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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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"Jch weiß das, sagte der Pfarrer, und
darum hatte ich auch desto mehr Muth,
euch zuzumuthen, was ich gethan." Dann
redte er noch mit ihm von der Bußfertig-
keit der Vögtin, und wie sie morn am Mor-
gen von den Armen, denen sie Unrecht ge-
than, Abschied nehmen wolle.

Jch möchte diesem auch zusehen, sagte der
Treufaug, und der Pfarrer redte mit ihm
ab, daß er in der Nebenkammer der Vög-
tin diesem Abschied morgen zusehen sollte --
nahm dann freundlich Abschied von ihm,
mit vieler Hoffnung, ihn beym Todtbette
der Frauen noch weiter zu bringen, und
gieng dann im Heimweg noch bey vielen Ar-
men vorbey, und bath sie, daß sie doch mor-
gen nicht fehlen, um 8. Uhr bey der Vög-
tin zu seyn, und daß sie auch ihre Kinder
mitnehmen sollten.

Der Vogt war izt schon bey allen Armen
gewesen. Es gieng den meisten zu Herzen,
daß sie Thränen in den Augen hatten, da
er ihnen sagte, was er wolle.

"Sag doch deiner Frauen, sie soll unser-
thalben nur ruhig sterben," sagte der eine.

"Es ist ja izt alles vorbey, und was vor-
bey ist, daran sinne ich nicht mehr," sagte
ein andrer.

"Es

„Jch weiß das, ſagte der Pfarrer, und
darum hatte ich auch deſto mehr Muth,
euch zuzumuthen, was ich gethan.“ Dann
redte er noch mit ihm von der Bußfertig-
keit der Voͤgtin, und wie ſie morn am Mor-
gen von den Armen, denen ſie Unrecht ge-
than, Abſchied nehmen wolle.

Jch moͤchte dieſem auch zuſehen, ſagte der
Treufaug, und der Pfarrer redte mit ihm
ab, daß er in der Nebenkammer der Voͤg-
tin dieſem Abſchied morgen zuſehen ſollte —
nahm dann freundlich Abſchied von ihm,
mit vieler Hoffnung, ihn beym Todtbette
der Frauen noch weiter zu bringen, und
gieng dann im Heimweg noch bey vielen Ar-
men vorbey, und bath ſie, daß ſie doch mor-
gen nicht fehlen, um 8. Uhr bey der Voͤg-
tin zu ſeyn, und daß ſie auch ihre Kinder
mitnehmen ſollten.

Der Vogt war izt ſchon bey allen Armen
geweſen. Es gieng den meiſten zu Herzen,
daß ſie Thraͤnen in den Augen hatten, da
er ihnen ſagte, was er wolle.

„Sag doch deiner Frauen, ſie ſoll unſer-
thalben nur ruhig ſterben,“ ſagte der eine.

„Es iſt ja izt alles vorbey, und was vor-
bey iſt, daran ſinne ich nicht mehr,“ ſagte
ein andrer.

„Es
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[219/0237] „Jch weiß das, ſagte der Pfarrer, und darum hatte ich auch deſto mehr Muth, euch zuzumuthen, was ich gethan.“ Dann redte er noch mit ihm von der Bußfertig- keit der Voͤgtin, und wie ſie morn am Mor- gen von den Armen, denen ſie Unrecht ge- than, Abſchied nehmen wolle. Jch moͤchte dieſem auch zuſehen, ſagte der Treufaug, und der Pfarrer redte mit ihm ab, daß er in der Nebenkammer der Voͤg- tin dieſem Abſchied morgen zuſehen ſollte — nahm dann freundlich Abſchied von ihm, mit vieler Hoffnung, ihn beym Todtbette der Frauen noch weiter zu bringen, und gieng dann im Heimweg noch bey vielen Ar- men vorbey, und bath ſie, daß ſie doch mor- gen nicht fehlen, um 8. Uhr bey der Voͤg- tin zu ſeyn, und daß ſie auch ihre Kinder mitnehmen ſollten. Der Vogt war izt ſchon bey allen Armen geweſen. Es gieng den meiſten zu Herzen, daß ſie Thraͤnen in den Augen hatten, da er ihnen ſagte, was er wolle. „Sag doch deiner Frauen, ſie ſoll unſer- thalben nur ruhig ſterben,“ ſagte der eine. „Es iſt ja izt alles vorbey, und was vor- bey iſt, daran ſinne ich nicht mehr,“ ſagte ein andrer. „Es

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/237>, abgerufen am 23.11.2024.