Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

Bild:
<< vorherige Seite

ppe_494.001
[Beginn Spaltensatz]nichts feil, als deinen ersten Morgenkuß ppe_494.002
an unserm Hochzeitstage; dafür ppe_494.003
kannst du ihn einlösen, und alsdann soll ppe_494.004
er dein bestes Hochzeitsgeschmeide sein.

ppe_494.005
Blanca: Mein Hochzeitstag ist ppe_494.006
schon gewesen.

ppe_494.007
Julius: Zerreiß deinen Schleier, ppe_494.008
Blanca -- ich will den großen Streit ppe_494.009
mit dem Himmel wagen -- Ich weiß, ppe_494.010
du liebst mich, aber ich muß es jetzt ppe_494.011
aus deinem Munde hören -- ich beschwöre ppe_494.012
dich bei den Tagen der Freude, ppe_494.013
die vorbei sind, und die kommen sollen, ppe_494.014
versichre es mir noch einmal. (Er küßt ppe_494.015
sie.)

ppe_494.016
Blanca: Abtissin -- helfen Sie mir. ppe_494.017
(Sie wird ohnmächtig.)

ppe_494.018
Julius: Sie liebt mich. Sehen Sie, ppe_494.019
Abtissin, das ist eine Versicherung, ppe_494.020
unsrer Liebe würdig, sie liebt mich ppe_494.021
wahrhaftig -- und wenn ein Engel seinen ppe_494.022
Finger auf das Buch des Schicksals ppe_494.023
legte und schwöre: Blanca liebt Julius, ppe_494.024
so wäre es für mich nicht wahrhaftiger.

ppe_494.025
Abtissin: Ich bitte Sie, verlassen ppe_494.026
Sie uns.

ppe_494.027
Julius: Erst will ich diese göttlichen ppe_494.028
Augen wieder offen sehen -- ppe_494.029
(Blanca schlägt die Augen auf). Es ist ppe_494.030
genug -- Abtissin, ich danke Ihnen -- ppe_494.031
winselnd sehen Sie mich nicht wieder. ppe_494.032
(Ab.)

[Spaltenumbruch] ppe_494.101

wecken, kann einen umwenden mit ppe_494.102
einem Blick! Nun ist mir doch gar ppe_494.103
wohl.

ppe_494.104
Kamilla: Und Tränen im Auge?

ppe_494.105
Guelfo: Sehen Sie das? Pfui, ppe_494.106
Guelfo! sei Mann! folg' dem Bescheid!

ppe_494.107
Kamilla: Kommen Sie ans Fenster! ppe_494.108
Es ist prächtig Abendrot; die Sonne ppe_494.109
geht herrlich unter. Freuen Sie sich ppe_494.110
doch mit mir!

ppe_494.111
Guelfo: Die letzten Sonnenstrahlen ppe_494.112
durch die Bäume her -- Ich möchte ppe_494.113
mich in die Feuerhelle dort schwingen, ppe_494.114
auf jenen Wolken reiten mit vergoldetem ppe_494.115
Saume! -- Kamilla! (Faßt sie an ppe_494.116
die Hand.) Ach! und ich bin wieder so ppe_494.117
hin -- ich möchte diese Feuerwolken ppe_494.118
zusammenpacken, Sturm und Wetter erregen ppe_494.119
und mich zerschmettert in den ppe_494.120
Abgrund stürzen! -- Kamilla! Kamilla! ppe_494.121
Kamilla! (Küßt sie heftig.)

ppe_494.122
Kamilla: Guelfo! Guelfo! Lassen ppe_494.123
Sie mich! Heda!

ppe_494.124
Guelfo: Schrei nicht! Und noch ppe_494.125
einen! und noch einen! -- Ha! so der ppe_494.126
letzte Kampf! -- Zu deinen Füßen gestreckt ppe_494.127
-- bleib! bleib! ich geh'! -- ppe_494.128
Schrei nicht, Kamilla! Ritter Guelfo ppe_494.129
heult; und wenn er heult, heult Lieb' ppe_494.130
aus ihm.

