unter dem die Versuche angestellt sind.
(A. a. O. p. 265.)
Ich kann indessen ein Mittel angeben, dieselben von Redi
beschriebenen Bewegungen auch in unseren Breiten zu machen.
Am Erdsalamander, dem man zwischen Occiput und Atlas
die Medulla oblongata durchschneidet, kann man, wie bereits
oben bemerkt, noch vollständige Locomotionsbewegungen, die
„spontan“ eintreten, wahrnehmen.
Legallois berichtet ebenfalls spontane Bewegungen gese¬
hen zu haben. (Oeuvres I. p. 51.)
Wichtig ist es nun ferner, dass selbst Flourens, welcher
doch ganz entschieden dem Rückenmarke sensorische Functionen
abspricht, dennoch gesteht, spontane Bewegungen beobachtet zu
haben, indem er sagt:
„Das ist ein besonderes Factum, welches nicht mehr durch
das Gehirn, sondern durch das Rückenmark bedingt ist, und das
mir die Salamander allein bisher unter den Reptilien gezeigt haben.
„Wenn man bei einem warmblütigen Thiere, bei einem
Vogel, bei einem Säugethiere, eine beliebige Stelle des Rücken¬
marks durch einen transversalen Schnitt theilt, so werden sofort
alle unter der Schnittfläche gelegenen Partien gelähmt. Wenn
zum Beispiel der Schnitt über dem Niveau der unteren Extre¬
mitäten gemacht ist, so sind sofort die Hinterbeine gelähmt; das
Thier schleift sie nach, bewegt sie aber nicht mehr.
„Anders ist es bei den Salamandern. Das Thier fährt fort,
seine Beine und seinen Schwanz zu bewegen, obgleich das
Rückenmark und selbst die ganze Wirbelsäule nahe über dem
Ursprung der Schenkelnerven durchschnitten ist.
„Ich theilte die Rückensäule mit dem Rückenmarke bei
einem Salamander.
„Unmittelbar nach der Operation bewegte das Thier bereits
seine Hinterpfoten und seinen Schwanz.
„Einen Monat später bewegte es sie noch weit besser. Es
ging und setzte zum Schritt abwechselnd jedes Hinterbein vor,
wie Dies auch mit den Vorderbeinen geschah.
„Dennoch war die Vereinigung der beiden Enden des
Rückenmarkes noch nicht eingetreten“. (Flourens, Recher¬
ches expérimentales etc. p. 419 u. 420.)
Wenn wir aufrichtig sein wollen, so müssen wir zwar zu¬
geben, dass die Salamander, denen irgendwo das Rückenmark
getheilt ist, ihre Beine ohne nachweisbaren äusseren Anlass
bewegen. Dass aber in Theilen, die nur noch Rückenmark
besitzen, Ortsbewegungen in der angeführten Weise vorkämen,
habe ich nie gesehen, obgleich ich an sehr vielen Salamandern
experimentirt habe. Flourens hat sich wohl getäuscht, und
das Rückenmark war in dem speciell angeführten Falle gar
nicht getrennt.
Worauf indess Gewicht gelegt werden muss, ist, dass
Grainger, einer unserer entschiedensten Gegner, offen gesteht,
dass er nicht blos bei niederen Thieren, sondern auch bei
Säugethieren, nämlich jungen Kaninchen, Bewegungen der
Hinterbeine ohne nachweisbaren Reiz hätte eintreten sehen.
(Grainger, On the structure and functions of the spinal cord.
p. 55 u. 63.)
Hier sagt er aber ausdrücklich:
„ Zu bemerken ist, dass von Zeit zu Zeit, ohne irgend wel¬
chen Reiz (without any Stimulus being applied), die Hinter¬
beine zurückgestossen wurden, als ob das Thier schnell liefe,
während zu derselben Zeit die Vorderbeine, die noch unter der
Controle des Thieres standen, unbeweglich blieben. Diese Be¬
wegungen waren so entschieden ausgesprochen und so lange
fortgesetzt, dass es schwer gewesen sein würde, den Gedanken
an Empfindung und Willen in dem hinteren Theile des Körpers
abzuweisen (!!), wenn es nicht deutlich bemerkt worden wäre,
dass dasselbe Thier (er will sagen, das Hirnbewusstsein), wenn
es zu gehen versuchte, nur die Vorderbeine bewegen konnte,
durch deren Gewalt alsdann der unter der Trennung gelegene
bewegungslose Rumpf und die Hinterbeine über den Tisch ge¬
schleift wurden“. (Grainger a. a. O. p. 55.)
Das Verwirrte der Argumentation über das Factum haben
wir bereits oben besprochen.
Aus den gegebenen Factis geht aber nur zu deutlich her¬
vor, dass die Behauptung, es entständen keine sogenannten
spontanen Bewegungen bei Enthaupteten mehr, eine, aller Be¬
gründung entbehrende, haltlose Behauptung ist. Die Annahme
eines etwa von Aussen kommenden Reizes ist hypothetisch und
kann deshalb die Möglichkeit der nur von Innen kommenden
Erregung der Motoren nicht ausschliessen.
Die Sache verhält sich aber in Wahrheit folgendermassen:
dass einestheils hier und da Bewegungen bei Enthaupteten
beobachtet werden, welche ohne Widerspruch „spontan“ sein
können. Anderntheils aber gestehen wir zu, weil wir der
Wahrheit nicht um ein Haar breit zu nahe treten wollen, dass
im Allgemeinen ein enthauptetes Thier regungslos bleibt, bis
man es reizt.
Fragen wir aber, was uns das höchstens beweisen kann,
so folgt nicht mehr daraus, als dass das Bewusstsein, welches
noch vom Rückenmarke erhalten wird, so schwach ist, dass
nur ein äusserer Impuls es bewegen kann, aus seinem stummen
Hinstarren aufzuwachen und sich dem Forscher zu offenbaren.
Wir wollen uns indessen mit dieser trivialen Phrase nicht be¬
gnügen.
Indem das Bewusstsein den Bewegungen zuzuzählen ist,
wird es den Gesetzen der Mechanik unterworfen. Hieraus folgt
nun aber, dass die Ursache einer Bewegung, welche einen ein¬
fachen, nicht complicirten Mechanismus trifft, eine einfache,
nicht complicirte Bewegung erzeugt, dass aber dieselbe Ursache,
welche einen vielfach complicirten Mechanismus trifft, auch eine
vielfach complicirte Bewegung erzeugt. Das Hirnbewusstsein, wel¬
ches eine Reihe vielverknüpfter und durch die in ihnen ruhenden
Erinnerungen durcharbeiteter Mechanismen durchläuft, verdeckt
leichter die Ursache der speciellen Bewegungen. Das Rücken¬
marksbewusstsein verräth sehr bald, dass es ein mechanischer
Process sei. Wenn er nicht handgreiflich gestossen wird, bleibt
er in Ruhe; wenn er stark gestossen wird, bewegt er sich mehr
und länger; wenn er schwach gestossen wird, weniger und
kürzer. Das ist nun freilich eine ganz gesetzmässige Thätig¬
keit; sie bleibt aber deshalb doch eine sensorische, wie wir
uns bald überzeugen werden. Wir begreifen also die senso¬
rische Thätigkeit im Rückenmarke in ihrem einfachsten Prototyp,
im Gehirn in vollkommenster Entwickelung.
In der Erkenntniss dieser Verhältnisse überrascht Cuvier
durch seine geistvolle Auffassung:
„Die Integrität der Hemisphären“, so sagt er, „ist noth¬
wendig zur Ausübung des Gesichts und Gehörs; wenn sie
entfernt sind, offenbart sich der Wille nicht mehr durch spon¬
tane Acte. Indessen, wenn man das Thier reizt, führt es re¬
gelmässige Bewegungen aus, als ob es sofort dem Schmerz und
Unbehagen entfliehen wollte; diese Bewegungen führen es aber
nicht zum Ziele, wahrscheinlich weil sein Gedächtniss, welches
mit den Hemisphären, die der Sitz desselben sind, verschwun¬
den ist (!!), keine Basis und keine Elemente mehr zum Urtheil
liefert (!! — — ). Diese Bewegungen werden nur halb ausge¬
führt, weil die Ursache, welche sie erzeugt hat, kein Gedächt¬
niss (!) und keinen dauernden (!) Willen zurücklässt (! — — —).
(Flourens, Recherches expérimentales etc. p. 83. — Rapport
de Cuvier.)
Hiermit gehen wir zu neuen Kritiken über.
III. Von den so eben entwickelten Momenten werden wir
leicht zu einem dritten Standpunkte geführt, von welchem die
Argumentatoren aus der Gesetzmässigkeit der Bewegungen
Enthaupteter den Schluss ziehen wollten, dass die Bewegungen
nicht durch ein Bewusstsein bedingt seien. Wer aber aus der
Gesetzmässigkeit der Bewegungen einen derartigen Schluss zie¬
hen will, müsste erst beweisen, dass das Leben des Bewusst¬
seins selbst nicht ein Erfolgen nach Gesetzen, resp. eine Ge¬
setzmässigkeit für sich zulasse. Die Behauptung, dass Dieses
so sei, ist eine blosse Theorie. Darum nochmals und abermals:
Mit Theorien kann Nichts bewiesen werden! Mit einem
Worte, die willkürliche Bewegung schliesst die Gesetzmässigkeit
nicht aus. Die kleinste Molekel, die in unserem Hirne tanzt,
und der ewig unwandelbare Gang der Sterne folgen dem ewi¬
gen, alten Gesetz. Eines ist so nothwendig, als das Andere.
Jedes geht seinen angewiesenen Weg.
So können wir Kürschner's Mühe und „Scharfsinn“ nur
bedauern, mit denen er das Gesetzmässige der Bewegungen
Enthaupteter aufgesucht hat. Wir wissen aber, was wir Daraus
schliessen dürfen, was nicht, und werden es weiter unten
nochmals erwähnen.
So sagt Kürschner a. a. O. p. 139:
„Vor Allen aber habe ich mich mit den gewöhnlichen Be¬
wegungen beschäftigt. Man erhält sie hauptsächlich auf Haut¬
reize der verschiedensten Art. Obgleich auf den ersten Blick
(?!) den willkürlichen ähnlich, entgeht es dem aufmerksamen
Beobachter nicht, dass sie von den Reizen selbst in allen ihren
Momenten sehr abhängig sind. Wirkt der Reiz vorübergehend,
so ist die Bewegung schnell beendigt; wirkt jener anhaltender,
so dauert sie bis zur Erschöpfung oder bis die Wirkung auf¬
gehört hat. Wirkt der Reiz plötzlich, so erscheint die Bewe¬
gung sehr hastig; bei langsamerer Wirkung jenes hat diese
denselben Charakter; ist er stark, so erscheint eine ausgedehnte
Bewegung, bei schwacher Reizung folgt eine beschränkte. Ganz
anders verhält sich ein unversehrter, ja selbst ein seiner Sinne
vollständig beraubter Frosch: hier folgen die Bewegungen nie
so unmittelbar auf die Reize, starke Reize bringen oft schwache,
schwache Reize ausgedehnte Bewegungen hervor, kurz man sieht,
dass der Bewegungsapparat hier dem Willen des Thieres, nach
der Decapitation aber der Einwirkung der Reize gehorcht, wäh¬
rend die Lebenseigenschaften der Muskeln selbst nicht wesent¬
lich beeinträchtigt wurden.
„Weiter fällt es auf, dass die Bewegungen nicht mehr so
mannigfaltig sind etc.“
Diese pfiffigen Bemerkungen sind bereits widerlegt und er¬
klären sich, um es nochmals zu wiederholen, Daraus, dass die
niedere sensorische Function des Rückenmarks eben sich als
wirklicher Mechanismus verräth.
Kürschner bemüht sich indessen noch weiter die Gesetz¬
mässigkeiten aufzufinden, indem er fortfährt a. a. O. p. 142:
„Ich theile hier nur mit, was mich Versuche über den Zu¬
sammenhang einzelner Bewegungen mit den gereizten Stellen
gelehrt haben. — Eine der gewöhnlichsten Erscheinungen, die
auch Volkmann und Valentin angegeben haben, ist es, dass
ein decapitirter Frosch, den man bei der Brust fasst, mit den
Hinterfüssen sich gegen die verletzende Hand gleichsam (?!)
stemmt, und fast noch constanter tritt das Thier mit beiden
Hinterfüssen nach Hinten aus, wenn man mit den Branchen
einer Pincette es am hintern Ende in der Mittellinie fasst. Die
Flanke der einen oder anderen Seite eines Frosches gedrückt,
veranlasst die Bewegung einer Extremität, wodurch die verletzte
Stelle mit dem Vorder- oder Hinterfusse gedeckt wird, je nach¬
dem dieselbe den vorderen oder hinteren Extremitäten näher
liegt. Liegt sie der Achselhöhle oder Inguinalgegend nahe, wird
sie vom Oberarme oder Oberschenkel bedeckt, während der
Unterarm oder Schenkel an den Oberarm oder Schenkel anliegt,
liegt sie entfernter, so deckt der Fuss der mehr oder weniger
gestreckten Extremität dieselbe. Wird die Haut des Unterleibes
an der einen oder andern Seite gedrückt: so bewegt sich die
entsprechende vordere Extremität nach der Stelle hin; liegt die
4
Reizungsstelle in der Mitte: so führen wohl beide Vorderextre¬
mitäten dieselbe Bewegung aus etc.“ Als Ergänzung füge ich
hinzu, dass, wenn man einem bösen Hunde das rechte Hinter¬
bein kneift, er den Kopf nach Rechts wendet und dem Knei¬
fenden in die Finger beisst, wie man sich durch das Experiment
überzeugen kann. Wenn man einen ungebildeten Menschen
reizt, so bemerkt man Innervationen des rechten Arms von
„eigentümlicher“ Art. Derartige gesetzmässige Bewegungen
lassen sich in Fülle beibringen.
Obgleich nun sowohl Reflexbewegung als willkürliche Be¬
wegung gleich gesetzmässig sind, die Gesetzmässigkeit an sich
also nicht das Kriterium Dessen bilden kann, was Reflexbewe¬
gung, was willkürliche Bewegung sei, sondern der bestimmte
Charakter der Gesetzmäßigkeit Beider, so sieht doch der unbe¬
fangene Menschenverstand leicht ein, dass ein Thier, welches
abwehrende Bewegungen gegen Schädlichkeiten macht, entwe¬
der das nächste und bequemste Mittel nimmt, was ihm zu Ge¬
bote steht oder das allein mögliche. Indessen sind es gerade
diese Bewegungen, aus welchen wir unsere schlagendsten Be¬
weise schöpfen werden, um einzusehen, wie weit die aller Klar¬
heit entbehrende, auf Theorien und nicht auf Thatsachen ge¬
stützte, traurige Scheinwissenschaftlichkeit zu Irrthümern und
Irrlehren führen kann.
Die Argumentatoren sagen aber, „dass nach dem gemein¬
samen Ausspruche von Volkmann, Grainger, Nasse, Va¬
lentin die Bewegungen in einem ziemlich bestimmten Verhält¬
nisse zur gereizten Hautstelle stehen.“ (Kürschner a. a. O.
p. 141.)
Das Wörtchen „ziemlich“ zeigt uns aber, wie Jene recht
wohl fühlten, dass es mit ihrer gerühmten Gesetzmässigkeit doch
eine ganz besondere Bewandniss habe.
Hinreichend ist ein Moment aus dem bereits Abgehandelten
interpretirt, auf welches besonderes Gewicht gelegt worden ist,
und welches ebenso unter dem Gesichtspunkte der Gesetz¬
mässigkeit abgehandelt werden kann.
Kürschner sagt nämlich a. a. O. p. 134:
„Ein weiteres charakteristisches Merkmal der Erscheinungen
an enthaupteten Amphibien, welches von keinem der Beobach¬
ter so hervorgehoben wurde, wie es hervorgehoben zu werden
verdient, ist es, dass die Bewegungen auf Reize con¬
stant erfolgen.“
Abgesehen von dem oben Erörterten ist es schon nicht un¬
wahrscheinlich, dass der mächtige Eingriff der Operation die
allgemeine Erregbarkeit in den Nervenfunctionen so sehr stei¬
gert, dass jede Empfindung eine Bewegung auslöst. Wir müssen
indessen behaupten, dass die Lehre in der apodiktischen Weise,
wie sie Kürschner aufstellt, nicht zulässig ist. Er giebt selbst
Bedingungen an, die beobachtet werden sollen, damit die Be¬
wegung constant eintrete. Wenn die Bewegung ausbleibt, sucht
er die Ursache in dem nicht adäquaten Reize. Woher weiss er
aber, dass er gerade Hierin und nicht in dem Willen des Thie¬
res gesucht werden muss? —
Nasse erwidert gegen die Behauptung:
„Die Unfähigkeit, den Eindrücken Widerstand zu leisten,
die Leichtigkeit, affizirt zu werden, kurz die Reizempfänglichkeit
wird in den Theilen, die dem Einflusse des Gehirns entzogen
sind, eine Zeit lang erhöht, und diese Erhöhung hat dann An¬
theil an den Erscheinungen, denen man den Namen der reflec¬
tirten gegeben hat.“ (A. a. O. p. 261.) — — —
„Hiermit vereinigt sich denn zu gleichem Beweise das Er¬
gebniss meiner Versuche, denen zu Folge der Theil, dem der
Gehirneinfluss entzogen worden, bei einer geringeren Metall¬
differenz Zuckungen giebt, als der noch unter jenem Einfluss
stehende.
„Durch diese erhöhte Reizempfänglichkeit werden nun an
den geköpften Thieren objectiv geringe Einwirkungen beträchtlich
aufregend.“ (A. a. O. p. 262.)
Wenn es also wahr wäre, dass ein Thier, das unverletzt
ist, nicht so leicht auf äussere Reize reagirt als ein solches,
dem das Gehirn genommen ist, so bewiese Das höchstens, dass
4 *
der sensorische Prozess in dem Hirne so modifizirt werden
könne, um weniger leicht motorische Actionen auslösen zu
lassen.
Das letzte Moment, welches von dem Standpunkte III. gel¬
tend gemacht worden ist, wird von Kürschner in folgenden
Worten entwickelt a. a. O. p. 149 und 150:
„Beim decapitirten Rumpfe wird jede Bewegung nur halb
vollendet, das Thier behält die Stellung, die Extremität die Lage,
welche durch die Muskelthätigkeit hervorgerufen wurde, bis ein
neuer Reiz Veranlassung zur Aenderung wird. Die Muskular¬
action zeigt viel Aehnlichkeit mit der Art und Weise, wie sie
beim Menschen nach der Einwirkung mancher Affekte erfolgt.
Alles, was Erstaunen, Schreck, Bestürzung erregt, bringt Bewe¬
gungen hervor, die gleichsam zu bleibenden werden. So wer¬
den bei Fröschen die Extremitäten, wenn sie ja einmal ausge¬
streckt werden, nicht wieder angezogen, es sei denn ganz im
Beginne der Versuche; wenn sie bis unter den Leib angezogen
waren, nicht wieder hervorgestreckt; jede Lage erlangt eine
gewisse Stabilität und wird zur dauernden.“
Ich kann nicht läugnen, dass Kürschner's Beobachtung
wahr ist. Beim Erdsalamander sieht man diese sonderbaren
Erscheinungen am Schönsten. Wenn man das geköpfte Thier
irgendwo leise kitzelt, so bewegt es den Fuss leise nach der
Stelle. Häufig aber wird die Bewegung nicht bis zu ihrem Ziele
geführt, sondern der Fuss bleibt in der halbvollführten Bewe¬
gung ruhen, oder wenn die Bewegung ganz bis zur gereizten
Stelle ausgeführt wurde, liegt derselbe nun auf dieser und sinkt
allmählig den Gesetzen der Schwere überlassen langsam herunter.
Cuvier, ganz anderer Ansicht als die bisher genannten
Argumentatoren, sagt aber: „Die Bewegungen werden nur halb
vollführt, weil der Eindruck, der sie erzeugt hat, keine Erinne¬
rung und keinen dauernden Willen zurücklässt („parceque l'im¬
pression, qui les a causés, ne laisse ni souvenir ni volonté du¬
rable“). Die einfache sensorische Mechanik des Rückenmarks
ist schnell und einfach abgelaufen und kehrt zur Ruhe zurück,
wenn die Ursache, welche die Bewegung veranlasste, zu wir¬
ken aufgehört hat.
Zur weiteren und noch klareren Einsicht in diese Vorgänge
mache ich aufmerksam zunächst auf die Bewegungen Schlafen¬
der, welche ganz dasselbe Phänomen bieten. Im Laufe der Un¬
tersuchungen werde ich aber beweisen, dass diese Bewegungen
nicht reflectorische, sondern willkürliche sind. Sodann mache
ich auf eine pathologische Beobachtung aufmerksam, welche den
Argumentatoren nicht hätte entgehen sollen und vielleicht nur
deshalb von ihnen bei Seite gelegt ist, weil sie ihnen ein unan¬
genehmer Stein des Anstosses war. Es ist bekannt, dass Kranke
in gefährlichen Stadien der febris nervosa, aufgefordert, die Zunge
herausstrecken, aber „vergessen“, wie man ganz richtig be¬
merkt hat, dieselbe wieder zurück zu ziehen. Demungeachtet
hat der Kranke Bewusstsein; denn er hört die Aufforderung
des Arztes, versteht sie und führt die verlangte Bewegung aus.
Aber sobald die Ursache der Bewegung aufgehört hat, hört auch
die Bewegung auf. Die Zunge bleibt aus dem Munde ausge¬
streckt liegen. Trotz Alle Dem war aber Bewusstsein und
willkürliche Bewegung vorhanden!
IV. In einer Reihe anderer Experimente hat man Darauf
aufmerksam gemacht, dass das Verhalten enthaupteter Thiere
in Bezug auf bestimmte äussere Verhältnisse von der Art sei,
wie es von empfindenden Thieren nicht erwartet werden könne.
Marshall Hall erzählt a. a. O. p. 10:
„In einem Falle verhinderte oft wiederholtes Stechen und
das Brennen mit einem Lichte, den Rumpf, der noch Bewe¬
gungsfähigkeit besass, nicht, in einen Zustand völliger und
dauernder Ruhe zu versinken.“
Solche Notizen kann nur Marshall Hall bringen. Denn be¬
reits Volkmann hat Darauf die richtige Bemerkung gemacht,
dass das Factum doch nichts weiter beweise, als dass das Prä¬
parat für den Augenblick erschöpft war, da ja selbst auch nicht
einmal Reflexbewegung eintrat, während sonst oft wiederholtes
Stechen und Brennen immer Bewegung erzeugt. (Muller's
Archiv v. 1838.) Dasselbe sagt Nasse (a. a. O. p. 269.)
Eine andere Trivialität giebt uns der englische praktische
Arzt in Folgendem a. a. O. p. 63 u. 64:
„Ich entfernte den Kopf einer Schlange. Angeregt bewegte
sie sich lange Zeit fort, weil jede Bewegung neue Theile in Be¬
rührung mit dem Tische brachte. Ich wurde hinweggerufen (!!).
Zurückgekehrt fand ich sie mit einem Drittheil ihres Körpers über
einer scharfen Kante des Tisches hängen. Eine qualvollere Lage
kann man sich kaum denken, wenn wir bei dem Thiere wirk¬
lich Gefühl vermuthen. Es ist daher sicher (!!!??), dass die
Empfindung verloschen war.“
Hiergegen ist zunächst zu bemerken, dass derartige halbe
Beobachtungen nicht geboten werden sollen. M. Hall hätte
bedenken sollen, dass ein Thier, wenn es auch die Fähigkeit.
Locomotionsbewegungen auszuführen, nicht mehr besitzt, doch
noch empfinden kann. Er hat ja nicht gesehen, wie das Thier
vielleicht längere Zeit gegen die Kante umsonst reagirte und
endlich erschöpft dem Unvermeidlichen nachgab, nachdem sich
die Theile gegen den Reiz abgestumpft hatten. Der ergötzliche
Argumentator fährt weiter fort a. a. O.:
„Ich nahm zwei Aale und schnitt denselben die Köpfe ab;
darauf legte ich sie auf einen Tisch mit Wasser befeuchtet. Einer
derselben war (!) mit vielen langen Nadeln durchstochen. Beide
waren gleich bewegungslos, wenn sie nicht berührt wurden,
aber beide waren gleich erregbar bei der geringsten Reizung.
Wäre die geringste Empfindung vorhanden gewesen, der Aal,
in welchem die Nadeln eingesenkt waren, hätte sich unaufhör¬
lich winden müssen.
„Ich schnitt einem Frosche den Kopf ab und hing das Thier
mittelst eines Bandes, welches fest um die Füsse gelegt war,
auf. Er blieb regungslos. Ich reizte die Haut an verschiedenen
Theilen, immer zeigten sich starke Muskelcontractionen und
dann sank er wieder in die hängende Lage zurück. Der Erfolg
war ganz Dem ähnlich, welchen man bei einem anderen deca¬
pitirten Frosche bemerkte bei Reizung des Rückenmarkes oder
eines Muskelnerven. Wäre Gefühl oder Empfindlichkeit vorhan¬
den gewesen, so hätten wiederholte oder ununterbrochene und
spontane Bewegungen eintreten müssen. Allein nur einzelne
Bewegungen oder nur eine einmalige Bewegung, und nur auf
Anwendung eines Reizes, war zu sehen“.
