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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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er an sie gedacht, aber er habe einmal auch
jemand rechter nöthig. --

Sie gab ihm zur Antwort, ich kann dir
in Gottes Nahmen keine Hoffnung machen.
Er sah ihr da in die Augen und mit diesem
Wort, und mit diesem ihr in die Augen hin-
einsehen, kams dem Rudj fast wieder wie von
neuem in Sinn, es wäre doch gut, wenns wä-
re, -- und mit jedem Augenblik dachte er jezt
wieder wärmer, und wärmer, wenns doch
nur auch seyn könnte, und wenns doch nur
auch Gotts Will wäre! Aber er sagte nichts,
und dorfte nichts sagen, und stuhnd da, wie
ein Mensch der hungert, und nicht sagen darf,
daß er ein Allmosen gern hätte.

Die Meyerin sah wie durch ein Fenster in
ihn hinein, und sagte zu sich selber, so einen
herzguten Kerl hab ich in meinem Leben nie
gesehen, vor mir zustehen; -- zu ihm aber,
-- pfuy, -- wie du auch da stehest; -- es
ist nicht anders, als du wollest ein Allmosen
um Gottswillen.

Der Rudi erwiederte, ich bin noch nie vor
jemand gestanden, wie wenn ich bettelte, aber
ich spühre wol, daß ich vor dir so da stehe,
wie du sagst. --

Meyerin. Da must eben auch vor mir
nicht stehen, wie wenn du betteltest. --

Rudj. Wie muß ich denn vor dir zustehen,

er an ſie gedacht, aber er habe einmal auch
jemand rechter noͤthig. —

Sie gab ihm zur Antwort, ich kann dir
in Gottes Nahmen keine Hoffnung machen.
Er ſah ihr da in die Augen und mit dieſem
Wort, und mit dieſem ihr in die Augen hin-
einſehen, kams dem Rudj faſt wieder wie von
neuem in Sinn, es waͤre doch gut, wenns waͤ-
re, — und mit jedem Augenblik dachte er jezt
wieder waͤrmer, und waͤrmer, wenns doch
nur auch ſeyn koͤnnte, und wenns doch nur
auch Gotts Will waͤre! Aber er ſagte nichts,
und dorfte nichts ſagen, und ſtuhnd da, wie
ein Menſch der hungert, und nicht ſagen darf,
daß er ein Allmoſen gern haͤtte.

Die Meyerin ſah wie durch ein Fenſter in
ihn hinein, und ſagte zu ſich ſelber, ſo einen
herzguten Kerl hab ich in meinem Leben nie
geſehen, vor mir zuſtehen; — zu ihm aber,
— pfuy, — wie du auch da ſteheſt; — es
iſt nicht anders, als du wolleſt ein Allmoſen
um Gottswillen.

Der Rudi erwiederte, ich bin noch nie vor
jemand geſtanden, wie wenn ich bettelte, aber
ich ſpuͤhre wol, daß ich vor dir ſo da ſtehe,
wie du ſagſt. —

Meyerin. Da muſt eben auch vor mir
nicht ſtehen, wie wenn du bettelteſt. —

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[158/0180] er an ſie gedacht, aber er habe einmal auch jemand rechter noͤthig. — Sie gab ihm zur Antwort, ich kann dir in Gottes Nahmen keine Hoffnung machen. Er ſah ihr da in die Augen und mit dieſem Wort, und mit dieſem ihr in die Augen hin- einſehen, kams dem Rudj faſt wieder wie von neuem in Sinn, es waͤre doch gut, wenns waͤ- re, — und mit jedem Augenblik dachte er jezt wieder waͤrmer, und waͤrmer, wenns doch nur auch ſeyn koͤnnte, und wenns doch nur auch Gotts Will waͤre! Aber er ſagte nichts, und dorfte nichts ſagen, und ſtuhnd da, wie ein Menſch der hungert, und nicht ſagen darf, daß er ein Allmoſen gern haͤtte. Die Meyerin ſah wie durch ein Fenſter in ihn hinein, und ſagte zu ſich ſelber, ſo einen herzguten Kerl hab ich in meinem Leben nie geſehen, vor mir zuſtehen; — zu ihm aber, — pfuy, — wie du auch da ſteheſt; — es iſt nicht anders, als du wolleſt ein Allmoſen um Gottswillen. Der Rudi erwiederte, ich bin noch nie vor jemand geſtanden, wie wenn ich bettelte, aber ich ſpuͤhre wol, daß ich vor dir ſo da ſtehe, wie du ſagſt. — Meyerin. Da muſt eben auch vor mir nicht ſtehen, wie wenn du bettelteſt. — Rudj. Wie muß ich denn vor dir zuſtehen,

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/180>, abgerufen am 27.04.2024.