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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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groß als der Rheyn -- über solche Sachen
schwazte er oft ganze Abende, und der Vi-
kari gab ihm für Wein und Geld Sachen
an, daß man nicht begreiffen kann, wie ein
Mann, der sonst so viel Verstand hatte,
ihm zuhören, und ihm glauben konnte --
aber er hatte seinen Verstand nur bey Schel-
mensachen, in andern war er dann wie ein
Kind, und ließ sich vorlügen und angeben
was man wollte; aber in seinem Handwerk
da fehlte es ihm nie weder am Verstand noch
an Worten. Er war im Stand einem An-
geklagten zuzusprechen wie ein Pfarrer; aber
Jedermann wußte, daß ihm hierinn nicht
ernst war, und er sagte es in seiner Stube,
wenn er allein war, dann selber, das müße
auch so seyn, und ein Mann wie er, müsse
sich hundertmal stellen, wie wenn er wild
und taub (entrüstet) sey, wenn er schon das
Lachen hinter den Stokzähnen fast nicht ver-
bergen könnte.

Auch hielten sich die Kerls, denen er so
vor Audienz und vor Chorgericht zusprache,
wie in der Komödie -- sie stuhnden da wie
hölzerne Bloch, und sagten kein Wort, als
was sie auswendig gelernt, und das lautete
immer also: Es ist doch nicht wahr, ihr
möget izt sagen, was ihr wollt.

Sie

groß als der Rheyn — uͤber ſolche Sachen
ſchwazte er oft ganze Abende, und der Vi-
kari gab ihm fuͤr Wein und Geld Sachen
an, daß man nicht begreiffen kann, wie ein
Mann, der ſonſt ſo viel Verſtand hatte,
ihm zuhoͤren, und ihm glauben konnte —
aber er hatte ſeinen Verſtand nur bey Schel-
menſachen, in andern war er dann wie ein
Kind, und ließ ſich vorluͤgen und angeben
was man wollte; aber in ſeinem Handwerk
da fehlte es ihm nie weder am Verſtand noch
an Worten. Er war im Stand einem An-
geklagten zuzuſprechen wie ein Pfarrer; aber
Jedermann wußte, daß ihm hierinn nicht
ernſt war, und er ſagte es in ſeiner Stube,
wenn er allein war, dann ſelber, das muͤße
auch ſo ſeyn, und ein Mann wie er, muͤſſe
ſich hundertmal ſtellen, wie wenn er wild
und taub (entruͤſtet) ſey, wenn er ſchon das
Lachen hinter den Stokzaͤhnen faſt nicht ver-
bergen koͤnnte.

Auch hielten ſich die Kerls, denen er ſo
vor Audienz und vor Chorgericht zuſprache,
wie in der Komoͤdie — ſie ſtuhnden da wie
hoͤlzerne Bloch, und ſagten kein Wort, als
was ſie auswendig gelernt, und das lautete
immer alſo: Es iſt doch nicht wahr, ihr
moͤget izt ſagen, was ihr wollt.

Sie
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[301/0319] groß als der Rheyn — uͤber ſolche Sachen ſchwazte er oft ganze Abende, und der Vi- kari gab ihm fuͤr Wein und Geld Sachen an, daß man nicht begreiffen kann, wie ein Mann, der ſonſt ſo viel Verſtand hatte, ihm zuhoͤren, und ihm glauben konnte — aber er hatte ſeinen Verſtand nur bey Schel- menſachen, in andern war er dann wie ein Kind, und ließ ſich vorluͤgen und angeben was man wollte; aber in ſeinem Handwerk da fehlte es ihm nie weder am Verſtand noch an Worten. Er war im Stand einem An- geklagten zuzuſprechen wie ein Pfarrer; aber Jedermann wußte, daß ihm hierinn nicht ernſt war, und er ſagte es in ſeiner Stube, wenn er allein war, dann ſelber, das muͤße auch ſo ſeyn, und ein Mann wie er, muͤſſe ſich hundertmal ſtellen, wie wenn er wild und taub (entruͤſtet) ſey, wenn er ſchon das Lachen hinter den Stokzaͤhnen faſt nicht ver- bergen koͤnnte. Auch hielten ſich die Kerls, denen er ſo vor Audienz und vor Chorgericht zuſprache, wie in der Komoͤdie — ſie ſtuhnden da wie hoͤlzerne Bloch, und ſagten kein Wort, als was ſie auswendig gelernt, und das lautete immer alſo: Es iſt doch nicht wahr, ihr moͤget izt ſagen, was ihr wollt. Sie

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/319>, abgerufen am 18.05.2024.