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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Diese Verfälschung droht dann einzutreten, wenn man allzu geistvoll ppe_258.002
wird, d. h. wenn der Geist des Deuters sich selbst ins Licht setzt und ppe_258.003
den Geist des Objekts überstrahlen will. Dem ins Innere eindringenden ppe_258.004
Verstehen, mit dem das Entstehen und Bestehen des Werkes erhellt ppe_258.005
wird, vermag überraschendes Blitzlicht und sprühendes Feuerwerk ppe_258.006
keine dauernde Klarheit zu geben.

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Weil alles Verstehen sich in Mitteilung umsetzen will und erst in ppe_258.008
der Mitteilung zur Klarheit, erst im Widerhall zur Sicherheit gelangt, ppe_258.009
sprechen wir von der Deutung als einer aus dem Verstehen erwachsenden ppe_258.010
Aufgabe der Literaturwissenschaft. Auslegung ist nach Heidegger ppe_258.011
die Ausbildung des Verstehens und Zueignung des Verstandenen. Deutung ppe_258.012
fassen wir als die Weitergabe der Auslegung auf. Es handelt sich ppe_258.013
darum, die Lebensdeutung, die in der Dichtung enthalten ist, zu verstehen, ppe_258.014
und dieses Verstehen muß wieder in Deutung umgesetzt werden, ppe_258.015
indem es anderen vermittelt wird. Ist der Dichter ein Mittler ppe_258.016
des Lebens, so ist der Ausleger, dem die Deutung zufällt, ein Mittler ppe_258.017
des Verstehens. Er hat ohne Preisgabe seines eigenen Standortes sich ppe_258.018
in zweifacher Weise einzuleben und hineinzuversetzen in die Seele ppe_258.019
des Werkes, das er zu deuten hat, und in die Seele derer, für die er ppe_258.020
die Deutung unternimmt. In diesem Sinne muß er drei Sprachen ppe_258.021
beherrschen: erstens die der Dichtung, zweitens seine eigene, drittens ppe_258.022
die der Hörer, deren Verständnis er erwecken will. Die Deutung steht ppe_258.023
in einer dreifachen Abhängigkeit, und die Frage, für wen sie unternommen ppe_258.024
wird, ist dabei von nicht geringer Wichtigkeit.

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2. Die Wertung

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Mit der Deutung verbinden wir als etwas Untrennbares die Wertung. ppe_258.027
Zwar hat man von Wertfreiheit gesprochen, namentlich beim ppe_258.028
geschichtlichen Verstehen, und hat in der voreingenommenen Beurteilung ppe_258.029
eine trübende Gefährdung des Verständnisses befürchtet. ppe_258.030
Aber solche Objektivität ist beim Kunstwerk nicht zu erzwingen, weil ppe_258.031
der Sinn bereits einen Wert darstellt und weil im Verstehen notwendigerweise ppe_258.032
eine Bewertung sich herstellen muß. "Alles verstehen" ppe_258.033
heißt hier nicht "alles verzeihen", sondern: alles als sinnvoll und ppe_258.034
zweckmäßig erkennen. Im Gelingen dieser Erkenntnis liegt eine ppe_258.035
Urteilsbildung, im restlosen Gelingen sogar nichts anderes als Bewunderung.

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Dem Verstehen sind Grenzen gesetzt nach unten und nach oben; ppe_258.038
der Sinn liegt, wie Gomperz gesagt hat, zwischen den Gegensätzen ppe_258.039
von Sinnfreiheit und Sinnlosigkeit. Man kann in der Allgemeinverständlichkeit

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2. Die Wertung

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Mit der Deutung verbinden wir als etwas Untrennbares die Wertung. ppe_258.027
Zwar hat man von Wertfreiheit gesprochen, namentlich beim ppe_258.028
geschichtlichen Verstehen, und hat in der voreingenommenen Beurteilung ppe_258.029
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Aber solche Objektivität ist beim Kunstwerk nicht zu erzwingen, weil ppe_258.031
der Sinn bereits einen Wert darstellt und weil im Verstehen notwendigerweise ppe_258.032
eine Bewertung sich herstellen muß. „Alles verstehen“ ppe_258.033
heißt hier nicht „alles verzeihen“, sondern: alles als sinnvoll und ppe_258.034
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Urteilsbildung, im restlosen Gelingen sogar nichts anderes als Bewunderung.

