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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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den beym Antritteinen verschuldeten Staat, ein
elendes Volk, und ein Leben am Hof, das einem
ewigen Karneval glich. -- So wollten Sie es
nicht -- Sie wollten es anderst erzwingen -- Sie
boten jedem Projektmacher die Hand, jeder Schwär-
mer und jeder Heuchler fand Eingang, aber Ihr
Volk ward immer elender, Ihr Hof immer ver-
wirrter, und der Staat immer verschuldeter. --

Es rieb den jungen Mann fast auf, er verlor
Muth, Farb, Heiterkeit, Sinnen, und sank in
eine Abschwächung hinab, die für sein Leben be-
sorgt machte.

Ein Leibarzt alter Art, der schon mit seinem
Großvater gespaßet, suchte ihn aufzumuntern, und
alle Morgen, wenn er ins Zimmer trat, war sein
gewöhnliches Wort: "Ihr Durchlaucht -- Ihr
Durchlaucht -- die Welt ist ein Narrenhaus! lassen
Sie sie gelten, was sie ist, und werden Sie ge-
sund! --" Der Herzog gab ihm freylich im An-
fang zur Antwort, "er ist ein leichtsinniger Mann,
schweig er mit solchen Worten, und geb er mir
seine Arzney." --

Aber der Leibarzt schüttelte den Wanst, und
sagte, dieser Spruch gehöre mit zur Arzney; und
Ihr Durchlaucht müssen ihm wenigstens noch 4
Wochen erlauben, diese Worte alle Morgen zu sa-

den beym Antritteinen verſchuldeten Staat, ein
elendes Volk, und ein Leben am Hof, das einem
ewigen Karneval glich. — So wollten Sie es
nicht — Sie wollten es anderſt erzwingen — Sie
boten jedem Projektmacher die Hand, jeder Schwaͤr-
mer und jeder Heuchler fand Eingang, aber Ihr
Volk ward immer elender, Ihr Hof immer ver-
wirrter, und der Staat immer verſchuldeter. —

Es rieb den jungen Mann faſt auf, er verlor
Muth, Farb, Heiterkeit, Sinnen, und ſank in
eine Abſchwaͤchung hinab, die fuͤr ſein Leben be-
ſorgt machte.

Ein Leibarzt alter Art, der ſchon mit ſeinem
Großvater geſpaßet, ſuchte ihn aufzumuntern, und
alle Morgen, wenn er ins Zimmer trat, war ſein
gewoͤhnliches Wort: „Ihr Durchlaucht — Ihr
Durchlaucht — die Welt iſt ein Narrenhaus! laſſen
Sie ſie gelten, was ſie iſt, und werden Sie ge-
ſund! —„ Der Herzog gab ihm freylich im An-
fang zur Antwort, „er iſt ein leichtſinniger Mann,
ſchweig er mit ſolchen Worten, und geb er mir
ſeine Arzney.„ —

Aber der Leibarzt ſchuͤttelte den Wanſt, und
ſagte, dieſer Spruch gehoͤre mit zur Arzney; und
Ihr Durchlaucht muͤſſen ihm wenigſtens noch 4
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[152/0170] den beym Antritteinen verſchuldeten Staat, ein elendes Volk, und ein Leben am Hof, das einem ewigen Karneval glich. — So wollten Sie es nicht — Sie wollten es anderſt erzwingen — Sie boten jedem Projektmacher die Hand, jeder Schwaͤr- mer und jeder Heuchler fand Eingang, aber Ihr Volk ward immer elender, Ihr Hof immer ver- wirrter, und der Staat immer verſchuldeter. — Es rieb den jungen Mann faſt auf, er verlor Muth, Farb, Heiterkeit, Sinnen, und ſank in eine Abſchwaͤchung hinab, die fuͤr ſein Leben be- ſorgt machte. Ein Leibarzt alter Art, der ſchon mit ſeinem Großvater geſpaßet, ſuchte ihn aufzumuntern, und alle Morgen, wenn er ins Zimmer trat, war ſein gewoͤhnliches Wort: „Ihr Durchlaucht — Ihr Durchlaucht — die Welt iſt ein Narrenhaus! laſſen Sie ſie gelten, was ſie iſt, und werden Sie ge- ſund! —„ Der Herzog gab ihm freylich im An- fang zur Antwort, „er iſt ein leichtſinniger Mann, ſchweig er mit ſolchen Worten, und geb er mir ſeine Arzney.„ — Aber der Leibarzt ſchuͤttelte den Wanſt, und ſagte, dieſer Spruch gehoͤre mit zur Arzney; und Ihr Durchlaucht muͤſſen ihm wenigſtens noch 4 Wochen erlauben, dieſe Worte alle Morgen zu ſa-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/170>, abgerufen am 19.04.2024.