Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Tag und bey Nacht nach und nach dörfe näher
kommen lassen, und wie sie ihn zugleich in der
Ordnung halten, und doch, wie sie sagten, nicht
aus dem Garn lassen.

Und dann sey es fast eine unerhörte Sache ge-
wesen eine Tochter zu verderben; die Leute haben
noch nicht gewußt, daß es minder zu bedeuten habe,
das ärmste Kind im Land unglücklich zu machen,
als ab einem Pflug im Feld ein paar Pfund Eisen,
die daran seyen, abzureißen und heim zu tragen;
im Gegentheil, es habe noch Leute gehabt, welche
die alten Lieder über die Vögte, die man mit
Axen todt geschlagen, weil sie Weiber und Töch-
tern im Lande verführt, in einem solchen Ton ge-
sungen, daß sich nicht ein jeder getraut hätte allent-
halben ins Bad zu sitzen.

Es müsse seyn, daß die alten Herrschaften die
Seele mehr geachtet haben als wir, denn sie habe
mehr Recht gehabt; und man werde finden, daß
alles, was die Herrschaften für viel und hoch ach-
ten, auch viel Recht im Land habe -- izt habe sie
an vielen Orten so viel als gar keines mehr, und
mit der Ehre sey es das gleiche; wenn die Herr-
schaften die Ehre der gemeinen Leute nicht für so
wichtig halten, als die Schnepf- und Rebhüner,
so haben sie auch kein Rebhüner- und Schnepfen-
recht im Lande, an vielen Orten habe sie nicht

Tag und bey Nacht nach und nach doͤrfe naͤher
kommen laſſen, und wie ſie ihn zugleich in der
Ordnung halten, und doch, wie ſie ſagten, nicht
aus dem Garn laſſen.

Und dann ſey es faſt eine unerhoͤrte Sache ge-
weſen eine Tochter zu verderben; die Leute haben
noch nicht gewußt, daß es minder zu bedeuten habe,
das aͤrmſte Kind im Land ungluͤcklich zu machen,
als ab einem Pflug im Feld ein paar Pfund Eiſen,
die daran ſeyen, abzureißen und heim zu tragen;
im Gegentheil, es habe noch Leute gehabt, welche
die alten Lieder uͤber die Voͤgte, die man mit
Axen todt geſchlagen, weil ſie Weiber und Toͤch-
tern im Lande verfuͤhrt, in einem ſolchen Ton ge-
ſungen, daß ſich nicht ein jeder getraut haͤtte allent-
halben ins Bad zu ſitzen.

Es muͤſſe ſeyn, daß die alten Herrſchaften die
Seele mehr geachtet haben als wir, denn ſie habe
mehr Recht gehabt; und man werde finden, daß
alles, was die Herrſchaften fuͤr viel und hoch ach-
ten, auch viel Recht im Land habe — izt habe ſie
an vielen Orten ſo viel als gar keines mehr, und
mit der Ehre ſey es das gleiche; wenn die Herr-
ſchaften die Ehre der gemeinen Leute nicht fuͤr ſo
wichtig halten, als die Schnepf- und Rebhuͤner,
ſo haben ſie auch kein Rebhuͤner- und Schnepfen-
recht im Lande, an vielen Orten habe ſie nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0208" n="190"/>
Tag und bey Nacht nach und nach do&#x0364;rfe na&#x0364;her<lb/>
kommen la&#x017F;&#x017F;en, und wie &#x017F;ie ihn zugleich in der<lb/>
Ordnung halten, und doch, wie &#x017F;ie &#x017F;agten, nicht<lb/>
aus dem Garn la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Und dann &#x017F;ey es fa&#x017F;t eine unerho&#x0364;rte Sache ge-<lb/>
we&#x017F;en eine Tochter zu verderben; die Leute haben<lb/>
noch nicht gewußt, daß es minder zu bedeuten habe,<lb/>
das a&#x0364;rm&#x017F;te Kind im Land unglu&#x0364;cklich zu machen,<lb/>
als ab einem Pflug im Feld ein paar Pfund Ei&#x017F;en,<lb/>
die daran &#x017F;eyen, abzureißen und heim zu tragen;<lb/>
im Gegentheil, es habe noch Leute gehabt, welche<lb/>
die alten Lieder u&#x0364;ber die Vo&#x0364;gte, die man mit<lb/>
Axen todt ge&#x017F;chlagen, weil &#x017F;ie Weiber und To&#x0364;ch-<lb/>
tern im Lande verfu&#x0364;hrt, in einem &#x017F;olchen Ton ge-<lb/>
&#x017F;ungen, daß &#x017F;ich nicht ein jeder getraut ha&#x0364;tte allent-<lb/>
halben ins Bad zu &#x017F;itzen.</p><lb/>
        <p>Es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eyn, daß die alten Herr&#x017F;chaften die<lb/>
Seele mehr geachtet haben als wir, denn &#x017F;ie habe<lb/>
mehr Recht gehabt; und man werde finden, daß<lb/>
alles, was die Herr&#x017F;chaften fu&#x0364;r viel und hoch ach-<lb/>
ten, auch viel Recht im Land habe &#x2014; izt habe &#x017F;ie<lb/>
an vielen Orten &#x017F;o viel als gar keines mehr, und<lb/>
mit der Ehre &#x017F;ey es das gleiche; wenn die Herr-<lb/>
&#x017F;chaften die Ehre der gemeinen Leute nicht fu&#x0364;r &#x017F;o<lb/>
wichtig halten, als die Schnepf- und Rebhu&#x0364;ner,<lb/>
&#x017F;o haben &#x017F;ie auch kein Rebhu&#x0364;ner- und Schnepfen-<lb/>
recht im Lande, an vielen Orten habe &#x017F;ie nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0208] Tag und bey Nacht nach und nach doͤrfe naͤher kommen laſſen, und wie ſie ihn zugleich in der Ordnung halten, und doch, wie ſie ſagten, nicht aus dem Garn laſſen. Und dann ſey es faſt eine unerhoͤrte Sache ge- weſen eine Tochter zu verderben; die Leute haben noch nicht gewußt, daß es minder zu bedeuten habe, das aͤrmſte Kind im Land ungluͤcklich zu machen, als ab einem Pflug im Feld ein paar Pfund Eiſen, die daran ſeyen, abzureißen und heim zu tragen; im Gegentheil, es habe noch Leute gehabt, welche die alten Lieder uͤber die Voͤgte, die man mit Axen todt geſchlagen, weil ſie Weiber und Toͤch- tern im Lande verfuͤhrt, in einem ſolchen Ton ge- ſungen, daß ſich nicht ein jeder getraut haͤtte allent- halben ins Bad zu ſitzen. Es muͤſſe ſeyn, daß die alten Herrſchaften die Seele mehr geachtet haben als wir, denn ſie habe mehr Recht gehabt; und man werde finden, daß alles, was die Herrſchaften fuͤr viel und hoch ach- ten, auch viel Recht im Land habe — izt habe ſie an vielen Orten ſo viel als gar keines mehr, und mit der Ehre ſey es das gleiche; wenn die Herr- ſchaften die Ehre der gemeinen Leute nicht fuͤr ſo wichtig halten, als die Schnepf- und Rebhuͤner, ſo haben ſie auch kein Rebhuͤner- und Schnepfen- recht im Lande, an vielen Orten habe ſie nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/208
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/208>, abgerufen am 10.05.2024.