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Dem Verstehen sind Grenzen gesetzt nach unten und nach oben; ppe_258.038
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[258/0282] ppe_258.001 Diese Verfälschung droht dann einzutreten, wenn man allzu geistvoll ppe_258.002 wird, d. h. wenn der Geist des Deuters sich selbst ins Licht setzt und ppe_258.003 den Geist des Objekts überstrahlen will. Dem ins Innere eindringenden ppe_258.004 Verstehen, mit dem das Entstehen und Bestehen des Werkes erhellt ppe_258.005 wird, vermag überraschendes Blitzlicht und sprühendes Feuerwerk ppe_258.006 keine dauernde Klarheit zu geben. ppe_258.007 Weil alles Verstehen sich in Mitteilung umsetzen will und erst in ppe_258.008 der Mitteilung zur Klarheit, erst im Widerhall zur Sicherheit gelangt, ppe_258.009 sprechen wir von der Deutung als einer aus dem Verstehen erwachsenden ppe_258.010 Aufgabe der Literaturwissenschaft. Auslegung ist nach Heidegger ppe_258.011 die Ausbildung des Verstehens und Zueignung des Verstandenen. Deutung ppe_258.012 fassen wir als die Weitergabe der Auslegung auf. Es handelt sich ppe_258.013 darum, die Lebensdeutung, die in der Dichtung enthalten ist, zu verstehen, ppe_258.014 und dieses Verstehen muß wieder in Deutung umgesetzt werden, ppe_258.015 indem es anderen vermittelt wird. Ist der Dichter ein Mittler ppe_258.016 des Lebens, so ist der Ausleger, dem die Deutung zufällt, ein Mittler ppe_258.017 des Verstehens. Er hat ohne Preisgabe seines eigenen Standortes sich ppe_258.018 in zweifacher Weise einzuleben und hineinzuversetzen in die Seele ppe_258.019 des Werkes, das er zu deuten hat, und in die Seele derer, für die er ppe_258.020 die Deutung unternimmt. In diesem Sinne muß er drei Sprachen ppe_258.021 beherrschen: erstens die der Dichtung, zweitens seine eigene, drittens ppe_258.022 die der Hörer, deren Verständnis er erwecken will. Die Deutung steht ppe_258.023 in einer dreifachen Abhängigkeit, und die Frage, für wen sie unternommen ppe_258.024 wird, ist dabei von nicht geringer Wichtigkeit. ppe_258.025 2. Die Wertung ppe_258.026 Mit der Deutung verbinden wir als etwas Untrennbares die Wertung. ppe_258.027 Zwar hat man von Wertfreiheit gesprochen, namentlich beim ppe_258.028 geschichtlichen Verstehen, und hat in der voreingenommenen Beurteilung ppe_258.029 eine trübende Gefährdung des Verständnisses befürchtet. ppe_258.030 Aber solche Objektivität ist beim Kunstwerk nicht zu erzwingen, weil ppe_258.031 der Sinn bereits einen Wert darstellt und weil im Verstehen notwendigerweise ppe_258.032 eine Bewertung sich herstellen muß. „Alles verstehen“ ppe_258.033 heißt hier nicht „alles verzeihen“, sondern: alles als sinnvoll und ppe_258.034 zweckmäßig erkennen. Im Gelingen dieser Erkenntnis liegt eine ppe_258.035 Urteilsbildung, im restlosen Gelingen sogar nichts anderes als Bewunderung. ppe_258.036 ppe_258.037 Dem Verstehen sind Grenzen gesetzt nach unten und nach oben; ppe_258.038 der Sinn liegt, wie Gomperz gesagt hat, zwischen den Gegensätzen ppe_258.039 von Sinnfreiheit und Sinnlosigkeit. Man kann in der Allgemeinverständlichkeit

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/282>, abgerufen am 22.11.2024.