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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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"Anders ist es bei den Salamandern. Das Thier fährt fort,
seine Beine und seinen Schwanz zu bewegen, obgleich das
Rückenmark und selbst die ganze Wirbelsäule nahe über dem
Ursprung der Schenkelnerven durchschnitten ist.

"Ich theilte die Rückensäule mit dem Rückenmarke bei
einem Salamander.

"Unmittelbar nach der Operation bewegte das Thier bereits
seine Hinterpfoten und seinen Schwanz.

"Einen Monat später bewegte es sie noch weit besser. Es
ging und setzte zum Schritt abwechselnd jedes Hinterbein vor,
wie Dies auch mit den Vorderbeinen geschah.

"Dennoch war die Vereinigung der beiden Enden des
Rückenmarkes noch nicht eingetreten". (Flourens, Recher¬
ches experimentales etc. p. 419 u. 420.)

Wenn wir aufrichtig sein wollen, so müssen wir zwar zu¬
geben, dass die Salamander, denen irgendwo das Rückenmark
getheilt ist, ihre Beine ohne nachweisbaren äusseren Anlass
bewegen. Dass aber in Theilen, die nur noch Rückenmark
besitzen, Ortsbewegungen in der angeführten Weise vorkämen,
habe ich nie gesehen, obgleich ich an sehr vielen Salamandern
experimentirt habe. Flourens hat sich wohl getäuscht, und
das Rückenmark war in dem speciell angeführten Falle gar
nicht getrennt.

Worauf indess Gewicht gelegt werden muss, ist, dass
Grainger, einer unserer entschiedensten Gegner, offen gesteht,
dass er nicht blos bei niederen Thieren, sondern auch bei
Säugethieren, nämlich jungen Kaninchen, Bewegungen der
Hinterbeine ohne nachweisbaren Reiz hätte eintreten sehen.
(Grainger, On the structure and functions of the spinal cord.
p. 55 u. 63.)

Hier sagt er aber ausdrücklich:

" Zu bemerken ist, dass von Zeit zu Zeit, ohne irgend wel¬
chen Reiz (without any Stimulus being applied), die Hinter¬
beine zurückgestossen wurden, als ob das Thier schnell liefe,
während zu derselben Zeit die Vorderbeine, die noch unter der

„Anders ist es bei den Salamandern. Das Thier fährt fort,
seine Beine und seinen Schwanz zu bewegen, obgleich das
Rückenmark und selbst die ganze Wirbelsäule nahe über dem
Ursprung der Schenkelnerven durchschnitten ist.

„Ich theilte die Rückensäule mit dem Rückenmarke bei
einem Salamander.

„Unmittelbar nach der Operation bewegte das Thier bereits
seine Hinterpfoten und seinen Schwanz.

„Einen Monat später bewegte es sie noch weit besser. Es
ging und setzte zum Schritt abwechselnd jedes Hinterbein vor,
wie Dies auch mit den Vorderbeinen geschah.

„Dennoch war die Vereinigung der beiden Enden des
Rückenmarkes noch nicht eingetreten“. (Flourens, Recher¬
ches expérimentales etc. p. 419 u. 420.)

Wenn wir aufrichtig sein wollen, so müssen wir zwar zu¬
geben, dass die Salamander, denen irgendwo das Rückenmark
getheilt ist, ihre Beine ohne nachweisbaren äusseren Anlass
bewegen. Dass aber in Theilen, die nur noch Rückenmark
besitzen, Ortsbewegungen in der angeführten Weise vorkämen,
habe ich nie gesehen, obgleich ich an sehr vielen Salamandern
experimentirt habe. Flourens hat sich wohl getäuscht, und
das Rückenmark war in dem speciell angeführten Falle gar
nicht getrennt.

Worauf indess Gewicht gelegt werden muss, ist, dass
Grainger, einer unserer entschiedensten Gegner, offen gesteht,
dass er nicht blos bei niederen Thieren, sondern auch bei
Säugethieren, nämlich jungen Kaninchen, Bewegungen der
Hinterbeine ohne nachweisbaren Reiz hätte eintreten sehen.
(Grainger, On the structure and functions of the spinal cord.
p. 55 u. 63.)

Hier sagt er aber ausdrücklich:

„ Zu bemerken ist, dass von Zeit zu Zeit, ohne irgend wel¬
chen Reiz (without any Stimulus being applied), die Hinter¬
beine zurückgestossen wurden, als ob das Thier schnell liefe,
während zu derselben Zeit die Vorderbeine, die noch unter der

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[45/0067] „Anders ist es bei den Salamandern. Das Thier fährt fort, seine Beine und seinen Schwanz zu bewegen, obgleich das Rückenmark und selbst die ganze Wirbelsäule nahe über dem Ursprung der Schenkelnerven durchschnitten ist. „Ich theilte die Rückensäule mit dem Rückenmarke bei einem Salamander. „Unmittelbar nach der Operation bewegte das Thier bereits seine Hinterpfoten und seinen Schwanz. „Einen Monat später bewegte es sie noch weit besser. Es ging und setzte zum Schritt abwechselnd jedes Hinterbein vor, wie Dies auch mit den Vorderbeinen geschah. „Dennoch war die Vereinigung der beiden Enden des Rückenmarkes noch nicht eingetreten“. (Flourens, Recher¬ ches expérimentales etc. p. 419 u. 420.) Wenn wir aufrichtig sein wollen, so müssen wir zwar zu¬ geben, dass die Salamander, denen irgendwo das Rückenmark getheilt ist, ihre Beine ohne nachweisbaren äusseren Anlass bewegen. Dass aber in Theilen, die nur noch Rückenmark besitzen, Ortsbewegungen in der angeführten Weise vorkämen, habe ich nie gesehen, obgleich ich an sehr vielen Salamandern experimentirt habe. Flourens hat sich wohl getäuscht, und das Rückenmark war in dem speciell angeführten Falle gar nicht getrennt. Worauf indess Gewicht gelegt werden muss, ist, dass Grainger, einer unserer entschiedensten Gegner, offen gesteht, dass er nicht blos bei niederen Thieren, sondern auch bei Säugethieren, nämlich jungen Kaninchen, Bewegungen der Hinterbeine ohne nachweisbaren Reiz hätte eintreten sehen. (Grainger, On the structure and functions of the spinal cord. p. 55 u. 63.) Hier sagt er aber ausdrücklich: „ Zu bemerken ist, dass von Zeit zu Zeit, ohne irgend wel¬ chen Reiz (without any Stimulus being applied), die Hinter¬ beine zurückgestossen wurden, als ob das Thier schnell liefe, während zu derselben Zeit die Vorderbeine, die noch unter der

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/67>, abgerufen am 22.11.2024.