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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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leiten oder das Gefundene weiter bestätigen lassen durch die großen
Schriftzüge der Geschichte, dieser besten Lehrmeisterin unseres
Denkens über die Dinge des menschlichen Lebens.

Den Vortritt möge diejenige Richtung und Gesinnung haben,
welche den Mund selbst auch am vollsten zu nehmen und sich der
Oeffentlichkeit am meisten anzupreisen pflegt, der Kosmopoli¬
tismus
. Gewiß, er hat viel Blendendes an sich, eine recht
ansprechende und einschmeichelnde Miene, zumal wenn er in so
liebenswürdiger Gestalt sich naht, wie in dem berühmten Hohelied
einer freudigen Humanität bei unserem Schiller, diesem edlen
Sohn seiner gefühlswarmen Zeit:

"Seid umschlungen Millionen,
Diesen Kuß der ganzen Welt!"

Wer möchte gegen dieß Motto des besten Kosmopolitismus
viel haben, als etwa gleich an der Schwelle einige prosaisch¬
nüchterne Bedenken, wie man sich denn die Ausführung dieses
frommen Wunsches eigentlich vorstellen solle -- das böse Aber
aller dieser überschwänglichen Flüge in die Weite! -- Immerhin
jedoch mag es sein, daß der gleichgesinnte moderne Mensch mit
einem gewissen Gefühl mitleidigen Bedauerns, froh dagegen im
Bewußtsein der erreichten eigenen Höhe herabsieht auf einen Stand¬
punkt, wie z. B. den der alten Griechen und Römer. Was
steckten doch, wird er sagen, diese vielgerühmten "klassischen" Völker
mit bornirtester Befangenheit in ihren Stäätchen oder Staaten,
was waren sie, wie auf anderen, so auch auf diesem Gebiet so
ganz versunken in bloße Naturbestimmungen, daß sie dieß ihr
Wesen gar auch noch als höchste Mannestugend ausgaben! Selbst
ihre größten Geister, hierin wenigstens scheinen sie dem Kosmo¬
politen herzlich schwach gewesen zu sein und eben den unvermeid¬
lichen Tribut an ihre unvollkommene Zeit bezahlt zu haben, welche
auch die Stärksten nicht auf einmal und ganz losließ. Sogar der

leiten oder das Gefundene weiter beſtätigen laſſen durch die großen
Schriftzüge der Geſchichte, dieſer beſten Lehrmeiſterin unſeres
Denkens über die Dinge des menſchlichen Lebens.

Den Vortritt möge diejenige Richtung und Geſinnung haben,
welche den Mund ſelbſt auch am vollſten zu nehmen und ſich der
Oeffentlichkeit am meiſten anzupreiſen pflegt, der Kosmopoli¬
tismus
. Gewiß, er hat viel Blendendes an ſich, eine recht
anſprechende und einſchmeichelnde Miene, zumal wenn er in ſo
liebenswürdiger Geſtalt ſich naht, wie in dem berühmten Hohelied
einer freudigen Humanität bei unſerem Schiller, dieſem edlen
Sohn ſeiner gefühlswarmen Zeit:

„Seid umſchlungen Millionen,
Dieſen Kuß der ganzen Welt!“

Wer möchte gegen dieß Motto des beſten Kosmopolitismus
viel haben, als etwa gleich an der Schwelle einige proſaiſch¬
nüchterne Bedenken, wie man ſich denn die Ausführung dieſes
frommen Wunſches eigentlich vorſtellen ſolle — das böſe Aber
aller dieſer überſchwänglichen Flüge in die Weite! — Immerhin
jedoch mag es ſein, daß der gleichgeſinnte moderne Menſch mit
einem gewiſſen Gefühl mitleidigen Bedauerns, froh dagegen im
Bewußtſein der erreichten eigenen Höhe herabſieht auf einen Stand¬
punkt, wie z. B. den der alten Griechen und Römer. Was
ſteckten doch, wird er ſagen, dieſe vielgerühmten „klaſſiſchen“ Völker
mit bornirteſter Befangenheit in ihren Stäätchen oder Staaten,
was waren ſie, wie auf anderen, ſo auch auf dieſem Gebiet ſo
ganz verſunken in bloße Naturbeſtimmungen, daß ſie dieß ihr
Weſen gar auch noch als höchſte Mannestugend ausgaben! Selbſt
ihre größten Geiſter, hierin wenigſtens ſcheinen ſie dem Kosmo¬
politen herzlich ſchwach geweſen zu ſein und eben den unvermeid¬
lichen Tribut an ihre unvollkommene Zeit bezahlt zu haben, welche
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[6/0016] leiten oder das Gefundene weiter beſtätigen laſſen durch die großen Schriftzüge der Geſchichte, dieſer beſten Lehrmeiſterin unſeres Denkens über die Dinge des menſchlichen Lebens. Den Vortritt möge diejenige Richtung und Geſinnung haben, welche den Mund ſelbſt auch am vollſten zu nehmen und ſich der Oeffentlichkeit am meiſten anzupreiſen pflegt, der Kosmopoli¬ tismus. Gewiß, er hat viel Blendendes an ſich, eine recht anſprechende und einſchmeichelnde Miene, zumal wenn er in ſo liebenswürdiger Geſtalt ſich naht, wie in dem berühmten Hohelied einer freudigen Humanität bei unſerem Schiller, dieſem edlen Sohn ſeiner gefühlswarmen Zeit: „Seid umſchlungen Millionen, Dieſen Kuß der ganzen Welt!“ Wer möchte gegen dieß Motto des beſten Kosmopolitismus viel haben, als etwa gleich an der Schwelle einige proſaiſch¬ nüchterne Bedenken, wie man ſich denn die Ausführung dieſes frommen Wunſches eigentlich vorſtellen ſolle — das böſe Aber aller dieſer überſchwänglichen Flüge in die Weite! — Immerhin jedoch mag es ſein, daß der gleichgeſinnte moderne Menſch mit einem gewiſſen Gefühl mitleidigen Bedauerns, froh dagegen im Bewußtſein der erreichten eigenen Höhe herabſieht auf einen Stand¬ punkt, wie z. B. den der alten Griechen und Römer. Was ſteckten doch, wird er ſagen, dieſe vielgerühmten „klaſſiſchen“ Völker mit bornirteſter Befangenheit in ihren Stäätchen oder Staaten, was waren ſie, wie auf anderen, ſo auch auf dieſem Gebiet ſo ganz verſunken in bloße Naturbeſtimmungen, daß ſie dieß ihr Weſen gar auch noch als höchſte Mannestugend ausgaben! Selbſt ihre größten Geiſter, hierin wenigſtens ſcheinen ſie dem Kosmo¬ politen herzlich ſchwach geweſen zu ſein und eben den unvermeid¬ lichen Tribut an ihre unvollkommene Zeit bezahlt zu haben, welche auch die Stärkſten nicht auf einmal und ganz losließ. Sogar der

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/16>, abgerufen am 27.04.2024.