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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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durch die Bekanntschaft mit einer besonderen Philosophie, wie sie ppe_238.002
Gottfried Kellers Grüner Heinrich bei den Feuerbachianern auf dem ppe_238.003
Grafenschlosse erlebt. Die Auseinandersetzungen können sich in breiten ppe_238.004
Gesprächen vollziehen, die die Entwicklung des Helden begleiten, ppe_238.005
oder in Tagebucheinlagen und Briefen, die als Ruhepunkte der Selbstbetrachtung ppe_238.006
den Fortschritt der Erzählung hemmen. Es können ppe_238.007
episodische Gestalten eingeführt werden mit dem einzigen Zweck, ppe_238.008
durch ihre Lehren, Warnungen und Weissagungen dem Leben des ppe_238.009
Helden eine neue Wendung zu geben. Zu ihnen gehören Gurnemanz ppe_238.010
und Trevrizent in Wolframs "Parzival", der Narr, der Jupiter zu ppe_238.011
sein vorgibt, in Grimmelshausens "Simplicissimus" und die Abgesandten ppe_238.012
der Gesellschaft des Turms im "Wilhelm Meister". Als Raisonneure ppe_238.013
kommen solche Mahner und Warner auch außerhalb des ppe_238.014
Bildungsromans vor, z. B. in der Gestalt des Mittler in Goethes ppe_238.015
"Wahlverwandtschaften". Manchmal haben derartige Figuren auch ppe_238.016
nur die Ansicht der Gesellschaft zu vermitteln, wie oftmals bei Fontane, ppe_238.017
der allerdings selten sich in Widerspruch dazu stellt. Wie weit ppe_238.018
Meinung und Weltanschauung des Dichters vertreten wird, entscheidet ppe_238.019
sich im allgemeinen mit der Frage, ob der Verlauf den geäußerten ppe_238.020
Ansichten recht gibt, ob die Befolgung oder Außerachtlassung ihres ppe_238.021
Rates dem Helden zum Wohl oder zum Verhängnis ausschlägt. Unbedingte ppe_238.022
Richtigkeit pflegen die Lebensregeln im Märchen zu haben, ppe_238.023
das, wenigstens in seiner deutschen Form, eine ausgesprochen optimistische ppe_238.024
Weltanschauung bekundet.

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Es ist bei Betrachtung der dritten Stufe bereits angedeutet, in ppe_238.026
welchem Maße die Prägung der Fabel von dem Weltbild des Dichters ppe_238.027
abhängig ist. Auch andere Elemente der Analyse, wie wir sie in ppe_238.028
Stimmung und Absicht, in Psychologie, Motiven und Charakteren ppe_238.029
fanden, stehen mit diesem Zentrum in Zusammenhang. Die Schicksalsbegriffe ppe_238.030
von Zufall, höherer Fügung und strenger Ursächlichkeit, ppe_238.031
von Willkür oder Zwang des Handelns, die Wertbegriffe von Standhaftigkeit ppe_238.032
im Leiden und Todesüberwindung, von sittlicher Freiheit, ppe_238.033
von Pflicht der Entscheidung und Selbstbehauptung, die Relationen ppe_238.034
endlich zwischen Schuld und Sühne, Belohnung der Tugend und Bestrafung ppe_238.035
des Lasters, von diesseitiger und jenseitiger Vergeltung sind ppe_238.036
durch das Weltbild des Dichters bestimmt. Der Ausgang jeder Tragödie ppe_238.037
und jeder Komödie zwingt zu einem Bekenntnis. Wir wissen, ppe_238.038
wie schwer es Lessing wurde, das Ende der "Emilia Galotti" zu gestalten, ppe_238.039
bei dem eine Schuld der Heldin gefunden und die Bestrafung ppe_238.040
des Prinzen einer höheren Gerechtigkeit überlassen werden mußte. ppe_238.041
Wir erkennen Grillparzers von Schopenhauer beeinflußten Pessimismus,

