Was red' ich von ihr! -- Er ist nicht todt -- er lag nur in Ohnmacht. -- Therese sizt izt unter freyem Himmel in ihrer Seide auf einem Stein am Weg, unter dem Baume, an dem er liegt; sie nimmt seinen Kopf vom Boden auf ihren Schoos, reibt ihm Stirn und Schläfe mit riechendem Wasser, hält ihm die Flasche an die Nase. --
Wie einer Mutter ihr Herz klopft, deren Kind ohnmächtig auf ihrem Schoos liegt, bis es wieder erwacht, so klopfte ihr Herz, bis er wieder erwa- chete. --
Und wie einer Mutter Thränen über die Backen laufen, wann es wieder die Augen öfnet --
Er öfnet sie wieder -- sie siehts -- Freuden- thränen fallen auf ihre Wangen. -- Er weiß nicht, wo er ist -- sieht zuerst hinauf gegen den hellen Himmel -- dann an den Baum, unter dem er liegt -- Er sieht sie, und eine Freudenthräne über sein Erwachen fällt auf sein Angesicht. --
Ich muß schweigen -- meine todte Feder hat nun am wenigsten Kraft, wo ich am meisten empfinde.
C
§. 9. Was mich zum Schweigen bringt.
Was red' ich von ihr! — Er iſt nicht todt — er lag nur in Ohnmacht. — Thereſe ſizt izt unter freyem Himmel in ihrer Seide auf einem Stein am Weg, unter dem Baume, an dem er liegt; ſie nimmt ſeinen Kopf vom Boden auf ihren Schoos, reibt ihm Stirn und Schlaͤfe mit riechendem Waſſer, haͤlt ihm die Flaſche an die Naſe. —
Wie einer Mutter ihr Herz klopft, deren Kind ohnmaͤchtig auf ihrem Schoos liegt, bis es wieder erwacht, ſo klopfte ihr Herz, bis er wieder erwa- chete. —
Und wie einer Mutter Thraͤnen uͤber die Backen laufen, wann es wieder die Augen oͤfnet —
Er oͤfnet ſie wieder — ſie ſiehts — Freuden- thraͤnen fallen auf ihre Wangen. — Er weiß nicht, wo er iſt — ſieht zuerſt hinauf gegen den hellen Himmel — dann an den Baum, unter dem er liegt — Er ſieht ſie, und eine Freudenthraͤne uͤber ſein Erwachen faͤllt auf ſein Angeſicht. —
Ich muß ſchweigen — meine todte Feder hat nun am wenigſten Kraft, wo ich am meiſten empfinde.
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§. 9.
Was mich zum Schweigen bringt.
Was red' ich von ihr! — Er iſt nicht todt —
er lag nur in Ohnmacht. — Thereſe ſizt izt unter
freyem Himmel in ihrer Seide auf einem Stein am
Weg, unter dem Baume, an dem er liegt; ſie nimmt
ſeinen Kopf vom Boden auf ihren Schoos, reibt
ihm Stirn und Schlaͤfe mit riechendem Waſſer,
haͤlt ihm die Flaſche an die Naſe. —
Wie einer Mutter ihr Herz klopft, deren Kind
ohnmaͤchtig auf ihrem Schoos liegt, bis es wieder
erwacht, ſo klopfte ihr Herz, bis er wieder erwa-
chete. —
Und wie einer Mutter Thraͤnen uͤber die Backen
laufen, wann es wieder die Augen oͤfnet —
Er oͤfnet ſie wieder — ſie ſiehts — Freuden-
thraͤnen fallen auf ihre Wangen. — Er weiß nicht,
wo er iſt — ſieht zuerſt hinauf gegen den hellen
Himmel — dann an den Baum, unter dem er
liegt — Er ſieht ſie, und eine Freudenthraͤne uͤber
ſein Erwachen faͤllt auf ſein Angeſicht. —
Ich muß ſchweigen — meine todte Feder hat
nun am wenigſten Kraft, wo ich am meiſten empfinde.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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