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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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II. Nahe verwandt mit der so eben besprochenen Beweis¬
führung ist eine andere, welche sich Darauf stützt, dass ent¬
hauptete Thiere keine Bewegungen mehr aus freien Stücken
unternehmen sollen, sondern nur durch äussere Reize hierzu
bestimmt würden. Wir treffen hier auf dieselbe Schwäche und
dieselbe Begriffslosigkeit, wie früher. Denn es konnte und durfte
den Autoren, wenn sie logisch dachten, unter keiner Bedingung
entgehen, dass Derjenige, welcher von dem Fehlen spontaner
Bewegungen auf das Fehlen des Bewusstseins schliesst, eines¬
theils stillschweigend sich an die Prämisse gehalten hat, die
sensorische Thätigkeit sei überhaupt etwas Spontanes, andern¬
theils aber die "spontane" Bewegung zur Bedingung des Sen¬
soriums macht oder um es recht trivial, aber in die Augen
springend, zu sagen, behauptet, dass da, wo die willkürliche
"spontane" Bewegung fehle, auch kein Bewusstsein vorhan¬
den sei.

Viele der Leser werden aus eigener Erfahrung das zuwei¬
len den Schlafenden belästigende Alpdrücken kennen. In die¬
sem Zustande wird man sich recht klar bewusst, dass man
schlafe; und der Wille macht die energischsten Anstrengungen,
die Glieder aus den Fesseln des Schlafes zu lösen. Dennoch
aber regt sich kein Muskel, und das Erwachen erfolgt nicht
sogleich. Der Beobachter kann vielleicht nur aus der beklom¬
menen Respiration schliessen, dass den Schlafenden ein Traum
ängstige. Also trotz der fehlenden spontanen Bewegungen
Bewusstsein und Wille!

Mir selbst begegnete es einmal, dass ich durch einen kräf¬
tigen Faustschlag gegen die Schläfe die Besinnung verlor. Als
das Bewusstsein wiederkam, fand ich mich am Boden hinge¬
streckt und suchte mich von demselben zu erheben. Aber
trotz des lebhaften Willens regte sich kein Muskel. Dennoch
aber sah ich die Füsse der Umstehenden, hörte, was sie spra¬
chen, und fühlte ihre Arme, die mich weg trugen und mich
für besinnungslos hielten, weil ich kein "Lebenszeichen" von
mir gegeben, d. h. wohl keine sogenannten spontanen Bewe¬

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II. Nahe verwandt mit der so eben besprochenen Beweis¬
führung ist eine andere, welche sich Darauf stützt, dass ent¬
hauptete Thiere keine Bewegungen mehr aus freien Stücken
unternehmen sollen, sondern nur durch äussere Reize hierzu
bestimmt würden. Wir treffen hier auf dieselbe Schwäche und
dieselbe Begriffslosigkeit, wie früher. Denn es konnte und durfte
den Autoren, wenn sie logisch dachten, unter keiner Bedingung
entgehen, dass Derjenige, welcher von dem Fehlen spontaner
Bewegungen auf das Fehlen des Bewusstseins schliesst, eines¬
theils stillschweigend sich an die Prämisse gehalten hat, die
sensorische Thätigkeit sei überhaupt etwas Spontanes, andern¬
theils aber die „spontane“ Bewegung zur Bedingung des Sen¬
soriums macht oder um es recht trivial, aber in die Augen
springend, zu sagen, behauptet, dass da, wo die willkürliche
„spontane“ Bewegung fehle, auch kein Bewusstsein vorhan¬
den sei.

Viele der Leser werden aus eigener Erfahrung das zuwei¬
len den Schlafenden belästigende Alpdrücken kennen. In die¬
sem Zustande wird man sich recht klar bewusst, dass man
schlafe; und der Wille macht die energischsten Anstrengungen,
die Glieder aus den Fesseln des Schlafes zu lösen. Dennoch
aber regt sich kein Muskel, und das Erwachen erfolgt nicht
sogleich. Der Beobachter kann vielleicht nur aus der beklom¬
menen Respiration schliessen, dass den Schlafenden ein Traum
ängstige. Also trotz der fehlenden spontanen Bewegungen
Bewusstsein und Wille!

Mir selbst begegnete es einmal, dass ich durch einen kräf¬
tigen Faustschlag gegen die Schläfe die Besinnung verlor. Als
das Bewusstsein wiederkam, fand ich mich am Boden hinge¬
streckt und suchte mich von demselben zu erheben. Aber
trotz des lebhaften Willens regte sich kein Muskel. Dennoch
aber sah ich die Füsse der Umstehenden, hörte, was sie spra¬
chen, und fühlte ihre Arme, die mich weg trugen und mich
für besinnungslos hielten, weil ich kein „Lebenszeichen“ von
mir gegeben, d. h. wohl keine sogenannten spontanen Bewe¬

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[35/0057] II. Nahe verwandt mit der so eben besprochenen Beweis¬ führung ist eine andere, welche sich Darauf stützt, dass ent¬ hauptete Thiere keine Bewegungen mehr aus freien Stücken unternehmen sollen, sondern nur durch äussere Reize hierzu bestimmt würden. Wir treffen hier auf dieselbe Schwäche und dieselbe Begriffslosigkeit, wie früher. Denn es konnte und durfte den Autoren, wenn sie logisch dachten, unter keiner Bedingung entgehen, dass Derjenige, welcher von dem Fehlen spontaner Bewegungen auf das Fehlen des Bewusstseins schliesst, eines¬ theils stillschweigend sich an die Prämisse gehalten hat, die sensorische Thätigkeit sei überhaupt etwas Spontanes, andern¬ theils aber die „spontane“ Bewegung zur Bedingung des Sen¬ soriums macht oder um es recht trivial, aber in die Augen springend, zu sagen, behauptet, dass da, wo die willkürliche „spontane“ Bewegung fehle, auch kein Bewusstsein vorhan¬ den sei. Viele der Leser werden aus eigener Erfahrung das zuwei¬ len den Schlafenden belästigende Alpdrücken kennen. In die¬ sem Zustande wird man sich recht klar bewusst, dass man schlafe; und der Wille macht die energischsten Anstrengungen, die Glieder aus den Fesseln des Schlafes zu lösen. Dennoch aber regt sich kein Muskel, und das Erwachen erfolgt nicht sogleich. Der Beobachter kann vielleicht nur aus der beklom¬ menen Respiration schliessen, dass den Schlafenden ein Traum ängstige. Also trotz der fehlenden spontanen Bewegungen Bewusstsein und Wille! Mir selbst begegnete es einmal, dass ich durch einen kräf¬ tigen Faustschlag gegen die Schläfe die Besinnung verlor. Als das Bewusstsein wiederkam, fand ich mich am Boden hinge¬ streckt und suchte mich von demselben zu erheben. Aber trotz des lebhaften Willens regte sich kein Muskel. Dennoch aber sah ich die Füsse der Umstehenden, hörte, was sie spra¬ chen, und fühlte ihre Arme, die mich weg trugen und mich für besinnungslos hielten, weil ich kein „Lebenszeichen“ von mir gegeben, d. h. wohl keine sogenannten spontanen Bewe¬ 3 *

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/57>, abgerufen am 03.05.2024.