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[238/0262] ppe_238.001 durch die Bekanntschaft mit einer besonderen Philosophie, wie sie ppe_238.002 Gottfried Kellers Grüner Heinrich bei den Feuerbachianern auf dem ppe_238.003 Grafenschlosse erlebt. Die Auseinandersetzungen können sich in breiten ppe_238.004 Gesprächen vollziehen, die die Entwicklung des Helden begleiten, ppe_238.005 oder in Tagebucheinlagen und Briefen, die als Ruhepunkte der Selbstbetrachtung ppe_238.006 den Fortschritt der Erzählung hemmen. Es können ppe_238.007 episodische Gestalten eingeführt werden mit dem einzigen Zweck, ppe_238.008 durch ihre Lehren, Warnungen und Weissagungen dem Leben des ppe_238.009 Helden eine neue Wendung zu geben. Zu ihnen gehören Gurnemanz ppe_238.010 und Trevrizent in Wolframs „Parzival“, der Narr, der Jupiter zu ppe_238.011 sein vorgibt, in Grimmelshausens „Simplicissimus“ und die Abgesandten ppe_238.012 der Gesellschaft des Turms im „Wilhelm Meister“. Als Raisonneure ppe_238.013 kommen solche Mahner und Warner auch außerhalb des ppe_238.014 Bildungsromans vor, z. B. in der Gestalt des Mittler in Goethes ppe_238.015 „Wahlverwandtschaften“. Manchmal haben derartige Figuren auch ppe_238.016 nur die Ansicht der Gesellschaft zu vermitteln, wie oftmals bei Fontane, ppe_238.017 der allerdings selten sich in Widerspruch dazu stellt. Wie weit ppe_238.018 Meinung und Weltanschauung des Dichters vertreten wird, entscheidet ppe_238.019 sich im allgemeinen mit der Frage, ob der Verlauf den geäußerten ppe_238.020 Ansichten recht gibt, ob die Befolgung oder Außerachtlassung ihres ppe_238.021 Rates dem Helden zum Wohl oder zum Verhängnis ausschlägt. Unbedingte ppe_238.022 Richtigkeit pflegen die Lebensregeln im Märchen zu haben, ppe_238.023 das, wenigstens in seiner deutschen Form, eine ausgesprochen optimistische ppe_238.024 Weltanschauung bekundet. ppe_238.025 Es ist bei Betrachtung der dritten Stufe bereits angedeutet, in ppe_238.026 welchem Maße die Prägung der Fabel von dem Weltbild des Dichters ppe_238.027 abhängig ist. Auch andere Elemente der Analyse, wie wir sie in ppe_238.028 Stimmung und Absicht, in Psychologie, Motiven und Charakteren ppe_238.029 fanden, stehen mit diesem Zentrum in Zusammenhang. Die Schicksalsbegriffe ppe_238.030 von Zufall, höherer Fügung und strenger Ursächlichkeit, ppe_238.031 von Willkür oder Zwang des Handelns, die Wertbegriffe von Standhaftigkeit ppe_238.032 im Leiden und Todesüberwindung, von sittlicher Freiheit, ppe_238.033 von Pflicht der Entscheidung und Selbstbehauptung, die Relationen ppe_238.034 endlich zwischen Schuld und Sühne, Belohnung der Tugend und Bestrafung ppe_238.035 des Lasters, von diesseitiger und jenseitiger Vergeltung sind ppe_238.036 durch das Weltbild des Dichters bestimmt. Der Ausgang jeder Tragödie ppe_238.037 und jeder Komödie zwingt zu einem Bekenntnis. Wir wissen, ppe_238.038 wie schwer es Lessing wurde, das Ende der „Emilia Galotti“ zu gestalten, ppe_238.039 bei dem eine Schuld der Heldin gefunden und die Bestrafung ppe_238.040 des Prinzen einer höheren Gerechtigkeit überlassen werden mußte. ppe_238.041 Wir erkennen Grillparzers von Schopenhauer beeinflußten Pessimismus,

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/262>, abgerufen am 22.11.2024.