Rudi -- da du die Thür aufthatest, meynte ich, deine Mutter komme mit dir, und folge dir auf dem Fuße nach.
Rudi. Du weist doch, daß sie gestorben?
Vogt. Jch weiß es freylich: aber ich konn- te mir es nicht anderst vorstellen, und es ist mir noch izt, sie stehe mir vor den Augen. --
Rudi. Wir wollen sie izt in Gottes Na- men ruhen lassen; es ist ihr, wills Gott, izt wohl.
Vogt. Für sie ist es wohl gut, daß sie gestorben -- Aber mein Gott! für mich ist es anderst -- wenn sie nur auch noch einen Augenblik lebte! Gält Rudi, sie hats bis zu ihrem lezten Athemzug noch Gott geklagt, was ich ihr gethan?
Rudi. Glaub doch das nicht. --
Vogt. Ja -- ja, Glaub doch das nicht: Jch sehe sie vor mir, wie sie auf ihrem Todt- beth es Gott klagt, was ich ihr gethan, und Raache über mich schreyt -- Jch seh sie vor mir, wie sie ihr Wehklagen und Rachschreyen mit sich ins Grab nihmt, und todt -- todt noch -- das Entsezen über mich zeiget, mit dem sie ausgeathmet. --
"Nein, Vogt! Gott sey ewig Lob und Dank, das Todtbett der Cathri war nicht, wie du denkst: Sie hat in ihren lezten Stun- den Gott für dich gebethen, dir verzigen, u.
an
Rudi — da du die Thuͤr aufthateſt, meynte ich, deine Mutter komme mit dir, und folge dir auf dem Fuße nach.
Rudi. Du weiſt doch, daß ſie geſtorben?
Vogt. Jch weiß es freylich: aber ich koñ- te mir es nicht anderſt vorſtellen, und es iſt mir noch izt, ſie ſtehe mir vor den Augen. —
Rudi. Wir wollen ſie izt in Gottes Na- men ruhen laſſen; es iſt ihr, wills Gott, izt wohl.
Vogt. Fuͤr ſie iſt es wohl gut, daß ſie geſtorben — Aber mein Gott! fuͤr mich iſt es anderſt — wenn ſie nur auch noch einen Augenblik lebte! Gaͤlt Rudi, ſie hats bis zu ihrem lezten Athemzug noch Gott geklagt, was ich ihr gethan?
Rudi. Glaub doch das nicht. —
Vogt. Ja — ja, Glaub doch das nicht: Jch ſehe ſie vor mir, wie ſie auf ihrem Todt- beth es Gott klagt, was ich ihr gethan, und Raache uͤber mich ſchreyt — Jch ſeh ſie vor mir, wie ſie ihr Wehklagen und Rachſchreyen mit ſich ins Grab nihmt, und todt — todt noch — das Entſezen uͤber mich zeiget, mit dem ſie ausgeathmet. —
„Nein, Vogt! Gott ſey ewig Lob und Dank, das Todtbett der Cathri war nicht, wie du denkſt: Sie hat in ihren lezten Stun- den Gott fuͤr dich gebethen, dir verzigen, u.
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Rudi — da du die Thuͤr aufthateſt, meynte
ich, deine Mutter komme mit dir, und folge
dir auf dem Fuße nach.
Rudi. Du weiſt doch, daß ſie geſtorben?
Vogt. Jch weiß es freylich: aber ich koñ-
te mir es nicht anderſt vorſtellen, und es iſt
mir noch izt, ſie ſtehe mir vor den Augen. —
Rudi. Wir wollen ſie izt in Gottes Na-
men ruhen laſſen; es iſt ihr, wills Gott,
izt wohl.
Vogt. Fuͤr ſie iſt es wohl gut, daß ſie
geſtorben — Aber mein Gott! fuͤr mich iſt
es anderſt — wenn ſie nur auch noch einen
Augenblik lebte! Gaͤlt Rudi, ſie hats bis
zu ihrem lezten Athemzug noch Gott geklagt,
was ich ihr gethan?
Rudi. Glaub doch das nicht. —
Vogt. Ja — ja, Glaub doch das nicht:
Jch ſehe ſie vor mir, wie ſie auf ihrem Todt-
beth es Gott klagt, was ich ihr gethan, und
Raache uͤber mich ſchreyt — Jch ſeh ſie vor
mir, wie ſie ihr Wehklagen und Rachſchreyen
mit ſich ins Grab nihmt, und todt — todt
noch — das Entſezen uͤber mich zeiget, mit
dem ſie ausgeathmet. —
„Nein, Vogt! Gott ſey ewig Lob und
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wie du denkſt: Sie hat in ihren lezten Stun-
den Gott fuͤr dich gebethen, dir verzigen, u.
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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/114>, abgerufen am 26.06.2024.
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