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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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durch einander, und heben ihm jeden Au-
genblik hundert Nebensachen über die Haupt-
sache empor.

Aber die Menschen unsrer Zeit sind von
früher Jugend an, an das arme Wortwesen
wie verkauft, und haben fast keinen Sinn
mehr für den wortleeren reinen Ausdruk der
innern Güte und Frommkeit der Menschen,
durch welche die außern Zeichen derselben
geheiligt werden.

Mein guter Pfarrer mußte sich Jahre
lang bey seinen Bauren gleichsam entschul-
digen, daß er nicht allemal fast in eben dem
Augenblik, da er in eine Stube hineintrat,
überlaut zu bethen anfieng. Aber nach und
nach gewöhnten sie sich doch an ihn. Sein
wehmuthvolles Schweigen -- sein inniges
Theilnehmen -- sein Antliz voll Liebe und
Glaubens -- drükte am Todtbette der Men-
schen mehr, als keine Worte es konnten,
den Geist seiner Lehre, das Glük und die
Pflichten dieses, und das Glük und die
Hoffnungen jenes Lebens aus.

Es war sein Grundsaz: Nur derjenige,
welcher aufmerksam auf die Umstände und
Bedürfnisse der Menschen in diesem Leben
sey, könne ihnen die Lehre von jenem Le-
ben wohl ins Herz bringen. Deßwegen
suchte er seinen Nebenmenschen, so viel er

konn-
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durch einander, und heben ihm jeden Au-
genblik hundert Nebenſachen uͤber die Haupt-
ſache empor.

Aber die Menſchen unſrer Zeit ſind von
fruͤher Jugend an, an das arme Wortweſen
wie verkauft, und haben faſt keinen Sinn
mehr fuͤr den wortleeren reinen Ausdruk der
innern Guͤte und Frommkeit der Menſchen,
durch welche die außern Zeichen derſelben
geheiligt werden.

Mein guter Pfarrer mußte ſich Jahre
lang bey ſeinen Bauren gleichſam entſchul-
digen, daß er nicht allemal faſt in eben dem
Augenblik, da er in eine Stube hineintrat,
uͤberlaut zu bethen anfieng. Aber nach und
nach gewoͤhnten ſie ſich doch an ihn. Sein
wehmuthvolles Schweigen — ſein inniges
Theilnehmen — ſein Antliz voll Liebe und
Glaubens — druͤkte am Todtbette der Men-
ſchen mehr, als keine Worte es konnten,
den Geiſt ſeiner Lehre, das Gluͤk und die
Pflichten dieſes, und das Gluͤk und die
Hoffnungen jenes Lebens aus.

Es war ſein Grundſaz: Nur derjenige,
welcher aufmerkſam auf die Umſtaͤnde und
Beduͤrfniſſe der Menſchen in dieſem Leben
ſey, koͤnne ihnen die Lehre von jenem Le-
ben wohl ins Herz bringen. Deßwegen
ſuchte er ſeinen Nebenmenſchen, ſo viel er

konn-
O 3
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[213/0231] durch einander, und heben ihm jeden Au- genblik hundert Nebenſachen uͤber die Haupt- ſache empor. Aber die Menſchen unſrer Zeit ſind von fruͤher Jugend an, an das arme Wortweſen wie verkauft, und haben faſt keinen Sinn mehr fuͤr den wortleeren reinen Ausdruk der innern Guͤte und Frommkeit der Menſchen, durch welche die außern Zeichen derſelben geheiligt werden. Mein guter Pfarrer mußte ſich Jahre lang bey ſeinen Bauren gleichſam entſchul- digen, daß er nicht allemal faſt in eben dem Augenblik, da er in eine Stube hineintrat, uͤberlaut zu bethen anfieng. Aber nach und nach gewoͤhnten ſie ſich doch an ihn. Sein wehmuthvolles Schweigen — ſein inniges Theilnehmen — ſein Antliz voll Liebe und Glaubens — druͤkte am Todtbette der Men- ſchen mehr, als keine Worte es konnten, den Geiſt ſeiner Lehre, das Gluͤk und die Pflichten dieſes, und das Gluͤk und die Hoffnungen jenes Lebens aus. Es war ſein Grundſaz: Nur derjenige, welcher aufmerkſam auf die Umſtaͤnde und Beduͤrfniſſe der Menſchen in dieſem Leben ſey, koͤnne ihnen die Lehre von jenem Le- ben wohl ins Herz bringen. Deßwegen ſuchte er ſeinen Nebenmenſchen, ſo viel er konn- O 3

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/231>, abgerufen am 23.11.2024.