Was zunächst die Nothwendigkeit fortwährender, ununter¬
brochener Bewegungen unter den gegebenen Verhältnissen an¬
betrifft, so wäre Dazu eine nie zu erschöpfende Nerven- und
Muskelkraft nöthig, die nicht einmal unversehrte, geschweige
denn geköpfte Thiere haben. Sodann muss aber hervorgehoben
werden, dass Hall die Versuche auf den Effect berechnet und
Hierzu zweckmässig erzählt hat. Es wird dem Leser nicht ent¬
gangen sein, dass er Darüber schweigt, was der Aal vornahm,
als er durchspiesst wurde, und uns überhaupt nur der Zustand
seiner Ruhe geschildert wird. Was den aufgehängten Frosch
betrifft, so sagt er, dass er ruhig geblieben. Wer aber je nur
ein wenig an geköpften Fröschen experimentirt hat, wird wohl
wissen, dass sie ganz ausserordentliche Bewegungen machen,
wenn man ihnen etwas um die Füsse bindet. Mit einmal Worte:
entweder bewegten sich die Thiere, als er die Operation mit
ihnen vornahm und er schweigt Darüber, da er sich besonders
Darauf steift, dass die Bewegung nicht unaufhörlich gewesen,
oder er bekam keine Bewegung und hat alsdann die Experi¬
mente sofort nach dem Köpfen in der Erschöpfungsperiode vor¬
genommen. Darüber geht er nun aus guten Gründen hinweg.
Die Wahrheit ist aber folgende: Wenn man ein enthauptetes
Thier, nachdem sich die durch die Enthauptung erzeugte Er¬
schöpfung verloren hat, auf die von Hall angegebene Weise
behandelt, so reagirt es längere Zeit intensiv gegen die Schäd¬
lichkeit, bis es erschöpft dem Unvermeidlichen sich fügt.
Erhält man nun von anderen Stellen noch Bewegung, so
kann Das ganz gut Daraus erklärt werden, dass die Reiz¬
barkeit der fortwährend irritirt gewesenen Nerven erschöpft
und ein hinlänglicher Ersatz nicht bei dem verletzten Thiere
möglich ist.
V. Noch bliebe uns der letzte Standpunkt übrig, welcher
benutzt wurde, um aus pathologischen Thatsachen die Exclusi¬
vetät des Gehirns als Organ des Bewusstseins zu beweisen.
Volkmann, welcher im Jahre 1838 im Müller'schen
Archive ganz richtige Ansichten entwickelte, ist nach einigen
Jahren bemüht, das Gegentheil von dem dort Gegebenen zu
beweisen! Umsonst sieht man sich nach neuen Thatsachen um,
welche ihn zu dieser Meinungsänderung bewogen haben könn¬
ten. Dort sagte er: Die willkürlichen Bewegungen haben etwas
ganz Eigenthümliches und manche Bewegungen Enthaupteter
scheinen mir diese Eigenthümlichkeit an sich zu tragen. Wir
sehen, noch war die Reflexlehre neu, noch war das Vorurtheil
dem unbefangenen Verstande nicht so zugänglich. Im Wag¬
ner'schen Handwörterbuche sagt er aber einige Jahre später:
„Das Gehirn scheint in den höheren Thierklassen wenig¬
stens das ausschliessliche Organ aller bewussten Lebensthätig¬
keit zu sein. Für diese Ansicht sprechen zunächst die Erfah¬
rungen der practischen Heilkunde. Die Entzündungen, Apo¬
plexien, Erschütterungen, Wunden und viele andere krankhafte
Zustände des Gehirns geben dem practischen Arzte fast täglich
Gelegenheit zu bemerken, dass Gehirn und Seele sich wie Organ
und Lebensverrichtung verhalten. Ein mässiger Andrang von
Blut zum Gehirn regt die Sinnesthätigkeit und Phantasie auf,
ein übermässiger unterdrückt sie; ein Druck auf das Gehirn
vernichtet plötzlich das Bewusstsein, und Beseitigung des
Druckes stellt es oft eben so plötzlich wieder her. Kein an¬
deres Organ, das Rückenmark nicht ausgenommen, steht in
gleichem oder auch nur ähnlichem Wechselbezuge zur Seele,
vielmehr kann jedes bald plötzlich, bald allmählig in Wegfall
kommen, ohne die Seelenfunctionen unmittelbar zu beeinträch¬
tigen.“ (A. a. 0. Artikel: Gehirn. p. 572.)
Zunächst ist gegen diese Argumentation, welche, nach
Volkmann's eigener Angabe, einen Beweis vorstellen soll, die
Frage zu richten: Ist es wirklich erwiesen, dass in dem Falle,
wenn die besagten Momente deleter auf das Hirn wirken, das
Bewusstsein radical verschwunden ist? — Es ist aber gewiss,
dass ein Wirbelthier, dessen Hirn ausser Function getreten ist,
der Erkenntniss der noch vorhandenen oder nicht vorhandenen
sensorischen Thätigkeit absolut dieselben Schwierigkeiten in den
Weg legt, wie die Enthaupteten. Hierzu kommt noch, dass vom
Rückenmarke keine sensorischen Zustände fixirt, d. h. keine
Erinnerungen zurückgehalten werden, sodass in dem Augen¬
blicke, wo das Hirnbewusstsein wieder mit in's Leben tritt,
vom Rückenmarksbewusstsein keine früher hierin gewesenen Ge¬
danken ihm mitgetheilt werden können. Gesetzt nun aber auch
es sei in der That alles Bewusstsein erloschen, was gar nicht
erwiesen ist, so möchten wir dann doch zunächst fragen: Ist
es denn nun auch gewiss, dass nur das Gehirn aus seiner
sensorischen Function getreten und das Rückenmark für seine
sensorische Function nicht mitleide? Wissen wir denn, dass
dieses letztere nicht sympathisire, wenn der grosse Centralheerd
so mächtig ergriffen ist? — Hiermit eben erkennen wir, dass
mit der obigen Deduction gar Nichts gesagt und Nichts bewie¬
sen ist. Wenn bei Entzündungen der Hemisphären Convulsio¬
nen eintreten, so leiten wir sie auch nicht direct von den
Hirntheilen ab, sondern von einem Gegendrucke auf das Rük¬
kenmark oder von Sympathie. Es ist deshalb als unerlässliche
Bedingung wohl zu scheiden: das propter hoc vom post hoc.
Das aber ist in dem Volkmann'schen Argument, wie wir
sehen, nicht geschehen.
Wir wenden uns nunmehr zu einem, dem so eben be¬
sprochenen Einwande ähnlichen, welchen sich selber bereits
Legallois gemacht und als unlösbar angesehen hat. Er ent¬
wickelt ihn a. a. O. Oeuvres p. 21:
„Jene innigen Beziehungen zwischen dem Hirn und Rük¬
kenmarke helfen einzelne Thatsachen zu erklären, welche für
den ersten Augenblick sehr schwer mit meinen Erfahrungen
vereinbar erscheinen. Dieses ist die Lähmung einer ganzen
Körperseite, hervorgebracht durch Ursachen, die nur das Hirn
afficirt haben. Aber wenn es selbst kein Mittel gäbe, sie zu
versöhnen, bliebe es doch nicht weniger wahr, dass eine das
Gehirn allein afficirende Affection das Gefühl und die willkür¬
liche Bewegung der Hälfte des Körpers nehmen kann, während,
von der anderen Seite betrachtet, das Gefühl und die willkür¬
liche Bewegung in einem enthaupteten Thiere bestehen und
auch erhalten werden können. So sehr sich diese Momente
widersprechen mögen, so muss man bedenken, dass zwei wohl
constatirte Facten sich einander nicht auszuschliessen vermögen,
und dass der Widerspruch, den man in ihnen zu bemerken
glaubt, durch ein Mittelglied verbunden ist, welches sich der
Erkenntniss entzieht“.
Nasse wendet hiergegen ein: „Dass es zur Lösung dieses
Widerspruches nur der Entscheidung bedurfte, dass die Em¬
pfindung und die willkürliche Bewegung, welche vom Gehirn
aus verloren gehen, und die, welche durch das Rückenmark
erhalten werden, nicht von gleicher Art seien. Die an die Ge¬
hirnthätigkeit geknüpfte Empfindung ist die der zum Kopf ge¬
henden Sinnesorgane, welche durch Vergleichung der Eindrücke
zum Bewusstwerden der Aussenwelt erhoben werden kann. Es
besteht ferner die willkürliche Anregung, welche das Gehirn
giebt, in der des Gebrauchs der Gliedmassen zum Forttragen
des Körpers nach einem durch das Gesicht wahrgenommenen
Ziele hin und beim Menschen auch in dem der Sprachorgane.
Die mittels des Rückenmarkes noch bleibende Empfindung ist
dagegen blos das in einer Art von Schlafzustand dauernde
Gefühl; die Bewegung, welche die psychische Function des Rük¬
kenmarkes noch hervorzurufen im Stande ist, hat keine Veran¬
lassung weiter zu gehen, als wohin ein solches Gefühl sie zu
leiten vermag. Der Grund von Empfindung und Herrschaft
über willkürliche Bewegungen, der dem Rückenmark bei noch
unverletztem Gehirn angehört, bleibt ihm aber auch dann, wenn
dieses verletzt oder selbst durchaus erkrankt ist. Schwindet
nun dergestalt die Schwierigkeit der Erklärung, die der fran¬
zösische Physiologe hier sah, so kann dieselbe auch nicht mehr
zu dem Argumente dienen, wozu Marshall Hall (Mémoirs p. 29),
sowie Grainger (a. a. O. p. 15. Anm.), welcher Letztere diese
Schwierigkeit für eine Unmöglichkeit ausgiebt, dieselbe haben
brauchen wollen“. (Nasse a. a. O. p. 286.)
Der Wahrheit gemäss müssen wir gestehen, dass uns
Nasse's Erklärung in keiner Weise befriedigt.
Wenn wir bei Enthaupteten sehen, dass die auf einen Fuss
des Frosches gebrachte corrodirende Säure mit dem anderen
abgewischt wird, so erhellt Daraus, dass beide Rückenmarks¬
hälften in einer innigen Beziehung zu einander stehen. Die
andere Rückenmarkshälfte, in Beziehung stehend zur gesunden
Hemisphäre, bringt aber dennoch die aufgenommene Empfindung
nicht beim Hemiplektischen herauf. Wenn das Rückenmark
empfindet, wenn das Rückenmark in inniger Verbindung mit
dem Hirne steht, warum kommt dennoch die Erregung der
Empfindungsnerven nicht zum Bewusstsein? Nasse's Erklärung
beweist und erklärt uns die Sache nicht. Auch er liegt in der
Falle gefangen, die diese Frage verdeckt.
Wir werden nunmehr die Frage erst selbst zergliedern,
und sofort die Lösung in der Hand haben. Ich werde die Frage
formuliren und den Fallstrick jener zeigen. Sie heisst: Wenn
ein deleteres Moment gegen den edelsten Theil des Cerebro¬
spinalmarkes, eine Hemisphäre, gestossen ist, wie kommt es,
dass Mobilität und Sensibilität in der entgegengesetzten Kör¬
perseite verloren gehen?
Zunächst wissen wir mit Bestimmtheit, dass eine Hemisphäre
mit der entgegengesetzten Rückenmarkshälfte in innigen Lei¬
tungsverhältnissen steht. Wenn man nun fragt, wie es komme,
dass eine Erregung sensitiver Nerven nicht mehr vom Rücken¬
marke wahrgenommen werde, sobald jenes schädliche Moment
gegen die Hemisphäre gestossen ist, so nimmt man offenbar
stillschweigend an, dass die Rückenmarkshälfte, welche mit der
entgegengesetzten Hirnhälfte in so inniger Beziehung steht,
gesund! sei, d. h. nicht sympathisire mit dieser. Woher wissen
denn die Autoren, dass durch eine so mächtige Schädlichkeit,
die sofort das Hirnbewusstsein aufhebt, nicht diejenige Rücken¬
markshälfte, welche mit dem vorzüglich leidenden Hirntheile in
besonderer Leitungsbeziehung steht, in Mitleidenschaft gezogen
sei und ebenfalls der sensorischen Function verlustig, also un¬
fähig, Empfindungen zu percipiren?! — — Wird der edlere und
grössere Centralheerd, das Gehirn, nicht leichter das Rücken¬
mark in Mitleidenschaft ziehen, als dieses jenes ? — Wird aber
endlich nicht auch vom Rückenmarke aus das Gehirn selbst in
mannigfacher Beziehung in Mitleidenschaft gezogen? — Sehen
wir nicht in der sogenannten tabes dorsalis Amaurose entste¬
hen? — Stören nicht die von Wurmreiz aus dem Rückenmark
entstehenden Reflexkrämpfe die Hirnfunction, d. h. heben das
Bewusstsein vollständig auf, sodass Epilepsie entsteht? — Hat
uns nicht John Cooke in dem Medical and Surgical Journal
von Edinburgh. Vol. XVI. p. 201 einen Fall mitgetheilt, wo ein
in einem Zweige des Nervus ischiadicus haftender Tumor Epi¬
lepsie erzeugte? — Hat nicht Home einen Fall erzählt, in wel¬
chem ein Schuss durch das Rückenmark sofortigen Verlust des
Bewusstseins zur Folge hatte? (Meckel's deutsches Archiv.
Bd. III. p. 118.) — Beobachten wir endlich in Rückenmarks¬
rupturen nicht auch Verlust des Bewusstseins? — Tritt zum
Tetanus nicht auch zuweilen Delirium? — Verlieren die das
Rückenmark überreizenden Onanisten nicht die Schärfe des
Verstandes, das Gedächtniss und werden sogar blödsinnig? —
Was bedarf es noch weiterer Argumente, um zu zeigen, dass
die Störungen, welche nach der Verletzung eines Organs ein¬
treten, nicht immer in diesem Organe ihren nächsten Grund
haben, sondern nur die weiter verbreiteten Folgen sind, die
sich der Beobachtung darstellen? — Man wird sich wohl nicht
verstehen, die Innervationsstätte des Herzens in den Schenkeln
zu suchen, weil die Zerschmetterung der Schenkel des Frosches
sofort das Herz stille stehen macht. —
Da es Deshalb nicht erwiesen ist, dass eine Rückenmarks¬
hälfte nicht sympathisire, so verliert der oben gegebene Ein¬
wand alles Gewicht, indem noch bemerkt werden muss, dass
keine sichere Beobachtungen vorliegen, dass bei Hemiplektischen
von anästhesirten Stellen aus Reflexbewegung veranlasst wer¬
den kann. —
Doch blieben uns noch einige Bemerkungen über die Be¬
wegungen der Acephalen übrig.
Marshall Hall hält auch diese Bewegungen für unwillkür¬
liche, d. h. für reflectorisch erregte, weil das Schreien der
hirnlosen Kinder dem Crouptone gleiche (a. a. O. p. 20).
Nasse (a. a. O. p. 281) bemerkt in Betreff der Aehnlich¬
keit des Schreiens solcher Kinder mit dem Croupton, dass kein
Beobachter Derartiges berichte, und überdies Damit nicht dar¬
gethan wäre, was dargethan werden soll.
Grainger (a. a. O. p. 76 u. 77) bringt das belustigende
Argument, dass hirnlose Kinder zwar schrieen, aber keine Thrä¬
nen vergössen, was auf die reflectorische Natur des Schreiens
deute.
Nasse bemerkt hierauf, dass das Schreien der Thiere auch
nicht mit Thränen verknüpft sei, ohne deshalb excito-motorischer
Natur zu sein.
Ich erwähne noch, dass Blödsinnigen meistens ebenfalls die
Thränen versagt sind, indem sie bei Züchtigungen nur ein thie¬
risches Geschrei ausstossen, während sich bei Rückkehr der
sensorischen Gesundheit empfundene Schmerzen auch wieder
durch Thränen offenbaren. — —
Hiermit verlassen wir dieses Capitel, in der Ueberzeugung,
dass kein Moment vorhanden ist, welches die Physiologen be¬
rechtigen konnte, die Bewegungen Enthaupteter in der apodik¬
tischen Weise für reflectorische zu erklären, wie es noch heute
aller Orten geschieht.
Capitel IV.
Die Lehre von den Leitungsgesetzen der Reflexionen.
A. Allgemeine Untersuchungen.
Wie wir Oben im ersten Capitel gesehen haben, ist es
bereits längst bekannt, dass die cerebro-spinalen Nerven wäh¬
rend ihres peripherischen Verlaufes im Neurolemma, d. h. von
ihrem Ursprunge am Centralorgane bis zur peripherischen Aus¬
breitung in keinerlei Gemeinschaft zu einander stehen, und
dass die Einwirkung einer Faser auf die andere nur im Cen¬
tralorgane: dem Cerebrospinalmarke statt hat. Die Erregung
eines peripherischen Nerven durch einen anderen in seiner
Function angeregten peripherischen Nerven unter Vermittelung
des Centralorganes begriff man in früheren Zeiten unter dem
Namen des Nervenconsensus oder der Nervensympathieen.
Mit dem Fortschreiten der Wissenschaft ist aber jener Col¬
lectivbegriff der Nervensympathieen in besondere Classen zer¬
fallen, deren ich nur zwei annehme. Die erste Classe begreift
die sogenannten Reflexe, die zweite die sogenannten Irra¬
diationen.
1. Reflex oder Reflexion nennt man aber denjenigen Me¬
chanismus in der Nervenphysik, vermöge dessen die durch
irgend welche Ursache erregte peripherische Empfindungsfaser
unter Vermittelung des Cerebrospinalmarkes den gewöhnlichen
Erregungszustand bestimmter Motorennerven ändert. Die be¬
stimmte Veränderung des Empfindungsnerven bedingt eine Ver¬
änderung im Centralorgane, welche wiederum Ursache von
Veränderungen des Motors wird.
Insofern nun die in dem Motor durch den gegebenen Pro¬
cess bedingte Veränderung von der Art ist, dass der Muskel
zur Verkürzung bestimmt wird, lernen wir den Reflexkrampf,
den eigentlichen, κατ᾽ ἐξοχὴν sogenannten Reflex kennen. —
Insofern aber die Veränderung des Motors von der Art ist,
dass der Muskel relaxirt wird, ist uns die Reflexlähmung ge¬
geben. Insofern wir uns nun diesen letzteren Zustand basirt
denken auf ein Abhängigkeitsverhältniss bestimmter Motoren
von bestimmten sensitiven Nerven, begreifen wir diesen Zustand
unter dem Namen der Synergie. Hiermit ist die eine Classe
des Nervenconsensus definirt, welche die Einwirkung von Em¬
pfindungsnerven auf Muskelbewegungsnerven begreift.
2. Die zweite Classe umfasst die Irradiationen oder auch
die Mitempfindungen, d. h. die scheinbare Einwirkung von
Empfindungsfasern auf Fasern derselben Art. Wahrscheinlich
kommen hier auch die eigentlichen Irradiationen und Irradia¬
tionslähmungen vor, wie in der ersten Classe.
Indem im Laufe dieses Capitels vorzugsweise die erste
Classe der Nervensympathien durchforscht werden soll, möge
eine kurze Auseinandersetzung mit den Irradiationen hier ge¬
stattet sein, weil sie denselben Leitungsgesetzen, wie die
eigentlichen Reflexe, unterworfen zu sein scheinen.
Da nun die Function der Empfindungsnerven in physiolo¬
gischer Beziehung eine centripetale sein muss, so drängt sich
zunächst die Frage auf, ob in Nerven mit nur centripetalen
Functionen ein Reflex denkbar ist, wenn man hier diesen Aus¬
druck im uneigentlichen Sinne verstatten will. Man hat zwei
Erklärungen für das Phänomen gegeben.
Die erste Erklärung basirt auf eine hypothetische Eigen¬
schaft der den hinteren Rückenmarkswurzeln anliegenden
Ganglien, welche sich Reil (Archiv für Physiologie. Bd. VII.)
als Halbleiter vorstellt. Mässige Erregungen sollen die Ganglien
in sich aufhalten, stärkere aber zum Gehirne fortpflanzen. In¬
dem man nun annimmt, dass die centripetalen Nerven, welche
ohne Neurolemma durch das Ganglion hindurchstreichen, bei
mässiger Erregung nicht auf einander einzuwirken vermögen,
bei stärkerer aber die Hemmnisse der Leitung in der Ganglien¬
masse überwältigen und auf die nahen anderen Empfindungs¬
fasern influenziren, entstehen für das Sensorium excentrische
Erscheinungen. — Johannes Müller hat gegen diese Erklärung
nur eingewandt, dass sie nicht ausreiche, indem auch Empfin¬
dungsnerven ohne Ganglien, wie die Markhaut des Sehnerven,
der Irradiationen fähig seien. Sehen in die Sonne erzeugt be¬
kanntlich Kriebeln in der Nase als Irradiation auf den Quintus.
Man kann die Hypothese indessen durch folgende Argumente
als entschieden unzulässig und irrig zurückweisen. Zunächst
lehrt uns die Erfahrung, dass Irradiationen in Fasern auftreten,
welche keineswegs mit der gereizten centripetalen Faser durch
ein Ganglion streichen. Dieffenbach (Operative Chirurgie.
Bd. I. p. 852) erzählt einen Fall, in welchem sich nach einem
Aderlasse am Arme Mitempfindungen im Gebiete des Plexus
brachialis, cervicalis und dann abwärts bis zu dem Plexus lum¬
balis und ischiadicus derselben Seite einstellten. Einen Fall
derselben Art hat Romberg mitgetheilt. (Romberg, Nerven¬
krankheiten. Sensibilitäts-Neurosen. p. 23.)
Will man dem eingewandten Factum Dadurch entgehen,
dass man sich die einzelnen Ganglien durch Anastomosen ver¬
bunden denkt, welche die Erregungen zu den anderen sensiti¬
ven Nerven weiter leiten, so erklärt man sich gegen einen
Fundamentalsatz der Physiologie, der bis heute gilt und durch
die Experimente vieler Physiologen einstimmig als Wahrheit
angenommen ist. Wer nämlich jenen Einwand macht, giebt zu,
dass nach Trennung des Rückenmarkes ohne Verletzung der
hinteren Wurzeln mit ihren Ganglien durch Reizung des hinte¬
ren Körpertheiles der vordere ebenfalls erregt werden könne,
weil sich Irradiationen durch die Ganglienanastomosen weiter
fortpflanzten.
Was aber noch augenscheinlicher vielleicht die Hypothese
widerlegt, ist der Umstand, dass Irradiationen in weit entfern¬
ten Nerven auftreten, die keineswegs mit den gereizten durch
ein Ganglion streichen, während gerade in diesen dasselbe
zugleich, mitdurchsetzenden Empfindungsfasern keine Irradia¬
tionen erscheinen. Wir sehen den Wurmreiz im Darmkanal
Irradiationen im Gebiete des fernen Quintus erzeugen. Es ent¬
steht ein Kitzeln und Kriebeln in der Nase, das sogar Niesen
veranlassen kann.
Hieraus folgt unzweideutig die Haltlosigkeit der ersten
Hypothese. Der aufgestellten Hypothese ähnlich ist die von
Kölliker (Mikroskopische Anatomie. I. p. 443) gegebene, wo¬
nach die Fasern, während sie die graue Substanz des Rücken¬
markes durchsetzen, auf einander einwirken sollen. Ich mag
dieser Hypothese deshalb nicht beipflichten, weil sie die Fol¬
gerung aus der gewagten Annahme ist, dass Nervenstructuren
dann noch auf einander einwirken könnten, wenn die verschie¬
denen Structuren in keiner speciellen Structurverbindung zu
einander stehen. Zudem aber wird die Kölliker'sche Erklä¬
rung durch meine Untersuchungen ebenso überflüssig als über¬
haupt die ganze Lehre von der „Querleitung“ und dem excito¬
motorischen Processe.
Die zweite Erklärungsweise betrachtet den Process der
Irradiationen als ein Analogon des eigentlich sogenannten Re¬
flexes von Empfindungs- auf Bewegungsnerven. Sie nimmt
deshalb an, dass die Erregung einer Empfindungsfaser zuerst
das Centralorgan errege, um von hier einen centrifugalen Strom
in anderen Empfindungsfasern zu erregen, der dann, wieder
rückwärts fliessend, das Sensorium afficire. Nach dieser Er¬
klärung wird in dem centripetalthätigen Empfindungsnerven die
Möglichkeit centrifugaler Ströme vorausgesetzt. Es scheint Die¬
ses Vielen widersprüchlich mit der eigentlichen Function des
Nerven. Johannes Müller sucht den Widerspruch durch eine
neue Erklärung zu heben.
