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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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sonst so entschieden und rühmlich auf das Idealfreie gerichtete
Plato macht als ächter Hellene ein gewaltiges Aufheben aus dem
Staat, ohne doch dabei an etwas Andres zu denken, als an dorisch-ly¬
kurgisch zugeschnittene Stadtrepubliken von Griechenland. Diese sollen
nun "der Mensch im Großen" sein, in der Gliederung der Stände
und Institutionen nicht sowohl Ab-, als Vorbild der Einzelseele,
die erst in diesem weiteren Rahmen ihre eigene Bestimmung er¬
reiche und die Kardinaltugenden voll zu erweisen vermöge. Und
jener minutiöse Staatsmoloch wird so hoch gestellt, daß ihm rück¬
sichtslos als Opfer dargebracht wird, was den Menschen im Pri¬
vatleben oder in der wissenschaftlichen Thätigkeit recht eigentlich
zum freien geistigen Wesen macht -- vorausgesetzt, daß keinerlei
äußere Omnipotenz seine Lebensregungen im Keim erstickt oder ver¬
giftet, wie es hier geschähe! -- Sein Schüler Aristoteles, sonst
so vielfach abweichend, hierin stimmt auch er überwiegend mit dem
Meister zusammen und bezeichnet die Anlage für das Staatsleben
als das dem Menschen Grundwesentliche, dessen Verwirklichung die
Blüthe der Entwicklung sei. Kein Wunder, daß die Masse ihres
Volks unter dem Banne solcher beschränkten Anschauungen befangen
blieb und z. B. Verbannung aus dem Vaterland als schwerstes,
dem Tode beinah gleich zu achtendes Loos betrachtete. Denn "hic
ego barbarus sum, quia non intelligor ulli
"! In anderen Völ¬
kern und Sprachen sah man ja mit altkluger Selbstgenügsamkeit
nur barbarische Gebilde, physisch und psychisch auf halbmensch¬
licher Stufe -- ein Zeugniß der eigenen bornirten Unwissenheit,
wenn man dieß Urteil über solche fällte, welche in modernem
Lichte gesehen sich als nächste Verwandte und in sofern völlig
Ebenbürtige der "klassischen" Völker erweisen.

Einen Schritt der Wahrheit näher scheint schon das spätere
caesarisch-römische Weltreich. Wie es toleranten Sinnes
in seinem Pantheon allerlei Göttern eine Stätte anwies, so ver¬

ſonſt ſo entſchieden und rühmlich auf das Idealfreie gerichtete
Plato macht als ächter Hellene ein gewaltiges Aufheben aus dem
Staat, ohne doch dabei an etwas Andres zu denken, als an doriſch-ly¬
kurgiſch zugeſchnittene Stadtrepubliken von Griechenland. Dieſe ſollen
nun „der Menſch im Großen“ ſein, in der Gliederung der Stände
und Inſtitutionen nicht ſowohl Ab-, als Vorbild der Einzelſeele,
die erſt in dieſem weiteren Rahmen ihre eigene Beſtimmung er¬
reiche und die Kardinaltugenden voll zu erweiſen vermöge. Und
jener minutiöſe Staatsmoloch wird ſo hoch geſtellt, daß ihm rück¬
ſichtslos als Opfer dargebracht wird, was den Menſchen im Pri¬
vatleben oder in der wiſſenſchaftlichen Thätigkeit recht eigentlich
zum freien geiſtigen Weſen macht — vorausgeſetzt, daß keinerlei
äußere Omnipotenz ſeine Lebensregungen im Keim erſtickt oder ver¬
giftet, wie es hier geſchähe! — Sein Schüler Ariſtoteles, ſonſt
ſo vielfach abweichend, hierin ſtimmt auch er überwiegend mit dem
Meiſter zuſammen und bezeichnet die Anlage für das Staatsleben
als das dem Menſchen Grundweſentliche, deſſen Verwirklichung die
Blüthe der Entwicklung ſei. Kein Wunder, daß die Maſſe ihres
Volks unter dem Banne ſolcher beſchränkten Anſchauungen befangen
blieb und z. B. Verbannung aus dem Vaterland als ſchwerſtes,
dem Tode beinah gleich zu achtendes Loos betrachtete. Denn »hic
ego barbarus sum, quia non intelligor ulli
«! In anderen Völ¬
kern und Sprachen ſah man ja mit altkluger Selbſtgenügſamkeit
nur barbariſche Gebilde, phyſiſch und pſychiſch auf halbmenſch¬
licher Stufe — ein Zeugniß der eigenen bornirten Unwiſſenheit,
wenn man dieß Urteil über ſolche fällte, welche in modernem
Lichte geſehen ſich als nächſte Verwandte und in ſofern völlig
Ebenbürtige der „klaſſiſchen“ Völker erweiſen.

Einen Schritt der Wahrheit näher ſcheint ſchon das ſpätere
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[7/0017] ſonſt ſo entſchieden und rühmlich auf das Idealfreie gerichtete Plato macht als ächter Hellene ein gewaltiges Aufheben aus dem Staat, ohne doch dabei an etwas Andres zu denken, als an doriſch-ly¬ kurgiſch zugeſchnittene Stadtrepubliken von Griechenland. Dieſe ſollen nun „der Menſch im Großen“ ſein, in der Gliederung der Stände und Inſtitutionen nicht ſowohl Ab-, als Vorbild der Einzelſeele, die erſt in dieſem weiteren Rahmen ihre eigene Beſtimmung er¬ reiche und die Kardinaltugenden voll zu erweiſen vermöge. Und jener minutiöſe Staatsmoloch wird ſo hoch geſtellt, daß ihm rück¬ ſichtslos als Opfer dargebracht wird, was den Menſchen im Pri¬ vatleben oder in der wiſſenſchaftlichen Thätigkeit recht eigentlich zum freien geiſtigen Weſen macht — vorausgeſetzt, daß keinerlei äußere Omnipotenz ſeine Lebensregungen im Keim erſtickt oder ver¬ giftet, wie es hier geſchähe! — Sein Schüler Ariſtoteles, ſonſt ſo vielfach abweichend, hierin ſtimmt auch er überwiegend mit dem Meiſter zuſammen und bezeichnet die Anlage für das Staatsleben als das dem Menſchen Grundweſentliche, deſſen Verwirklichung die Blüthe der Entwicklung ſei. Kein Wunder, daß die Maſſe ihres Volks unter dem Banne ſolcher beſchränkten Anſchauungen befangen blieb und z. B. Verbannung aus dem Vaterland als ſchwerſtes, dem Tode beinah gleich zu achtendes Loos betrachtete. Denn »hic ego barbarus sum, quia non intelligor ulli«! In anderen Völ¬ kern und Sprachen ſah man ja mit altkluger Selbſtgenügſamkeit nur barbariſche Gebilde, phyſiſch und pſychiſch auf halbmenſch¬ licher Stufe — ein Zeugniß der eigenen bornirten Unwiſſenheit, wenn man dieß Urteil über ſolche fällte, welche in modernem Lichte geſehen ſich als nächſte Verwandte und in ſofern völlig Ebenbürtige der „klaſſiſchen“ Völker erweiſen. Einen Schritt der Wahrheit näher ſcheint ſchon das ſpätere caeſariſch-römiſche Weltreich. Wie es toleranten Sinnes in ſeinem Pantheon allerlei Göttern eine Stätte anwies, ſo ver¬

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/17>, abgerufen am 27.04.2024.