Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

einigte es im weiten Rahmen seiner profanen Jurisdiction unter¬
schiedslos soviele Völker, als seine Macht zu erreichen, sein impe¬
ratorisches Schwert und organisatorisches Geschick zu bewältigen
vermochte. Wenn von seinem Kaiser ein Edikt, z. B. zu jener
biblisch berichteten Schatzung ausgieng, so glaubte sich "alle Welt"
(pada oikoumene) zum Gehorsam verpflichtet.

In das Erbe dieser urbs-orbis, dieser ächt geschichtlichen
Weltstadt (und nicht etwa, wie die Sage hinterher das Welt¬
lichpolitische theologisch verbrämt, in das "patrimonium", die
Erbschaft Petri) trat weislich und klüglich der kirchliche Ro¬
manismus. Innere Gründe der Sache, meinethalb zu ihrer
Zeit vollberechtigte Ideen, waren immerhin das treibende Mo¬
tiv; aber doch gehörte gerade auch dieser historische Boden als
äußere Bedingung dazu, um in elastischer, den Vorfahren ab¬
gelernter Anbequemung an Zeit und Umstände den weltherr¬
schenden mittelalterlichen Katholizismus zu entfalten und ein
universales halb Himmels- halb Weltbürgerthum zu begründen.
(Mit feinstem Instinkt für die Wurzeln seiner Kraft hängt de߬
halb noch heute das Pabstthum an seiner "ewigen Stadt", die¬
sem für eine phantastische Phantasie beinahe wie übergeschicht¬
lichen Punkt mitten in der Geschichte; denn es weiß wohl, wie
viel von seinem Nimbus schwände, wenn es den sieben Hügeln
den Rücken kehrte, wie es dann nicht bloß in Avignon, sondern
überall sonst im Exil leben würde, außerhalb von Roma, dem
"Amor" der Völker!)

Aber all dieß war in den Augen des modernen Kosmopoliten
erst die Anbahnung und Ahnung des Wahren. Denn nur für
eine glückliche Unwissenheit, welche die Grenzen nicht kannte oder
übersah, deckte sich ja das alte Römerreich und wiederum die Kirche
selbst in ihrem höchsten theokratischen Glanz mit der ganzen, die Erde
erfüllenden Menschheit: das stolze Wort "katholisch" d. i. allgemein

einigte es im weiten Rahmen ſeiner profanen Jurisdiction unter¬
ſchiedslos ſoviele Völker, als ſeine Macht zu erreichen, ſein impe¬
ratoriſches Schwert und organiſatoriſches Geſchick zu bewältigen
vermochte. Wenn von ſeinem Kaiſer ein Edikt, z. B. zu jener
bibliſch berichteten Schatzung ausgieng, ſo glaubte ſich „alle Welt“
(πᾶδα οἰκουμένη) zum Gehorſam verpflichtet.

In das Erbe dieſer urbs-orbis, dieſer ächt geſchichtlichen
Weltſtadt (und nicht etwa, wie die Sage hinterher das Welt¬
lichpolitiſche theologiſch verbrämt, in das »patrimonium«, die
Erbſchaft Petri) trat weislich und klüglich der kirchliche Ro¬
manismus. Innere Gründe der Sache, meinethalb zu ihrer
Zeit vollberechtigte Ideen, waren immerhin das treibende Mo¬
tiv; aber doch gehörte gerade auch dieſer hiſtoriſche Boden als
äußere Bedingung dazu, um in elaſtiſcher, den Vorfahren ab¬
gelernter Anbequemung an Zeit und Umſtände den weltherr¬
ſchenden mittelalterlichen Katholizismus zu entfalten und ein
univerſales halb Himmels- halb Weltbürgerthum zu begründen.
(Mit feinſtem Inſtinkt für die Wurzeln ſeiner Kraft hängt de߬
halb noch heute das Pabſtthum an ſeiner „ewigen Stadt“, die¬
ſem für eine phantaſtiſche Phantaſie beinahe wie übergeſchicht¬
lichen Punkt mitten in der Geſchichte; denn es weiß wohl, wie
viel von ſeinem Nimbus ſchwände, wenn es den ſieben Hügeln
den Rücken kehrte, wie es dann nicht bloß in Avignon, ſondern
überall ſonſt im Exil leben würde, außerhalb von Roma, dem
»Amor« der Völker!)