Er statuirt nur die Einwirkung einer centripetalen Faser
auf das centrale Ende einer anderen Faser derselben Art. Diese
Erklärung giebt uns aber denselben Widerspruch nur unter
plausiblerer Form. Wenn man einmal eine centrifugale Thätigkeit
der Empfindungsnerven in dieser Weise umgehen will, so kann
man sich jenes Nervenende nicht als mathematischen Punkt,
sondern als das letzte kleine Nervenstück vorstellen, welches
5
in die sensorische Masse einmündet. Wenn aber die Verhält¬
nisse und Lage der in dem Ende des Nervenrohrs vorhandenen
Markmolekeln sich ändern sollen, weil sie das Sensorium anders
afficiren müssen, als früher, so ist es klar, dass die gegen das
Primitivrohr wirkende Ursache zunächst die vorderen Molekeln
in ihren Beziehungen ändert, sodass aus dieser Aenderung eine
solche der etwas entfernteren mit Nothwendigkeit resultirt. Erst
wenn die Verhältnisse der Markmolekeln im Rohrende andere
geworden sind, können sie anders auf das Sensorium wirken.
Jene nothwendige Aenderung der Verhältnisse war aber eine
Bewegung, welche vom Centrum in das Rohr hereinging, und
wäre die Linie der Bewegung auch noch so klein, so resultirte
dennoch Hieraus eine centrifugale Thätigkeit im Empfindungs¬
nerven.
Man könnte, wenn man nun einmal eine centrifugale Thä¬
tigkeit der sensitiven Nerven umgehen will, zu folgender Er¬
klärung greifen. Da das Primitivrohr einen gewissen Durchmesser
hat, so können die vielen, im Centralorgane endenden Nerven
nicht in einem Punkte in empfindende Substanz übergehen,
sondern, wie es sich von selbst versteht, müssen ihre Enden
neben einander liegen. Wenn Dies aber wahr ist, so folgt
Daraus, dass bestimmte Molekeln der empfindenden centralen
Marksubstanz nur stets von bestimmten centripetalen Nerven
erschüttert werden. Wenn aber diese bestimmten Molekeln
einmal durch die heftige Erregung sensitiver Fasern mächtiger
erschüttert werden, sodass auch andere centrale empfindende
Substanz hiervon erschüttert wird, so wird das Sensorium
glauben, dass diese Erschütterung von dem Orte komme, von
welchem sie stets zu kommen pflegt, also von derjenigen Em¬
pfindungsfaser, welche in die secundär erschütterten, empfin¬
denden, centralen Markmolekeln mündet. Wir sehen, dass die
Mitempfindungen alsdann eintreten könnten, wenn auch die
Empfindungsnerven selbst mit dem centralen Ende vollständig
entfernt wären. Hiermit soll ausdrücklich Nichts als eine hy¬
pothetische Erklärung gegeben sein.
Indem wir uns also bescheiden müssen, zu gestehen, dass
wir gar Nichts wissen über die Art und Weise, wie die Mit¬
empfindungen entstehen, sind wir auf der anderen Seite doch
nicht verhindert, die Gesetze, in denen sich ihre Erscheinung
darstellt, zu studiren Da es nicht Aufgabe dieser Arbeit ist,
sie gründlich zu durchforschen, sondern nur beiläufig die Ueber¬
einstimmung der Gesetze ihrer Leitung mit denen der Reflexe
zu bemerken, so verweise ich auf diese und die pathologischen
Fälle.
B. Die Reflexgesetze.
Das Studium der Reflexgesetze erscheint werthvoll an sich,
kaum erlässlich zur Erforschung der sensorischen Function des
Rückenmarkes. Klar musste es bald sein, dass an Enthaupte¬
ten keine Reflexstudien gemacht werden können, weil die Be¬
hauptung, dass diese Bewegungen sogenannt rein mechanische
seien, wie wir sahen, eine leere Theorie ist. Darum auch hat
man bis jetzt Nichts erfahren können über diese Gesetze, weil
man sie da suchte, wo sie nicht zu finden sind, d. h. wo will¬
kürliche Bewegung, aber kein Reflex ist. Narkotische Vergif¬
tungen sind auch nicht das geeignete Mittel. Denn narkotisirt
man stark, so erzeugt ein Reiz allgemeine Zuckung; narkotisirt
man schwach, so antwortet der gereizte Empfindungsnerv theils
mit Zuckung, theils aber auch mit willkürlicher Bewegung, die
sich beim Experimente eben gar nicht so leicht unterschei¬
den lassen. Dennoch aber war es unerlässlich, einen Weg zu
finden, vermöge dessen ausgemittelt werden konnte, welche
bestimmte Bewegungsnerven von bestimmten Empfindungsnerven
beim Reflexe erregt würden.
Demzufolge erkannte ich, dass es bis jetzt nur einen Weg
gebe, die Gesetze der Leitung für die Reflexionen zu studiren.
Dieser Weg musste sicher stellen, dass eine auf Empfindung
folgende Bewegung zu Stande gekommen sei ohne Dazwischen¬
kunft des Willens.
5 *
Nur am Menschen können die Reflexgesetze erforscht wer¬
den. Hier ist eine Kontrole des Willens möglich und deshalb
auch gewiss, ob eine bestimmte Bewegung, welche auf die Er¬
regung bestimmter Empfindungsnerven folgt, gewollt ist oder
nur den Ablauf eines Reflexmechanismus darstellt. Ich liess
mich also die Mühe nicht verdriessen, eine reiche Zahl von Re¬
flex-Neurosen aus der englischen, französischen und deutschen Li¬
teratur zusammen zu suchen. Ich stellte sie zusammen, verglich
sie sorgfältig, und reichlich fand ich meine Mühe belohnt. Der
bisher formlos erschienene Reflex, welcher sein Wesen stets
hinter der willkürlichen Bewegung versteckt hatte, zeigte nun¬
mehr seine Grenzen und Gestze. Unbekümmert um seinen pa¬
thologischen Namen, ob einfacher Krampf, Convulsion, Epilepsie,
Trismus, Tetanus u. s. w., überall und unter den mannigfaltig¬
sten Modificationen offenbart er als Grundphänomen unabän¬
derlich dieselben Gesetze, dieselben Normen.
I. Das Gesetz der gleichseitigen Leitung für einseitige Reflexe.
Wenn dem Reize, welcher einen peripherischen
Empfindungsnerven trifft, Muskelbewegungen auf
nur einer Körperhälfte als Reflexe folgen, so befin¬
den sich dieselben ohne Ausnahme und unter allen
Umständen auf derjenigen Körperhälfte, welcher
auch der gereizte Empfindungsnerv angehört. Für
die Wahrheit dieses Gesetzes bürgt die grosse Zahl der sämmt¬
lichen Fälle in denen sich kein Moment findet, was den gering¬
sten Zweifel rege machen könnte. Hier sehen wir dasselbe
unter den verschiedenartigsten Modificationen unverändert auf¬
treten. Mag der Reflex diejenigen Motoren erregen, deren
Rückenmarkswurzeln mit den Wurzeln der gereizten Empfin¬
dungsnerven in gleichem Niveau liegen, er bleibt auf dersel¬
ben Seite, wenn er überhaupt dem Reize als einseitiger Reflex
antwortet. — Mögen aber auch die in gleichem Niveau gelege¬
nen Motoren unberührt bleiben und weit entfernte erregt wer¬
den, das Gesetz bleibt unverändert. So erzählt Romberg
den interessanten Fall einer Fractur der Tibia und Fibula rech¬
terseits, mit nachfolgendem, bald wieder verschwundenem,
halbseitigen Trismus rechterseits ohne anderweitige Bethei¬
ligung des Muskelsystems. Hier trat also am hinteren Ende des
Rückenmarkes die Erregung der Empfindungsfasern des Nervus
ischiadicus in die rechte Rückenmarkshälfte ein und lief durch
das ganze Rückenmark in derselben Hälfte fort, um die rechte
Pars motoria des Quintus zu affiziren. — Mögen aber auch die
sämmtlichen Muskeln nur einer Körperseite reflectorisch erregt
sein, so bleibt ebenso das Gesetz unverändert. So hat uns John
Elliotson in dem XV. Bande der Medico-chirurgical Transac¬
tions Part. I. p. 174 einen Fall von leichtem Pleurotonos mitge¬
theilt. Der Körper war nach der rechten Seite gezogen, indem
die Verwundung sich über der rechten Ferse befand. — So
theilt uns ferner John Cooke in dem Edinburgh Medical and
Surgical Journal Vol. XXI. p. 201. Anmerkung, den merkwürdi¬
gen Fall einer einseitigen und zwar linkseitigen Epilepsie mit,
in welcher nur die Muskeln der sämmtlichen linken Körper¬
hälfte affizirt wurden. Nachdem der Tod in einem sehr hefti¬
gen Anfalle erfolgt war, fand sich bei der Section ein Tumor
in dem Nervenaste zu dem Musculus semimembranosus des lin¬
ken Beines. Zu bemerken ist noch, dass die Convulsionen sich
zuerst in dem linken Schenkel gezeigt hatten. In mannigfacher
Variation wird man das Gesetz der gleichseitigen Leitung in den
weiter unten zu erzählenden Fällen repräsentirt finden. Theil¬
weise ist das von mir in seiner ganzen Ausdehnung als Gesetz
dargelegte Factum bereits bekannt gewesen, ohne aber den
Namen eines Gesetzes beanspruchen zu können, da ja Johannes
Müller, der bereits darauf hinweist, angiebt, dass es sich
„gewöhnlich“ so verhalte, während es immer sich so ver¬
hält, er ausserdem auch nur von denjenigen Motoren spricht,
welche mit den gereizten Empfinduugsnerven in gleichem Niveau
liegen, und ausserdem das Abziehen des Schwanzes vom Feuer,
welches der enthauptete Salamander vornimmt, eine Ausnahme
von dem Gesetze wäre. Denn diese Bewegung entsteht durch
die Muskeln der dem Reiz entgegengesetzten Seite. Johannes
Müller sagt nämlich (Physiologie I. p. 619):
„Die bisher beschriebenen Phänomene haben zwar alle mit
einander gemein, dass das Rückenmark das Bindeglied zwischen
einer sensorischen und motorischen Bewegung des Nervenprin¬
zips ist, indess lassen sich auch noch bestimmter die Wege be¬
zeichnen, welche bei den reflectirten Bewegungen von den
Empfindungsnerven auf die motorischen Nerven im Rückenmark
die Leitung bewirken. Die gewöhnlichste Art der reflectirten
Bewegung ist, dass die Muskeln des Gliedes, an welchem man
heftige Empfindungen erregt, bewegt werden, wie bei Verbren¬
nungen in der Haut Zuckungen zunächst in dem verbrannten
Gliede und im Anfage der Narcotisation eines Thieres bei Em¬
pfindungsreizung der Haut am leichtesten auch die Muskeln des
gereizten Gliedes bewegt werden, wie der Bissen die reflec¬
tirte Bewegung der Schlingwerkzeuge hervorbringt, und der
Staub in der Conjunctiva blosse Empfindung erregend das re¬
flectirte Schliessen der Augenlieder hervorruft und wie endlich
die Reize des Urins und der Excremente unmittelbar auf die
Bewegung der Sphincteren wirken. Sobald daher die Empfin¬
dungserregung das Rückenmark erreicht hat, so geht die Bewe¬
gung nicht auf das ganze Rückenmark über, sondern am leich¬
testen auf die motorischen Nerven, welche den nächsten Ursprung
an den gereizten sensiblen Nerven haben; oder mit anderen
Worten, der leichteste Weg der Strömung oder Schwingung ist
von der hinteren Wurzel eines Nerven oder seiner einzelnen
Primitivfasern nach dessen vorderer Wurzel oder nach den vor¬
deren Wurzeln mehrer nahe gelegenen Nerven.“ —
Zu bemerken bliebe ausserdem, dass wir für den Begriff
der Einseitigkeit nur die rechte Körperhälfte der linken als cor¬
respondirend entgegengesetzt betrachten, entsprechend der rech¬
ten und linken Rückenmarkshälfte, nicht aber die vordere der
hinteren.
Larrey hat nämlich die Behauptung aufgestellt, dass Wun¬
den an der vorderen Seite des Körpers bei Erzeugung von Te¬
tanus vorzugsweise eine Zusammenziehung der vorderen Kör¬
permuskeln mithin Emprosthotonos zur Folge habe, während
Wunden der hinteren Körperseite die tetanische Varietät des
Opisthotonos bedinge.
Dies ist indessen unrichtig. Der Opisthotonos, die bei Wei¬
tem häufigste Form des Tetanus, tritt sowohl nach Wunden der
vorderen als hinteren Seite des Körpers ein. Wilson erzählt
einen Fall von Opisthotonos nach Verwundung der Nase. (O.
A. Wilson, On spasm, languor, Palsy etc. London 1843.) Dr.
Penkivil of Yeovil sah nach einer zum Zwecke des Selbst¬
mordes angebrachten Halswunde Opisthotonos entstehen. (The
London Lancet Journal of January 1. 1842.) Der Opisthotonos
entsteht ferner sowohl nach Wunden der dorsa manus et pedis,
als der palma manus et planta pedis. Curling theilt in seiner
gekrönten Preisschrift über den Tetanus den Fall mit, in wel¬
chem Opisthotonos vorhanden war, nachdem sich das Indivi¬
duum einen Splitter unter den Nagel eines Fingers der rechten
Hand gestossen hatte. (Curling's Treatise on tetanus. Lon¬
don 1836. p. 88.) Travers sah nach einer Wunde der Hand¬
wurzel und palma manus Opisthotonos entstehen, Curling
nach einer Verwundung der Fusssohle mit einem Nagel. (Tra¬
vers, A further Inquiry, concerning constitutional irritation and
the pathology of the nervous System. London 1835. p. 323. —
Curling a. a. O. p. 194.)
Das dürfte ausreichen, um die Larrey'sche Hypothese, we¬
nigstens für den Opisthotonos, zu widerlegen. Die wenigen
Fälle, die mir über Emprosthotonos bekannt sind, waren indes¬
sen allerdings die Folgen von Wunden an der Vorderseite des
Körpers. —
II. Das Gesetz der Reflexions-Symmetrie.
Wenn die durch eine gereizte Empfindungsfaser
bedingte Veränderung im Centralorgane einseitige
Reflexe bereits ausgelöst hat, und, indem sie sich
weiter verbreitet, auch Motoren der entgegengesetz¬
ten Rückenmarkshälfte erregt, also doppelseitige
Reflexe erzeugt, so werden stets und unter allen
Umständen nur solche Motoren innervirt, die auch
bereits auf der primär affizirten Seite erregt sind,
so dass also doppelseitige Reflexe nie in kreuzender
Richtung erzeugt werden.
Es brauchen alsdann nicht alle Muskeln zum Krampfe be¬
stimmt zu werden, welche bereits auf der primär affizirten Seite
erregt sind. Diejenigen Muskeln aber, welche auf der anderen
Seite in den Bereich der Reflex-Neurose gezogen werden, sind
bereits auf der primär ergriffenen Seite affizirt. (Siehe hierfür
die Fälle.)
Hieraus folgt nun, wie sich der Leser überzeugen wird,
dass ein doppelseitiger Reflex nie so eintreten kann, dass nach
einem Reize, der z. B. die Fasern des rechten Nervus ischia¬
dicus trifft, halbseitiger Trismus der entgegengesetzten, also
linken Seite folgen könne. In diesem Falle werden entweder
die rechten Mastikatoren erst zum Krampfe erregt und dann
auch zu diesen die linken, oder es tritt sofort completer Tris¬
mus ein. Ich habe als Beispiel hier ein recht in die Augen
springendes gewählt. John Mitchell theilt einen Fall mit in den
Medico-chirurgical Transactions, Vol. IV. p. 25 etc., wo ein Reiz
des linken Quintus Zuckungen und Convulsionen im Bereiche
des linken Facialis, linken Hypoglossus und Accessorius, lin¬
ken plexus cervicalis und brachialis erzeugte. Secundär er¬
schienen auch Convulsionen auf der rechten Körperseite. Wo
befanden sich dieselben indessen? Im Bereiche des rechten
Facialis. — Einen anderen interessanten Fall hat Edward Seah
mitgetheilt in dem Edinburgh Medical and Surgical Journal Vol.
XXX. (1828) p. 23. Ein Midshipman der englischen Flotte ver¬
lor durch einen Kanonenschuss den rechten Arm. Der Teta¬
nus, welcher folgte und von Oben nach Unten herabstieg, trat
nicht sofort doppelseitig in den Musculi abdominis auf. Er be¬
fiel aber zuerst die rechten! Mehr Fakten werden sich in
den Fällen ergeben.
III. Das ungleich intensive Auftreten des Reflexes auf beiden
Körperseiten bei doppelseitigen Reflexen.
Sobald die Erregung einer Empfindungsfaser Re¬
flexionen in beiden Körperhälften auslöst, und zwar
in der Weise, dass diese Krämpfe auf einer Seite
intensiver und heftiger, als auf der anderen auftre¬
ten, so befinden sich die stärker am Reflexe bethei¬
ligten Muskeln auf derjenigen Seite, welcher auch
die gereizte centripetale Faser angehört. In den ersten
Stadien des Reflexkrampfes gilt das Gesetz absolut, obgleich
es auch bei lang anhaltender Dauer der Krampf-Neurose im
Allgemeinen bestehen bleibt. Ich sage im Allgemeinen, weil
ich unter den vielen Fällen, die ich studirt habe, eine einzelne
Beobachtung von Parry fand, die Hiergegen einen Widerspruch
enthält, und welche ich meinem Leser der Wahrheit gemäss
mittheile. (Parry, Cases of Tetanus and Rabies Contagiosa.
Bath 1814. p. 5.) Der hier erwähnte Fall von Tetanus war eine
Folge von Zerreissung der Integumente über den Gastrocne¬
mii des linken Beines. Es erfolgten Convulsionen im lin¬
ken Beine nach dem Gesetze der gleichseitigen Leitung. Indem
der Tetanus allgemein auftrat, wütheten die Krämpfe ausser
dem linken Schenkel noch vorzugsweise in der linken Schul¬
ter. Nachdem die Neurose aber eine Zeitlang gedauert, sprach
sich im rectus abdominis rechterseits an einem Tage ein vor¬
zugsweises Betheiligtsein aus. Das ist indessen auch der ein¬
zige Fall, der mir gegenüber so vielen bekannt ist.
IV. Das Gesetz der intersensitiv- motorischen Bewegung und
Reflex-Irradiation.
Unter Reflex-Irradiation verstehe ich denjenigen Vorgang
in der Nervenphysik, vermöge dessen Reflexionen, welche sich
im Bereiche bestimmter Nerven localisirt hatten, auf benachbarte
Geflechte überstrahlen.
Nachdem ich eine reiche Anzahl von Reflexionen zusam¬
mengestellt hatte, lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf die Di¬
rection der beim Reflexe vorhandenen Bewegung vom sensitiven
nach dem motorischen Nerven im Centralorgane. Wenn wir
nämlich die Direction jenes centralen Weges für den Reflex,
welchen ich, zur Verhütung fortwährender Umschreibungen, in
Ermangelung eines guten oder besseren Namens durch den mir
keineswegs genügenden Ausdruck der intersensitiv-moto¬
rischen Bewegung zu bezeichnen mir erlaube, mit einem
Pfeile vergleichen, so ergiebt sich, allgemein ausgedrückt, das
merkwürdige Resultat:
-
1) dass in dem Gehirn dieser Pfeil seine Spitze
nach Hinten kehrt, d. h. also gegen die Medulla
oblongata;
2) während er in dem Rückenmarke nach Oben,
resp. Vorn gerichtet ist, also ebenfalls gegen
die Medulla oblongata.
Hieraus folgt also, dass beide Spitzen stets diesem Mark¬
theil zustreben und sich hierin treffen.
1. Die intersensitiv-motorische Bewegung und Reflex-Irradiation
im Gehirn.
Wenn ein cerebraler Empfindungsnerv, zu denen
auch die Sinnesnerven zu zählen sind, in einer Weise
irritirt wird, um Reflexionen auszulösen, und wir
dann zusehen, welcher motorische Nerv vom Em¬
pfindungsnerven aus reflectorisch erregt sei, so
werden wir die Beobachtung machen, dass die Wur¬
zeln beider Nerven entweder mehr oder weniger in
gleichem Niveau am Centralorgane liegen, oder der
motorische Nerv immer weiter nach Hinten gelegen
ist, als die sensitive Wurzel. Strahlt von hier aus
der Reflex weiter auf benachbarte Nerven über, so
geht der Weg der Reflex-Irradiation vom primären
Reflex-Niveau nach Hinten in der Richtung zur Me¬
dulla oblongata. Es fiel mir in sämmtlichen pathologischen
Fällen sofort auf, dass Reizungen des Quintus immer den Facia¬
lis affiziren, oder auch den Hypoglossus, Accessorius, selbst auch
den Abducens, nie aber den Oculomotorius. Romberg weist
zwar bei den Augenmuskelkrämpfen auf den Reflex hin und
berichtet einen von Jüngken beobachteten Fall, wo Zerrung
und Quetschung des Augapfels ein Zurückziehen desselben in
die Orbita zur Folge hatte. In diesem Falle wird indessen auch,
wenn es Reflex war, der Orbicularis am Krampfe Theil genom¬
men haben, oder man hat Eines hierbei zu der Beurtheilung in
Anschlag zu bringen vergessen. Die Antagonisten der Mm. recti
oculi, sind die obliqui; diese müssen aber bei einem Stosse
gegen den Augapfel vorzugsweise gezerrt werden, so dass sie
zerreissen, und deshalb der Augapfel, nun dem Tonus der recti
überlassen, in die Orbita zurückgezogen wird. In einem von
Vicq-d'Azyr in der Histoire de la Societé royale de Médécine
1776 p. 316 erzählten Experimente an einem Kaninchen wurde
der Nervus frontalis auf verschiedene Weise gereizt, um zu er¬
fahren, ob Daraus Amaurose entstände. Man beobachtete indes¬
sen „Zuckungen im Auge“. Zunächst könnte sich die Entzün¬
dung durch die Gewebe zu dem Oculomotorius fortgepflanzt
und ihn direct affizirt haben, oder es können auch Zuckungen
in dem Gebiete des Facialis vorhanden gewesen sein, oder die
Zuckungen im Auge waren nur durch Krämpfe des Abducens
bedingt. In allen sicheren Fällen, die ich kenne, schien mir
der Oculomotorius vom Quintus allein nicht reflectorich erregt
werden zu können. Als Beweise dienen die pathologischen
weiter unten erzählten Fälle von Reflexionen im Bereiche der
Hirnnerven. Hier führe ich nur als Belege die sämmtlichen be¬
kannten Reflexerscheinungen am gesunden Menschen an, welche
die Physiologie bereits aufgestellt hat, und welche Alle dem
genannten Gesetze folgen:
-
a. Reizung des Opticus erzeugt Contraction der Iris. Re¬
flex vom Opticus auf den Oculomotorius. — Die intersensitiv-
motorische Bewegung von Vorn nach Hinten. —
b. Reiz der Conjunctiva erregt Blinseln. Reflex vom Quin¬
tus auf den Facialis. — Die intersensitiv-motorische Bewegung
von Vorn nach Hinten. —
c. Cauterisation der Cornea erzeugt Blinseln und Contrac¬
tion der Iris. Reflex vom Quintus auf Facialis und Oculomo¬
torius (?). Noch wissen wir nicht, ob der Oculomotorius nicht
ein gemischter Nerv ist, so dass nicht mit Bestimmtheit ein
Reflex vom Quintus auf den Oculomotorius statuirt werden kann.
d. Sehen in die Sonne kann Niesen erregen. — Ein Re¬
flex vom Opticus auf die Nervi respiratorii. — Die intersensi¬
tiv-motorische Bewegung wieder von Vorn nach Hinten.
e. Reiz der Membrana Schneideri erzeugt Niesen. Reflex
vom Quintus auf die Nervi respiratorii. Die intersensitiv-mo¬
torische Bewegung von Vorn nach Hinten.
f. Reiz des Gaumens erzeugt Erbrechen. Reflex vom Quin¬
tus auf Vagus und die Nervi respiratorii. Die intersentitiv-mo¬
torische Bewegung von Vorn nach Hinten.
g. Reiz des Trommelfelles kann Erbrechen erregen. Reflex
vom Quintus auf den Vagus und die Nervi respiratorii. Die
intersensitiv-motorische Bewegung wiederum von Vorn nach
Hinten etc.
2. Die intersensitiv-motorische Bewegung und Reflex-Irradiation
im Rückenmark.
Wenn ein gereizter spinaler Empfindungsnerv
Reflexionen in Motoren ausgelöst hat, welche mit
ihm in mehr oder weniger gleichem Niveau liegen,
und der Reflex dann von hier aus auf andere be¬
nachbarte Motoren überstrahlt, so nimmt er seinen
Weg stets nach den über dem primären Reflexniveau
liegenden und nie nach den unteren. Wir sehen also
die Direction der intersensitiv-motorischen Bewegung im Rücken¬
marke zuerst im Niveau verbleiben, d. h. diejenigen Motoren er¬
greifen, welche mit den gereizten spinalen Empfindungsnerven
i. e. mit ihren Wurzeln in gleicher Höhe vom Centralorgane
abgehen, dann aber, wenn überhaupt Reflex-Irradiationen vor¬
kommen, sich nach Oben wenden. In dieser Weise kann der
Reflex ein Nervengeflecht nach dem andern aufsteigend ergrei¬
fen, bis er die Medulla oblongata erregt hat, von welcher jetzt
erst die Erregung in umgekehrter Weise zurückfliessen kann,
um nach und nach mehr oder weniger schnell das ganze System
zu überstrahlen.
