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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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sie sollten so gut seyn, und mit ihm in die
Stube kommen.

Seine Schwester war eben, wie es am
Sonntag nach dem Essen ihre Gewohnheit
ist, einen Augenblik entnukt (eingeschlum-
mert) und lag mit Kopf und Händen über
die Bibel auf dem Tisch -- sie erwachte
mit einem lauten Herr Je! -- da die
Thür aufgieng; that aber doch nicht der-
gleichen; drukte nur ein wenig ihre Haube
wieder zurecht, ehe sie die Herren grüßte;
und denn nahm sie eilend einen Schwamm
vom gleissenden zinnernen Handbeken, wischte
die Rechnungen, mit denen ihr Bruder den
ganzen Tisch voll gekreidet, durch, und sag-
te: es ist eine Ordnung bey uns, daß wir
uns schämen müssen Ihr Herren! -- Ich
wüßte nicht worinn, sagte der Junker: und
sezte hinzu, streich doch nichts durch; dein
Bruder brauchts vielleicht noch.

Das Mareylj erwiederte: er kan's ja wie-
der anderst machen, und fuhr in seiner Ar-
beit fort: sein Bruder aber sagte auch sel-
ber, es habe recht, er mache manchmal
den Tisch im Tag sieben mal so voll, und
streiche alles wieder durch, wenn nur ein
Kreuzer fehle, so wenig sey daran gelegen.

Sobald der Tisch troken war, brachte es
dann ein grosses weisses Tuch mit breiten

ſie ſollten ſo gut ſeyn, und mit ihm in die
Stube kommen.

Seine Schweſter war eben, wie es am
Sonntag nach dem Eſſen ihre Gewohnheit
iſt, einen Augenblik entnukt (eingeſchlum-
mert) und lag mit Kopf und Haͤnden uͤber
die Bibel auf dem Tiſch — ſie erwachte
mit einem lauten Herr Je! — da die
Thuͤr aufgieng; that aber doch nicht der-
gleichen; drukte nur ein wenig ihre Haube
wieder zurecht, ehe ſie die Herren gruͤßte;
und denn nahm ſie eilend einen Schwamm
vom gleiſſenden zinnernen Handbeken, wiſchte
die Rechnungen, mit denen ihr Bruder den
ganzen Tiſch voll gekreidet, durch, und ſag-
te: es iſt eine Ordnung bey uns, daß wir
uns ſchaͤmen muͤſſen Ihr Herren! — Ich
wuͤßte nicht worinn, ſagte der Junker: und
ſezte hinzu, ſtreich doch nichts durch; dein
Bruder brauchts vielleicht noch.

Das Mareylj erwiederte: er kan’s ja wie-
der anderſt machen, und fuhr in ſeiner Ar-
beit fort: ſein Bruder aber ſagte auch ſel-
ber, es habe recht, er mache manchmal
den Tiſch im Tag ſieben mal ſo voll, und
ſtreiche alles wieder durch, wenn nur ein
Kreuzer fehle, ſo wenig ſey daran gelegen.

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dann ein groſſes weiſſes Tuch mit breiten

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[4/0026] ſie ſollten ſo gut ſeyn, und mit ihm in die Stube kommen. Seine Schweſter war eben, wie es am Sonntag nach dem Eſſen ihre Gewohnheit iſt, einen Augenblik entnukt (eingeſchlum- mert) und lag mit Kopf und Haͤnden uͤber die Bibel auf dem Tiſch — ſie erwachte mit einem lauten Herr Je! — da die Thuͤr aufgieng; that aber doch nicht der- gleichen; drukte nur ein wenig ihre Haube wieder zurecht, ehe ſie die Herren gruͤßte; und denn nahm ſie eilend einen Schwamm vom gleiſſenden zinnernen Handbeken, wiſchte die Rechnungen, mit denen ihr Bruder den ganzen Tiſch voll gekreidet, durch, und ſag- te: es iſt eine Ordnung bey uns, daß wir uns ſchaͤmen muͤſſen Ihr Herren! — Ich wuͤßte nicht worinn, ſagte der Junker: und ſezte hinzu, ſtreich doch nichts durch; dein Bruder brauchts vielleicht noch. Das Mareylj erwiederte: er kan’s ja wie- der anderſt machen, und fuhr in ſeiner Ar- beit fort: ſein Bruder aber ſagte auch ſel- ber, es habe recht, er mache manchmal den Tiſch im Tag ſieben mal ſo voll, und ſtreiche alles wieder durch, wenn nur ein Kreuzer fehle, ſo wenig ſey daran gelegen. Sobald der Tiſch troken war, brachte es dann ein groſſes weiſſes Tuch mit breiten

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/26>, abgerufen am 28.03.2024.