Aber all dieß war in den Augen des modernen Kosmopoliten
erſt die Anbahnung und Ahnung des Wahren. Denn nur für
eine glückliche Unwiſſenheit, welche die Grenzen nicht kannte oder
überſah, deckte ſich ja das alte Römerreich und wiederum die Kirche
ſelbſt in ihrem höchſten theokratiſchen Glanz mit der ganzen, die Erde
erfüllenden Menſchheit: das ſtolze Wort „katholiſch“ d. i. allgemein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0018" n="8"/>
einigte es im weiten Rahmen &#x017F;einer profanen Jurisdiction unter¬<lb/>
&#x017F;chiedslos &#x017F;oviele Völker, als &#x017F;eine Macht zu erreichen, &#x017F;ein impe¬<lb/>
ratori&#x017F;ches Schwert und organi&#x017F;atori&#x017F;ches Ge&#x017F;chick zu bewältigen<lb/>
vermochte. Wenn von &#x017F;einem Kai&#x017F;er ein Edikt, z. B. zu jener<lb/>
bibli&#x017F;ch berichteten Schatzung ausgieng, &#x017F;o glaubte &#x017F;ich &#x201E;alle Welt&#x201C;<lb/>
(&#x03C0;&#x1FB6;&#x03B4;&#x03B1; &#x03BF;&#x1F30;&#x03BA;&#x03BF;&#x03C5;&#x03BC;&#x03AD;&#x03BD;&#x03B7;) zum Gehor&#x017F;am verpflichtet.</p><lb/>
      <p>In das Erbe die&#x017F;er <hi rendition="#aq">urbs-orbis</hi>, die&#x017F;er ächt ge&#x017F;chichtlichen<lb/>
Welt&#x017F;tadt (und nicht etwa, wie die Sage hinterher das Welt¬<lb/>
lichpoliti&#x017F;che theologi&#x017F;ch verbrämt, in das »<hi rendition="#aq">patrimonium</hi>«, die<lb/>
Erb&#x017F;chaft Petri) trat weislich und klüglich der kirchliche Ro¬<lb/>
manismus. Innere Gründe der Sache, meinethalb zu ihrer<lb/>
Zeit vollberechtigte Ideen, waren immerhin das treibende Mo¬<lb/>
tiv; aber doch gehörte gerade auch die&#x017F;er hi&#x017F;tori&#x017F;che Boden als<lb/>
äußere Bedingung dazu, um in ela&#x017F;ti&#x017F;cher, den Vorfahren ab¬<lb/>
gelernter Anbequemung an Zeit und Um&#x017F;tände den weltherr¬<lb/>
&#x017F;chenden mittelalterlichen Katholizismus zu entfalten und ein<lb/>
univer&#x017F;ales halb Himmels- halb Weltbürgerthum zu begründen.<lb/>
(Mit fein&#x017F;tem In&#x017F;tinkt für die Wurzeln &#x017F;einer Kraft hängt de߬<lb/>
halb noch heute das Pab&#x017F;tthum an &#x017F;einer &#x201E;ewigen Stadt&#x201C;, die¬<lb/>
&#x017F;em für eine phanta&#x017F;ti&#x017F;che Phanta&#x017F;ie beinahe wie überge&#x017F;chicht¬<lb/>
lichen Punkt mitten in der Ge&#x017F;chichte; denn es weiß wohl, wie<lb/>
viel von &#x017F;einem Nimbus &#x017F;chwände, wenn es den &#x017F;ieben Hügeln<lb/>
den Rücken kehrte, wie es dann nicht bloß in Avignon, &#x017F;ondern<lb/>
überall &#x017F;on&#x017F;t im Exil leben würde, außerhalb von <hi rendition="#aq">Roma</hi>, dem<lb/>
»<hi rendition="#aq">Amor</hi>« der Völker!)</p><lb/>
      <p>Aber all dieß war in den Augen des modernen Kosmopoliten<lb/>
er&#x017F;t die Anbahnung und Ahnung des Wahren. Denn nur für<lb/>
eine glückliche Unwi&#x017F;&#x017F;enheit, welche die Grenzen nicht kannte oder<lb/>
über&#x017F;ah, deckte &#x017F;ich ja das alte Römerreich und wiederum die Kirche<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in ihrem höch&#x017F;ten theokrati&#x017F;chen Glanz mit der ganzen, die Erde<lb/>
erfüllenden Men&#x017F;chheit: das &#x017F;tolze Wort &#x201E;katholi&#x017F;ch&#x201C; d. i. allgemein<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0018] einigte es im weiten Rahmen ſeiner profanen Jurisdiction unter¬ ſchiedslos ſoviele Völker, als ſeine Macht zu erreichen, ſein impe¬ ratoriſches Schwert und organiſatoriſches Geſchick zu bewältigen vermochte. Wenn von ſeinem Kaiſer ein Edikt, z. B. zu jener bibliſch berichteten Schatzung ausgieng, ſo glaubte ſich „alle Welt“ (πᾶδα οἰκουμένη) zum Gehorſam verpflichtet. In das Erbe dieſer urbs-orbis, dieſer ächt geſchichtlichen Weltſtadt (und nicht etwa, wie die Sage hinterher das Welt¬ lichpolitiſche theologiſch verbrämt, in das »patrimonium«, die Erbſchaft Petri) trat weislich und klüglich der kirchliche Ro¬ manismus. Innere Gründe der Sache, meinethalb zu ihrer Zeit vollberechtigte Ideen, waren immerhin das treibende Mo¬ tiv; aber doch gehörte gerade auch dieſer hiſtoriſche Boden als äußere Bedingung dazu, um in elaſtiſcher, den Vorfahren ab¬ gelernter Anbequemung an Zeit und Umſtände den weltherr¬ ſchenden mittelalterlichen Katholizismus zu entfalten und ein univerſales halb Himmels- halb Weltbürgerthum zu begründen. (Mit feinſtem Inſtinkt für die Wurzeln ſeiner Kraft hängt de߬ halb noch heute das Pabſtthum an ſeiner „ewigen Stadt“, die¬ ſem für eine phantaſtiſche Phantaſie beinahe wie übergeſchicht¬ lichen Punkt mitten in der Geſchichte; denn es weiß wohl, wie viel von ſeinem Nimbus ſchwände, wenn es den ſieben Hügeln den Rücken kehrte, wie es dann nicht bloß in Avignon, ſondern überall ſonſt im Exil leben würde, außerhalb von Roma, dem »Amor« der Völker!) Aber all dieß war in den Augen des modernen Kosmopoliten erſt die Anbahnung und Ahnung des Wahren. Denn nur für eine glückliche Unwiſſenheit, welche die Grenzen nicht kannte oder überſah, deckte ſich ja das alte Römerreich und wiederum die Kirche ſelbſt in ihrem höchſten theokratiſchen Glanz mit der ganzen, die Erde erfüllenden Menſchheit: das ſtolze Wort „katholiſch“ d. i. allgemein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/18
Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/18>, abgerufen am 23.11.2024.