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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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mortua fuit, inspexi cavernulam, in quo cerebrum stare solebat,
eamque nitidam, laevigatam et penitus vacuam reperi, si minu¬
tum, siccum nigrumque sanguinis grumum excipias. Vixerunt
quoque multae aliae testudines terrestes, postquam iis eodem
modo totum cerebrum abstulissem mensibus Novembri, Januario,
Februario et Martio, hoc tarnen cum discrimine quod nonnullae
locum mutarent, seque huc illuc pro lubilu converterent, aliae
vero, licet diu sine cerebro vita fruerentur, nunquam tamen
locum mutarent, quamvis agerentur motibus." (Francisci Redi,
de Animalculis Vivis etc. Amstelaedami 1708. p. 208--210.)

Nasse erinnert nicht ohne Grund an den warmen floren¬
tinischen Himmel, unter dem die Versuche angestellt sind.
(A. a. O. p. 265.)

Ich kann indessen ein Mittel angeben, dieselben von Redi
beschriebenen Bewegungen auch in unseren Breiten zu machen.

Am Erdsalamander, dem man zwischen Occiput und Atlas
die Medulla oblongata durchschneidet, kann man, wie bereits
oben bemerkt, noch vollständige Locomotionsbewegungen, die
"spontan" eintreten, wahrnehmen.

Legallois berichtet ebenfalls spontane Bewegungen gese¬
hen zu haben. (Oeuvres I. p. 51.)

Wichtig ist es nun ferner, dass selbst Flourens, welcher
doch ganz entschieden dem Rückenmarke sensorische Functionen
abspricht, dennoch gesteht, spontane Bewegungen beobachtet zu
haben, indem er sagt:

"Das ist ein besonderes Factum, welches nicht mehr durch
das Gehirn, sondern durch das Rückenmark bedingt ist, und das
mir die Salamander allein bisher unter den Reptilien gezeigt haben.

"Wenn man bei einem warmblütigen Thiere, bei einem
Vogel, bei einem Säugethiere, eine beliebige Stelle des Rücken¬
marks durch einen transversalen Schnitt theilt, so werden sofort
alle unter der Schnittfläche gelegenen Partien gelähmt. Wenn
zum Beispiel der Schnitt über dem Niveau der unteren Extre¬
mitäten gemacht ist, so sind sofort die Hinterbeine gelähmt; das
Thier schleift sie nach, bewegt sie aber nicht mehr.

mortua fuit, inspexi cavernulam, in quo cerebrum stare solebat,
eamque nitidam, laevigatam et penitus vacuam reperi, si minu¬
tum, siccum nigrumque sanguinis grumum excipias. Vixerunt
quoque multae aliae testudines terrestes, postquam iis eodem
modo totum cerebrum abstulissem mensibus Novembri, Januario,
Februario et Martio, hoc tarnen cum discrimine quod nonnullae
locum mutarent, seque huc illuc pro lubilu converterent, aliae
vero, licet diu sine cerebro vita fruerentur, nunquam tamen
locum mutarent, quamvis agerentur motibus.“ (Francisci Redi,
de Animalculis Vivis etc. Amstelaedami 1708. p. 208—210.)

Nasse erinnert nicht ohne Grund an den warmen floren¬
tinischen Himmel, unter dem die Versuche angestellt sind.
(A. a. O. p. 265.)

Ich kann indessen ein Mittel angeben, dieselben von Redi
beschriebenen Bewegungen auch in unseren Breiten zu machen.

Am Erdsalamander, dem man zwischen Occiput und Atlas
die Medulla oblongata durchschneidet, kann man, wie bereits
oben bemerkt, noch vollständige Locomotionsbewegungen, die
„spontan“ eintreten, wahrnehmen.

Legallois berichtet ebenfalls spontane Bewegungen gese¬
hen zu haben. (Oeuvres I. p. 51.)

Wichtig ist es nun ferner, dass selbst Flourens, welcher
doch ganz entschieden dem Rückenmarke sensorische Functionen
abspricht, dennoch gesteht, spontane Bewegungen beobachtet zu
haben, indem er sagt:

„Das ist ein besonderes Factum, welches nicht mehr durch
das Gehirn, sondern durch das Rückenmark bedingt ist, und das
mir die Salamander allein bisher unter den Reptilien gezeigt haben.

„Wenn man bei einem warmblütigen Thiere, bei einem
Vogel, bei einem Säugethiere, eine beliebige Stelle des Rücken¬
marks durch einen transversalen Schnitt theilt, so werden sofort
alle unter der Schnittfläche gelegenen Partien gelähmt. Wenn
zum Beispiel der Schnitt über dem Niveau der unteren Extre¬
mitäten gemacht ist, so sind sofort die Hinterbeine gelähmt; das
Thier schleift sie nach, bewegt sie aber nicht mehr.

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[44/0066] mortua fuit, inspexi cavernulam, in quo cerebrum stare solebat, eamque nitidam, laevigatam et penitus vacuam reperi, si minu¬ tum, siccum nigrumque sanguinis grumum excipias. Vixerunt quoque multae aliae testudines terrestes, postquam iis eodem modo totum cerebrum abstulissem mensibus Novembri, Januario, Februario et Martio, hoc tarnen cum discrimine quod nonnullae locum mutarent, seque huc illuc pro lubilu converterent, aliae vero, licet diu sine cerebro vita fruerentur, nunquam tamen locum mutarent, quamvis agerentur motibus.“ (Francisci Redi, de Animalculis Vivis etc. Amstelaedami 1708. p. 208—210.) Nasse erinnert nicht ohne Grund an den warmen floren¬ tinischen Himmel, unter dem die Versuche angestellt sind. (A. a. O. p. 265.) Ich kann indessen ein Mittel angeben, dieselben von Redi beschriebenen Bewegungen auch in unseren Breiten zu machen. Am Erdsalamander, dem man zwischen Occiput und Atlas die Medulla oblongata durchschneidet, kann man, wie bereits oben bemerkt, noch vollständige Locomotionsbewegungen, die „spontan“ eintreten, wahrnehmen. Legallois berichtet ebenfalls spontane Bewegungen gese¬ hen zu haben. (Oeuvres I. p. 51.) Wichtig ist es nun ferner, dass selbst Flourens, welcher doch ganz entschieden dem Rückenmarke sensorische Functionen abspricht, dennoch gesteht, spontane Bewegungen beobachtet zu haben, indem er sagt: „Das ist ein besonderes Factum, welches nicht mehr durch das Gehirn, sondern durch das Rückenmark bedingt ist, und das mir die Salamander allein bisher unter den Reptilien gezeigt haben. „Wenn man bei einem warmblütigen Thiere, bei einem Vogel, bei einem Säugethiere, eine beliebige Stelle des Rücken¬ marks durch einen transversalen Schnitt theilt, so werden sofort alle unter der Schnittfläche gelegenen Partien gelähmt. Wenn zum Beispiel der Schnitt über dem Niveau der unteren Extre¬ mitäten gemacht ist, so sind sofort die Hinterbeine gelähmt; das Thier schleift sie nach, bewegt sie aber nicht mehr.

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/66>, abgerufen am 02.05.2024.