Pfr. Ha so -- Jch glaube, ihr könnet vor Gott mit gutem Gewissen nicht sagen, daß ihr ohne Gefahr für das Leben euerer Mitmenschen euer Handwerk treibet? Und wenn ihr das nicht könnt, so müßt ihr es aufgeben, oder kein ehrlicher Mann seyn -- Und wenn ihr es aufgeben müßet, warum wollt ihr das Gute, das in euerer Hande ist, nicht zum Besten euerer Nebenmenschen je- mand schenken, der es nuzen kann?
Der Treufaug schweigt noch immer, und der Pfarrer fährt fort:
Mein Lieber! denket, ob ihr auf euerm Todtbette nicht wünschen werdet, für die Menschen, die ihr durch ein unvorsichtiges und unvernünftiges Behandeln ins Grab gebracht, auch etwas Gutes gethan, und für das Leben und die Wohlfart der andern auch etwas aufgeopfert zu haben?
Der Treufaug hatte bis izt seine Augen gegen den Boden niedergeschlagen, und kein Wort geredt. -- Jzt hub er den Kopf auf, sah den Pfarrer an, und sagte:
"Ja, wenn man auch so mit mir um- gieng und mit mir redte, ich würde vielleicht das, was ihr sagt, nicht so weit wegwerfen. Jhr mögt izt denken was ihr wollt, ich bin gewiß kein Unmensch im Herzen, und kann zulezt ohne das leben, und bleiben was ich bin."
"Jch
Pfr. Ha ſo — Jch glaube, ihr koͤnnet vor Gott mit gutem Gewiſſen nicht ſagen, daß ihr ohne Gefahr fuͤr das Leben euerer Mitmenſchen euer Handwerk treibet? Und wenn ihr das nicht koͤnnt, ſo muͤßt ihr es aufgeben, oder kein ehrlicher Mann ſeyn — Und wenn ihr es aufgeben muͤßet, warum wollt ihr das Gute, das in euerer Hande iſt, nicht zum Beſten euerer Nebenmenſchen je- mand ſchenken, der es nuzen kann?
Der Treufaug ſchweigt noch immer, und der Pfarrer faͤhrt fort:
Mein Lieber! denket, ob ihr auf euerm Todtbette nicht wuͤnſchen werdet, fuͤr die Menſchen, die ihr durch ein unvorſichtiges und unvernuͤnftiges Behandeln ins Grab gebracht, auch etwas Gutes gethan, und fuͤr das Leben und die Wohlfart der andern auch etwas aufgeopfert zu haben?
Der Treufaug hatte bis izt ſeine Augen gegen den Boden niedergeſchlagen, und kein Wort geredt. — Jzt hub er den Kopf auf, ſah den Pfarrer an, und ſagte:
„Ja, wenn man auch ſo mit mir um- gieng und mit mir redte, ich wuͤrde vielleicht das, was ihr ſagt, nicht ſo weit wegwerfen. Jhr moͤgt izt denken was ihr wollt, ich bin gewiß kein Unmenſch im Herzen, und kann zulezt ohne das leben, und bleiben was ich bin.“
„Jch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0236"n="218"/><p><hirendition="#fr">Pfr.</hi> Ha ſo — Jch glaube, ihr koͤnnet<lb/>
vor Gott mit gutem Gewiſſen nicht ſagen,<lb/>
daß ihr ohne Gefahr fuͤr das Leben euerer<lb/>
Mitmenſchen euer Handwerk treibet? Und<lb/>
wenn ihr das nicht koͤnnt, ſo muͤßt ihr es<lb/>
aufgeben, oder kein ehrlicher Mann ſeyn —<lb/>
Und wenn ihr es aufgeben muͤßet, warum<lb/>
wollt ihr das Gute, das in euerer Hande iſt,<lb/>
nicht zum Beſten euerer Nebenmenſchen je-<lb/>
mand ſchenken, der es nuzen kann?</p><lb/><p>Der Treufaug ſchweigt noch immer, und<lb/>
der Pfarrer faͤhrt fort:</p><lb/><p>Mein Lieber! denket, ob ihr auf euerm<lb/>
Todtbette nicht wuͤnſchen werdet, fuͤr die<lb/>
Menſchen, die ihr durch ein unvorſichtiges<lb/>
und unvernuͤnftiges Behandeln ins Grab<lb/>
gebracht, auch etwas Gutes gethan, und<lb/>
fuͤr das Leben und die Wohlfart der andern<lb/>
auch etwas aufgeopfert zu haben?</p><lb/><p>Der Treufaug hatte bis izt ſeine Augen<lb/>
gegen den Boden niedergeſchlagen, und kein<lb/>
Wort geredt. — Jzt hub er den Kopf auf,<lb/>ſah den Pfarrer an, und ſagte:</p><lb/><p>„Ja, wenn man auch ſo mit mir um-<lb/>
gieng und mit mir redte, ich wuͤrde vielleicht<lb/>
das, was ihr ſagt, nicht ſo weit wegwerfen.<lb/>
Jhr moͤgt izt denken was ihr wollt, ich bin<lb/>
gewiß kein Unmenſch im Herzen, und kann<lb/>
zulezt ohne das leben, und bleiben was ich<lb/>
bin.“</p><fwplace="bottom"type="catch">„Jch</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[218/0236]
Pfr. Ha ſo — Jch glaube, ihr koͤnnet
vor Gott mit gutem Gewiſſen nicht ſagen,
daß ihr ohne Gefahr fuͤr das Leben euerer
Mitmenſchen euer Handwerk treibet? Und
wenn ihr das nicht koͤnnt, ſo muͤßt ihr es
aufgeben, oder kein ehrlicher Mann ſeyn —
Und wenn ihr es aufgeben muͤßet, warum
wollt ihr das Gute, das in euerer Hande iſt,
nicht zum Beſten euerer Nebenmenſchen je-
mand ſchenken, der es nuzen kann?
Der Treufaug ſchweigt noch immer, und
der Pfarrer faͤhrt fort:
Mein Lieber! denket, ob ihr auf euerm
Todtbette nicht wuͤnſchen werdet, fuͤr die
Menſchen, die ihr durch ein unvorſichtiges
und unvernuͤnftiges Behandeln ins Grab
gebracht, auch etwas Gutes gethan, und
fuͤr das Leben und die Wohlfart der andern
auch etwas aufgeopfert zu haben?
Der Treufaug hatte bis izt ſeine Augen
gegen den Boden niedergeſchlagen, und kein
Wort geredt. — Jzt hub er den Kopf auf,
ſah den Pfarrer an, und ſagte:
„Ja, wenn man auch ſo mit mir um-
gieng und mit mir redte, ich wuͤrde vielleicht
das, was ihr ſagt, nicht ſo weit wegwerfen.
Jhr moͤgt izt denken was ihr wollt, ich bin
gewiß kein Unmenſch im Herzen, und kann
zulezt ohne das leben, und bleiben was ich
bin.“
„Jch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/236>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.