Ein Beispiel wird die Verhältnisse wiederum in helleres
Licht setzen. Wenn also z. B. eine Reizung der Hautnerven,
welche sich an den Fingern verzweigen, Krämpfe im Gebiete
des Plexus brachialis ausgelöst hätte, und der Reflex von hier
aus, auf nahe gelegene Geflechte überstrahlte, so sehen wir ihn
nie auftreten, etwa in den Nervi dorsales spinales oder den
plexus lumbales und ischiadici, sondern er ergreift den plexus
cervicalis, die Nervi Accessorius, Vagus, Facialis u. s. f. Ist er
aber nunmehr in der Medulla oblongata angekommen, so kann
er herabsteigend die Nervi respiratorii, den Plexus cervica¬
lis, brachialis, dorsalis, lumbalis und ischiadicus erregen, und
zwar in der genannten Reihenfolge. Das Studium der Fälle
wird das Gesetz in ein noch helleres Licht setzen.
V. Das Gesetz des dreiörtlichen Auftretens der Reflexionen.
Wenn eine Empfindungsfaser in der Art gereizt
wird, dass sie Reflexe auslöst, so können diese ab¬
solut nur an drei Stellen des Körpers auftreten,
mögen sie nun einseitig oder doppelseitig sein.
A. Der Reflex erscheint in denjenigen Motoren,
welche mit den gereizten Empfindungsfasern mehr
oder weniger in gleichem Niveau liegen. (Wenn ich
von dem gleichen Niveau rede, in welchem ein Empfindungs¬
nerv zu einem Bewegungsnerven liegt, so bitte ich den Leser
Dies stets auf die Rückenmarkswurzeln der Nerven beziehen
zu wollen.) Es versteht sich nun von selbst, dass von diesem
gleichen Niveau aus secundär andere nahen Nervengeflechte
selbst in grösserem Maasse nach dem Gesetze der Reflex-Irra¬
diation in den Bereich der Reflexionen gezogen werden können.
B. Tritt aber der Reflex in Motoren auf, welche
entfernt und selbst sehr entfernt von dem Niveau
der gereizten Empfindungsnerven liegen, so sind
die reflectorisch erregten Motoren stets solche,
welche aus der Medulla oblongata entspringen. Hier
her gehören zunächst alle Fälle von Tetanus traumaticus. Mag
die Wunde liegen, wo sie will, der erste reflectorische Aus¬
schlag erfolgt aus der Medulla oblongata, von welcher er sich
successive in der oben angegebenen Weise über den ganzen
Körper ausdehnt. Hierher gehören alle Fälle von Trismus. Hier¬
her gehören die hysterischen Lach- und Weinkrämpfe, der hyste¬
rische Singultus, die hysterischen Magenkrämpfe, welche wohl
ihren Grund in einem Krampfe des Zwerchfells haben. Hierher
gehören ebenfalls die hysterischen Erbrechungsbeschwerden,
wenn es überhaupt erlaubt sein dürfte, die Hysterie für eine
Reflexneurose anzusehen. Hierher gehören die leichten Con¬
tractionen der respiratorischen Muskeln nach Entleerung des
Urins durch die Berührung der Blasenwände bei reizbaren Men¬
schen. Hierher gehört das reflectorische Niesen bei Reizen im
Tractus intestinorum. Hierher ferner das bei Einwirkung der
Kälte auf die Rami cutanei eintretende Zähneklappern. Hierher
gehören endlich ohne Ausnahme die in den pathologischen Fäl¬
len weiter unten verzeichneten Reflexionen, die entfernt von
dem Niveau der gereizten Empfindungsnerven liegen. — Nie
treten hier nach Reizen, welche z. B. die Empfindungsnerven
des Plexus brachialis treffen, entfernte Convulsionen allein in
den Bauchmuskeln, den Schenkelmuskeln u. s. w. ein, wohl
aber kann Trismus und Tetanus entstehen, sehr wohl Convul¬
sionen im Gebiete des Facialis und Accessorius. — Nie können
nach Reizen, welche Empfindungsfasern z. B. des plexus ischia¬
dicus treffen, entfernte Convulsionen sich im Gebiete des Plexus
brachialis localisiren, wohl aber im Gebiete des Facialis und
Accessorius. Oder es entsteht Trismus und Tetanus.
Hier muss ebenfalls an die Reflex-Irradiationen erinnert
werden, welche sich secundär an das primäre Reflexniveau
der Medulla oblongata anreihen, im Gehirne nach Vorne im
Rückenmark nach Hinten allmählich fortschreitend, indem, wie
bereits angedeutet, ein Geflecht nach dem anderen erregt wird:
Plexus cervicalis mit Nervus Phrenicus, plexus brachialis, dor¬
salis, lumbalis, ischiadicus. Zu dieser Rubrik gehört der Teta¬
nus, welcher genau in der bezeichneten Weise auftritt, obwohl
sich auch anderweitig dieses Gesetz nachweisen lässt. (S. z. B.
Beobachtung V.)
C. Der Reflex erscheint in sämmtlichen Muskeln
des Körpers. Derselbe kann hier entweder gleichzeitig sämmt¬
liche Motoren erregen oder bald hier, bald dort Muskelverkür¬
zungen bedingen, wobei es also Darauf ankommt, dass nicht
bestimmte Muskelpartien der vorzugsweise Sitz reflectorischer
Convulsionen und Krämpfe sind.
Dieses sind die drei Kategorien, unter welche sich die Re¬
flexe in Bezug auf die Oertlichkeit ihres Auftretens subsummiren
lassen, und denen sie alle unterworfen sind, wie leicht aus der
statistischen Vergleichung der Fälle in der angehängten Tabelle
ersehen werden kann. Mir ist wenigstens kein Fall vom Gegen¬
theil bekannt geworden.
In wiefern nun die Mitempfindungen an diesen Gesetzen
Antheil nehmen, werde ich bei Erzählung der Fälle unter dem
allen zugefügten Anhange der physiologischen Resultate be¬
merken. —
Capitel V.
Pathologische Fälle zur Begründung der Lehre von der
Reflex- Leitung.
Einleitende Bemerkungen.
Die nunmehr mitzutheilenden Fälle von Reflexionen sind
aus verbürgten, glaubwürdigen Quellen der deutschen, franzö¬
sischen und englischen Literatur entnommen. Ihre Zahl ist zwar
eine grosse und doch möchte ich sie noch grösser wünschen,
da dieselbe bereits jetzt schon eine so unerwartet reiche Fund¬
grube werthvoller physiologischer Resultate geworden ist. Eines¬
theils ist indessen das Aufsuchen der Fälle eine sehr mühsame
Arbeit; anderntheils habe ich die mir zu Gebote stehenden Quel¬
len möglichst erschöpft. Nicht alle Fälle sind deshalb aus erster
Hand mitgetheilt, da mir das Original nicht zugänglich war.
Auch ist vorzugsweise die englische Literatur von mir in An¬
spruch genommen, weil sie am Besten auf der Berliner König¬
lichen Bibliothek vertreten ist.
Was nun die Art und Weise betrifft, wie ich die Fälle mit¬
getheilt habe, so war mir nur mein spezieller Zweck der Maas¬
stab, was mitzutheilen oder wegzulassen sei. Es war mir nicht
darum zu thun, Krankengeschichten zu erzählen, sondern in
einer flüchtigen Skizze dem Erfahrenen ein hinreichend charak¬
teristisches Bild der Erscheinung zu geben. Die Therapie ist,
als von keinem Interesse für uns, weggelassen und chirurgische
Operationen nur dann angeführt, wenn durch sie die Neurose
in ein helleres Licht gesetzt wurde, so dass also z. B. die Durch¬
schneidung eines sensitiven Nerven Krämpfe beseitigte. Von
diesem Standpunkte aus wird die grosse Kürze, in welcher ich
die Fakten gegeben habe, gerechtfertigt erscheinen. Derjenige
aber, welcher sich zur Prüfung das Original vornehmen will,
wird sich überzeugen, dass ich Nirgends Etwas hinzugefügt,
Nirgends Etwas weggelassen habe, welches für oder gegen
meine Ansichten hätte sprechen können, dass ich Nirgends
endlich einen Fall zu meinen Gunsten zugespitzt und verän¬
dert habe. Nach Erzählung des objectiven Faktums habe ich
immer als Notiz eine Bemerkung unter der Bezeichnung: Phy¬
siologisches Resultat gemacht, worin nochmals auf das
Gesetz, welches Oben bereits in seinen Grundzügen aufgestellt
ist, aufmerksam gemacht wird. Der Leser wird überrascht sein,
mit welcher Gesetzmässigkeit diese Reflexionen auftreten und
wie eine fast immer nur unter veränderter Form eine Copie
der anderen ist, mag ihr Name lauten, wie er will. So lange
die pathologische Form eine Reflexneurose ist, folgt sie stets
den allgemeinen Gesetzen der Reflexionen.
Abtheilung I.
Reflexionen im Bereiche der Hirnnerven.
Beobachtung I.
Travers's, A further Inquiry concerning constitutional Irritation and
the pathology of the nervous system. Part. II. p. 336.
Ein Knabe von 11 Jahren erhielt eine Wunde mit Incision
und Contusion des inneren Theiles der rechten Augenbraue.
Venaesection und Purgantien entfernten ein hinzugekommenes
Erysipelas. Am 13. Tage als die Wunde bereits nahe der Hei¬
lung war, erschien Trismus, erschwertes Schlucken und Zuckun¬
gen in den Gesichtsmuskeln der rechten Seite. Der sich ent¬
scheidende Tetanus griff weiter über die sämmtlichen Muskeln
des Körpers, ergriff aber ganz besonders die rechte Seite. Der
Kranke überstand indessen die Krankheit glücklich.
Physiologisches Resutat: Zunächst zeigt uns der ge¬
6
gebene Fall das Gesetz der gleichseitigen Leitung. Wenn wir
aber achten auf den Weg der intersensitiv-motorischen Bewe¬
gung, so sehen wir seine Direction von vorne nach hinten ge¬
richtet: von den Wurzeln des Quintus nach dem Facialis und
Quintus motorius. Der Fall lehrt ferner das intensivere Auftre¬
ten der Reflexion auf der Seite der Verletzung bei doppelseiti¬
gen Reflexionen. (Gesetz I., III. und IV.)
Beobachtung II.
Larrey, Mémoires de Chirurgie militaire. Tom. III. p. 307. (Cam¬
pagnes d'Autriche.)
Markeski, Lieutenant der Cheveaulegers, wurde mit einer
Lanze auf dem rechten Stirnbein verwundet. Die Waffe war
durch das Pericranium in die Dicke des Os frontale gedrungen.
Neun Tage waren bereits ohne alle üblen Symptome vergangen.
Aber vom neunten zum zehnten Tage erschien der Tetanus
während der Nacht. Die rechten Augenlider begannen zu
zucken und das Gesicht verlor sich auf diesem Auge. Auch
war der Kranke ein wenig irre. Heftige locale Schmerzen, Tris¬
mus und Emprosthotonos gesellte sich hinzu. Das Uebel nahm
raschen Fortgang. Larrey sondirte nun die Wunde, welche
die lebhaftesten Schmerzen und grosse Empfindlichkeit zeigte.
Dieser Chirurge trennte Deshalb mit einem Schnitte den Mus¬
culus orbicularis, so dass Dadurch die Nerven und Gefässe der
Stirn getheilt wurden. Sofort fand sich der Kranke sehr er¬
leichtert und in 24 Stunden waren alle die drohenden Erschei¬
nungen verschwunden. — 25 Tage nach der Verwundung ergriff
den Kranken eine Gehirnentzündung, welche ihn wegraffte.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. Reflex vom Nervus frontalis auf den N. Facialis. Der
Weg der intersensitiv-motorischen Bewegung geht wiederum
nach Hinten. Dass die Krämpfe wirklich Reflexe waren, beweist
ihr Verschwinden nach Durchschneidung des Nervus frontalis.
(Gesetz I. und IV.)
Beobachtung III.
J. Wardrop, Cases on the effects of a Wound in a Nerve. Medico¬
chirurgical Transactions. Vol. XII. Part. I. p. 209.
Ein junger Mann, welcher eine Stirnwunde bekommen hatte,
sah doppelt, indem das Auge der verletzten Seite nach Aussen
gekehrt war. Wardrop trennte den Nervus frontalis sinister
und als er die Bandage entfernte, hatte das Auge seine natür¬
liche Stellung wieder eingenommen, und Deshalb war auch das
Doppeltsehen verschwunden.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. Reflex vom Nervus frontalis sinister auf N. abducens
sinister. Also ein reflectorischer Strabismus divergens. Sehr
interessant ist der Weg, den der Reflex genommen hat. Nicht im
Centralorgan vom Quintus zum Oculomotorius vorwärts, sondern
wiederum rückwärts zur Medulla oblongata, resp. zu den Wur¬
zeln des gleichseitigen Abducens. (Gesetz I. und IV.)
Beobachtung IV.
Dr. Ravin, Journal Universal des Sciences médicales. Avril 1820.
Thomas Gombert, 53 Jahre alt, hatte sich den Kopf mit
ziemlicher Kraft gegen eine breite Tafel gestossen. In Folge
dessen wurde die verletzte rechte Gesichtsseite von Tic dou¬
loureux und Convulsionen befallen, welche eine solche Inten¬
sität entwickelten, dass der Kranke seine gewohnten Beschäfti¬
gungen aufgeben musste. Der Arzt nahm die Durchschneidung
des Nervus frontalis dexter vor, worauf der Kranke äusserte:
„dass der Schmerz durch die Wunde hinausgehe“. Die Con¬
vulsionen blieben so frequnt wie früher, hatten aber ihre Inten¬
sität verloren. Es wurde deshalb zur Radicalcur eine nochma¬
lige Operation vorgenommen und ein Schnitt von der Nase durch
die Weichtheile bis zur Schläfe geführt, welcher alle Stirnner¬
ven trennen musste. Hierauf verschwanden Neuralgie und Con¬
vulsionen vollständig und sind nun nach elf Monaten nicht zu¬
rückgekehrt.
6 *
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung vom Frontalis dexter zum Facialis dexter. Der Weg
des Reflexes wiederum rückwärts! (Gesetz I. und IV.)
Beobachtung V.
Medico-chirurgical Transactions. Vol. IV. p 25.
Frau Stockes, 50 Jahre alt, wurde plötzlich von einem
Krampfe befallen, welcher ihren Mund und ihre Zunge nach
der linken Seite verzog, ohne dass irgend welches Unwohl¬
sein vorausgegangen wäre. Die Paroxysmen nahmen an Fre¬
quenz und Heftigkeit zu. Die Zunge wurde hart wie Holz und
nach Oben und Links gezogen, der Mund nach Links verzerrt,
indem der Krampf vorzüglich im Musculus depressor anguli oris
und labii inferioris tobte. Die ganze linke Gesichtsseite wird
alle zwanzig Minuten mächtig ergriffen und bald nehmen auch
die linken Nackenmuskeln Theil. Bald dehnt sich der Krampf
auf sämmtliche Gesichts- und Kopfmuskeln aus, doch ist er
stärker auf der linken Seite; denn die Nasenspitze ist wäh¬
rend des Paroxysmus nach Links gezogen, und ebenso die
Zunge. Die linken Halsmuskeln nehmen ebenfalls Theil und
der Kopf wird nun nach der linken Schulter herabgezogen.
Nach Kurzem wird ebenfalls der linke Arm von Krämpfen im
Gebiete des Nervus radialis befallen und starr ausgestreckt.
Zu gleicher Zeit nimmt das Zwerchfell am Krampfe Theil.
Nachdem alle Mittel gegen diese Qualen vergebens versucht
worden waren, wurde ein anderer Arzt: Dr. Thomas zur Con¬
sultation berufen, welcher bereits einen ähnlichen Fall behan¬
delt hatte, der durch eine locale Reizung cariöser Zähne bedingt
war. Man untersuchte nun die Zähne und fand die obere Reihe
der linken Seite bei Berührung ausserordentlich empfindlich.
Es wurden nun nach einander die linken Schneidezähne, der
linke Eckzahn und der erste linke Backenzahn ausgezogen,
wobei sich eine stinkende Jauche aus den Alveolen ergoss. So¬
fort verloren die Krampfanfälle ihre Intensität und verschwanden
in der kurzen Zeit von zwei Wochen vollständig, zuerst den
Plexus brachialis sinister, dann den Pl. cervicalis und zuletzt
die Hirnnerven verlassend.
Physiologisches Resultat: Ein äusserst lehrreicher
Fall, in dem sich das Gesetz der gleichseitigen Leitung recht
frappant ausprägt. Der Weg des Reflexes im Gehirn ging wie¬
der von Vorn nach Hinten, vom Quintus zu Facialis, Hypoglossus
und Accessorius. Hierauf in der Medulla oblongata erregt er
den Nervus phrenicus mit Plexus cervicalis und dann den
Plexus brachialis. Er lehrt ferner die Reflexions-Symmetrie und
das Gesetz des stärkeren Auftretens der Reflexion auf der ver¬
letzten Seite bei doppelseitigen Reflexen. (Gesetz I., II., III. u. IV.)
Beobachtung VI.
Travers, a. a. O. p. 311.
Eine junge hysterische Frau, welcher durch ein unglückli¬
ches Zahnausreissen der Processus alveolaris des Unterkiefers
rechter Seite in ziemlichem Umfange abgesplittert worden war,
wurde bereits am folgenden Tage von sehr heftigem, aber par¬
tiellem Trismus befallen. Denn die rechten Mm. temporalis
und Masseter waren mächtig zusammengezogen und empfind¬
lich gegen Druck. Die angewandten Mittel blieben erfolglos,
und die Kranke wurde ausserdem noch von Chorea befallen.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und IV.)
Beobachtung VII.
Richerand, Case of Tic douloureux. Medical and Physical Journal.
Vol. XLIII. p. 374.
Pailleux, 48 Jahre alt, welcher während eines militairi¬
schen Lebens viel der Erkältung ausgesetzt gewesen, wurde
von einer Neuralgie des linken Nervus alveolaris inferior befal¬
len. Während des Paroxysmus, dessen Schmerz nach Aussage
des Kranken dem durch ein die linke Gesichtshälfte durch¬
fahrendes rothglühendes Eisen erzeugten vergleichbar war, be¬
fanden sich die linken Gesichtsmuskeln in einem zitternden
und bebenden Zustande. Die Durchschneidung des Nerven an
der Stelle, wo er aus dem Foramen mentale tritt, führte die
Heilung herbei.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung vom Quintus sinister zum Facialis sinister. Wiederum
die Direction des centralen Weges von Vorn nach Hinten ge¬
richtet. (Gesetz I. und IV.)
Abtheilung II.
Reflexionen im Bereiche des Armgeflechtes.
Beobachtung VIII.
Everard Home, On the Irritability of Nerves. Philosophical Trans¬
actions von 1801. p. 2.
Eine Person von 30 Jahren wurde, während sie auf einem
Pferde ritt, durch eine plötzliche Bewegung desselben aus ihrem
Sitze geworfen und fiel mit dem Daumen gegen den Sattel,
indem sie sich hier festhalten wollte.
Der Daumen wurde schmerzhaft und es stellten sich nach
einiger Zeit Krampfanfälle ein, welche zunächst im Plexus bra¬
chialis derselben Seite zeigten, um von hier aus alsbald auf
die nahgelegenen Geflechte derselben Seite überzustrahlen.
Everard Home giebt uns eine lobenswerthe Notiz von der
Art und Weise, wie sich die Krämpfe von Anfang bis zu Ende
weiter verbreiteten. Zuerst beim Beginnen des spastischen
Paroxysmus erschienen fünf bis sechs Zuckungen in den Flexo¬
ren des Daumens und Zeigefingers; dann Convulsionen in den
Vorderarmmuskeln, bald nachher in den Armmuskeln, dem
Pectoralis major und den Scaleni. Der Plexus cervicalis war
mächtig auf derselben Seite in das Bereich der aus ihrem Ge¬
biet getretenen Reflexneurose gezogen. Der Kopf wurde durch
schnell auf einander folgende Zuckungen nach derselben
Seite gerissen. Die Durchschneidung des Nerven gewährte nur
geringe Hülfe.
Physiologische Resultate: Dieser Fall zeigt uns zu¬
nächst das Gesetz der gleichseitigen Leitung für ein¬
seitige Reflexe. Wir bemerken ferner, dass der Reflex,
nachdem er die mit den gereizten sensiblen Fasern in gleichem
Niveau gelegenen Motoren erregt hat und von hier aus weitere
Nervengeflechte ergreift, nicht einen Weg rückwärts im
Rückenmarke einschlägt, also die Nervi dorsales spinales, resp.
die Brust- und Bauchmuskeln befällt, sondern sich vorwärts
oder nach Oben der Medulla oblongata nähert und hier den
Plexus cervicalis mächtig ergreift. (Siehe das Gesetz der gleich¬
seitigen Leitung, der sogenannten intersensitiv-motorischen Be¬
wegung und der Reflex-Irradiation. Gesetz I., IV., V. A.)
Beobachtung IX.
Everard Home, On the Irritability of Nerves. Philosophical Trans¬
actions von 1801. p. 21.
Eine Dame von sehr reizbarer Constitution verletzte ihren
Daumen. Vierzehn Tage darnach stellten sich Krämpfe in den
Daumenmuskeln ein, welche sich auf den Vorderarm, Arm,
Schulter, Nacken und die Kiefer ausdehnten, bald aber auch
wieder verschwanden.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung, der intersensitiv-motorischen Bewegungen und Reflex-
Irradiationen. (Gesetz I., IV., V. A.)
Beobachtung X.
Clarus, Der Krampf in pathologischer und therapeutischer Hinsicht
systematisch erläutert. I. Theil. Leipzig 1822. p. 216.
Eine junge, reizbare Frau, im siebenten Monate schwanger,
schnitt sich mit einem stumpfen Messer in den linken Daumen,
sodass der Schnitt quer über die äussere Seite des zweiten
Gelenkes, in der Länge eines Achtelzolles, bis auf die Sehnen
gedrungen war. Wenige Blutung, aber heftiger Schmerz stellte
sich ein, welcher nach einigen Tagen von einem Ziehen und
Spannen in der linken Hand gefolgt war. Dieses Spannen
erstreckte sich von den Armmuskeln nach den Halsmuskeln,
um dann die Kaumuskeln zu ergreifen, sodass die untere
Kinnlade nur einen halben Zoll von der oberen entfernt wer¬
den konnte und das Kauen beschwerlich war. Der Zustand
verlor sich später allmählig.
Physiologische Resultate: In der grossen Ueberein¬
stimmung dieses Falles mit dem vorigen sehen wir das Gesetz
sich uns erschliessen. In diesem Falle hat der Reflex noch
mehr Nervengeflechte in sein Bereich gezogen, als in dem vo¬
rigen; aber wiederum nahm er seinen Weg nicht rückwärts,
zu Brust- und Bauchmuskeln, sondern vorwärts oder auf¬
wärts und hat nunmehr die Medulla oblongata erreicht, indem
er den Quintus minus ergriff. (Gesetz der gleichseitigen Lei¬
tung, der Reflexsymmetrie, des stärkeren Betheiligtseins der
verletzten Seite, der intersensitiv-motorischen Bewegung und
Reflexirradiation. Mithin: Gesetz I., II., III., IV., V.A.)
Beobachtung XI.
James Arthur Wilson, On spasm, languor, Palsy and other disor¬
ders, termed nervous of the system. London 1843. p. 22.
Ein Mann von reizbarer Constitution schnitt sich in einen
Finger, worauf sich alsbald Krämpfe in den Arm- und Nacken¬
muskeln derselben Seite einstellten.
Physiologische Resultate: Gesetz der gleichseitigen
Leitung, der intersensitiv-motorischen Bewegung und Reflex-
Irradiation, sowie die erste Art des dreiörtlichen Auftretens der
Reflexe. (Gesetz I., IV. und V.A.)
Beobachtung XII.
Romberg, Lehrbuch der Nervenkrankheiten. Sensibilitäts-Neuro¬
sen. p. 23.
Ein 16jähriges Mädchen, mit Erlernung der Kochkunst be¬
schäftigt, stach sich beim Zubereiten eines Rehbratens mit der
Spitze einer Spicknadel in den Mittelfinger der rechten Hand
an der Radialseite zwischen der zweiten und dritten Phalanx.
Heftige Schmerzen stellten sich sofort ein und nach einigen
Tagen Entzündung mit Entwicklung von Phlyctänen und dunk¬
ler Röthe über Hand und Vorderarm. Die geeigneten Mittel
beseitigten zwar die Entzündung, allein ein schmerzhaftes Ge¬
fühl blieb in der Fingerspitze zurück, welches sowohl durch
äussere Berührung, als spontan sich steigerte, und Mitempfin¬
dungen in der Hand, im Arm, im Nacken und im Bein
derselben Seite herbeigeführt hat. So oft ein anderes Un¬
wohlsein die Kranke befällt, schmerzt der Finger am stärksten.
