ppe_274.001 dekadente Pathographie, zersetzender Psychologismus und überhebliche ppe_274.002 Einzelgängerei im Volkhaften. Ganze Zeitalter werden durch ppe_274.003 repräsentative Werke dieser Art in ihrer Kleinheit gekennzeichnet, so ppe_274.004 daß der Verfasser, der dem Geist der Zeit seine Stimme lieh, kaum ppe_274.005 die volle persönliche Verantwortung zu tragen hat. Auf der anderen ppe_274.006 Seite können deshalb Vorzüge liegen, die jenen Werken einen geschichtlichen ppe_274.007 Wert als Ausdruck ihrer Zeitstimmung verleihen. Der ppe_274.008 Wahrheitsfanatismus, die unerbittliche Elendsmalerei von Degeneration, ppe_274.009 Laster und Häßlichkeit bei den Naturalisten am Ende des 19. Jahrhunderts ppe_274.010 oder der Expressionisten nach dem Weltkrieg haben keine ppe_274.011 Größe, aber sie entbehren nicht der Echtheit im Ausdruck materialistischer ppe_274.012 Öde oder perversen Zeiterlebens; ebensowenig darf der von ihnen ppe_274.013 bekämpften Schönfärberei der vorausgehenden Generationen eine Sinnbildhaftigkeit ppe_274.014 für den Geist des üppigen Epigonentums abgestritten ppe_274.015 werden.
ppe_274.016 c) Sinnbildhaftigkeit
ppe_274.017 Dieser Begriff umfaßt alles das, was ein Werk über sich selbst und ppe_274.018 seine Vereinzelung emporhebt und ihm einen bedeutunggebenden ppe_274.019 Wert verleiht durch tiefere Beziehungen auf Menschheit und Weltgeschehen, ppe_274.020 auf Volk und Zeit, auf Geschlechter und Lebensalter. Auf ppe_274.021 ästhetischem Gebiet liegt der sinnhildhafte Wert im symbolischen ppe_274.022 Lebensgehalt, in der Naturbeseelung und in der Leuchtkraft, mit der ppe_274.023 ewige Ideen durch die Gestalt hindurchschimmern; im Ethischenppe_274.024 erscheint sinnbildhaft der Wirklichkeitssinn, der das Schicksal als ppe_274.025 Weltgesetz unter dem Gesichtspunkt notwendigen Geschehens walten ppe_274.026 läßt und für jeden Konflikt allgemein gültige Lösungen von typischer ppe_274.027 Bedeutung findet. Im Religiösen tritt die Sinnbildhaftigkeit als ppe_274.028 Ausdruck unmittelbaren inneren Gotteserlebnisses beim Einzelnen wie ppe_274.029 als Glaubensform, die eine Gemeinschaft umfaßt, in Erscheinung; im ppe_274.030 Volkhaften als schicksalmäßige Gebundenheit an die Gemeinschaft ppe_274.031 und als Spiegelung des Ganzen in Sprache, Charakteren, Lebensbräuchen, ppe_274.032 Gesinnung und Denkweise.
ppe_274.033 Den Gegensatz bildet das, was aus Mangel an Sinnbildhaftigkeitppe_274.034 bedeutungs- und beziehungslos ist. Es erscheint im Ästhetischenppe_274.035 als abstrakte Konstruktion und seelenlose Beschreibung, im Ethischenppe_274.036 als das leere Spiel des Zufalls oder die mechanische Kausalität ppe_274.037 des Determinismus, im Religiösen als nihilistischer Materialismus, ppe_274.038 im Volkhaften als Beziehungslosigkeit zur Gemeinschaft. Das ppe_274.039 Sinnbildhafte gehört so sehr zum Dichterischen, daß man sich ein
ppe_274.001 dekadente Pathographie, zersetzender Psychologismus und überhebliche ppe_274.002 Einzelgängerei im Volkhaften. Ganze Zeitalter werden durch ppe_274.003 repräsentative Werke dieser Art in ihrer Kleinheit gekennzeichnet, so ppe_274.004 daß der Verfasser, der dem Geist der Zeit seine Stimme lieh, kaum ppe_274.005 die volle persönliche Verantwortung zu tragen hat. Auf der anderen ppe_274.006 Seite können deshalb Vorzüge liegen, die jenen Werken einen geschichtlichen ppe_274.007 Wert als Ausdruck ihrer Zeitstimmung verleihen. Der ppe_274.008 Wahrheitsfanatismus, die unerbittliche Elendsmalerei von Degeneration, ppe_274.009 Laster und Häßlichkeit bei den Naturalisten am Ende des 19. Jahrhunderts ppe_274.010 oder der Expressionisten nach dem Weltkrieg haben keine ppe_274.011 Größe, aber sie entbehren nicht der Echtheit im Ausdruck materialistischer ppe_274.012 Öde oder perversen Zeiterlebens; ebensowenig darf der von ihnen ppe_274.013 bekämpften Schönfärberei der vorausgehenden Generationen eine Sinnbildhaftigkeit ppe_274.014 für den Geist des üppigen Epigonentums abgestritten ppe_274.015 werden.
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/298>, abgerufen am 23.11.2024.
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