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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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"Es ist ja nicht nöthig, daß sie sich mehr
Mühe mache; ich wünsche ihr von Herzen
alles Gute, und ein seliges Ende."

"Es ist ein Jammerthal auf Erden. Wir
thun alle zusammen viel Böses. Sie soll
sich doch ob uns nicht grämen."

"Sie hat mir dann und wann auch et-
was Gutes gethan, und mir in der Noth,
weiß Gott, ein paar Mal geholffen, ohne
daß du es einmal wußtest."

So freundlich gaben die armen Leute dem
Vogt, der izt demüthig vor ihnen stuhnd,
Antwort, und alle sagten: Ja, ja, wenn
es sie freue, so wollen sie morn gern kom-
men, und alle wünschten ihr eine leichte ru-
hige Nacht, und wenns Gott's Will sey,
gute Besserung. Nur wenigen entfiel etwa
ein Wort, das den Vogt kränkte: aber er
war so geduldig, und antwortete so weh-
müthig, daß ein jeder solches Wörtgen im
Augenblik denjenigen gerauen, der es aus-
gesprochen.

Die Hoorlacherin antwortete ihm: "Ach
mein Gott! ich will euch gern verzeihen,
wenn nur die Noth meiner Kinder mich
nicht in Verzweiflung bringt."

Sprachlos stand der Vogt vor ihr, und
konnte nicht antworten. Jm Augenblik nahm
die Hoorlacherin ihr Wort zurük, und sagte:

"Es

„Es iſt ja nicht noͤthig, daß ſie ſich mehr
Muͤhe mache; ich wuͤnſche ihr von Herzen
alles Gute, und ein ſeliges Ende.“

„Es iſt ein Jammerthal auf Erden. Wir
thun alle zuſammen viel Boͤſes. Sie ſoll
ſich doch ob uns nicht graͤmen.“

„Sie hat mir dann und wann auch et-
was Gutes gethan, und mir in der Noth,
weiß Gott, ein paar Mal geholffen, ohne
daß du es einmal wußteſt.“

So freundlich gaben die armen Leute dem
Vogt, der izt demuͤthig vor ihnen ſtuhnd,
Antwort, und alle ſagten: Ja, ja, wenn
es ſie freue, ſo wollen ſie morn gern kom-
men, und alle wuͤnſchten ihr eine leichte ru-
hige Nacht, und wenns Gott's Will ſey,
gute Beſſerung. Nur wenigen entfiel etwa
ein Wort, das den Vogt kraͤnkte: aber er
war ſo geduldig, und antwortete ſo weh-
muͤthig, daß ein jeder ſolches Woͤrtgen im
Augenblik denjenigen gerauen, der es aus-
geſprochen.

Die Hoorlacherin antwortete ihm: „Ach
mein Gott! ich will euch gern verzeihen,
wenn nur die Noth meiner Kinder mich
nicht in Verzweiflung bringt.“

Sprachlos ſtand der Vogt vor ihr, und
konnte nicht antworten. Jm Augenblik nahm
die Hoorlacherin ihr Wort zuruͤk, und ſagte:

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[220/0238] „Es iſt ja nicht noͤthig, daß ſie ſich mehr Muͤhe mache; ich wuͤnſche ihr von Herzen alles Gute, und ein ſeliges Ende.“ „Es iſt ein Jammerthal auf Erden. Wir thun alle zuſammen viel Boͤſes. Sie ſoll ſich doch ob uns nicht graͤmen.“ „Sie hat mir dann und wann auch et- was Gutes gethan, und mir in der Noth, weiß Gott, ein paar Mal geholffen, ohne daß du es einmal wußteſt.“ So freundlich gaben die armen Leute dem Vogt, der izt demuͤthig vor ihnen ſtuhnd, Antwort, und alle ſagten: Ja, ja, wenn es ſie freue, ſo wollen ſie morn gern kom- men, und alle wuͤnſchten ihr eine leichte ru- hige Nacht, und wenns Gott's Will ſey, gute Beſſerung. Nur wenigen entfiel etwa ein Wort, das den Vogt kraͤnkte: aber er war ſo geduldig, und antwortete ſo weh- muͤthig, daß ein jeder ſolches Woͤrtgen im Augenblik denjenigen gerauen, der es aus- geſprochen. Die Hoorlacherin antwortete ihm: „Ach mein Gott! ich will euch gern verzeihen, wenn nur die Noth meiner Kinder mich nicht in Verzweiflung bringt.“ Sprachlos ſtand der Vogt vor ihr, und konnte nicht antworten. Jm Augenblik nahm die Hoorlacherin ihr Wort zuruͤk, und ſagte: „Es

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/238>, abgerufen am 23.11.2024.