Späterhin gesellten sich Convulsionen im Gebiete des Facialis
und Accessorius derselben Seite hinzu.
Physiologische Resultate: Ein ungemein interessanter
Fall. Zunächst sehen wir einen Reflex nicht in denjenigen
Motoren auftreten, welche mit den gereizten sensitiven Nerven
in gleichem Niveau liegen; dennoch aber bleibt das Gesetz der
gleichseitigen Leitung gültig. Wir bemerken aber ausserdem,
dass der ferne Ort, von welchem der reflectorische Ausschlag
erfolgt, die Medulla oblongata ist! Denn wir haben Oben
gesehen, dass ein reflectorischer Ausschlag, welcher ferne liegt
von der Stelle, wo die gereizten sensitiven Nerven eintreten,
nirgends anders und nur in solchen Nerven erscheint, welche
in jenem Marktheile wurzeln. Zu gleicher Zeit mache ich auf¬
merksam auf die Irradiationen in diesem Falle, welche ganz
analog, wie die Reflexe, ihren Weg im Rückenmarke zuerst aus
den Armgeflechten nach Oben nehmen und von der Medulla
oblongata abwärts sich alsdann bis zu dem Schenkel dersel¬
ben Seite hinab erstrecken. (Gesetz der gleichseitigen Leitung,
und zweite Art des dreiörtlichen Auftretens der Reflexe. Ge¬
setz I. und V.B.)
Beobachtung XIII.
Dieffenbach, Operative Chirurgie. Bd. I. p. 851.
Ein junges Mädchen, welches vor einigen Jahren mit einer
Hand in Bouteillenglas gefallen war, litt an heftigen neuralgi¬
schen Schmerzen, Abmagerung, Contractur und völliger Un¬
brauchbarkeit des Gliedes. Paroxysmenweise wurde das Ge¬
sammtnervensystem durch reflectorisch erregte, epileptische
Anfälle heimgesucht. Die Finger waren theils durch Krämpfe,
theils durch harte Narben im höchsten Grade contrahirt. Bei
der Ausschneidung der Narben fand sich in ihnen ein feiner
Glassplitter, von der Gestalt einer feinen Fischschuppe, welcher
einen Nerven angeschnitten hatte. Der Nerv war an dieser
Stelle verdickt und verhärtet. Nach der Operation verschwand
Neuralgie, Abmagerung, Contractur und Epilepsie. Die Kranke
ward vollkommen gesund und erhielt die ganze Brauchbarkeit
des Gliedes wieder.
Physiologische Resultate: Der Fall lehrt uns zunächst
das Gesetz der gleichseitigen Leitung der einseitigen Reflexe,
indem wir hier einen tonischen Reflexkrampf beobachten. In
Bezug auf die Oertlichkeit des Ausschlags sahen wir ihn con¬
stant in den Motoren des Armgeflechtes verharren, dem auch
die irritirte sensitive Faser angehört. Von Zeit zu Zeit strahlt
er aber auf andere Motoren über und tritt als allgemeiner Re¬
flexkrampf auf, der jetzt die triviale Bezeichnung: Epilepsie
erhält. (Gesetz I., III., V. A. und C.)
Beobachtung XIV.
Dieffenbach, Operative Chirurgie. Bd. I. p. 851.
Einem 59jährigen Wundarzt war vor neun Jahren durch
die Explosion eines Pulverhorns der linke Daumen zerschmettert
worden. Wiederholte Blutungen veranlassten zur Unterbindung
der Arteria radialis, bei welcher Operation der Nervus radialis
mit in die Ligatur gefasst wurde. Sofort fuhr der Kranke in
die Höhe beim Zuziehen der Ligatur und klagte über einen
fürchterlichen Schmerz, welcher vom Hinterhaupte nach der
Stirn schoss. Der Kranke hat seitdem die heftigen Schmerzen
in der Hand und den Halswirbeln nicht verloren, obgleich jene
amputirt worden war. Hierzu gesellten sich noch anhaltende
Zuckungen im M. biceps und anderen Armmuskeln, Ohrenklin¬
gen, Dyspepsie; alle Speisen machten Säure. Der Stumpf war
noch sehr empfindlich gegen den Druck.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V. A.)
Beobachtung. XV.
Dr. Wolf, Rust's Magazin. XIII. 77.
Ernst La Planche, 45 Jahre alt, fiel mit der Fläche der
rechten Hand in die Scherben einer Bierflasche. Gegen die
heftigen Blutungen wurden verschiedene Mittel ohne Erfolg ver¬
sucht, sodass sich grosse Schwäche einfand und der rechte
Arm von Zuckungen befallen wurde. Man nahm alsbald die
exstirpatio ossis metacarpi pollicis vor, da die Wunde vom
Mittelhandknochen des Zeigefingers gegen die Mitte des Mittel¬
handknochens des Daumens verlief. Die Blutung war hierdurch
gestillt, indessen nahm der bereits früher erschienene Trismus
seinen Fortgang zu allgemeinem Tetanus, dem der Kranke
erlag.
Physiologische Resultate: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. Obgleich diese Reflexneurose nun Trismus und Te¬
tanus genannt wird, so sehen wir ſie den Reflexgesetzen voll¬
ständig unterthan. Denn es constituirt sich ein von den ge¬
reizten Empfindungsnerven entfernt gelegener Reflexbezirk.
Derselbe ist aber die Medulla oblongata, an welche sich dann
die Reflex-Irradiationen anreihen. (Gesetz I., V. A., B. und C.)
Beobachtung XVI.
Dupuytren, Traité tbéorique et pratique des Blessures par Armes
de Guerre. Bruxelles 1835. rédigé d'après les leçons cliniques
de M. le Baron Dupuytren et publié sous sa direction par
MM. les docteurs A. Paillard et Marx. Partie I. p. 50
Madame N. . ., die Gattin eines Apothekers, von äusserst
reizbarer Constitution, stach sich mit einem Federmesser in die
Radialseite des Mittelfingers der linken Hand. Sehr heftige
Schmerzen folgten und blieben nach der baldigen Heilung
zurück. Sie wurden begleitet von Schlaflosigkeit, Fieber, Er¬
brechen und Convulsionen in dem verletzten Gliede, sodass
die Finger in die Hand geschlagen wurden und diese mit dem
Vorderarme abmagerte. Dupuytren hob die Schmerzen auf
bei einem Drucke oberhalb des Stiches, vermehrte sie hingegen,
wenn er die Narbe berührte. Er rieth deshalb die Durch¬
schneidung des Nerven an.
Physiologische Resultate: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. Sodann haben wir hier, in Bezug auf die Oertlichkeit
des reflectorischen Ausschlages, zwei Centra, von welchen sie
ausgehen. Zuerst die Hauptaffection im Gebiete der Motoren
des Plexus brachialis, in welchem auch die gereizten sensitiven
Nerven liegen. Sodann ein entfernter Heerd: wiederum die
Medulla oblongata, indem beim Brechacte die respiratorischen
Nerven mit den Rami gastrici des Vagus in Thätigkeit sind.
(Gesetz I., V. A. und B.)
Beobachtung XVII.
Dupuytren a. a. O. Partie I. p. 54.
Vallée, ein Mann von einigen und dreissig Jahren, von
nervöser Constitution, stiess sich einen sehr spitzen Holzsplitter
in die Hand. Die Wunde heilte bald, die Narbe aber blieb
hart und empfindlich. Der Unfall ereignete sich im Monat März
1831, zu welcher Zeit sehr kalte Nord- und Nordwestwinde
Morgens und Abends wehten, während am Tage die Tempera¬
tur sehr heiss war. Zwölf Tage nach der Verwundung empfand
der Kranke heftige Schmerzen in der Narbe, welche sich mit
einer Contractur der Finger verbanden. Als er nach dem
Hôtel-Dieu um Hülfe kam, bestand nur dieses locale Symptom,
gegen welches man emollirende und narkotische Bäder und
Cataplasmen verordnete. Nach einigen Tagen kam er indessen
zurück. Die Symptome hatten sich gesteigert. Die Contractur
der Finger hatte sich vermehrt und auf den Vorderarm und
Arm ausgedehnt, wo sich convulsivische Zuckungen zeigten.
Zugleich war die Deglutition genirt, der Kopf durch die ge¬
spannten Nackenmuskeln nach Hinten gezogen. Die linke, un¬
verletzte Extremität war ohne Krampfanfälle. Während die
convulsivischen Zuckungen an Frequenz und Stärke sich mehr¬
ten, breitete sich der tonische Tetanuskrampf tiefer herab und
raffte ihn endlich am 3. April dahin.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I., III., V. A., B. und C.)
Beobachtung XVIII.
Larrey, D. J., Mémoires de Chirurgie militaire et Campagnes.
T. I. Paris 1812. p. 250. (Campagnes d'Egypte.)
Mustapha, ein Mameluk von Murad-bey, welchem durch
einen Schuss die Finger der rechten Hand zerschmettert wor¬
den waren, wurde den französischen Aerzten zur Behandlung
übergeben. Alle Symptome des Tetanus waren bereits vorhan¬
den; die Muskeln des verwundeten Gliedes waren von Convul¬
sionen befallen; Deglutition beschwerlich; Kiefer geschlossen.
Die Wunde ward gereinigt, und obgleich die heftiger werdenden
Convulsionen im Arme und das Vorschreiten der Symptome
den allgemeinen Starrkrampf befürchten Hessen, besserte sich
der Zustand doch bald, sodass der Kranke gesund an Murad¬
bey zurückgeliefert werden konnte.
Physiologische Resultate: Zunächst das Gesetz der
gleichseitigen Leitung. Sodann, wie auch im vorigen Falle, die
stärkere Ergriffenheit derjenigen Seite des Körpers, wo die
Wunde lag. (Gesetz I., III., V. A. und B.)
Beobachtung XIX.
Larrey a. a. O. Tome I. p. 269.
Einem Manne wurde der rechte Arm durch Schuss ver¬
wundet, vorzüglich aber der Musculus biceps und Caraco bra¬
chialis, nebst dem Nervus radialis und Cutaneus internus. Nach
einigen Tagen stellten sich heftige locale Schmerzen ein, wel¬
chen bald Convulsionen der Hand und des Vorderarms mit
Trismus folgten. Larrey untersuchte die Wunde, fand hierin
einige Aeste des Nervus cutaneus internus, welche er durch¬
schnitt. Sofort nach der Operation fühlte sich der Kranke sehr
erleichtert und in zwei Tagen waren alle drohenden Symptome
verschwunden.
Physiologische Resultate: Wie im vorigen Falle. (Ge¬
setz I., III., V. A. und B.)
Beobachtung XX.
John Morgan, A lecture on tetanus. London 1833. p. 9.
Ein Schullehrer schlug einem Knaben mit einem Stocke auf
die Hand. Die nächste Folge war eine krampfhafte Zusammen¬
ziehung der Vorderarmmuskeln und bald auch der Oberarm¬
muskeln, der sich die Erscheinungen eines tödtlich endenden
Tetanus schnell beigesellten.
Physiologisches Resultat: Gesetz I., III., V.A., B.
und C.
Beobachtung XXI.
Benjamin Travers's, A further inquiry coucerning constitutional
irritation and the pathology of the nervous system. London
1835. Part. II. p. 323.
Mary Ann Elliot, 14 Jahre alt, zog sich am 18. December
1833 eine gerissene Wunde der Handfläche und Handwur¬
zel zu.
Am 30sten wurde ein leichtes Zucken in den Vorderarm¬
muskeln bemerkbar.
Am 1. Januar bereits Trismus und beschwerliche Deglutition,
während die Wunde ein gesundes Aussehen zeigte. Allmälig
stieg der tonische Krampf zu Nacken-, Brust- und Bauchmus¬
keln herab mit Erzeugung von Opisthotonos, während das
verletzte Glied fast gewöhnlich von Convulsionen heimgesucht
wurde.
Die Kranke überstand indessen die Krankheit glücklich und
konnte am 3. April als geheilt entlassen werden.
Physiologische Resultate: Zunächst das Gesetz der
gleichseitigen Leitung. Als Consequenz hieraus ist es zu be¬
trachten, wenn die Muskeln derjenigen Körperseite heftiger vom
Krampfe heimgesucht werden, welche auch die Verletzung an
sich trägt, als die andere. Hier sehen wir das verletzte Glied
vorzugsweise ergriffen. Wir sehen ferner als Consequenz aus
dem Gesetze des dreiörtlichen Auftretens der Reflexe im An¬
fange des Tetanus zwei Heerde sich geltend machen, von wel¬
chen aus der tonische Reflexkrampf seinen Ausgang nahm.
Der eine Heerd ist die Innervationsstätte der Motoren des Ner¬
vus medianus muscularis, welche in gleichem Niveau mit den
gereizten sensitiven Nerven liegen. Der zweite Heerd ist ein
von diesem entfernter: wiederum die Medulla oblongata (Tris¬
mus, beschwerliche Deglutition u. s. w.). (Gesetz I., III., V. A.,
B. und C.)
Beobachtung XXII.
W. W. Manifold, Case of Tetanus, with Remarks by Dr. Briggs
in Edinburgh Medical and Surgical Journal. Vol. XXIV. p. 277
und flgd.
Evan Wright, 15 Jahre alt, hatte die unterste Phalanx
des rechten Daumens fracturirt. Nach einigen Wochen ent¬
standen heftige Schmerzen in dem verletzten Gliede, mit denen
sich die Symptome des Tetanus zeigten, welcher bald von der
Medulla oblongata über den Körper, mit Verschonung der Plexus
brachiales, überstrahlte. Nachdem im Anfange Emprosthotonos
mit Opisthotonos gewechselt, behielt letzterer endlich die Ueber¬
hand. Nur in einer Nacht wurde der Plexus brachialis, und
zwar der rechte! mächtig ergriffen, während der linke ver¬
schont blieb. Der Kranke genas.
Physiologisches Resultat: Gesetz I. und III.
Beobachtung XXIII.
Edward Seah, Cases of Tetanus in Edinburgh Medical and Sur¬
gical Journal von 1828. Vol. XXX. p. 23.
Mr. Gray, 16 Jahre alt, verlor seinen rechten Arm durch
einen Kanonenschuss. Der heldenmüthige Jüngling rief dem
Arzte zu: „Doctor, I have lost one of my flippers“, und ſtieg in das
Cock-pit hinab. Der Arm war 4 Zoll unter der Schulter getrennt.
Nach der Articulation des Humerus erschien der Tetanus in
der gewöhnlichen Weise, successive ein Nervengeflecht nach
dem andern von der Medulla oblongata aus erregend. Bemer¬
kenswerth ist es, dass der tonische Krampf, als er die Bauch¬
muskeln zu befallen begann, zuerst die rechten befiel. Der
Patient überstand indessen die Krankheit glücklich.
Physiologische Resultate: Ein sehr interessanter Fall
für das Gesetz der gleichseitigen Leitung. Nachdem der Reflex¬
krampf bereits eine grosse Ausbreitung erlangt hatte, sehen wir
ihn an einer, von der Verletzung weit entfernten Stelle zuerst
nur die Motoren einer Seite erregen. Es sind aber die Motoren
der Seite, auf welcher die Verletzung sich befand. (Gesetz I.,
II. und III.)
Beobachtung XXIV.
Arthur Adye, in Lancet Journal vom October 29. 1839.
Ein Knabe von 14 Jahren zog sich eine gerissene Wunde
des linken Armes zu. Diese nahm ein übles Aussehen an und
nach neun Tagen wurde der Arm von heftigen Convulsionen
befallen, zu denen sich bald Trismus gesellte. Die drohenden
Symptome verschwanden indessen bald und der Kranke erlangte
nach vier Wochen seine Gesundheit wieder.
Physiologische Resultate: Gesetz der gleichseitigen
Leitung und Gesetz des dreiörtlichen Auftretens des Reflexes.
(Gesetz I., III., V.A. und B.)
Beobachtung XXV.
John Wilson, On Nervous Affections peculiar to young Women,
causing Contraction of the Muscles of the Extremities. in London
Medical Gazette. Vol. XX. (1836.) p. 328.
Eine gesunde, junge Frau bekam einen leichten Schlag auf
den unteren Theil des Radius. Die Verletzung erregte mächtige
Schmerzen und der Arm wurde bald von Convulsionen heim¬
gesucht, welche nach einiger Zeit den ganzen Körper er¬
griffen, stets aber in dem verletzten Gliede ihren Anfang
nahmen. Nachdem die Kranke einer erfolglosen ärztlichen Be¬
handlung entzogen war, genas sie bald.
Physiologische Resultate: Zunächst das Gesetz der
gleichseitigen Leitung, dann das Gesetz des dreiörtlichen Auf¬
tretens der Reflexe. (Gesetz I., III., V. A. und C.)
Beobachtung XXVI.
B. C. Brodie, Lectures on local hysterical affections. in London
Medical Gazette. Vol. XIX. (1836.) p. 248.
Eine junge Dame von 12 Jahren stach sich mit einer Schee¬
renspitze in den Zeigefinger der linken Hand. Sofort empfand
die Dame einen Schmerz in dem Verlaufe des Nervus medianus,
und am folgenden Tage war der Vorderarm durch einen toni¬
schen Krampf in einen rechten Winkel zum Oberarm gestellt.
Bald waren sämmtliche Muskeln der Hand und des Vorderarms
afficirt und von Convulsionen heimgesucht. — Hierauf fing die
Kranke an zu brechen, indem zugleich das Zwerchfell so
stark zuweilen befallen wurde, dass Erstickung drohte. — Nach
einiger Zeit wurde das Gesammtnervensystem befallen und te¬
tanische Erscheinungen: Trismus und Opisthotonos zeigten sich.
Die Kranke überstand indessen die Gefahr glücklich.
Physiologische Resultate: Das Gesetz der gleichseiti¬
gen Leitung. — Das Gesetz des dreiörtlich auftretenden Re¬
flexes, und zwar hier das Interessante, dass in einem Falle die
drei Erscheinungsweisen geboten sind. Zuerst: der Reflex in
den Motoren, welche in gleichem Niveau mit den gereizten
sensitiven Nerven lagen. Zweitens ein von diesem entfernter,
noch localer Reflex: Brechen und Zwerchfellkrämpfe, also Er¬
regungen der respiratorischen Nerven und des Vagus, sowie
des Nervus Phrenicus von Medulla oblongata her. Drit¬
tens: ganz allgemeine Reflexe. (Also Gesetz I., V. A., B.
und C.)
7
Beobachtung XXVII.
B. C. Brodie, a. a. O. p. 249.
Ein Frauenzimmer von 30 Jahren hatte die beiden Knochen
des Vorderarms fracturirt. Heftiger Schmerz stellte sich ein
mit Mitempfindungen, welche über den Arm, den Nacken und
den Kopf ausstrahlten (!), und zwar blos auf dieselbe Seite
beschränkt blieben. Zugleich wurde das Glied von Convulsio¬
nen befallen. Diese Erscheinungen verschwanden erst, nachdem
die Fractur geheilt war.
Physiologische Resultate: Das Gesetz der gleichseiti¬
gen Leitung für Reflexe und Irradiationen. Wir bemerken fer¬
ner, dass die Irradiationen immer zuerst nach Oben strahlen,
also nach der Medulla oblongata eilen, nicht aber vom Plexus
brachialis sofort zu den Nervi dorsales spinales etc. herabstei¬
gen. (Gesetz I., IV., V. A.)
Beobachtung XXVIII.
Montani, History of a Case of Traumatic Tetanus in London Me¬
dical and Physical Journal. Vol. XLIII. p. 192.
A. Brunetti, 50 Jahre alt, verwundete sich auf dem Rük¬
ken der linken Hand zwischen dem Daumen und Zeigefinger
und nahe der Strecksehne des letzteren. Die Wunde war un¬
gefähr einen Zoll lang und zwei Linien tief. Nach drei Wochen
wurde der linke Arm schwer beweglich und der linke kleine
Finger krampfhaft in die Handfläche gezogen. Bald waren auch
die anderen Finger der linken Hand contrahirt und nur der
Daumen frei. Alsbald bildete sich der Tetanus allgemein aus
und erschütterte durch Frequenz und Intensität mächtig den
Körper des Kranken. Die Muskeln des Vorderarms waren fort¬
während contrahirt, und Berührung der Wunde erzeugte sofort
den tetanischen Paroxysmus. Der Kranke genas bald, nachdem
in der geheilten Narbe ein Nervenfilament getrennt war.
Physiologische Resultate: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. Heftigeres Auftreten des Reflexkrampfes auf derjenigen
Körperseite, welcher die Verletzung angehörte. (Gesetz I., III.,
V. A. und C.)
Beobachtung XXIX.
Babington, Guy's hospital reports. Vol. VI. p. 423.
Eine Frau, 20 Jahre alt, deren rechter Arm wegen scro¬
phulöser Desorganisation des Ellenbogengelenks amputirt wurde,
litt einige Zeit nach der Operation an convulsivischen Zuckun¬
gen in den Muskeln des Armes und der Schulter, wodurch der
Stumpf hin und her bewegt wurde. Während des Schlafes war
nur ein Zittern der Muskeln bemerkbar.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V. A.)
Beobachtung XXX.
Dr. Michaelis, in Graefe's und Walther's Journal. Vol. X. p. 169.
Folgender Fall ist von G. Bell mitgetheilt.
Eine junge Dame hatte an der Cephalica des rechten Armes
zur Ader gelassen und Darauf Schmerzen an dieser Stelle em¬
pfunden. Die Flexoren wurden in Folge Dessen am rechten
Arme dergestalt contrahirt, dass der Vorderarm mit dem Ober¬
arm in einen Winkel gestellt und die Finger fest in die Hand
geballt waren. Die Kranke konnte weder den Arm, noch die
Finger ohne die heftigsten Schmerzen ausstrecken; der Arm
war nicht geschwollen, die Venenwunde zwar geheilt, aber bei
der leisesten Berührung schmerzhaft. Da man das Hinzutreten
des Tetanus befürchtete, und es schwer schien, einen so feinen
Nerven aufzufinden und von den Nachbartheilen zu trennen,
wurde ein grosser Theil der Vene exstirpirt, um ganz sicher
den verletzten Nerven mit zu entfernen. Gleich nach der
Operation konnte die Kranke den Arm, sowie die Finger, mit
Leichtigkeit und ohne Schmerzen bewegen.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I., V. A.)
7 *
Beobachtung XXXI.
Dr. Michaelis, a. a. O. p. 171.
Einer Dame wurde an der Mediana des linken Armes zur
Ader gelassen, worauf die heftigsten Schmerzen entstanden.
Am dritten Tage nach dem Aderlasse wurde sie plötzlich von
einem Krampfe der Extensoren der Hand befallen, der zuletzt
alle Muskeln des Körpers ergriff. Der Anfall dauerte zwar nur
sechs Minuten, kehrte aber zu unbestimmten Zeiten wieder
zurück. Opium und Laudanum vermochten die Heilung nicht
herbeizuführen.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I., III., V. A. und C.)
Beobachtung XXXII.
Dr. Michaelis, a. a. O. p. 172.
Die Frau eines Wundarztes schnitt sich mit einem Messer
an dem Radialtheile des Daumens in die Mitte zwischen dem
ersten und zweiten Gelenk, verletzte sich die Arterie und wahr¬
scheinlich auch den Nerven. Der Schmerz, welcher bei der
Verwundung sehr heftig gewesen war, dauerte auch nach Hei¬
lung der Wunde fort und ging in Zuckungen mit Contractur
des Armes über. Da Einschnitte in der Nähe der Narbe durch
die Weichtheile ohne Erfolg gemacht worden waren, ward der
Daumen amputirt und Hierdurch die sehr angegriffene Gesund¬
heit der Patientin wieder hergestellt.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V. A.)
Abtheilung III.
Reflexionen im Bereiche des Lenden- und Schenkelgeflechtes.
Beobachtung XXXIII.
Romberg, Lehrbuch der Nervenkrankheiten. Motilitäts-Neurosen.
p. 38.
Bei einem an Fractur des rechten Schien- und Waden¬
beines leidenden Manne zeigte sich am zehnten Tage Spannung
der Kaumuskeln mit Schmerzhaftigkeit und erschwerter Bewe¬
gung des Unterkiefers der rechten Seite, welche nach einigen
Tagen von selbst verschwand.
Physiologische Resultate: Ein äusserst interessanter
Fall. Trotzdem, dass der reflectorische Ausschlag weit entfernt
liegt von der Stelle, wo die gereizten sensitiven Fasern in das
Rückenmark eintreten, bewahrheitet sich dennoch das Gesetz
der gleichseitigen Leitung in einer sehr frappanten Form. Der
Fall giebt uns ferner einen Beitrag zum Gesetze des dreiörtli¬
chen Auftretens des Reflexes. Dieser Reflex erfolgt nicht in
den Motoren, welche in gleichem Niveau mit den gereizten
sensitiven Nerven liegen, sondern an einer hiervon sehr weit
entfernten Stelle. Wir sehen wiederum, dass diese Stelle die
Medulla oblongata ist. (Gesetz I. und V. B.)
