bey ihm Abschied, wünschte ihm Gottes Segen, und bath ihn noch um Verzeihung.
O Gott! ich muß dich um Verzei- hung bitten; ich bin an deinem Elend schuld, sagte der Vogt.
Jch nicht weniger an deinem, erwiederte die Vögtin -- und beyde wainten heiße Thränen.
Nach einer Weile kam auch der Pfar- rer zu ihnen. Er saß neben sie hin, und -- vergoß Thränen, wenn sie wainte, red- te kein Wort, wenn sie Schmerzen hatte, und war immer auf das, was sie jeden Augenblik nöthig hatte, aufmerksam.
So war er bey allen Kranken; denn er glaubte, man müße mit dem reinsten mensch- lichen Sinn den Grund der H. Lehre legen, ehe man ihre Worte in den Mund nehme.
Er machte überhaupt immer gar wenig aus Worten, und sagte, sie seyen wie der Rauch, Zeichen des Feuers, nicht das Feuer selbst: und je reiner das Feuer, je weniger Rauch, und je reiner die mensch- liche Lehre, je weniger Worte.
Er sagte -- Das viele Wortwesen ist ganz und gar nicht für den gemeinen Mann. Je mehr Worte, je schwächer drükt man für ihn aus, was man für ihn im Herzen hat. Die vielen Worte bringen ihm alles
durch
bey ihm Abſchied, wuͤnſchte ihm Gottes Segen, und bath ihn noch um Verzeihung.
O Gott! ich muß dich um Verzei- hung bitten; ich bin an deinem Elend ſchuld, ſagte der Vogt.
Jch nicht weniger an deinem, erwiederte die Voͤgtin — und beyde wainten heiße Thraͤnen.
Nach einer Weile kam auch der Pfar- rer zu ihnen. Er ſaß neben ſie hin, und — vergoß Thraͤnen, wenn ſie wainte, red- te kein Wort, wenn ſie Schmerzen hatte, und war immer auf das, was ſie jeden Augenblik noͤthig hatte, aufmerkſam.
So war er bey allen Kranken; denn er glaubte, man muͤße mit dem reinſten menſch- lichen Sinn den Grund der H. Lehre legen, ehe man ihre Worte in den Mund nehme.
Er machte uͤberhaupt immer gar wenig aus Worten, und ſagte, ſie ſeyen wie der Rauch, Zeichen des Feuers, nicht das Feuer ſelbſt: und je reiner das Feuer, je weniger Rauch, und je reiner die menſch- liche Lehre, je weniger Worte.
Er ſagte — Das viele Wortweſen iſt ganz und gar nicht fuͤr den gemeinen Mann. Je mehr Worte, je ſchwaͤcher druͤkt man fuͤr ihn aus, was man fuͤr ihn im Herzen hat. Die vielen Worte bringen ihm alles
durch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0230"n="212"/>
bey ihm Abſchied, wuͤnſchte ihm Gottes<lb/>
Segen, und bath ihn noch um Verzeihung.</p><lb/><p>O Gott! ich muß <hirendition="#g">dich</hi> um Verzei-<lb/>
hung bitten; ich bin an deinem Elend ſchuld,<lb/>ſagte der Vogt.</p><lb/><p>Jch nicht weniger an deinem, erwiederte<lb/>
die Voͤgtin — und beyde wainten heiße<lb/>
Thraͤnen.</p><lb/><p>Nach einer Weile kam auch der Pfar-<lb/>
rer zu ihnen. Er ſaß neben ſie hin, und<lb/>— vergoß Thraͤnen, wenn ſie wainte, red-<lb/>
te kein Wort, wenn ſie Schmerzen hatte,<lb/>
und war immer auf das, was ſie jeden<lb/>
Augenblik noͤthig hatte, aufmerkſam.</p><lb/><p>So war er bey allen Kranken; denn er<lb/>
glaubte, man muͤße mit dem reinſten menſch-<lb/>
lichen Sinn den Grund der H. Lehre legen,<lb/>
ehe man ihre Worte in den Mund nehme.</p><lb/><p>Er machte uͤberhaupt immer gar wenig<lb/>
aus Worten, und ſagte, ſie ſeyen wie der<lb/>
Rauch, Zeichen des Feuers, nicht das<lb/>
Feuer ſelbſt: und je reiner das Feuer, je<lb/>
weniger Rauch, und je reiner die menſch-<lb/>
liche Lehre, je weniger Worte.</p><lb/><p>Er ſagte — Das viele Wortweſen iſt<lb/>
ganz und gar nicht fuͤr den gemeinen Mann.<lb/>
Je mehr Worte, je ſchwaͤcher druͤkt man<lb/>
fuͤr ihn aus, was man fuͤr ihn im Herzen<lb/>
hat. Die vielen Worte bringen ihm alles<lb/><fwplace="bottom"type="catch">durch</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[212/0230]
bey ihm Abſchied, wuͤnſchte ihm Gottes
Segen, und bath ihn noch um Verzeihung.
O Gott! ich muß dich um Verzei-
hung bitten; ich bin an deinem Elend ſchuld,
ſagte der Vogt.
Jch nicht weniger an deinem, erwiederte
die Voͤgtin — und beyde wainten heiße
Thraͤnen.
Nach einer Weile kam auch der Pfar-
rer zu ihnen. Er ſaß neben ſie hin, und
— vergoß Thraͤnen, wenn ſie wainte, red-
te kein Wort, wenn ſie Schmerzen hatte,
und war immer auf das, was ſie jeden
Augenblik noͤthig hatte, aufmerkſam.
So war er bey allen Kranken; denn er
glaubte, man muͤße mit dem reinſten menſch-
lichen Sinn den Grund der H. Lehre legen,
ehe man ihre Worte in den Mund nehme.
Er machte uͤberhaupt immer gar wenig
aus Worten, und ſagte, ſie ſeyen wie der
Rauch, Zeichen des Feuers, nicht das
Feuer ſelbſt: und je reiner das Feuer, je
weniger Rauch, und je reiner die menſch-
liche Lehre, je weniger Worte.
Er ſagte — Das viele Wortweſen iſt
ganz und gar nicht fuͤr den gemeinen Mann.
Je mehr Worte, je ſchwaͤcher druͤkt man
fuͤr ihn aus, was man fuͤr ihn im Herzen
hat. Die vielen Worte bringen ihm alles
durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/230>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.