[Ende Spaltensatz]

ppe_494.131
Die impressionistischen Züge des "Julius von Tarent" liegen in der ppe_494.132
Klosterstimmung, in der Symbolik des Rosenkranzes und des ppe_494.133
Schleiers, in der Teilnahme der Äbtissin, die selbst seit Jahrzehnten ppe_494.134
verlorener Liebe nachtrauert (bei Klinger beklagt dagegen Guelfos ppe_494.135
Vertrauter Grimaldi eine dahingegangene Juliette); dazu gehört endlich ppe_494.136
das zarte Bild des Engels, der seine Finger auf das Buch des ppe_494.137
Schicksals legt. Es ist ein unpersönlich harmonisches Eindrucksbild, ppe_494.138
während Klingers Gleichnisse ichbetonte Metaphern des eigenen ppe_494.139
Seelenzustandes darstellen. Wenn Leisewitz durch die Liebe vergangene ppe_494.140
Tage der Freude zurückrufen läßt, so gibt Klingers vorwärtsstürmende ppe_494.141
Rhetorik ihr die Kraft, aus dem Todesschlaf zu ppe_494.142
wecken. Das Naturbild des herrlichen Sonnenuntergangs wird gewaltsam ppe_494.143
gesteigert in der ausströmenden Leidenschaftlichkeit des

ppe_494.001
[Beginn Spaltensatz]nichts feil, als deinen ersten Morgenkuß ppe_494.002
an unserm Hochzeitstage; dafür ppe_494.003
kannst du ihn einlösen, und alsdann soll ppe_494.004
er dein bestes Hochzeitsgeschmeide sein.

ppe_494.005
Blanca: Mein Hochzeitstag ist ppe_494.006
schon gewesen.

ppe_494.007
Julius: Zerreiß deinen Schleier, ppe_494.008
Blanca — ich will den großen Streit ppe_494.009
mit dem Himmel wagen — Ich weiß, ppe_494.010
du liebst mich, aber ich muß es jetzt ppe_494.011
aus deinem Munde hören — ich beschwöre ppe_494.012
dich bei den Tagen der Freude, ppe_494.013
die vorbei sind, und die kommen sollen, ppe_494.014
versichre es mir noch einmal. (Er küßt ppe_494.015
sie.)

ppe_494.016
Blanca: Abtissin — helfen Sie mir. ppe_494.017
(Sie wird ohnmächtig.)

ppe_494.018
Julius: Sie liebt mich. Sehen Sie, ppe_494.019
Abtissin, das ist eine Versicherung, ppe_494.020
unsrer Liebe würdig, sie liebt mich ppe_494.021
wahrhaftig — und wenn ein Engel seinen ppe_494.022
Finger auf das Buch des Schicksals ppe_494.023
legte und schwöre: Blanca liebt Julius, ppe_494.024
so wäre es für mich nicht wahrhaftiger.

ppe_494.025
Abtissin: Ich bitte Sie, verlassen ppe_494.026
Sie uns.

ppe_494.027
Julius: Erst will ich diese göttlichen ppe_494.028
Augen wieder offen sehen — ppe_494.029
(Blanca schlägt die Augen auf). Es ist ppe_494.030
genug — Abtissin, ich danke Ihnen — ppe_494.031
winselnd sehen Sie mich nicht wieder. ppe_494.032
(Ab.)

[Spaltenumbruch] ppe_494.101

wecken, kann einen umwenden mit ppe_494.102
einem Blick! Nun ist mir doch gar ppe_494.103
wohl.

ppe_494.104
Kamilla: Und Tränen im Auge?

ppe_494.105
Guelfo: Sehen Sie das? Pfui, ppe_494.106
Guelfo! sei Mann! folg' dem Bescheid!

ppe_494.107
Kamilla: Kommen Sie ans Fenster! ppe_494.108
Es ist prächtig Abendrot; die Sonne ppe_494.109
geht herrlich unter. Freuen Sie sich ppe_494.110
doch mit mir!

ppe_494.111
Guelfo: Die letzten Sonnenstrahlen ppe_494.112
durch die Bäume her — Ich möchte ppe_494.113
mich in die Feuerhelle dort schwingen, ppe_494.114
auf jenen Wolken reiten mit vergoldetem ppe_494.115
Saume! — Kamilla! (Faßt sie an ppe_494.116
die Hand.) Ach! und ich bin wieder so ppe_494.117
hin — ich möchte diese Feuerwolken ppe_494.118
zusammenpacken, Sturm und Wetter erregen ppe_494.119
und mich zerschmettert in den ppe_494.120
Abgrund stürzen! — Kamilla! Kamilla! ppe_494.121
Kamilla! (Küßt sie heftig.)

ppe_494.122
Kamilla: Guelfo! Guelfo! Lassen ppe_494.123
Sie mich! Heda!

ppe_494.124
Guelfo: Schrei nicht! Und noch ppe_494.125
einen! und noch einen! — Ha! so der ppe_494.126
letzte Kampf! — Zu deinen Füßen gestreckt ppe_494.127
— bleib! bleib! ich geh'! — ppe_494.128
Schrei nicht, Kamilla! Ritter Guelfo ppe_494.129
heult; und wenn er heult, heult Lieb' ppe_494.130
aus ihm.

[Ende Spaltensatz]

ppe_494.131
Die impressionistischen Züge des „Julius von Tarent“ liegen in der ppe_494.132
Klosterstimmung, in der Symbolik des Rosenkranzes und des ppe_494.133
Schleiers, in der Teilnahme der Äbtissin, die selbst seit Jahrzehnten ppe_494.134
verlorener Liebe nachtrauert (bei Klinger beklagt dagegen Guelfos ppe_494.135
Vertrauter Grimaldi eine dahingegangene Juliette); dazu gehört endlich ppe_494.136
das zarte Bild des Engels, der seine Finger auf das Buch des ppe_494.137
Schicksals legt. Es ist ein unpersönlich harmonisches Eindrucksbild, ppe_494.138
während Klingers Gleichnisse ichbetonte Metaphern des eigenen ppe_494.139
Seelenzustandes darstellen. Wenn Leisewitz durch die Liebe vergangene ppe_494.140
Tage der Freude zurückrufen läßt, so gibt Klingers vorwärtsstürmende ppe_494.141
Rhetorik ihr die Kraft, aus dem Todesschlaf zu ppe_494.142
wecken. Das Naturbild des herrlichen Sonnenuntergangs wird gewaltsam ppe_494.143
gesteigert in der ausströmenden Leidenschaftlichkeit des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p> <hi rendition="#aq"><pb facs="#f0518" n="494"/><lb n="ppe_494.001"/><cb type="start"/>nichts feil, als deinen ersten Morgenkuß <lb n="ppe_494.002"/>
an unserm Hochzeitstage; dafür <lb n="ppe_494.003"/>
kannst du ihn einlösen, und alsdann soll <lb n="ppe_494.004"/>
er dein bestes Hochzeitsgeschmeide sein.</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.005"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Blanca:</hi> Mein Hochzeitstag ist <lb n="ppe_494.006"/>
schon gewesen.</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.007"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Julius:</hi> Zerreiß deinen Schleier, <lb n="ppe_494.008"/>
Blanca &#x2014; ich will den großen Streit <lb n="ppe_494.009"/>
mit dem Himmel wagen &#x2014; Ich weiß, <lb n="ppe_494.010"/>
du liebst mich, aber ich muß es jetzt <lb n="ppe_494.011"/>
aus deinem Munde hören &#x2014; ich beschwöre <lb n="ppe_494.012"/>
dich bei den Tagen der Freude, <lb n="ppe_494.013"/>
die vorbei sind, und die kommen sollen, <lb n="ppe_494.014"/>
versichre es mir noch einmal. (Er küßt <lb n="ppe_494.015"/>
sie.)</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.016"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Blanca:</hi> Abtissin &#x2014; helfen Sie mir. <lb n="ppe_494.017"/>
(Sie wird ohnmächtig.)</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.018"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Julius:</hi> Sie liebt mich. Sehen Sie, <lb n="ppe_494.019"/>
Abtissin, das ist eine Versicherung, <lb n="ppe_494.020"/>
unsrer Liebe würdig, sie liebt mich <lb n="ppe_494.021"/>
wahrhaftig &#x2014; und wenn ein Engel seinen <lb n="ppe_494.022"/>
Finger auf das Buch des Schicksals <lb n="ppe_494.023"/>
legte und schwöre: Blanca liebt Julius, <lb n="ppe_494.024"/>
so wäre es für mich nicht wahrhaftiger.</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.025"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Abtissin:</hi> Ich bitte Sie, verlassen <lb n="ppe_494.026"/>
Sie uns.</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.027"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Julius:</hi> Erst will ich diese göttlichen <lb n="ppe_494.028"/>
Augen wieder offen sehen &#x2014; <lb n="ppe_494.029"/>
(Blanca schlägt die Augen auf). Es ist <lb n="ppe_494.030"/>
genug &#x2014; Abtissin, ich danke Ihnen &#x2014; <lb n="ppe_494.031"/>
winselnd sehen Sie mich nicht wieder. <lb n="ppe_494.032"/>
(Ab.)</hi> </p>
              <cb/>
              <lb n="ppe_494.101"/>
              <p> <hi rendition="#aq">wecken, kann einen umwenden mit <lb n="ppe_494.102"/>
einem Blick! Nun ist mir doch gar <lb n="ppe_494.103"/>
wohl.</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.104"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Kamilla:</hi> Und Tränen im Auge?</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.105"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Guelfo:</hi> Sehen Sie das? Pfui, <lb n="ppe_494.106"/>
Guelfo! sei Mann! folg' dem Bescheid!</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.107"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Kamilla:</hi> Kommen Sie ans Fenster! <lb n="ppe_494.108"/>
Es ist prächtig Abendrot; die Sonne <lb n="ppe_494.109"/>
geht herrlich unter. Freuen Sie sich <lb n="ppe_494.110"/>
doch mit mir!</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.111"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Guelfo:</hi> Die letzten Sonnenstrahlen <lb n="ppe_494.112"/>
durch die Bäume her &#x2014; Ich möchte <lb n="ppe_494.113"/>
mich in die Feuerhelle dort schwingen, <lb n="ppe_494.114"/>
auf jenen Wolken reiten mit vergoldetem <lb n="ppe_494.115"/>
Saume! &#x2014; Kamilla! (Faßt sie an <lb n="ppe_494.116"/>
die Hand.) Ach! und ich bin wieder so <lb n="ppe_494.117"/>
hin &#x2014; ich möchte diese Feuerwolken <lb n="ppe_494.118"/>
zusammenpacken, Sturm und Wetter erregen <lb n="ppe_494.119"/>
und mich zerschmettert in den <lb n="ppe_494.120"/>
Abgrund stürzen! &#x2014; Kamilla! Kamilla! <lb n="ppe_494.121"/>
Kamilla! (Küßt sie heftig.)</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.122"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Kamilla:</hi> Guelfo! Guelfo! Lassen <lb n="ppe_494.123"/>
Sie mich! Heda!</hi> </p>
              <p>
                <lb n="ppe_494.124"/> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Guelfo:</hi> Schrei nicht! Und noch <lb n="ppe_494.125"/>
einen! und noch einen! &#x2014; Ha! so der <lb n="ppe_494.126"/>
letzte Kampf! &#x2014; Zu deinen Füßen gestreckt <lb n="ppe_494.127"/>
&#x2014; bleib! bleib! ich geh'! &#x2014; <lb n="ppe_494.128"/>
Schrei nicht, Kamilla! Ritter Guelfo <lb n="ppe_494.129"/>
heult; und wenn er heult, heult Lieb' <lb n="ppe_494.130"/>
aus ihm.</hi> </p>
              <cb type="end"/>
              <p><lb n="ppe_494.131"/>
Die impressionistischen Züge des &#x201E;Julius von Tarent&#x201C; liegen in der <lb n="ppe_494.132"/>
Klosterstimmung, in der Symbolik des Rosenkranzes und des <lb n="ppe_494.133"/>
Schleiers, in der Teilnahme der Äbtissin, die selbst seit Jahrzehnten <lb n="ppe_494.134"/>
verlorener Liebe nachtrauert (bei Klinger beklagt dagegen Guelfos <lb n="ppe_494.135"/>
Vertrauter Grimaldi eine dahingegangene Juliette); dazu gehört endlich <lb n="ppe_494.136"/>
das zarte Bild des Engels, der seine Finger auf das Buch des <lb n="ppe_494.137"/>
Schicksals legt. Es ist ein unpersönlich harmonisches Eindrucksbild, <lb n="ppe_494.138"/>
während Klingers Gleichnisse ichbetonte Metaphern des eigenen <lb n="ppe_494.139"/>
Seelenzustandes darstellen. Wenn Leisewitz durch die Liebe vergangene <lb n="ppe_494.140"/>
Tage der Freude zurückrufen läßt, so gibt Klingers vorwärtsstürmende <lb n="ppe_494.141"/>
Rhetorik ihr die Kraft, aus dem Todesschlaf zu <lb n="ppe_494.142"/>
wecken. Das Naturbild des herrlichen Sonnenuntergangs wird gewaltsam <lb n="ppe_494.143"/>
gesteigert in der ausströmenden Leidenschaftlichkeit des