Beobachtung XXXIV.
Dieffenbach, Ueber die Durchschneidung der Sehnen und Mus¬
keln. p. 225.
Dieffenbach heilte eine Contractur des linken Knie's und
linken Klumpfusses mittelst Durchschneidung der Sehnen der
Mm. semitendinosus, semimembranosus, biceps, tibialis anticus,
des extensor hallucis, sowie des tendo Achillis. In den ersten
Tagen schmerzte die Operation und die Extremität wurde durch
Convulsionen in die Höhe geworfen.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V. A.)
Beobachtung XXXV.
Dieffenbach, Operative Chirurgie. I. p. 852.
Eine junge Frau, bei der nach einem Aderlasse am Arm
sich heftige Schmerzen eingefunden hatten, litt an Mitempfin¬
dungen, welche sich abwärts zur Hand, aufwärts zur Achsel
und dann wieder abwärts an derselben Seite bis zum Unter¬
schenkel und Fuss erstreckten. Man schnitt die Narbe mit vor¬
übergehender Besserung aus. Nach einem neuen Aderlass am
Fusse entstanden Convulsionen, die sich längs der verwundeten
Extremität ausdehnten und dann auf den Körper übergingen.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung des Reflexes. (Gesetz I. und V. A. und C.)
Beobachtung XXXVI.
Dr. Michaelis, Ueber Gesichtsschmerz in Gräfe's und Walther's
Journal. Bd IV. p. 689.
Ein Soldat, Namens Lesueur, 55 Jahre alt, erhielt in der
Schlacht bei Wagram einen Schuss in die äussere Seite des
oberen Theiles des linken Crus. Die Kugel, welche in der
Wunde stecken geblieben war, konnte erst nach drei Monaten
aus derselben entfernt werden. Kurze Zeit nach der Heilung
des Schusskanals bildete sich auf der Narbe eine Geschwulst
von der Grösse eines Hühnereies, welche beim Druck empfindlich
war. Das ganze linke Bein wurde blau und das Gehen unsicher.
Später entstanden täglich zu unbestimmten Stunden Zuckungen,
die von der Narbe ihren Ursprung nahmen, zuerst die linke,
dann die rechte Körperhälfte und zuletzt auch Brust- und
Halsmuskeln ergriffen. Am meisten litten die unteren Extremi¬
täten. Während des Anfalls schrie der Kranke sehr laut vor
Schmerzen, es war ihm: als wenn alle seine Knochen zerbro¬
chen und seine Haut gebrannt würde. Hierbei ausserordentlich
vermehrte Schweisssecretion und ungewöhnlicher, nicht zu stil¬
lender Durst. Im Lazareth der Invaliden nahm man die Durch¬
schneidung des „äusseren Kniekehlnerven“ vor, und schnitt ein
Stück von 18‴ aus, um die Wiedervereinigung zu verhüten.
Sofort hatten die Zufalle ihre Intensität verloren und waren
bald gänzlich verschwunden, so dass der Kranke seine frühere
Gesundheit wieder erlangte.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I., II. und V. A.)
Beobachtung XXXVII.
Sabatier, De la Médecine Operatoire. Tome I. p. 253.
Einem Aderlasse am Fusse, welcher sehr schmerzhaft ge¬
wesen war, folgten alsbald Convulsionen, welche sich längs der
verwundeten Extremität verbreiteten und dann auf den übrigen
Körper übergingen. Die beabsichtigte Durchschneidung des Ner¬
vus saphenus liess die Kranke nicht zu, und litt deshalb fünf
bis sechs Jahre fast fortwährend, bis sich die Gesundheit lang¬
sam und nur theilvveise wieder einstellte.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V. A.)
Beobachtung XXXVIII.
Sabatier, a. a. O. T. I. p. 254.
Ein gesunder und kräftiger junger Mann wurde durch eine
Degenspitze an dem unteren und inneren Theil des linken Schen¬
kels in dem Verlauf des Nervus saphenus und der Vena saphena
verwundet. Nachdem sich eine hinzugekommene Geschwulst
und Fieber verloren hatten, begann das ganze Glied zu zittern,
anfangs leise, später heftig. Die Untersuchung der Wunde er¬
gab, dass die Vena saphena vollständig getrennt war und der
Nerv halb durchschnitten. Obgleich der Kranke keine Operation
zuliess, gewann er dennoch, wenn auch allmählig, seine frühere
Gesundheit und Kraft wieder.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V. A.)
Beobachtung XXXIX.
Dupuytren, Traité théorique etc. Partie I. p. 52.
Die junge Gattin des Generals T . . . . . . von einigen und
zwanzig Jahren, vier Monate schwanger, hatte bei einem Falle
aus einem Tilbury das Bein gebrochen. Nach einigen Tagen
bereits befand sich das verletzte Glied in einem Zustande teta¬
nischer Contraction. Dupuytren nahm die Amputation vor.
Dennoch aber ergriff der Tetanus den Gesammtorganismus und
raffte die Kranke schnell dahin.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V.A. u. C.)
Beobachtung XL.
Larrey, Mémoires de Chirurgie militaire. I. p. 252.
Der Divisionsgeneral Lannes erhielt in der Schlacht bei
Aboukir einen Schuss in den Unterschenkel, welcher durch das
interstitium der beiden Knochen drang. — Alsbald stellten sich
heftige Schmerzen und Zuckungen in dem verletzten Gliede ein,
denen die Symptome des Tetanus folgten. Der Kranke genas.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V.A.)
Beobachtung XLI.
Larrey, a. a. O. I. p. 265.
M. Bonichon, Infanterielieutenant, hatte in der Schlacht
bei Sedment einen Schuss in den linken Fuss bekommen. Mit
dem Erscheinen des Tetanus gerieth die verwundete Extremität
in einen Zustand von „convulsivischer Contraction“. Der ausser¬
ordentlich mächtig und intensiv auftretende Tetanus veranlasste
die Amputation des Unterschenkels, welche sofortige grosse Er¬
leichterung bewirkte. Der Stumpf war indessen sehr empfind¬
lich und Berührungen desselben erregten Zuckungen in ihm.
Diese Convulsionen wurden gemindert durch eine sehr exacte
Compression auf den Stamm des Nervus ischiadicus. Unter die¬
ser guten Behandlung erlangte der Kranke, wenn auch mit Ver¬
lust seines Unterschenkels, seine Gesundheit wieder.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I., III. und V. A. u. C.)
Beobachtung XLII.
Travers, A further Inquiry on Constitutional Irritation etc. Part. II.
p. 316.
Eine Frau von 37 Jahren fiel und fracturirte sich den rech¬
ten Unterschenkel, so dass die Tibia durch die Integumente her¬
vordrang. Das Glied wurde von mächtigen Krämpfen befallen,
welche die Fragmente verzogen und nach einigen Tagen von
tetanischen Erscheinungen gefolgt waren. Diese mächtig auf¬
tretende Krankheit tödtete die Kranke.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V. A. u. C.)
Beobachtung XLIII.
Travers, a. a. O. Part. II. p. 327.
Susannah Phillips, 43 Jahre alt, welche seit sechs Wochen
an einem Geschwür des rechten Knies litt, das sich aus einer
Pustel gebildet hatte und sehr schmerzhaft war, zeigte die Symp¬
tome des Tetanus, welche sich zu ausserordentlicher Höhe stei¬
gerten und die Kranke tödteten. Bemerkenswerth ist es, dass
einmal das Allgemeinergriffensein einer Localisirung des tetani¬
schen Paroxysmus wich, indem sich der Krampf ausschliesslich
auf den rechten Unter- und Oberschenkel beschränkte.
Physiologisches Resultat: Eine interessante Notiz für
das Gesetz der gleichseitigen Leitung, welche zugleich beweist,
dass der entstandene Tetanus nicht idiopathisch war, sondern
eine durch das reizende Geschwür bedingte Reflexneurose.
(Gesetz I. und V. A. u. C.)
Beobachtung XLIV.
Thomas Blizard Curling, A Treatise on Tetanus, being the Essay,
for which the Jacksonian Prize for 1834 was awarded. London
1836. p. 158.
Thomas Moss, 22 Jahre alt, verrenkte sich die grosse Zehe
des rechten Fusses, welche reponirt wurde und bald heilte.
Zehn Tage Darnach indessen zeigten sich Zuckungen in dem
verletzten Gliede, denen bald der Tetanus folgte, welcher den
Kranken tödtete. Während der Paroxysmen ward hauptsächlich
der rechte Fuss heimgesucht.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I., III., V.A. u. C.)
Beobachtung XLV.
Th. Bl. Curling, a. a. O. p. 194.
Ein robuster junger Mann von 19 Jahren verletzte sich mit
einem Nagel die Sohle des linken Fusses. Nach einigen
Wochen zeigte sich der Tetanus, welcher den Körper des Kran¬
ken mächtig ergriff und besonders in äusserst schmerzhaften
Krämpfen des linken Fusses und der linken Gastrocnemii
wüthete. Der Kranke überstand die Krankheit indessen glücklich.
Physiologisches Resultat: Ungleich starkes Betheiligt¬
sein beider Körperhälften am Reflexkrampf. Die mächtiger affi¬
zirte Seite ist diejenige, auf welcher die Verletzung liegt. (Ge¬
setz III. und V.C.)
Beobachtung XLVI.
John Elliotson, Medico-chirurgical Transactions of London. Vol.XV.
Part. I. p. 174. (1829.)
James Goodall, 15 Jahre alt, wurde nach einer Verletzung
über dem rechten Tendo-Achillis von Tetanus befallen, und
zwar in der so seltenen, interessanten Form eines leichten Pleu¬
rotonos. Der Körper war nach Rechts in einem Bogen gezogen,
woraus sich ergiebt, dass der Pleurotonos keineswegs eine hy¬
pothetische Varietät des Tetanus ist, wie Viele glauben.
Physiologisches Resultat: Wir sehen nunmehr eine
ganze Körperseite vorzugsweise gewaltig vom Reflex-Krampfe
befallen. — Es ist aber die Seite, auf welcher die Verletzung
gelegen ist. (Gesetz I., III. und V. C.)
Beobachtung XLVII.
John Orton, A Case of Amputation of the sigh at the hipjoiut.
Medico-chirurgical Transactions. Vol. XIII. Part. II. p. 605 etc.
Thomas Simpkin, 25 Jahre alt, litt an einer chronischen
Entzündung des linken Kniegelenkes, welche sich mit einer
Contraction der Flexoren des Beines verband. Der leiseste Ver¬
such das Glied zu bewegen erzeugte heftige Convulsionen. Nach
der Amputation litt er an localen und allgemeinen Zuckungen,
welche stets vom Stumpfe ihren Ausgangspunkt nahmen.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I., III. und V. A u. C.)
Beobachtung XLVIII.
John Cooke, A Treatise on Nervous Diseases. (Vol. II. Part. II.
London 1823 p. 235.) in Medical and Surgical Journal of Edin¬
burgh. Vol. XXI. p. 201. Anm.
Eine kräftige junge Frau wurde plötzlich von heftigem
Schmerz des linken Schenkels und Torpor des Gliedes befal¬
len. Einige wenige Monate nachher wurde die ganze linke
Körperseite von Convulsionen befallen, welche 15 Minuten an¬
dauerten, und sich im Verlaufe von zwanzig Monaten in immer
heftigeren Paroxysmen einstellten, so dass ein ausserordentlich
gewaltiger Anfall die Kranke zuletzt tödtete. Bei der Section
fand sich ein rauher, unregelmässiger Tumor, von der Grösse
einer Nuss, welcher auf dem Zweige des linken Nervus Ischiadi¬
cus lag, der sich in den Musculus Semimembranosus verbreitet.
In dem unteren Drittel des Verlaufs dieses Astes lag der Tumor.
(Mitgetheilt aus: Memorie della Societa' Medica di Genova 1801.
I. p. 89.)
Physiologisches Resultat: Wiederum ein äusserst
interessanter Fall für das Gesetz der gleichseitigen Leitung.
(Gesetz I., III. und V. C.)
Beobachtung XLIX.
T. E. Palmer, Miscellaneous Cases in practical Surgery, in London
Medical Gazette. Vol. XVII. p. 220.
W. C., 52 Jahre alt, bekam nach Amputation des Unter¬
schenkels unter dem Knie heftige Convulsionen in dem Stumpfe
und Oberschenkel. Palmer, welcher die Narbe genau unter¬
suchte, fand in ihr eine kleine papillenartige Hervorragung ein¬
geschlossen, welche er wegen ihrer ausserordentlichen Empfind¬
lichkeit für das durchschnittene Ende des Nervus fibularis ansah.
Da er hier den Sitz des Reizes suchte, entfernte er einen hal¬
ben Zoll des Nerven, welcher angeschwollen und noch einmal
so dick als gewöhnlich war. Die Operation entfernte nicht
ganz die quälenden Zufälle, verminderte und milderte dieselben
indessen in hohem Grade. Der Arzt bedauert, nicht ein grösse¬
res Stück des Nerven excidirt zu haben, wodurch allem An¬
schein nach baldigst eine dauernde Hülfe hätte erwartet werden
können.
Physiologisches Resultat: Gesetz I. und V. A.
Beobachtung L.
John Howship's Cases of Tetanus in London Medical Gazette.
Vol. XXII. p. 479. (1809)
Thomas Platt, 46 Jahre alt, dem der Schenkel fracturirt
war, wurde von heftigen Convulsionen in diesem befallen. Nicht
lange währte es, so gesellte sich Trismus hinzu, welcher indes¬
sen bald wieder verschwand und die von Zeit zu Zeit wieder¬
kehrenden Convulsionen des verwundeten Schenkels zurückliess.
Kein anderer Muskel des Körpers war ergriffen.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. Gesetz der Reflex-Symmetrie. Denn auch die Seite
wurde von Convulsionen befallen, auf welcher die Verletzung
nicht lag. Aber der Krampf tritt in solchen Muskeln auf, welche
auf der primär affizirten Seite erregt sind. (Quintus motorius.)
Ferner: Gesetz des dreiörtlichen Auftretens des Reflexes. Hier
haben wir die beiden ersten Arten. Zwei localisirte Krampf¬
herde. Der eine liegt im Niveau der gereizten sensitiven Ner¬
ven, der andere ist wiederum die Medulla oblongata! (Gesetz
I., II., III., V. A. u. B.)
Beobachtung LI.
Key, Case of Traumatic Tetanus. Guy's hospital reports. I. p. 119.
William Arnold, 24 Jahre alt, brach den linken Unter¬
schenkel mit Zersplitterung der Tibia, so dass das obere Frag¬
ment durch die Integumente drang. Beide Knochen waren unter
der Mitte fracturirt. Die Fragmente wurden bald durch Krampf ver¬
zogen, welcher sich über den ganzen Schenkel nach Oben aus¬
dehnte und bald von tetanischen Erscheinungen in den Kiefern
und dem Nacken u. s. w. begleitet war. Obgleich nun der Te¬
tanus ungemein heftig auftrat, überstand ihn der Kranke doch
glücklich.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I., V. A., B. u. C.)
Beobachtung LII.
Caleb Hillier Parry, Cases of Tetanus and Rabies Contagiosa. Bath
1814. p. 5.
William Collins, 30 Jahre alt, wurde aufgenommen mit
einer Zerreissung der Integumente auf der inneren Seite der
linken Gastrocnemii. Nach einigen Wochen wurden die Fle¬
xoren des Oberschenkels (soll wohl Unterschenkels heissen)
von einem tetanischen Krampf befallen, do dass das Knie nicht
gestreckt werden konnte (unable to straiten the left knee).
Zwei Tage später war bereits Trismus vorhanden, und das
andere Bein ebenfalls vom Krampf ergriffen. Der Tetanus bil¬
dete sich aus und trat an drei Stellen vorzüglich heftig auf.
Einmal tobte er in der linken Schulter vorzugsweise; an einem
Tage aber auch in der unteren Partie des rechten rectus ab¬
dominis, die einzige Notiz, welche mir bekannt ist, dass ein
Muskel der nicht verletzten Seite stärker affizirt gewesen wäre,
als sein gleichnamiger der entgegengesetzten. (S. oben die
Lehre der Reflexgesetze.)
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung, der Reflexsymmetrie und des dreiörtlichen Auftretens
der Reflexe. (Gesetz I., II. und V. A. u. B.)
Beobachtung LIII.
B. C. Brodie, On local hysterical affections. London Medical Ga¬
zette XIX. p. 200.
Dieser Autor meldet, dass die Empfindlichkeit bei hysteri¬
schen Gelenkleiden häufig so bedeutend sei, dass die blosse
Berührung der Haut hinreiche, Convulsionen in dem Gliede zu
erzeugen.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V. A.)
Beobachtung LIV.
Dr. Latham, Cases of Tetanus. Medical and Physical Journal of
London. Vol. XXX. p. 74.
John Triggs, 25 Jahre alt, zog sich durch einen Fall vom
Pferde eine leichte Wunde des äusseren Theiles des Unterschen¬
kels zu. Obgleich diese Wunde gut heilte, wurde der Kranke
dennoch von Tetanus befallen, und das verletzte Glied vorzugs¬
weise von Convulsionen erschüttert. Der Kranke genas.
Physiologisches Resultat: Gesetz I., III., V. A. u. C.
Beobachtung LV.
Dieffenbach, Ueber die Durchschneidung der Sehnen und Mus¬
keln. p.225.
Ein kräftiger 15jähriger Jüngling stieg eines Tages auf den
Tisch, um die Stubenuhr zu stellen. Als er dann rückwärts
vom Tische auf den Boden sprang, wobei die Spitzen des Fusses
zuerst den Boden berührten, fühlte er über der linken Ferse
einen heftigen Schmerz, so dass er nicht mehr auftreten konnte.
Oelige Einreibungen hoben die Schmerzen binnen wenigen Ta¬
gen; als er aber wieder zu gehen anfing, berührte nur die
Spitze des Fusses den Boden, die Ferse war dagegen um 2 Zoll
in die Höhe gezogen, selbst die Belastung des Fusses durch
das ganze Körpergewicht konnte die Ferse nicht bis auf den
Boden herabdrücken. In sitzender Stellung konnte der junge
Mensch dem Fusse jede beliebige Stellung geben und Dies, wie
es zuerst schien, wohl nur Deshalb, weil bei dem Beugen des
Kniegelenks die Wade erschlafft und verlängert wurde. Allein
bei genauerer Beobachtung verhielt sich die Sache anders. Lag
der Kranke auf dem Rücken, so dass das Kniegelenk und die
Wadenmuskeln erschlafft waren, so konnte er mit dem Metatar¬
salgelenke alle Bewegungen machen, den Fuss extendiren, addu¬
ciren und abduciren. Romberg betrachtet diesen Klumpfuss
für einen reflectorisch erregten. (Romberg, Nervenkrankhei¬
ten. Motilität-Neurosen. p. 65 u. 66.)
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V. A.)
Beobachtung LVI.
Romberg, Nervenkrankheiten. Hypercinesen. p. 15.
„Wenn man bei Kindern, deren Hodensack erschlafft ist,
an der inneren Fläche des Oberschenkels mit dem Finger an¬
drückt, so zieht sich der Hode derselben Seite in die Höhe, in
Folge einer Reflexaction von den Hautnervenfasern des Cruralis
auf die motorischen Nervenfasern des Cremaster.
„Drückt man den Finger etwas stärker an, so tritt die Be¬
wegung rascher und heftiger ein und die Contraction des Cre¬
master hält gleiche Zeit mit dem Drucke. Stellt man den
Versuch abwechselnd auf beiden Seiten an, so lässt sich die
Bewegung öfter erregen, als wenn man durch häufige Wieder¬
holung auf einer Seite die Erregbarkeit erschöpft.“
Ich habe Dazu noch zu erwähnen, dass man dieses Phä¬
nomen sowohl bei Männern als bei Kindern beobachten kann.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung. (Gesetz I. und V.A.)
Beobachtung LVII.
Comhaire, Dissertation sur l'exstirpation des reins. Paris 1803.
Die Exstirpation der Niere bei einem Hunde zog sogleich
eine lähmungsartige Schwäche des Hinterbeins derselben Seite
nach sich. Bei dem blossen Einschnitte in die Haut und Mus¬
keln ohne Herausnahme der Niere fehlte diese Wirkung.
Physiologisches Resultat: Gesetz der gleichseitigen
Leitung vom Plexus renalis einer Seite auf den Plexus lumbalis
und ischiadicus derselben Seite. (Reflex-Lähmung.)
Capitel VI.
Erste Reihe der Experimente.
Es ist das Gesetz der gleichseitigen Leitung einseitiger Re¬
flexe, welches die Basis der Untersuchungen dieses Capitels
bildet.
Ich erkannte, dass der Schwanz von Fischen, Amphibien
und Säugethieren vermöge seiner Muskelanordnung ein gutes
und verlässiges Mittel sei, auf Reflex- oder willkürliche Bewe¬
gung zu prüfen.
Zunächst wählte ich die Salamandra maculata s. terre¬
stris. Ihr drehrunder Schwanz kann activ fast nur nach den
Seiten bewegt werden, was aus der Wirbelarticulation und
der Muskelanordnung sich ergiebt. Von den 43 Wirbeln der
Rückensäule kommen 27 auf den Schwanz. Die kräftige seit¬
liche Bewegung desselben wird durch starke Muskelbündel be¬
wirkt, welche vom Femur und den Ossa pelvis herabsteigen,
um sich seitlich an die Wirbel bis zu Ende des ersten Schwanz¬
viertels zu inseriren. Die Muskelfasern steigen demnach von
Aussen und Vorn nach Innen und Hinten herab und sind den
Mm. glutei, wie es scheint, analog, indem sie bei fixirter Cauda
den Schenkel nach Aussen rotiren, bei fixirtem Femur und
Becken die Cauda nach der Seite der Contraction kräftig an¬
ziehen. Die anderen drei Viertel des Schwanzes werden durch
kleine Muskelchen bewegt, welche ich ihrer Gestalt halber,
wenn auch nicht ganz passend Musculi sigmoidei zur besseren
Verständigung hier zu nennen mir erlauben will. Die processus
transversi fehlen an den Caudalwirbeln fast ganz, die processus
spinosi sind in zwei kleine, eine Rinne zwischen sich lassenden
tubercula verkümmert. Jene Mm. sigmoidei nun sind kleine,
platte, bandförmige Muskelchen, welche sich jederseits an einem
tuberculum processus spinosi breit inseriren, dann über die
Seite des Wirbels zuerst fast allein nur nach Unten und Aussen,
weit über die Wirbelbiegung gehend, herabsteigen, um sich
mehr nach Hinten, Unten und Innen wendend, an der vorde¬
ren, resp. unteren Mittellinie des nächstfolgenden Wirbelkör¬
pers zu inseriren. (S. Carus, Myologie des Erdsalamanders
u. Adolph Funk, De Salamandrae terrestris vita, evolutione,
formatione tractatus. Berlin.) Der Spinalraum reicht mit dem
Rückenmarke bis tief in den Schwanz hinein. —
Unter den Fischen habe ich mich des Aals bedient zu mei¬
nen Experimenten, dessen Schwanz durch die grossen Seiten¬
muskeln nach ihrer Seite gebogen wird. (Wagner, Zootomie,
I. p. 229 u. 230. lcones zootom. tab. XXII.)
Die Anordnung der Muskulatur ergiebt also: Contraction
der rechten Caudalmuskeln zieht den Schwanz nach Rechts,
Contraction der Linken nach Links.
Aus dem Leitungsgesetze für die Reflexion ergiebt sich
ferner: Wenn rechte sensitive Nerven am Schwanze gereizt
werden und Hierauf nur auf einer Schwanzseite Muskelverkür¬
zungen eintreten, so müssen die rechten Muskeln verkürzt, der
Schwanz also, nach Rechts gewandt, seine Concavität nach
8
Rechts, seine Convexität nach Links kehren. Reizt man die
Haut des Schwanzes auf seiner linken Seite, so muss der Re¬
flex den Schwanz nach Links ziehen. So müsste der Mecha¬
nismus sich verhalten.
Ich dachte aber, dass der Schwanz alsdann, wenn er
Empfindung besässe und an rechter oder linker Seite gereizt
würde, und zwar mit einem brennenden Gegenstande, nimmer¬
mehr sich in das Feuer bewegen würde, wie es der Reflex¬
process bedingte.
Als ich nun ein brennendes Hölzchen oder einen sonstigen
brennenden Gegenstand einer Seite des Schwanzes näherte,
wandte sich der Schwanz immer und ohne Ausnahme vom
Feuer ab. Ein Reiz also, welcher rechte sensitive Nervenenden
traf, löste eine Bewegung linker Muskeln aus, sodass die Con¬
cavität des Schwanzes nicht nach Rechts, sondern nach Links
gerichtet ist, die Convexität nicht nach Links, sondern nach
Rechts. Der Schwanz wird stets aus dem Bereiche des Feuers
gezogen. — Es ist natürlich, dass zu diesem Experimente keine
weiteren Cautelen zu beobachten sind, da es eine willkürliche
Bewegung ist, welche unter den gegebenen Verhältnissen ohne
Ausnahme constant eintritt. Auch sind die Resultate ganz die¬
selben, ob man Salamandra oder Anguilla fluviatilis zum Expe¬
rimente wählt.
