§. 27. Ein Gespräch voll Güte auf der einen - und voll Angst auf der andern Seite.
Man sah ihm an, daß die ganze Last sei- ner innern Zerrüttung und seines aus- sern Elends schwer auf ihm lag. Er saß da, den Kopf auf seine Linke gestüzt, und bewegte sich nur wenig, zu sehen, wer kam.
Aber es war, wie wenn er am ganzen Leib erstarrte; seine Augen und sein Mund waren eine Weile unbeweglich, da er den Hübel-Rudi erblikte.
Dieser sah das, und sagte zum Pfarrer: "Es übernihmt ihn so, mich zu sehen, daß ich wünschte, ich wäre nicht da, oder ich hätt' es ihm vorher sagen können." --
"Es macht nichts, es macht gar nichts: Jch bin froh, daß du da bist, antwortete der Vogt, zitterte am ganzen Leib, und wollte aufstehen.
"Jch will doch gern izt wieder gehen, und ein ander Mal wieder kommen, sagte der Rudi.
"Nein, nein, erwiederte der Vogt, bleib doch, bleib doch. Jndem ers sagte, stand er zitternd auf, warff sich plözlich dem Rudi
zu
§. 27. Ein Geſpraͤch voll Guͤte auf der einen - und voll Angſt auf der andern Seite.
Man ſah ihm an, daß die ganze Laſt ſei- ner innern Zerruͤttung und ſeines auſ- ſern Elends ſchwer auf ihm lag. Er ſaß da, den Kopf auf ſeine Linke geſtuͤzt, und bewegte ſich nur wenig, zu ſehen, wer kam.
Aber es war, wie wenn er am ganzen Leib erſtarrte; ſeine Augen und ſein Mund waren eine Weile unbeweglich, da er den Huͤbel-Rudi erblikte.
Dieſer ſah das, und ſagte zum Pfarrer: „Es uͤbernihmt ihn ſo, mich zu ſehen, daß ich wuͤnſchte, ich waͤre nicht da, oder ich haͤtt' es ihm vorher ſagen koͤnnen.“ —
„Es macht nichts, es macht gar nichts: Jch bin froh, daß du da biſt, antwortete der Vogt, zitterte am ganzen Leib, und wollte aufſtehen.
„Jch will doch gern izt wieder gehen, und ein ander Mal wieder kommen, ſagte der Rudi.
„Nein, nein, erwiederte der Vogt, bleib doch, bleib doch. Jndem ers ſagte, ſtand er zitternd auf, warff ſich ploͤzlich dem Rudi
zu
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§. 27.
Ein Geſpraͤch voll Guͤte auf der
einen - und voll Angſt auf
der andern Seite.
Man ſah ihm an, daß die ganze Laſt ſei-
ner innern Zerruͤttung und ſeines auſ-
ſern Elends ſchwer auf ihm lag. Er ſaß
da, den Kopf auf ſeine Linke geſtuͤzt, und
bewegte ſich nur wenig, zu ſehen, wer kam.
Aber es war, wie wenn er am ganzen
Leib erſtarrte; ſeine Augen und ſein Mund
waren eine Weile unbeweglich, da er den
Huͤbel-Rudi erblikte.
Dieſer ſah das, und ſagte zum Pfarrer:
„Es uͤbernihmt ihn ſo, mich zu ſehen, daß
ich wuͤnſchte, ich waͤre nicht da, oder ich
haͤtt' es ihm vorher ſagen koͤnnen.“ —
„Es macht nichts, es macht gar nichts:
Jch bin froh, daß du da biſt, antwortete
der Vogt, zitterte am ganzen Leib, und
wollte aufſtehen.
„Jch will doch gern izt wieder gehen,
und ein ander Mal wieder kommen, ſagte
der Rudi.
„Nein, nein, erwiederte der Vogt, bleib
doch, bleib doch. Jndem ers ſagte, ſtand
er zitternd auf, warff ſich ploͤzlich dem Rudi
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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/112>, abgerufen am 16.02.2025.
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