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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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gungen unternommen hätte. (Hier erinnere ich an das Ex¬
periment Marshall Hall's, wo ein Pferd, nach einem Schlag
auf den Kopf, für besinnungslos und gefühllos gehalten wird,
weil es zusammengestürzt war, um dann zu Versuchen über
excito-motorische Prozesse benutzt zu werden. Marshall Hall
a. a. O. p. 61 u. 63.)

Hieraus geht aber hervor, dass es im Allgemeinen unstatt¬
haft ist, von den fehlenden "Lebenszeichen" oder spontanen
Bewegungen auf das fehlende Bewusstsein und den fehlenden
Willen schliessen zu wollen.

Gehen wir aber auf die oben berührte Prämisse ein, welche
den Gedanken ausspricht, dass die sensorische Thätigkeit über¬
haupt eine spontane sein müsse, so muss vor der Hand dage¬
gen die Bemerkung gemacht werden, dass die Beweisführer hier
eine Theorie und wie Manche meinen, eine abgeschmackte Theo¬
rie als Basis ihrer Deduction beanspruchen. Deshalb nochmals
die Erwiderung: Mit Theorien kann Nichts bewiesen
werden
! --

Obgleich schon durch diese wenigen Worte die Schärfe
des Argumentes zerstört ist, wollen wir dennoch, um jegliches
Bedenken zu beseitigen, gründlicher auf die vorschwebende
Frage eingehen.

Das Nächste, was sich der Erörterung darlegt, ist eine Kri¬
tik des gegebenen Faktums selbst. Giebt es in der That keine
"spontanen" Bewegungen bei Enthaupteten mehr, wie Hall und
Kürschner behaupten? -- Redi, Perrault, Beerhave,
Whytt, Legallois und selbst Volkmann, ja sogar Grain¬
ger
berichten uns das Gegentheil!

Volkmann sagt: "Ich habe mehrfach gesehen, dass ge¬
köpfte Frösche ohne irgend eine Veranlassung gewisse Bewe¬
gungen mit den Hinterschenkeln machten, scheinbar, als woll¬
ten sie sich bequemer zurecht setzen. Ich kann sogar einen
sicheren Weg angeben, dergleichen selbständige Bewegungen
an geköpften Fröschen zu beobachten. Ist der Kopf vom Rumpfe
getrennt und haben sich die ersten krampfhaften Bewegungen

gungen unternommen hätte. (Hier erinnere ich an das Ex¬
periment Marshall Hall's, wo ein Pferd, nach einem Schlag
auf den Kopf, für besinnungslos und gefühllos gehalten wird,
weil es zusammengestürzt war, um dann zu Versuchen über
excito-motorische Prozesse benutzt zu werden. Marshall Hall
a. a. O. p. 61 u. 63.)

Hieraus geht aber hervor, dass es im Allgemeinen unstatt¬
haft ist, von den fehlenden „Lebenszeichen“ oder spontanen
Bewegungen auf das fehlende Bewusstsein und den fehlenden
Willen schliessen zu wollen.

Gehen wir aber auf die oben berührte Prämisse ein, welche
den Gedanken ausspricht, dass die sensorische Thätigkeit über¬
haupt eine spontane sein müsse, so muss vor der Hand dage¬
gen die Bemerkung gemacht werden, dass die Beweisführer hier
eine Theorie und wie Manche meinen, eine abgeschmackte Theo¬
rie als Basis ihrer Deduction beanspruchen. Deshalb nochmals
die Erwiderung: Mit Theorien kann Nichts bewiesen
werden
! —

Obgleich schon durch diese wenigen Worte die Schärfe
des Argumentes zerstört ist, wollen wir dennoch, um jegliches
Bedenken zu beseitigen, gründlicher auf die vorschwebende
Frage eingehen.

Das Nächste, was sich der Erörterung darlegt, ist eine Kri¬
tik des gegebenen Faktums selbst. Giebt es in der That keine
„spontanen“ Bewegungen bei Enthaupteten mehr, wie Hall und
Kürschner behaupten? — Redi, Perrault, Beerhave,
Whytt, Legallois und selbst Volkmann, ja sogar Grain¬
ger
berichten uns das Gegentheil!

Volkmann sagt: „Ich habe mehrfach gesehen, dass ge¬
köpfte Frösche ohne irgend eine Veranlassung gewisse Bewe¬
gungen mit den Hinterschenkeln machten, scheinbar, als woll¬
ten sie sich bequemer zurecht setzen. Ich kann sogar einen
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[36/0058] gungen unternommen hätte. (Hier erinnere ich an das Ex¬ periment Marshall Hall's, wo ein Pferd, nach einem Schlag auf den Kopf, für besinnungslos und gefühllos gehalten wird, weil es zusammengestürzt war, um dann zu Versuchen über excito-motorische Prozesse benutzt zu werden. Marshall Hall a. a. O. p. 61 u. 63.) Hieraus geht aber hervor, dass es im Allgemeinen unstatt¬ haft ist, von den fehlenden „Lebenszeichen“ oder spontanen Bewegungen auf das fehlende Bewusstsein und den fehlenden Willen schliessen zu wollen. Gehen wir aber auf die oben berührte Prämisse ein, welche den Gedanken ausspricht, dass die sensorische Thätigkeit über¬ haupt eine spontane sein müsse, so muss vor der Hand dage¬ gen die Bemerkung gemacht werden, dass die Beweisführer hier eine Theorie und wie Manche meinen, eine abgeschmackte Theo¬ rie als Basis ihrer Deduction beanspruchen. Deshalb nochmals die Erwiderung: Mit Theorien kann Nichts bewiesen werden! — Obgleich schon durch diese wenigen Worte die Schärfe des Argumentes zerstört ist, wollen wir dennoch, um jegliches Bedenken zu beseitigen, gründlicher auf die vorschwebende Frage eingehen. Das Nächste, was sich der Erörterung darlegt, ist eine Kri¬ tik des gegebenen Faktums selbst. Giebt es in der That keine „spontanen“ Bewegungen bei Enthaupteten mehr, wie Hall und Kürschner behaupten? — Redi, Perrault, Beerhave, Whytt, Legallois und selbst Volkmann, ja sogar Grain¬ ger berichten uns das Gegentheil! Volkmann sagt: „Ich habe mehrfach gesehen, dass ge¬ köpfte Frösche ohne irgend eine Veranlassung gewisse Bewe¬ gungen mit den Hinterschenkeln machten, scheinbar, als woll¬ ten sie sich bequemer zurecht setzen. Ich kann sogar einen sicheren Weg angeben, dergleichen selbständige Bewegungen an geköpften Fröschen zu beobachten. Ist der Kopf vom Rumpfe getrennt und haben sich die ersten krampfhaften Bewegungen

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/58>, abgerufen am 02.05.2024.