Wünschenswerth ist es, nur solche Thiere zu diesem Ex¬
perimente zu wählen, deren Schwanz nur seitlicher Bewegung
fähig ist und sich deshalb nur durch seitliche und keine andere
Bewegung dem schmerzenden Einflusse entziehen kann. Wenn
man indessen die Oben bezeichnete Vorsicht anwendet, kann
man die Beobachtung an Eidechsen, Blindschleichen etc. ebenso
machen.
Es wäre nun die Frage zu erörtern, ob diese durch Em¬
pfindungen veranlasste willkürlichen Bewegungen, welche wir
so eben geschildert haben, nur dann statt finden, wenn der
obere Theil des Rückenmarkes noch erhalten ist, oder ob selbst
das kleinste Stückchen desselben hinreicht, in den Theilen, die
ihm noch unterworfen sind, auf die Oben geschilderte Weise
das Bewusstsein in sich zu beurkunden.
In der That aber findet man die eben geschilderte Bewe¬
gung gleichmässig wieder, mag man das Rückenmark zwischen
Medulla oblongata und Plexus brachialis durchschneiden, oder
mochte es unter dessen Austritt oder über dem des Plexus
lumbalis und sacralis dicht über dem Niveau der hinteren Ex¬
tremitäten geschehen. Ja selbst am Schwanze, oder gar an
Schwanzstückchen ist es leicht, sich von dem gegebenen Faktum
zu überzeugen. Wenn man nämlich den Schwanz oder nur
ein Stückchen Schwanz abschneidet, dasselbe zwischen zwei
aufrecht eingestochene Nadeln legt, sodass seine Stellung die
normale ist, so wird beim Herannahen des Feuers gegen eine
Seite das Thierstückchen sich abkehren. Das ist ebenfalls, so¬
wohl bei Anguilla als Salamandra der Fall in einer ganz un¬
zweideutigen und auf das Allerbestimmteste ausgesprochenen
Weise.
Hiermit ist der Beweis für die Empfindungs- und Willens¬
thätigkeit des Rückenmarkes in seiner ganzen Ausdehnung ab¬
solut festgestellt.
Um indessen auch den grössten Skeptiker zu überzeugen,
welchem das von dem Menschen entnommene Gesetz der gleich¬
seitigen Leitung der Reflexe zur Beurtheilung der Bewegungen
von Aalen und Salamandern gewagt erscheint, habe ich noch
folgende Experimente ausgedacht. —
Da kein Physiologe und kein vergleichender Anatom zwei¬
feln dürfte, dass ein Cardinalgesetz bei einem Wirbelthiere
bestehe und bei dem anderen fehle, so war für mich das
Gesetz, nachdem es beim Menschen erwiesen war, auch für
sämmtliche Wirbelthiere aufgestellt. Hieraus zog ich aber den
Schluss, dass ich Nichts zu thun hätte, als eines der behandel¬
ten Thiere in einen Zustand zu versetzen, von welchem mit
tadelloser Bestimmtheit bekannt wäre, dass in ihm die Erregung
einer Empfindungsfaser wirkliche und nicht blos hypothetische
Reflexe auslöst. Das Mittel, diesen Zustand herbeizuführen, ist
8 *
ja bekanntlich die Narcotisation durch Opium oder viel besser
Strychnin. Gilt also auch für den Aal das Gesetz der gleich¬
seitigen Leitung, so muss in diesem Zustande der Schwanz,
wenn Feuer gegen eine Seite desselben gebracht wird, durch
eine Zuckung gegen oder in dasselbe geschleudert werden! —
Ich habe nun das Experiment an Aalen vorgenommen und
meine Hoffnung des Gelingens bestätigte sich. Der Schwanz
zuckte häufig mit solcher Gewalt in die Flamme, dass sie er¬
losch. Hier muss ich indessen für denjenigen, welcher das
Experiment nachmachen will, einige Cautelen zufügen. Ich habe
an kleinen Aalen von 1–1 Fuss Länge experimentirt. Ich
injicirte 2–3 Tropfen einer alkoholischen Lösung des Strychni¬
num nitricum (gr. v auf ℥β) in den Magen und liess das Thier
alsdann in einer mit Wasser mässig gefüllten Blechwanne lie¬
gen. Sobald es nach wenigen Secunden von selbst zusammen¬
fuhr, ergriff ich es, legte es auf eine glatte Fläche, hielt es, mit
beiden Fingerspitzen es zu beiden Seiten fassend, sanft aufrecht
fest, indem der Schwanz über den Rand der Fläche frei schwebte.
Während ich mit der linken Hand hielt, wartete ich ab, bis die
Krampfparoxysmen ein Intervall hatten, griff mit der rechten
nach einer brennenden Lampe und näherte sie einer Seite des
Thieres. Sofort fuhr durch den ganzen Körper eine gewaltige
Zuckung, welche ich unter meinen Fingern hinweggehen fühlte,
und mit einem mächtigen Schlage schlug der Schwanz gegen
das Feuer. So kann man auf derselben Seite 2–4 mal reizen,
aber nicht mehr, und zwar aus folgenden Gründen:
Hat man eine Seite des Schwanzes gebrannt, so erfolgen
mehrere Zuckungen in den Muskeln derselben Seite, die den
Schwanz immerfort gegen diese schlagen lassen. Die Intervalle
werden immer länger, und wenn man dann auf der anderen
Seite reizte, so wäre man nicht sicher, ob der entstehende
Effect nicht ein gemischter oder noch durch frühere Einwirkun¬
gen bedingter wäre. Hat man deshalb die Zuckung mehrmals
auf derselben Seite entstehen sehen, so wirft man das Präparat
weg und nimmt ein neues. — Ausser Dem habe ich noch Etwas
als Cautel zu bemerken. Die Krampfparoxysmen wechseln mit
Intervallen, in welchen sich das Thier willkürlich bewegt. Reizt
man nun, so entsteht nicht immer ein Paroxysmus, und das
Thier weicht dem Reize aus. Es lässt sich aber unter dem
Finger sehr leicht diese Bewegung von dem Krampfe unter¬
scheiden, indem der Körper weich bleibt und keine stürmische
Zuckung unter den Fingern dahinrollt, welche den Körper
streckt und hart macht. Sobald aber dem Aale, auf den noch
keine anderweitigen intensiven Hautreize eingewirkt haben, das
Feuer genähert wird und Zuckung erfolgt, schlägt der Schwanz
gegen und in das Feuer. Wir sehen also auf das Allerbestimm¬
teste, dass der Schwanz dann, wenn er von wirklichen Re¬
flexen bewegt wird, nicht von dem Feuer sich entfernt, sondern
von den Muskeln in dasselbe hineingezogen wird.
Ein anderes Experiment, welches auf anderem Wege Das¬
selbe bestätigt, ist folgendes. Da nämlich die Anwendung des
Feuers auf die Haut Convulsionen erregen kann, schloss ich,
dass eine mächtige und längere Einwirkung desselben auf die
Aalhaut schliesslich Krämpfe erzeugen würde, die, wenn die
Einwirkung auf eine Seite des Schwanzes statt fände, diesen
in das Feuer biegen müssten.
Nachdem ich einen abgeschnittenen Aalschwanz an beiden
Enden gefasst hatte, näherte ich eine Seite desselben einer
Flamme, und zwar mit Vorsicht, dass nur die oberflächlichen
Theile seiner Einwirkung ausgesetzt waren. Sofort bemerkt
man nun, wie das in den Fingern gehaltene Thierstück alle
Kraft aufwendet, sich abbiegt und der Flamme ausweicht. Ver¬
eitelt man diese Bemühungen, indem man dieselbe Stelle immer
wieder der Lichtkante nähert, so bemerkt man alsbald eine
Veränderung der Scene. Sämmtliche Muskeln derselben Seite,
die weit vom Feuer entfernt sind, gerathen in eine starre Con¬
traction; das Schwanzstück biegt sich kreisförmig, um sich
rasch in das Licht hereinzubewegen, und zwar um so rascher,
je intensiver die Hitze einwirkt.
Noch bliebe uns übrig zu beweisen, dass die vorstehende
Bewegung ein Reflex und nicht etwa eine andere Erschei¬
nung ist.
Man könnte die Bewegung veranlasst halten durch die Ein¬
wirkung der Wärme auf die gleichseitige Rückenmarkshälfte.
Das wird Dadurch widerlegt, dass nach Wegnahme der Haut
und Fascia superficialis nur locale, auf den Ort der Flammen-
Einwirkung beschränkte Erscheinungen eintreten. —
Man könnte den Krampf sodann für einen durch directe
Einwirkung auf die motorische Faser erzeugten halten. Das
wird widerlegt durch den Umstand, dass Muskeln, die weit
von dem Flammenreize entfernt sind, auch contrahirt werden,
dass diese Contraction nach Wegnahme der Cutis und Fascia
superficialis nicht mehr statt hat und ebenso aufhört, nachdem
man das Rückenmark zerstört hat. —
Nicht allein an Fischen und Amphibien habe ich das er¬
zählte Experiment sich bestätigen sehen, sondern sogar an
Säugethieren.
Hier ist das Gesetz der gleichseitigen Reflexleitung nach¬
gewiesen. Ich nahm deshalb junge Kätzchen von 2–3 Wochen,
machte eine Incision zwischen den beiden Schulterblättern,
entfernte in der Länge zweier oder dreier Wirbel die Muskel¬
schicht, schnitt die noch wenig resistenten Wirbelbögen ab und
nahm einen Theil des Rückenmarkes von 4–6 Linien hinweg,
um auf das Allerbestimmteste die Continuität zu unterbrechen.
Die Blutung steht leicht von selbst, wenn man sich nur vor
den grösseren Arterien in Acht nimmt und während des Bäu¬
mens der Katze bei der Operation sich nicht in dem Verlaufe
der Rückensäule täuscht. Es ist Dies indessen bei nur einiger
Vorsicht kaum möglich, wenn man mit dem linken Zeigefinger
immer die processus spinosi fixirt. Nach vollendetem Experi¬
mente tödte man das Thier auf irgend welche Weise und un¬
tersuche nochmals den Markdurchschnitt, damit gar kein Zweifel
bleibe, dass das Rückenmark vollständig getrennt sei.
Ist das Kätzchen in dieser Weise präparirt, so lässt man
sein Vordertheil festhalten, weil dieses auf den Vorderbeinen
wegläuft und die hinteren, selten gelähmten Gliedmassen nach¬
schleppt. Man lasse das Schwänzchen über den Tisch herab¬
hängen und nähere eine Lampe dessen einer, z. B. rechten
Seite. Ist das Hintertheil noch sehr kräftig, so wird der Schwanz
hin und her geschleudert, und die Beine zappeln, was in sei¬
nem Charakter für mich eine deutliche Schmerzensäusserung
ist. Wartet man nun ein Bischen und reizt das Präparat später,
so sieht man auf das Allerdeutlichste und Bestimmteste, dass
der Schwanz dem von Rechts genäherten Feuer ausweicht,
nach Links gebogen wird und, wenn man ihn weiter verfolgt,
nach der linken Seite des Körpers angezogen wird, wie das die
Katzen gewöhnlich thun. Dieses Abziehen geschieht aber durch
die Muskeln der linken Seite, wenn die rechte gereizt war.
Ich habe das Experiment an einer Anzahl von sechs jungen
Kätzchen immer in dieser Weise beobachtet.
Hiermit erlaube ich mir zu der zweiten Reihe der Ex¬
perimente überzugehen, indem ich die gegebenen für sich selbst
reden lasse.
Capitel VII.
Zweite Reihe der Experimente.
Wenn für die im Capitel VI. gegebenen Beweise eine Reihe
von Studien nothwendig gewesen, um durch die Erkenntniss
der Reflexgesetze einen Haltpunkt zu gewinnen, so ist es im
vorliegenden Capitel nicht die Lehre der Oben aufgestellten
Reflexgesetze, welche uns den Schlüssel zur Beurtheilung der
Bewegungen Enthaupteter bieten wird, sondern unser Stand¬
punkt ist ein anderer. Die zu untersuchende Bewegung ist
aber jenes allbekannte interessante Phänomen, nach welchem
enthauptete Frösche, sowie auch andere Amphibien, auf die
Haut gebrachte corrodirende Säure abputzen. Man hat diese
Bewegung in der Art erklärt, dass man sie als einen combinir¬
ten Reflex bezeichnete. Indem man von der Beobachtung aus¬
ging, dass Thiere, deren Kindheit sehr kurz ist, so eben aus
dem Uterus geboren oder dem Ei entschlüpft, ihre Gliedmassen
mit nah derselben Zweckmässigkeit bewegen, wie die Alten,
musste die Idee sehr plausibel erscheinen, dass diese zweck¬
mässigen Bewegungen nicht vom Bewusstsein also combinirt
seien, sondern dass dieses nur einen bereits zweckmässig prä¬
disponirten Mechanismus zu seinen Bedürfnissen vorfinde, den
es anrege. Es erscheint mithin als eine Consequenz aus der
Idee, dass der zweckmässig zum Gebrauche des Bewusstseins
prädisponirte Mechanismus auch nach dem Wegfallen des Be¬
wusstseins, wenn er von anderer Seite angeregt werde, gerade
so wie früher seinen Process selbst beim Enthaupteten ablaufen
könne, um den Schein der Willkür zu erzeugen. Unter diese
Kategorie hat man nun alle zweckmässigen Bewegungen Ent¬
haupteter gebracht, sodass, wie Lotze sagt, „der Rumpf sich
ohne Ueberlegung und durch seine mechanischen Mittel erhält.
Der geköpfte Frosch, den man kneift, bewegt seine Pfote ab¬
wehrend und zurückstossend nach der Stelle des Reizes, wo
das vollständige Thier sein Heil in der Flucht gesucht hätte,
wohl wissend, dass jene Bewegungen zwar an sich zweckmäs¬
sig, aber den Verwickelungen der Umstände nicht gewachsen
waren“. (Wenn der Frosch aber, wie der decapitirte, dem
die Mittel zum Entfliehen genommen sind, nun nicht mehr
wegspringen kann, weil man ihn festhält, so macht er es gerade
so, wie der decapitirte, wie man sich durch das Experiment
überzeugen kann! — — —) „Der Gebrauch der Glieder also“,
so fährt Lotze fort, „in sofern er überhaupt in einer localen
Direction derselben besteht, ist keine, unabhängig Alles selbst
vollziehende That der Willkür, sondern nur eine Benutzung des
vorhandenen Mechanismus, dessen Ablauf die Seele nur wollen
oder nicht wollen, keineswegs aber selbst erst in seinen Ein¬
zelnheiten einrichten kann. Gruppenweise zusammengeordnet
finden wir combinirte Bewegungen, die zur Abwehr von Schäd¬
lichkeiten dienen sollen, und bei denen eben deswegen die
Tendenz zur Bewegung, durch den Reiz veranlasst, so heftig
auftritt, dass in den meisten Fällen die Seele sie nicht einmal
durch eine willkürliche Gegenbewegung hemmen kann, z. B.
Husten, Niesen. Wie wenig die Seele an der zweckmässigen
Einrichtung Antheil hat, sieht man Daraus, dass sie dieselbe
oft nicht begreift, nachdem sie da ist, noch viel weniger aber
sie erfinden würde. Man frage Jemand, wie er es anfangen
werde, um einen fremden Körper aus der Luftröhre zu entfer¬
nen? Er wird wahrscheinlich eher auf Tracheotomie rathen,
als auf Husten. Daraus und aus der Unwillkürlichkeit des Ein¬
tretens können wir schliessen, dass auch diese Bewegungen
völlig vorgearbeitete Effecte mechanischer Bedingungen sind,
mit denen die Natur, misstrauisch gegen den Erfindungsgeist
der Seele, den Körper ausstattete. Wie schlecht würde es in
der That um unsere Gesundheit stehen, sollte die Ueberlegung
sie vertheidigen und nicht der Mechanismus“! (Siehe Lotze
in Wagner's Handwörterbuch der Physiologie. Artikel: Instinkt.
p. 195 und 196.)
Derartige seichte „Argumentationen“ verwirren nur, fördern
aber nicht die Erkenntniss. Weil das Husten ein unwillkürlicher,
zweckmässiger Mechanismus ist, soll auch die Bewegung Ent¬
haupteter unwillkürlich sein, weil sie zweckmässig ist. Das
hiesse: Weil eine Zweckmässigkeit von dem Willen unabhängig
war, ist alle Zweckmässigkeit von diesem unabhängig. Sodann
ist es höchst sonderbar, warum man den Mechanismus in den
motorischen Apparaten sucht und nicht ebenso in dem Bewusst¬
sein. Wie aber alles Leben in der Natur, als Ausfluss bestimm¬
ter Ursachen, bestimmte Gestaltung fordert, — diese Pflanze
solche Blätter und Blüthen, jene andere treibt, so liegt es in
dem Leben des Bewusstseins begründet, dass auch es in be¬
stimmter Weise sich offenbart und Gestalt und Form annimmt,
weil das Gesetz es so bedingt.
Betrachten wir nun den Umstand, dass man behauptet, es
könne sich ein enthauptetes Thier noch gerade so zweckmässig
bewegen, als ein unverletztes, so sind wir uns der Schwierig¬
keit bewusst, welche entgegentritt, sobald wir nun beweisen
sollen, dass diese oder jene zweckmässige Bewegung Enthaup¬
teter eben ein Ausfluss eines Bewusstseins sei. Ich werde
nunmehr meinen Leser denselben Weg führen, dem ich selbst
von Anfang bis zu Ende der Untersuchung gefolgt bin.
Zunächst musste ich mir also die Frage vorlegen, ob und
wodurch sich der Ablauf eines vom Bewusstsein vollkommen
unabhängigen, zweckmässigen Mechanismus, welcher in der
äusseren Erscheinung vollständig der willkürlichen Bewegung
gleich sei, von dieser unterscheide? — Er charakterisirt sich
aber Dadurch, dass seinem innersten Wesen Genüge geschieht,
wenn der Process von Anfang bis zu Ende mit aller ihm an¬
haftenden Eigenthümlichkeit seine Phasen durchläuft. Der mit
dem gedachten zweckmässig ablaufenden Mechanismus in der
äusseren Erscheinung vollständig gleichen Bewegung wird aber
nicht Hierdurch in ihrem inneren Wesen Genüge geleistet, son¬
dern erst Dadurch, dass die bestimmte Bewegung auch einen
bestimmten Zweck erreicht. Es ist deshalb evident, dass ein
von allem Bewusstsein unabhängiger, in seiner Integrität noch
vollständig bestehender Mechanismus, sobald die nothwendige
Anregung vorhanden ist, welche bedingt, dass er seine Phasen
durchlaufe, auch dann noch ganz in derselben Weise diese
durchlaufen werde, wenn auch die Erreichung eines Zieles,
welche früher unter anderen Umständen mit seinem Ablauf
verbunden war, jetzt durch neu hinzugetretene Verhältnisse
nicht mehr erzielt werden kann. Mit einem Worte, der innere,
einmal bestehende Mechanismus bedingt dessen äussere Form
und nicht der Zweck. Anders bei der vom Gedanken erregten
Bewegung! Das bestimmte Moment, welches früher eine be¬
stimmte willkürliche Bewegung zur Erreichung eines bestimmten
Zweckes erzeugte, wird dann nicht mehr diese Bewegung er¬
zeugen, wenn durch sie der gedachte Zweck nicht mehr erreicht
wird, sondern die Bewegung wird nun einer anderen Bewegung
Platz machen, welche im Stande ist, den gedachten Zweck zu
erreichen. Das ist das Kriterium, an dem wir das Abwischen
der corrodirenden Säure beim enthaupteten Frosche beurtheilen
und erkennen werden. Damit nun diese quasi a priori erkannte
Wahrheit eine praktisch fruchtbringende werde, verschaffte ich
mir einige hundert von jener sehr schönen und grossen Rana
esculenta, wie sie in der Spree, in den Landsee'n und Sümpfen
der Umgegend Berlins vorkommt. Mit diesen Fröschen experi¬
mentirte ich im December und Januar, zu welcher Zeit sie eine
ungemeine Energie nach der Decapitation in ihren Bewegungen
entwickelten. Für die anderen Zeiten des Jahres kann man
sich Daran halten, dass der decapitirte Frosch dann zu den
Versuchen tauglich sei, wenn derselbe nicht nach der Operation
schlaff auf Bauch oder Rücken liegt, sondern die Beine anzieht
und kräftig reagirt, wenn man ihn irgendwie incommodirt.
Nur an solchen Thieren, aber auch an diesen mit entschiede¬
nem Erfolge, können äusserst gewinnbringende Untersuchungen
angestellt werden. Zum Enthaupten bediente ich mich für diese
Untersuchungen einer mässig starken und mittelgrossen, scharf
schneidenden Scheere, indem es ziemlich gleichgültig ist, wo
man den Frosch enthauptet, falls es nur unter dem Atlas, also
unter der Medulla oblongata geschieht. Wenn man nur Darauf
achtet, dicht über oder unter dem Niveau der oberen Extremi¬
täten zu enthaupten, so wird man das Mark des zweiten oder
dritten Wirbels theilen und in der Wunde dann sich leicht
Dadurch orientiren, dass man in dem oberen oder unteren
Stück den dicken Armnerven aus dem Foramen intervertebrale
zwischen dem zweiten und dritten Wirbel hervortreten sieht.
Durchschneidet man das Dorsalmark noch tiefer im vierten
Wirbel, so sind die Thiere wenig tauglich und bei Durchschnei¬
dung im fünften und sechsten Wirbel erfolgen auf äussere Reize
fast gar keine Bewegungen mehr.
An jenen Fröschen untersuchte ich nun, welche bestimmte
Bewegungen von bestimmten Hautstellen aus entständen, indem
ich immer eine Hautstelle fixirte und an einer Anzahl von
Fröschen dieselbe reizte. Um stets ganz reine Beobachtung zu
haben, benutzte ich nicht einen und denselben Frosch zu meh¬
reren Experimenten, d. h. reizte nicht verschiedene Hautstellen
an einem Exemplare. — Wie schlecht es aber um die „Gesetz¬
mässigkeit“ der Autoren bestellt sei, musste sich bald heraus¬
stellen, obgleich es mir doch gelungen ist, einige constante
Bewegungen für bestimmte Hautstellen aufzufinden, welche als
Basis zu folgenden Untersuchungen vernutzt worden sind.
A. Wir enthaupten einen Frosch auf die angegebene Weise,
legen ihn auf den Rücken und warten ein Weilchen, bis sich
die nach der Enthauptung gewöhnlich eintretende Erschöpfung
verloren hat. Sind nun die hinteren Extremitäten an den Leib
angezogen, und zwar mit so viel Energie, dass der Frosch sie
anzieht, wenn man sie ausstrecken will, oder dass er sogar
gegen die Finger abwehrend austritt, so ist er zu dem Experi¬
mente tauglich.
Nachdem wir nun einen Draht oder ein dünnes Glasstäbchen
in Essigsäure getaucht, bringen wir das kleine Tröpfchen auf
die Hautstelle, welche sich dicht über dem Condylus internus
femoris befindet. Die Folge ist: dass der Frosch das gereizte
Bein beugt, das andere streckt, sodass der Körper etwas nach
dem gestreckten Beine hinüber gezogen wird. Indem nun der
Fuss des gereizten Schenkels mit dem dorsum der Zehen gegen
die irritirte Hautstelle geführt wird, putzt er, mit diesem dorsum
hin und her streichend, die corrodirende Substanz ab, da der
Fuss fortwährend abducirt und adducirt wird.
Will man nun diese Bewegung in dem Sinne der Schule
erklären, so müsste man sagen, dass die bestimmte Hautstelle
durch die bestimmten hier endigenden Nerven mit einer spe¬
ciellen Motorengruppe im Rückenmarke verknüpft sei, vermöge
Dessen ein Reiz dieser bestimmten Hautstelle diese bestimmte
Bewegung veranlasse, um so mehr, als diese Bewegung stets
in dieser Weise eintritt, wie ich es denn 40–50 mal immer so
gesehen habe.
Wir werden nun aber sehen, ob es sich darum handelt,
dass von dieser bestimmten Stelle aus bestimmte Motoren inner¬
virt werden, wie es bei dem Reflexe ist, so dass mithin das
Abwischen nur die nothwendige Folge des ablaufenden Reflex¬
mechanismus darstellt, oder ob das Abwischen das zu Erzielende
ist, so dass die Innervation der bestimmten Motoren nur ein
Mittel zum Zwecke ist. Wir wollen also den Unterschenkel bei
einem anderen, ebenso präparirten Frosche abschneiden und
zusehen, was nun geschieht, da jetzt die alte Bewegung das
Abwischen nicht mehr erzielen kann, wenn man dieselbe Haut¬
stelle wie früher reizt. Haben wir es nun mit einem Mecha¬
nismus zu thun, so wird dasselbe geschehen, was früher ge¬
schah, das heisst, es werden nun nach wie vor von derselben
bestimmten Hautstelle aus die bestimmten Motoren inner¬
virt werden, da es ja eben ein Mechanismus ist, vermöge dessen
die bestimmten Hautnerven im Rückenmarke mit bestimm¬
ten Motoren verknüpft oder in ein Gespann zusammengebunden
sind. Ist Alles Dies aber nicht der Fall, sondern war die frü¬
here Bewegung eine willkürliche, so wird nun der Frosch andere
Mittel nehmen, um seinen Zweck zu erreichen, so dass mithin
ganz andere Bewegungen als früher entstehen.
