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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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fallen wie nichts; und behaupteten z. Ex. über die
Liechtstubeten *), es sey von Altem her ein nächtli-
ches Zusammenkommen der Knaben und Töchtern
für ehrlich gehalten und für erlaubt angesehen wor-
den, aber es habe allenthalben seine festgesezte Re-
geln gehabt, ob welchen die Knaben und Töchtern
steifer gehalten, als ob keinem Gesez der Obrigkeit;
an einigen Orten habe der Knab bey Monaten auf
der Leiter und vor dem Fenster der Tochter bleiben
müssen, und gewöhnlich habe sie denselben das Er-
stemal an einer Regennacht, oder wenn es gar kalt
gewesen, wie aus Mitleiden hineingelassen.

An andern Orten haben die Knaben die ersten
Fünf- und Sechsmal in die Stuben kommen
müssen, wo dann die Aeltern aufgeblieben, bis der
Knab fort, und das Haus beschlossen gewesen.
Wenn sie denn nichts wider ihn gehabt, so haben
sie in der 6ten 7ten Wochen die jungen Leute in
Gottes Namen allein beyeinander gelassen, und ih-
nen gewöhnlich mit den Worten, habet Gott vor
Augen, und thut nichts Böses, eine gute Nacht ge-
wünscht.

So sey alles Schritt für Schritt abgemessen
gewesen, wie eine Ehrentochter einen Knaben bey



*) Anmerkung. Eine Landessitte, nach wel-
cher die Knaben am Samstag- und Sonntag-
Nachts die Töchtern in ihrer Kammer besuchen.

fallen wie nichts; und behaupteten z. Ex. uͤber die
Liechtſtubeten *), es ſey von Altem her ein naͤchtli-
ches Zuſammenkommen der Knaben und Toͤchtern
fuͤr ehrlich gehalten und fuͤr erlaubt angeſehen wor-
den, aber es habe allenthalben ſeine feſtgeſezte Re-
geln gehabt, ob welchen die Knaben und Toͤchtern
ſteifer gehalten, als ob keinem Geſez der Obrigkeit;
an einigen Orten habe der Knab bey Monaten auf
der Leiter und vor dem Fenſter der Tochter bleiben
muͤſſen, und gewoͤhnlich habe ſie denſelben das Er-
ſtemal an einer Regennacht, oder wenn es gar kalt
geweſen, wie aus Mitleiden hineingelaſſen.

An andern Orten haben die Knaben die erſten
Fuͤnf- und Sechsmal in die Stuben kommen
muͤſſen, wo dann die Aeltern aufgeblieben, bis der
Knab fort, und das Haus beſchloſſen geweſen.
Wenn ſie denn nichts wider ihn gehabt, ſo haben
ſie in der 6ten 7ten Wochen die jungen Leute in
Gottes Namen allein beyeinander gelaſſen, und ih-
nen gewoͤhnlich mit den Worten, habet Gott vor
Augen, und thut nichts Boͤſes, eine gute Nacht ge-
wuͤnſcht.

So ſey alles Schritt fuͤr Schritt abgemeſſen
geweſen, wie eine Ehrentochter einen Knaben bey



*) Anmerkung. Eine Landesſitte, nach wel-
cher die Knaben am Samſtag- und Sonntag-
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[189/0207] fallen wie nichts; und behaupteten z. Ex. uͤber die Liechtſtubeten *), es ſey von Altem her ein naͤchtli- ches Zuſammenkommen der Knaben und Toͤchtern fuͤr ehrlich gehalten und fuͤr erlaubt angeſehen wor- den, aber es habe allenthalben ſeine feſtgeſezte Re- geln gehabt, ob welchen die Knaben und Toͤchtern ſteifer gehalten, als ob keinem Geſez der Obrigkeit; an einigen Orten habe der Knab bey Monaten auf der Leiter und vor dem Fenſter der Tochter bleiben muͤſſen, und gewoͤhnlich habe ſie denſelben das Er- ſtemal an einer Regennacht, oder wenn es gar kalt geweſen, wie aus Mitleiden hineingelaſſen. An andern Orten haben die Knaben die erſten Fuͤnf- und Sechsmal in die Stuben kommen muͤſſen, wo dann die Aeltern aufgeblieben, bis der Knab fort, und das Haus beſchloſſen geweſen. Wenn ſie denn nichts wider ihn gehabt, ſo haben ſie in der 6ten 7ten Wochen die jungen Leute in Gottes Namen allein beyeinander gelaſſen, und ih- nen gewoͤhnlich mit den Worten, habet Gott vor Augen, und thut nichts Boͤſes, eine gute Nacht ge- wuͤnſcht. So ſey alles Schritt fuͤr Schritt abgemeſſen geweſen, wie eine Ehrentochter einen Knaben bey *) Anmerkung. Eine Landesſitte, nach wel- cher die Knaben am Samſtag- und Sonntag- Nachts die Toͤchtern in ihrer Kammer beſuchen.

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/207>, abgerufen am 26.04.2024.