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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Seele zum Spiegel der Welt werden läßt, prägt er aus seinem inneren ppe_451.002
Eigengesetz Sinnbilder des Lebens. Mag der Denker vor unüberwindlichem ppe_451.003
Zwiespalt stehen, der Dichter muß eine Harmonie der Gestaltung ppe_451.004
finden, indem er das Ganze als Eines sieht unter dem Gesichtspunkt ppe_451.005
einer leitenden Idee, und das Eine als Ganzes unter dem zwingenden ppe_451.006
Gebot der Form.

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Wenn Inhalt und Form, wie die Analyse des Einzelwerkes (S. 244 f.) ppe_451.008
begründete, in der gipfelnden Idee zusammentreffen, so kann gleicher ppe_451.009
Aufbau auch für die Gesamterscheinung des Dichters gelten. An ppe_451.010
die Stelle der einen Idee, die das einzelne Kunstwerk beherrscht, tritt ppe_451.011
ein Ideenkomplex, der im Weltbild und Lebensgesetz zusammengefaßt ppe_451.012
ist und in Bildern und Gleichnissen sich symbolisch entfaltet.

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Die Sicht des Dichters ist, wie Pongs in seiner Grundlegung einer ppe_451.014
existenziellen Literaturwissenschaft ausgeführt hat, eine andere als ppe_451.015
die des Analytikers der Existenz. Das Krisenhafte der Entscheidung ppe_451.016
tritt innerhalb der Dichtung zurück hinter dem Ganzen der symbolischen ppe_451.017
Existenz und ihrer Gültigkeit. Für den großen Dichter ppe_451.018
fällt das Existenzielle mit dem Symbolischen zusammen. Goethe ppe_451.019
schrieb nach der winterlichen Besteigung des Brocken an Charlotte ppe_451.020
v. Stein: "Sie wissen, wie symbolisch mein Dasein ist." Ein späteres ppe_451.021
Goethe-Wort aber sagt, man müsse seine Existenz aufgeben, um zu ppe_451.022
existieren. Darin sind zwei Begriffe der Existenz zur Ablösung gebracht; ppe_451.023
das reale Dasein und das dichterische, dem es geopfert wird.

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In der Ideenwelt des Dichters, die gleich Charakter und Weltanschauung ppe_451.025
bei angeborener Grundanlage erlebnismäßige Wandlung ppe_451.026
und Entwicklung durchlaufen muß, ist der Zusammenhalt seines ganzen ppe_451.027
Schaffens gegeben; sie ist das Prisma, das seine bunten Strahlen aussendet ppe_451.028
und ein farbiges Spiegelbild des Lebens hervorzaubert auf dem ppe_451.029
düsteren Hintergrund persönlichen Leides, das stellvertretend das ppe_451.030
Leid der Zeit, der Volksgemeinschaft und der ganzen Menschheit in ppe_451.031
sich schließen kann:

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Zart Gedicht, wie Regenbogen, ppe_451.033
Wird nur auf dunkeln Grund gezogen; ppe_451.034
Darum behagt dem Dichtergenie ppe_451.035
Das Element der Melancholie.

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Das erlebnisgesättigte Weltbild des Dichters gibt der Dichtung ihre ppe_451.037
Bilder, so wie die Dichtung Sinnbild der Welt wird. Wandlung und ppe_451.038
Werden aber kristallisieren sich nach Aufgabe der realen Existenz zu ppe_451.039
einem neuen Sein von Unvergänglichkeit, worin sich das schöne Wort ppe_451.040
Adalbert Stifters erfüllt: "Was im Menschen rein und herrlich ist, ppe_451.041
bleibt unverwüstlich und ist ein Kleinod in allen Seiten."

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Das Element der Melancholie.

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[451/0475] ppe_451.001 Seele zum Spiegel der Welt werden läßt, prägt er aus seinem inneren ppe_451.002 Eigengesetz Sinnbilder des Lebens. Mag der Denker vor unüberwindlichem ppe_451.003 Zwiespalt stehen, der Dichter muß eine Harmonie der Gestaltung ppe_451.004 finden, indem er das Ganze als Eines sieht unter dem Gesichtspunkt ppe_451.005 einer leitenden Idee, und das Eine als Ganzes unter dem zwingenden ppe_451.006 Gebot der Form. ppe_451.007 Wenn Inhalt und Form, wie die Analyse des Einzelwerkes (S. 244 f.) ppe_451.008 begründete, in der gipfelnden Idee zusammentreffen, so kann gleicher ppe_451.009 Aufbau auch für die Gesamterscheinung des Dichters gelten. An ppe_451.010 die Stelle der einen Idee, die das einzelne Kunstwerk beherrscht, tritt ppe_451.011 ein Ideenkomplex, der im Weltbild und Lebensgesetz zusammengefaßt ppe_451.012 ist und in Bildern und Gleichnissen sich symbolisch entfaltet. ppe_451.013 Die Sicht des Dichters ist, wie Pongs in seiner Grundlegung einer ppe_451.014 existenziellen Literaturwissenschaft ausgeführt hat, eine andere als ppe_451.015 die des Analytikers der Existenz. Das Krisenhafte der Entscheidung ppe_451.016 tritt innerhalb der Dichtung zurück hinter dem Ganzen der symbolischen ppe_451.017 Existenz und ihrer Gültigkeit. Für den großen Dichter ppe_451.018 fällt das Existenzielle mit dem Symbolischen zusammen. Goethe ppe_451.019 schrieb nach der winterlichen Besteigung des Brocken an Charlotte ppe_451.020 v. Stein: „Sie wissen, wie symbolisch mein Dasein ist.“ Ein späteres ppe_451.021 Goethe-Wort aber sagt, man müsse seine Existenz aufgeben, um zu ppe_451.022 existieren. Darin sind zwei Begriffe der Existenz zur Ablösung gebracht; ppe_451.023 das reale Dasein und das dichterische, dem es geopfert wird. ppe_451.024 In der Ideenwelt des Dichters, die gleich Charakter und Weltanschauung ppe_451.025 bei angeborener Grundanlage erlebnismäßige Wandlung ppe_451.026 und Entwicklung durchlaufen muß, ist der Zusammenhalt seines ganzen ppe_451.027 Schaffens gegeben; sie ist das Prisma, das seine bunten Strahlen aussendet ppe_451.028 und ein farbiges Spiegelbild des Lebens hervorzaubert auf dem ppe_451.029 düsteren Hintergrund persönlichen Leides, das stellvertretend das ppe_451.030 Leid der Zeit, der Volksgemeinschaft und der ganzen Menschheit in ppe_451.031 sich schließen kann: ppe_451.032 Zart Gedicht, wie Regenbogen, ppe_451.033 Wird nur auf dunkeln Grund gezogen; ppe_451.034 Darum behagt dem Dichtergenie ppe_451.035 Das Element der Melancholie. ppe_451.036 Das erlebnisgesättigte Weltbild des Dichters gibt der Dichtung ihre ppe_451.037 Bilder, so wie die Dichtung Sinnbild der Welt wird. Wandlung und ppe_451.038 Werden aber kristallisieren sich nach Aufgabe der realen Existenz zu ppe_451.039 einem neuen Sein von Unvergänglichkeit, worin sich das schöne Wort ppe_451.040 Adalbert Stifters erfüllt: „Was im Menschen rein und herrlich ist, ppe_451.041 bleibt unverwüstlich und ist ein Kleinod in allen Seiten.“

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/475>, abgerufen am 22.11.2024.