Der Reflexmechanismus hat alle Bedingungen, so wie früher
sich zu offenbaren. Aber das Abwischen kann nicht erreicht
werden! — Was geschieht nun? — Da der Frosch vermöge der
excentrischen Erscheinungen in den sensitiven Fasern seinen
Schenkel noch zu besitzen glauben muss, so wird er auch noch
wie früher über sein altes Mittel verfügen wollen. In der That
wird auch, wenn man die kleine Hautstelle über dem Condylus
internus femoris reizt, der gereizte Schenkel gebeugt, das nicht
gereizte Bein gestreckt und der Stumpf des Unterschenkels in
einer Weise bewegt, die es unzweifelhaft macht, dass man bis
hierher dieselbe Erscheinung wie früher vor sich hat. Alsbald
bemerkt man aber, dass sich die Scene ändert. Die Bewegun¬
gen des Thieres werden sehr unruhig, so dass es den Anschein
gewinnt, als suche das Thier nach einem neuen Mittel, das
schmerzende Moment zu entfernen. Nachdem es aber verschie¬
dene Bewegungen zwecklos ausgeführt, findet es ziemlich oft
das geeignete Mittel.
Wir sehen nunmehr das in der bestimmten Weise gereizte
Bein, dessen Unterschenkel amputirt ist, gestreckt werden, wäh¬
rend der nicht gereizte Schenkel mässig gebeugt und adducirt
wird, so dass es vermöge der Flexion und Adduction des Unter¬
schenkels dem adducirten Fusse möglich wird, mit der gegen
die gereizte Stelle des andern Schenkels gerichteten Sohle nun¬
mehr auf diese Weise die ätzende Säure abzuwischen. Wie
man sieht, sind diese und die vorhergehende Bewegung voll¬
ständig von einander verschieden. Bei der vorhergehenden Be¬
wegung war Flexion des gereizten, Extension des nicht gereizten
vorhanden; bei dieser gerade das Gegentheil, nämlich Extension
des gereizten und Flexion des nicht gereizten Beines, obgleich
nur eine Hautstelle bei beiden Bewegungen gereizt worden
war. Wir ersehen also Hieraus, dass der Frosch, wenn ihm
der eine Fuss den Dienst versagt, ganz einfach den andern
nimmt, also zwischen verschiedenen Mitteln wählt.
Es ist Dieses indessen nicht die einzige Weise, welche er
stets dann zur Entfernung des an genannter Stelle angebrachten
Reizes befolgt, wenn ihm zum Behufe unseres Experimentes der
Unterschenkel amputirt worden ist.
Zuweilen sieht man, dass er den gereizten Schenkel viel
stärker beugt als vorher, da er den Unterschenkel noch besass,
so dass nun, nachdem der Rumpf selbst etwas vorwärts gebeugt
worden, der gereizte Schenkel, welcher ausserdem noch nach
Aussen rotirt ist, an der Seitenfläche des Rumpfes abgewischt
werden kann.
Man konnte Hiergegen einwenden, dass diese Versuche aus
dem Grunde nicht vollkommen beweisend wären, weil dadurch,
dass man den Unterschenkel amputirt habe, die Essigsäure nicht
mehr wie früher sogleich abgewischt werde und deshalb inten¬
siver wirkend eine zweite Reihe neuer Reflexcombinationen
erzeuge.
Dieser Einwand lässt sich indessen sehr leicht dadurch
widerlegen, dass man die gewählte Hautstelle immer wieder
von Neuem durch Essigsäure reizt, um zu sehen, ob eine län¬
gere und intensivere Irritation der bestimmten peripherischen
sensitiven Nerven derartige neue Reflexcombinationen auslösen
werde, wie es dann geschieht, wenn der Unterschenkel ampu¬
tirt worden ist. Nichts von dem geschieht aber! Der Frosch
putzt die neu aufgebrachte corrodirende Säure immer wieder
mit demselben Fusse ab, bis die in der ausgewählten bestimm¬
ten Hautstelle ausgebreiteten sensitiven Nerven vollständig ge¬
lähmt sind, und von dieser Stelle aus mithin keine Bewegung
mehr erzeugt werden kann.
Es bliebe noch zu erwähnen übrig, dass das von uns erör¬
terte Experiment nicht an jedem Frosche gelingt, wie es denn
von einer willkürlichen, zumal dem verstümmelten Thiere ganz
ungewohnten Bewegung nicht anders erwartet werden kann.
Erwähnenswerth ist aber noch folgendes interessante Phä¬
nomen, das ich bei diesem Experimente beobachtet habe. Ist
nämlich der Unterschenkel amputirt und hat man an die be¬
stimmte Stelle dicht über den Condylus internus femoris ein
Tröpfchen Essigsäure gebracht, so sieht man zuweilen an den
unruhigen, suchenden Bewegungen des Thieres, dass es das
rechte Mittel nicht finden werde. Fasst man alsdann den Fuss
des nicht gereizten Beines und drückt ihn gegen den gereizten
Schenkel, ohne indessen die mit Essigsäure benetzte Stelle zu
berühren, so wird der Frosch nun, wenn man ihn loslässt, sich
den gezeigten Weg nehmen und den Fuss jetzt gegen die ge¬
reizte Stelle führen und sie abwischen.
Das bis jetzt erzählte Experiment liefert einen ebenso guten
Beweis, als er im vorigen Capital abgehandelt ist. Vielleicht
aber dürfte er seiner Einfachheit halber noch stringenter und
überzeugender sein.
B. Es versteht sich von selbst, dass die Grundidee, welche
in vorigem Experimente dargelegt ist, mannigfach modifizirt wer¬
den kann. Eine solche Modifikation stellt das nun folgende dar.
Man köpfe einen Frosch, lege ihn auf den Bauch und reize
ihn längs der Rückenhaut auf der rechten oder linken Seite.
Reizt man den rechten Theil der Rückenhaut, so greift er mit
den Zehen des rechten Fusses auf den Rücken und wischt die
corrodirende Säure ab, was durch die Flexion und Abduction
des Femurs ermöglicht wird. Reizt man aber den linken Theil
der Rückenhaut, so nimmt er den linken Fuss. Wie die Schule
diese Bewegung erklärt, wissen wir zur Genüge.
Man schneide nun ein Bein des decapitirten Frosches, z. B.
das rechte, ab und bringe alsdann längs des rechten Theils der
Rückenhaut corrodirende Säure auf. Jetzt übernimmt der linke
Schenkel das Wegwischen der auf der rechten Rückenhälfte
befindlichen Säure. Zu bemerben bleibt hier, dass man die
Rückenhaut vor dem Experimente gehörig abtrockne, damit die
Säure nicht von der einen Seite nach der andern hinüberfliessen
könne.
Im Uebrigen gilt für das Experiment Alles, was unter A.
bereits weitläufig erörtert ist.
C. Noch möge ein anderes, den vorhergehenden ähnliches
Experiment hier eine Stelle finden.
Nachdem man den Frosch geköpft und auf den Rücken ge¬
legt, fasse man mit der Pinzette eine Hautfalte an der Stelle,
wo die Kerbe zwischen beiden Meinen vom Bauche aus beginnt.
Kneift man hier die Haut, so greift der Frosch gegen die Pin¬
zette, stemmt sich dawider und sucht sie wegzudrücken. Wollte
man diese Bewegung für einen Reflex erklären, so müsste man
sagen, dass ein Reiz der in der bestimmten Stelle sich verbrei¬
tenden sensitiven Nervenendigungen im Rückenmark eine be¬
stimmte Motorencombination vorfinde, welche in ihrer Aeusse¬
rung jene Bewegung des Stemmens gegen einen äusseren in
der Nähe befindlichen Gegenstand bedinge. Wir wollen nun
dieselbe Stelle mit einem Tröpfchen Essigsäure reizen, um zu
sehen, ob nun in der That jetzt auch eine Stemmbewegung
gegen den nun nicht mehr vorhandenen äusseren Körper ent¬
stehe. Denn wenn ein Reiz der bestimmten Nerven eine be¬
stimmte Bewegung erzeugt, so muss sie eben immer eintreten,
so lange der angestossene Mechanismus derselbe ist. Jene
Stemmbewegung wechselt aber nunmehr mit einer ganz ande¬
ren Bewegung. Der Fuss wird auf die gereizte Hautstelle ge¬
führt und hier hin und her gerieben. Dies geschieht in der
Weise, dass der Oberschenkel mässig, der Unterschenkel stark
gebeugt ist, während der adducirte Fuss mit dem inneren Fuss¬
rande in die Kerbe zwischen den Beinen geführt wird. Um
diese Bewegung genau zu studiren, thut man gut, einen Schen¬
kel ein wenig unter der Pfannenarticulation ganz abzuschneiden,
damit man nur ein Bein zu beobachten hat und deshalb auch
eine sicherere Erkenntniss erwarten kann.
Derartige Variationen des Grundexperimentes lassen sich
sehr viele denken, die alle darauf hinauslaufen, dass es sich
nach Anbringung eines auf das Thier wirkenden Reizes nicht
darum handelt, bestimmte Motoren zu innerviren, sondern be¬
stimmte Zwecke zu erreichen. So kann die Erreichung des Zweckes
nicht für den Reflexprozess verloren gehen, sondern die Inner¬
vation bestimmter Motoren geht verloren, wenn der Zweck nicht
mehr durch sie erreicht werden kann. Da nun die nach einem
Reize eintretende Bewegung, obgleich immer dieselbe Hautstelle
gereizt ist, den mannigfaltigsten Wechsel durchläuft, je nachdem
es die Erreichung bestimmter Zwecke erheischt, so ist unwider¬
legbar dargethan, dass wir es mit empfindenden und wollenden
Thierfragmenten zu thun gehabt haben. —
9
Capitel VIII.
Dritte Reihe der speciellen Untersuchungen über die sen¬
sorische Function des Rückenmarks.
Es lässt sich mit gutem Erfolge auch noch von anderen als
den bisher eingenommenen Standpunkten ein Blick auf unsere
Frage werfen. Hier möchte ich deshalb noch auf zwei Momente
aufmerksam machen.
A. Wir wissen, dass eine motorische Faser auch während
ihres Verlaufes im Centralorgane auf irgend welchen Reiz mit
Bewegung derjenigen Muskeln antwortet, in welchen sie sich
verbreitet. Wenn man nun annimmt, dass nur das Gehirn das
Organ des Sensoriums sei, so müssen von hier aus alle Willens¬
akte kommen und hier auch die motorischen Nerven vom Willen
angeschlagen werden. Hieraus folgt aber, dass auf einem Rücken¬
marksdurchschnitte sämmtliche Motoren in der Durchschnitts¬
fläche liegen müssen, welche die Muskeln innerviren, die unter¬
halb der Durchschnittsfläche gelegen sind. Hieraus folgt ferner,
dass die Reizung der Durchschnittsfläche des Marks mit einer
plötzlich und zugleich eintretenden Contraction aller unter der
Schnittfläche gelegenen Körpermuskeln verbunden sein müsste.
Wenn man nun ein Thier unter dem Occiput enthauptet und
einen Drath sehr langsam durch das Mark hinabschiebt, so zeigt
sich nicht sofort in allen Muskeln convulsivisches Beben, son¬
dern mit dem Vordringen des Instrumentes beben erst Halsmus¬
keln, dann Armmuskeln, Brustmuskeln, Bauchmuskeln, Schenkel¬
beuger, sämmtliche Schenkelmuskeln! —
Dies begründet aber meine Lehre über die sensorische Func¬
tion des Rückenmarks noch weiter, indem es zeigt, dass die
Motoren im Marke enden und nicht nach dem Gehirn empor¬
steigen.
B. Ein zweites, dem soeben erzählten als Gegenstück zu
erwähnendes äusserst wichtiges Moment ist folgendes:
Da wir wissen, dass ein sensitiver Nerv nur in einem Punkte
mit dem Sensorium communiziren kann, so müssen alle Bewe¬
gungen der Faser, wo dieselbe auch getroffen wird, für das
Sensorium gleichwerthig sein, d. h. ihm einen bestimmten Em¬
pfindungseindruck geben, welcher dahin bezogen wird, woher
gewöhnlich die Erregung des Nerven auszugehen pflegt. Es ist
uns hiermit der Begriff der Excentricität der sensitiven Fasern
gegeben, dessen Erörterung hier nicht an der Stelle ist. Wenn
nun das Gehirn das ausschliessliche Organ des Sensoriums ist,
so folgt, dass alle Empfindungsfasern nach dem Gehirne empor¬
steigen müssen. Denn eine Empfindungsfaser kann nicht an
einem Orte enden, wo keine Empfindung ist. Hieraus folgt nun,
dass auf einem Rückenmarksdurchschnitte alle Empfindungs¬
fasern liegen, welche in dem unter der Trennung gelegenen
Körpertheile sich verbreiten. Aus dem Gesetze der Excentrici¬
tät folgt aber, dass bei Rückenmarksrupturen, Wirbelfracturen,
Wirbeldislocationen und anderen Verletzungen, wodurch die
Continuität des Markes zerstört wird, von den zerrissenen Faser¬
enden aus dem Sensorium ein Schmerz in den unter der Tren¬
nung gelegenen Körpertheilen erwachsen müsse. Wenn aber
die Trennung des Dorsalmarks z. B. etwas mehr nach Oben
gelegen ist, so empfindet der Kranke nie Schmerzen
in den Beinen. Ich habe eine sehr reiche Zahl von Fällen
der Art in den verschiedenen Zeitschriften verglichen und ge¬
funden, dass die Kranken über Schmerzen klagen, welche gür¬
telförmig den Körper in dem Niveau der Verletzung umgeben,
was allerdings excentrische Erscheinungen sind, nie aber
klagten die Kranken bei einer Theilung des höher
gelegenen Dorsalmarkes über Schmerzen in den
Beinen. Das deutet darauf hin, dass auch die Empfindungs¬
faser nicht im Gehirn, sondern im Mark endet.
Es lässt sich unstreitig auch noch von anderen Gesichtspunk¬
ten die sensorische Function des Rückenmarkes erkennen. Hierher
9 *
dürften einestheils eine Reihe von Experimenten gehören, deren
Aufgabe es wäre, die Folgen halbseitiger Quertheilungen des Rük¬
kenmarkes zu studiren, wie Dies zuerst von van Deen geschehen
ist. Nach Stilling nämlich soll bei Fröschen auch bei einseitigen
und doppelseitigen Halbtheilungen des Markes in verschiedener
Höhe Empfindung und willkürliche Bewegung mit hinlänglicher
Kraft in beiden Hinterextremitäten fortbestehen. Zwar haben für
ersteres Experiment fast alle Physiologen, welche es geprüft
haben, sich von dem Fortbestehen der Empfindung und will¬
kürlichen Bewegung in den unter der halbseitigen Trennung
gelegenen Theilen überzeugt, wie auch ich das Experiment bei
Kaninchen bestätigt gefunden habe, während die Richtigkeit
des zweiten Experiments geleugnet wird. Dieses harrt also
noch der Bestätigung. Aber selbst bei Quertheilungen nur
einer Rückenmarkshälfte genügt die von Kölliker gegebene
Erklärung mit seiner Hypothese des Faserverlaufs im Marke
keineswegs. Wenn man bedenkt, wie grosse Störungen der
Motilität und Sensibilität nach Durchschneidung eines mässig
dicken Nerven eintreten, so scheint es, wenn man die Nerven
im Gehirn entspringen lässt, widersinnig, eine so ungeheure
Nervenmenge, wie sie in einer Rückenmarkshälfte liegen, durch¬
schnitten zu haben, ohne dass sich mehr als ein wenig ge¬
schwächte Motilität und keine Anästhesie, im Gegentheil Ver¬
mehrung der Empfindung herausstellen. Das aber kann nur
Hierin seinen Grund haben, dass das Rückenmark selbst em¬
pfindet und durch die vielfach communicirenden Centralfasern
das Hirnsensorium noch mit dem Rückenmarkssensorium in
Verbindung steht. — Auf der anderen Seite dürfte von einer
gründlicheren mikroskopischen Untersuchung des Rückenmarkes
noch manche wesentliche Aufklärung geboten werden können.
Aber auch so glaube ich das mir vorgesteckte Ziel erreicht,
d. h. nachgewiesen zu haben, dass das Sensorium durch das
ganze Cerebrospinalorgan verbreitet sei.
Capitel IX.
Die Bewegungen Schlafender.
Ehe wir zum Schlusse gehen, zieht noch eine Frage un¬
sere Aufmerksamkeit an, weil sie der soeben behandelten sehr
nahe liegt.
Von fast allen Physiologen, welche sich mit den Bewegun¬
gen Enthaupteter beschäftigt haben, ist gleichmässig und selbst¬
ständig die Bemerkung gemacht worden, dass jene Bewegungen
denjenigen der Schlafenden sehr häufig in frappanter Weise
ähneln. Ich trete dieser Beobachtung vollkommen bei.
Zunächst fehlen bei Schlafenden gewöhnlich die spontanen
Bewegungen der Autoren, wie Dies bei den Enthaupteten der
Fall ist. Wie bei diesen entstehen die Bewegungen meist nur
auf äussere Reize. So wehrt der Schlafende die Fliege ab,
wie der enthauptete Frosch ein belästigendes Moment; so legt
sich jener bequemer, wenn seine alte Stellung unbehaglich ge¬
worden ist, wie dieser die ausgestreckten Beine in die beque¬
mere Lage der Flexion bringt.
Wie wir die Gesetzmässigkeit der Autoren in den Bewe¬
gungen Enthaupteter anzuerkennen Gelegenheit gehabt, also
geschieht es auch bei den Bewegungen Schlafender. Um ein
Beispiel anzuführen, das einstweilen für jetzt den Autoren, spä¬
ter aber mir zum Belege gelten mag, diene Folgendes: Wenn
man mit einer Feder oder sonst einem weichen Gegenstande
einen Schlafenden an dem Rande eines Nasenlochs kitzelt, so
erhebt er stets den Arm der gleichen Seite, stösst gegen das
incommodirende Object und reibt die irritirte Stelle. Auffal¬
lend ist um so mehr diese Gesetzmässigkeit, als der Schlafende,
wenn man ihn nun am andern Nasenloche kitzelt, und die Hand
von vorher noch auf dem Gesicht liegt und ganz leicht die
gereizte Stelle erreichen könnte, doch die gleichseitige Hand
wählt. Ich habe das Experiment häufig gemacht und es nie
anders gefunden.
Irritirt man wenig, ist die Bewegung langsam, irritirt man
mehr, so ist die Bewegung schneller und ausgedehnter, über¬
haupt von dem Reize sehr abhängig, ganz wie bei den Bewe¬
gungen Enthaupteter. —
Das Thier behält, wenn es nach der Enthauptung eine Be¬
wegung ausgeführt hat, die einmal angenommene Lage bei; ebenso
der Schlafende. Wie jenes führt er sehr häufig Bewegungen
nur halb aus, wenn das irritirende Moment nicht kräftig genug
gewirkt hat. Kitzelt man ihn leise und nur ein wenig im Ge¬
sicht, so erhebt sich der Arm ein wenig, führt eine kleine Strecke
weit den Arm in der Direction zur gereizten Stelle. Aber die
Bewegung hält plötzlich inne, das Glied bleibt in der Lage und
die frühere Ruhe ist zurückgekehrt.
Zu diesen Argumenten vereinigt sich noch für den selbstän¬
digen Beobachter das Eigenthümliche in jenen Bewegungen, das
sich leicht sehen, aber schwer beschreiben lässt.
Wir fragen nun: Sind Das auch Reflexe, wie die Schule
lehrt? Cuvier glaubte nicht, dass ein Schlafender, der sich
bewege und bequemere Lagen wähle, der Empfindung und des
Bewusstseins vollständig beraubt sei, indem er mit dialektischer
Schärfe angiebt, wie Daraus, dass der Mensch sich einer Empfin¬
dung nicht mehr erinnere, noch nicht bewiesen sei, dass er sie
nicht gehabt habe. Die jetzige physiologische Schule glaubt
auch hier Reflexe vor sich zu sehen.
Folgendes Experiment wird nun den Ungläubigsten über¬
zeugen von der Natur der Bewegungen Schlafender. Ich expe¬
rimentirte an einem dreijährigen Knaben; Kinder schlafen fester
als Erwachsene und scheinen reizbarer zu sein. Ich kitzelte
den kleinen Jungen am rechten Nasenloche, worauf er sein rech¬
tes Händchen erhob und gleichsam eine abwehrende Bewegung
gegen mich machte, um sodann sein rechtes Nasenloch zu rei¬
ben. Kitzelte ich das linke, so nahm er die linke Hand. Um
mich nun von der Natur der Bewegung durch den Beweis auf
das Allerbestimmteste zu überzeugen, gebrauchte ich den im
Kapitel VII. dem Leser bereits bekannten Kunstgriff, natürlich
unter veränderter Form. Ich legte beide Arme des auf dem
Rücken liegenden schlafenden Kindes leise neben den Körper,
bettete sein linkes Aermchen besonders weich, legte ein wei¬
ches Kissen über dieses Aermchen und mit meiner linken Hand
hielt ich mit einem durch das Kissen gemilderten Druck sein
Aermchen fest. Hierauf kitzelte ich, mit der rechten Hand eine
Feder haltend, das linke Nasloch des Kleinen. Sofort wurde
der linke Arm bewegt, vermochte aber nicht nach dem Gesicht
geführt zu werden, weil ich ihn, wenn auch sanft, doch hin¬
reichend fest hielt. Er verzog nun das Gesicht und ich kitzelte
weiter, so dass er sehr schnell mit der anderen, also rechten
Hand, das linke Nasloch zu drücken suchte, während er sonst
immer die gleichseitige Hand gewählt hatte, wenn man ihn
noch so sehr und so lange kitzelte, bis er erwachte.
Nachdem wir soweit in unseren Untersuchungen vorge¬
schritten sind, liegt es nahe, zu fragen, ob man aus ihnen die
Consequenz ziehen könne, dass während des Schlafes die sen¬
sorische Thätigkeit der Cerebralgebilde erlischt und die des
Rückenmarkes zu functioniren fortfährt. Vorzugsweise um die¬
ser falschen Consequenz vorzubeugen, habe ich den Bewegun¬
gen Schlafender ein Capitel gewidmet. Aus der Analogie zwi¬
schen den Bewegungen Enthaupteter und Schlafender, welche
beide durch bewusste Thätigkeit vermittelt sind, folgt Nichts
weiter, als dass beide Bewegungen der Ausfluss eines von sei¬
ner Höhe gesunkenen dunkeln Sensoriums seien. Jene oben
bezeichnete Consequenz ist nachweisbar falsch und zwar aus
folgenden Gründen: Es kommt bei Schlafenden vor, dass sie
nicht allein spontane Bewegungen machen, sondern sogar spon¬
tane Locomotionsbewegungen. Die Vermittlung zu dieser Bewe¬
gung liegt wenigstens hoch in der Medulla oblongata. Die Nacht¬
wandler erheben sich von ihrem Sitze oder Lager und gehen
mit etwas unsicherem Gange durch Reihen von Zimmern und
selbst Strassen, und kehren gewöhnlich zu ihrem Lager wieder
zurück. Fragt man sie dann, wenn sie wach sind, was sie ge¬
macht haben, so wissen sie absolut von dem Vorgefallenen
Nichts. Hier hört wohl die Möglichkeit auf, durch den Reflex¬
mechanismus den Körper in dieser Weise bewegt werden zu
lassen! Dennoch aber ist absolutes Vergessen. Wir hören aber
ferner im Schlafe bekannte Melodien, wir freuen uns an Glanz
und Farbe, wir recitiren bekannte Gedichte oder sind im Thea¬
ter und der Schauspieler declamirt uns mit gewaltigem Pathos
Stellen, die wir auswendig wissen, bis er da stecken bleibt,
wo unsere Kenntniss zu Ende geht, nach dem Souffleurkasten
sieht und schliesslich vom Publikum und uns selbst ausgelacht
wird. Wir erinnern uns und urtheilen. Das Functioniren der
höheren Sinne beweist eine Thätigkeit der Cerebralgebilde, die
Erinnerungen und Urtheile, wie es scheint, der Hemisphären
selbst. Die Annahme, dass mit dem Schlafe die Thätigkeit der
Hemisphären erlischt, ist eine ganz willkürliche grundlose Theo¬
rie. Ich glaube bestimmt, dass das in dem Cerebrospinalorgane
ausgebreitete Sensorium weder hier noch dort in dem Schlafe
seine Function einstellt, sondern in allen Theilen gleichmässig
in seiner Thätigkeit herabgesetzt ist.
Anhang.
Ta
der Fülle von Reflexionen zum Belege
belle
der Lehre über die Reflexleitung.
10
Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin.