nun aber, dass die Ursache einer Bewegung, welche einen ein¬ fachen, nicht complicirten Mechanismus trifft, eine einfache, nicht complicirte Bewegung erzeugt, dass aber dieselbe Ursache, welche einen vielfach complicirten Mechanismus trifft, auch eine vielfach complicirte Bewegung erzeugt. Das Hirnbewusstsein, wel¬ ches eine Reihe vielverknüpfter und durch die in ihnen ruhenden Erinnerungen durcharbeiteter Mechanismen durchläuft, verdeckt leichter die Ursache der speciellen Bewegungen. Das Rücken¬ marksbewusstsein verräth sehr bald, dass es ein mechanischer Process sei. Wenn er nicht handgreiflich gestossen wird, bleibt er in Ruhe; wenn er stark gestossen wird, bewegt er sich mehr und länger; wenn er schwach gestossen wird, weniger und kürzer. Das ist nun freilich eine ganz gesetzmässige Thätig¬ keit; sie bleibt aber deshalb doch eine sensorische, wie wir uns bald überzeugen werden. Wir begreifen also die senso¬ rische Thätigkeit im Rückenmarke in ihrem einfachsten Prototyp, im Gehirn in vollkommenster Entwickelung.
In der Erkenntniss dieser Verhältnisse überrascht Cuvier durch seine geistvolle Auffassung:
"Die Integrität der Hemisphären", so sagt er, "ist noth¬ wendig zur Ausübung des Gesichts und Gehörs; wenn sie entfernt sind, offenbart sich der Wille nicht mehr durch spon¬ tane Acte. Indessen, wenn man das Thier reizt, führt es re¬ gelmässige Bewegungen aus, als ob es sofort dem Schmerz und Unbehagen entfliehen wollte; diese Bewegungen führen es aber nicht zum Ziele, wahrscheinlich weil sein Gedächtniss, welches mit den Hemisphären, die der Sitz desselben sind, verschwun¬ den ist (!!), keine Basis und keine Elemente mehr zum Urtheil liefert (!! -- -- ). Diese Bewegungen werden nur halb ausge¬ führt, weil die Ursache, welche sie erzeugt hat, kein Gedächt¬ niss (!) und keinen dauernden (!) Willen zurücklässt (! -- -- --). (Flourens, Recherches experimentales etc. p. 83. -- Rapport de Cuvier.)
Hiermit gehen wir zu neuen Kritiken über.
nun aber, dass die Ursache einer Bewegung, welche einen ein¬ fachen, nicht complicirten Mechanismus trifft, eine einfache, nicht complicirte Bewegung erzeugt, dass aber dieselbe Ursache, welche einen vielfach complicirten Mechanismus trifft, auch eine vielfach complicirte Bewegung erzeugt. Das Hirnbewusstsein, wel¬ ches eine Reihe vielverknüpfter und durch die in ihnen ruhenden Erinnerungen durcharbeiteter Mechanismen durchläuft, verdeckt leichter die Ursache der speciellen Bewegungen. Das Rücken¬ marksbewusstsein verräth sehr bald, dass es ein mechanischer Process sei. Wenn er nicht handgreiflich gestossen wird, bleibt er in Ruhe; wenn er stark gestossen wird, bewegt er sich mehr und länger; wenn er schwach gestossen wird, weniger und kürzer. Das ist nun freilich eine ganz gesetzmässige Thätig¬ keit; sie bleibt aber deshalb doch eine sensorische, wie wir uns bald überzeugen werden. Wir begreifen also die senso¬ rische Thätigkeit im Rückenmarke in ihrem einfachsten Prototyp, im Gehirn in vollkommenster Entwickelung.
In der Erkenntniss dieser Verhältnisse überrascht Cuvier durch seine geistvolle Auffassung:
„Die Integrität der Hemisphären“, so sagt er, „ist noth¬ wendig zur Ausübung des Gesichts und Gehörs; wenn sie entfernt sind, offenbart sich der Wille nicht mehr durch spon¬ tane Acte. Indessen, wenn man das Thier reizt, führt es re¬ gelmässige Bewegungen aus, als ob es sofort dem Schmerz und Unbehagen entfliehen wollte; diese Bewegungen führen es aber nicht zum Ziele, wahrscheinlich weil sein Gedächtniss, welches mit den Hemisphären, die der Sitz desselben sind, verschwun¬ den ist (!!), keine Basis und keine Elemente mehr zum Urtheil liefert (!! — — ). Diese Bewegungen werden nur halb ausge¬ führt, weil die Ursache, welche sie erzeugt hat, kein Gedächt¬ niss (!) und keinen dauernden (!) Willen zurücklässt (! — — —). (Flourens, Recherches expérimentales etc. p. 83. — Rapport de Cuvier.)
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nun aber, dass die Ursache einer Bewegung, welche einen ein¬
fachen, nicht complicirten Mechanismus trifft, eine einfache,
nicht complicirte Bewegung erzeugt, dass aber dieselbe Ursache,
welche einen vielfach complicirten Mechanismus trifft, auch eine
vielfach complicirte Bewegung erzeugt. Das Hirnbewusstsein, wel¬
ches eine Reihe vielverknüpfter und durch die in ihnen ruhenden
Erinnerungen durcharbeiteter Mechanismen durchläuft, verdeckt
leichter die Ursache der speciellen Bewegungen. Das Rücken¬
marksbewusstsein verräth sehr bald, dass es ein mechanischer
Process sei. Wenn er nicht handgreiflich gestossen wird, bleibt
er in Ruhe; wenn er stark gestossen wird, bewegt er sich mehr
und länger; wenn er schwach gestossen wird, weniger und
kürzer. Das ist nun freilich eine ganz gesetzmässige Thätig¬
keit; sie bleibt aber deshalb doch eine sensorische, wie wir
uns bald überzeugen werden. Wir begreifen also die senso¬
rische Thätigkeit im Rückenmarke in ihrem einfachsten Prototyp,
im Gehirn in vollkommenster Entwickelung.
In der Erkenntniss dieser Verhältnisse überrascht Cuvier
durch seine geistvolle Auffassung:
„Die Integrität der Hemisphären“, so sagt er, „ist noth¬
wendig zur Ausübung des Gesichts und Gehörs; wenn sie
entfernt sind, offenbart sich der Wille nicht mehr durch spon¬
tane Acte. Indessen, wenn man das Thier reizt, führt es re¬
gelmässige Bewegungen aus, als ob es sofort dem Schmerz und
Unbehagen entfliehen wollte; diese Bewegungen führen es aber
nicht zum Ziele, wahrscheinlich weil sein Gedächtniss, welches
mit den Hemisphären, die der Sitz desselben sind, verschwun¬
den ist (!!), keine Basis und keine Elemente mehr zum Urtheil
liefert (!! — — ). Diese Bewegungen werden nur halb ausge¬
führt, weil die Ursache, welche sie erzeugt hat, kein Gedächt¬
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(Flourens, Recherches expérimentales etc. p. 83. — Rapport
de Cuvier.)
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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/69>, abgerufen am 16.02.2025.
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