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[494/0518] ppe_494.001 nichts feil, als deinen ersten Morgenkuß ppe_494.002 an unserm Hochzeitstage; dafür ppe_494.003 kannst du ihn einlösen, und alsdann soll ppe_494.004 er dein bestes Hochzeitsgeschmeide sein. ppe_494.005 Blanca: Mein Hochzeitstag ist ppe_494.006 schon gewesen. ppe_494.007 Julius: Zerreiß deinen Schleier, ppe_494.008 Blanca — ich will den großen Streit ppe_494.009 mit dem Himmel wagen — Ich weiß, ppe_494.010 du liebst mich, aber ich muß es jetzt ppe_494.011 aus deinem Munde hören — ich beschwöre ppe_494.012 dich bei den Tagen der Freude, ppe_494.013 die vorbei sind, und die kommen sollen, ppe_494.014 versichre es mir noch einmal. (Er küßt ppe_494.015 sie.) ppe_494.016 Blanca: Abtissin — helfen Sie mir. ppe_494.017 (Sie wird ohnmächtig.) ppe_494.018 Julius: Sie liebt mich. Sehen Sie, ppe_494.019 Abtissin, das ist eine Versicherung, ppe_494.020 unsrer Liebe würdig, sie liebt mich ppe_494.021 wahrhaftig — und wenn ein Engel seinen ppe_494.022 Finger auf das Buch des Schicksals ppe_494.023 legte und schwöre: Blanca liebt Julius, ppe_494.024 so wäre es für mich nicht wahrhaftiger. ppe_494.025 Abtissin: Ich bitte Sie, verlassen ppe_494.026 Sie uns. ppe_494.027 Julius: Erst will ich diese göttlichen ppe_494.028 Augen wieder offen sehen — ppe_494.029 (Blanca schlägt die Augen auf). Es ist ppe_494.030 genug — Abtissin, ich danke Ihnen — ppe_494.031 winselnd sehen Sie mich nicht wieder. ppe_494.032 (Ab.) ppe_494.101 wecken, kann einen umwenden mit ppe_494.102 einem Blick! Nun ist mir doch gar ppe_494.103 wohl. ppe_494.104 Kamilla: Und Tränen im Auge? ppe_494.105 Guelfo: Sehen Sie das? Pfui, ppe_494.106 Guelfo! sei Mann! folg' dem Bescheid! ppe_494.107 Kamilla: Kommen Sie ans Fenster! ppe_494.108 Es ist prächtig Abendrot; die Sonne ppe_494.109 geht herrlich unter. Freuen Sie sich ppe_494.110 doch mit mir! ppe_494.111 Guelfo: Die letzten Sonnenstrahlen ppe_494.112 durch die Bäume her — Ich möchte ppe_494.113 mich in die Feuerhelle dort schwingen, ppe_494.114 auf jenen Wolken reiten mit vergoldetem ppe_494.115 Saume! — Kamilla! (Faßt sie an ppe_494.116 die Hand.) Ach! und ich bin wieder so ppe_494.117 hin — ich möchte diese Feuerwolken ppe_494.118 zusammenpacken, Sturm und Wetter erregen ppe_494.119 und mich zerschmettert in den ppe_494.120 Abgrund stürzen! — Kamilla! Kamilla! ppe_494.121 Kamilla! (Küßt sie heftig.) ppe_494.122 Kamilla: Guelfo! Guelfo! Lassen ppe_494.123 Sie mich! Heda! ppe_494.124 Guelfo: Schrei nicht! Und noch ppe_494.125 einen! und noch einen! — Ha! so der ppe_494.126 letzte Kampf! — Zu deinen Füßen gestreckt ppe_494.127 — bleib! bleib! ich geh'! — ppe_494.128 Schrei nicht, Kamilla! Ritter Guelfo ppe_494.129 heult; und wenn er heult, heult Lieb' ppe_494.130 aus ihm. ppe_494.131 Die impressionistischen Züge des „Julius von Tarent“ liegen in der ppe_494.132 Klosterstimmung, in der Symbolik des Rosenkranzes und des ppe_494.133 Schleiers, in der Teilnahme der Äbtissin, die selbst seit Jahrzehnten ppe_494.134 verlorener Liebe nachtrauert (bei Klinger beklagt dagegen Guelfos ppe_494.135 Vertrauter Grimaldi eine dahingegangene Juliette); dazu gehört endlich ppe_494.136 das zarte Bild des Engels, der seine Finger auf das Buch des ppe_494.137 Schicksals legt. Es ist ein unpersönlich harmonisches Eindrucksbild, ppe_494.138 während Klingers Gleichnisse ichbetonte Metaphern des eigenen ppe_494.139 Seelenzustandes darstellen. Wenn Leisewitz durch die Liebe vergangene ppe_494.140 Tage der Freude zurückrufen läßt, so gibt Klingers vorwärtsstürmende ppe_494.141 Rhetorik ihr die Kraft, aus dem Todesschlaf zu ppe_494.142 wecken. Das Naturbild des herrlichen Sonnenuntergangs wird gewaltsam ppe_494.143 gesteigert in der ausströmenden Leidenschaftlichkeit des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/518
Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/518>, abgerufen am 19.05.2024.