Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

das mangelt, so ists gleich viel, der Mensch mag
Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben
oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er
will, und steckt alle Tage im Wirthshause. Da-
bey aber ist er nicht glücklicher als der arme Wäch-
ter, der's nicht hat; und ob er gleich auch alle
Tage dürstet, dennoch nur dann und wann ein
Glas Wein in seinem Winkel findet. Lienhard
seufzte, und Gertrud schwieg auch eine Weile, dann
sagte sie: Hast du auch nachgesehen, ob die Gesellen
arbeiten? Ich muß dir sagen, der Joseph ist heute
wieder ins Wirthshaus geschlichen.

Lienhard. Das ist verdrießlich! Gewiß hat
ihn der Vogt kommen lassen. Er hat sich eben gar
sonderbarlich aufgeführt. Ich bin, ehe ich heim
kam, bey ihnen auf der Arbeit gewesen, und wenn
er eben aus dem Wirthshaus gekommen ist: so
macht mir das, was er gesagt hat, Unruhe; es
ist denn nicht aus seinem Hafen.

Gertrud. Was ist's denn?

Lienhard. Er sagte: der Stein aus dem
Schwendibruch wäre so vortrefflich zur Kirch-
mauer, und da ich ihm antwortete, die grossen
Feldkiesel, die in Menge nahe da herum lägen,
wären viel besser, sagte er; ich woll immer ein
Narr bleiben und meine Sachen nie recht anstellen.
Die Mauer werde von den Schwendisteinen viel
schöner und ansehnlicher werden. Ich dachte eben,

er
F

das mangelt, ſo iſts gleich viel, der Menſch mag
Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben
oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er
will, und ſteckt alle Tage im Wirthshauſe. Da-
bey aber iſt er nicht gluͤcklicher als der arme Waͤch-
ter, der’s nicht hat; und ob er gleich auch alle
Tage duͤrſtet, dennoch nur dann und wann ein
Glas Wein in ſeinem Winkel findet. Lienhard
ſeufzte, und Gertrud ſchwieg auch eine Weile, dann
ſagte ſie: Haſt du auch nachgeſehen, ob die Geſellen
arbeiten? Ich muß dir ſagen, der Joſeph iſt heute
wieder ins Wirthshaus geſchlichen.

Lienhard. Das iſt verdrießlich! Gewiß hat
ihn der Vogt kommen laſſen. Er hat ſich eben gar
ſonderbarlich aufgefuͤhrt. Ich bin, ehe ich heim
kam, bey ihnen auf der Arbeit geweſen, und wenn
er eben aus dem Wirthshaus gekommen iſt: ſo
macht mir das, was er geſagt hat, Unruhe; es
iſt denn nicht aus ſeinem Hafen.

Gertrud. Was iſt’s denn?

Lienhard. Er ſagte: der Stein aus dem
Schwendibruch waͤre ſo vortrefflich zur Kirch-
mauer, und da ich ihm antwortete, die groſſen
Feldkieſel, die in Menge nahe da herum laͤgen,
waͤren viel beſſer, ſagte er; ich woll immer ein
Narr bleiben und meine Sachen nie recht anſtellen.
Die Mauer werde von den Schwendiſteinen viel
ſchoͤner und anſehnlicher werden. Ich dachte eben,

er
F
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0106" n="81"/>
das mangelt, &#x017F;o i&#x017F;ts gleich viel, der Men&#x017F;ch mag<lb/>
Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben<lb/>
oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er<lb/>
will, und &#x017F;teckt alle Tage im Wirthshau&#x017F;e. Da-<lb/>
bey aber i&#x017F;t er nicht glu&#x0364;cklicher als der arme Wa&#x0364;ch-<lb/>
ter, der&#x2019;s nicht hat; und ob er gleich auch alle<lb/>
Tage du&#x0364;r&#x017F;tet, dennoch nur dann und wann ein<lb/>
Glas Wein in &#x017F;einem Winkel findet. Lienhard<lb/>
&#x017F;eufzte, und Gertrud &#x017F;chwieg auch eine Weile, dann<lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie: Ha&#x017F;t du auch nachge&#x017F;ehen, ob die Ge&#x017F;ellen<lb/>
arbeiten? Ich muß dir &#x017F;agen, der Jo&#x017F;eph i&#x017F;t heute<lb/>
wieder ins Wirthshaus ge&#x017F;chlichen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Lienhard.</hi> Das i&#x017F;t verdrießlich! Gewiß hat<lb/>
ihn der Vogt kommen la&#x017F;&#x017F;en. Er hat &#x017F;ich eben gar<lb/>
&#x017F;onderbarlich aufgefu&#x0364;hrt. Ich bin, ehe ich heim<lb/>
kam, bey ihnen auf der Arbeit gewe&#x017F;en, und wenn<lb/>
er eben aus dem Wirthshaus gekommen i&#x017F;t: &#x017F;o<lb/>
macht mir das, was er ge&#x017F;agt hat, Unruhe; es<lb/>
i&#x017F;t denn nicht aus &#x017F;einem Hafen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Gertrud.</hi> Was i&#x017F;t&#x2019;s denn?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Lienhard.</hi> Er &#x017F;agte: der Stein aus dem<lb/>
Schwendibruch wa&#x0364;re &#x017F;o vortrefflich zur Kirch-<lb/>
mauer, und da ich ihm antwortete, die gro&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Feldkie&#x017F;el, die in Menge nahe da herum la&#x0364;gen,<lb/>
wa&#x0364;ren viel be&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;agte er; ich woll immer ein<lb/>
Narr bleiben und meine Sachen nie recht an&#x017F;tellen.<lb/>
Die Mauer werde von den Schwendi&#x017F;teinen viel<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;ner und an&#x017F;ehnlicher werden. Ich dachte eben,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F</fw><fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0106] das mangelt, ſo iſts gleich viel, der Menſch mag Arbeit haben oder nicht; er mag Ueberfluß haben oder nicht. Der reiche alte Meyer hat, was er will, und ſteckt alle Tage im Wirthshauſe. Da- bey aber iſt er nicht gluͤcklicher als der arme Waͤch- ter, der’s nicht hat; und ob er gleich auch alle Tage duͤrſtet, dennoch nur dann und wann ein Glas Wein in ſeinem Winkel findet. Lienhard ſeufzte, und Gertrud ſchwieg auch eine Weile, dann ſagte ſie: Haſt du auch nachgeſehen, ob die Geſellen arbeiten? Ich muß dir ſagen, der Joſeph iſt heute wieder ins Wirthshaus geſchlichen. Lienhard. Das iſt verdrießlich! Gewiß hat ihn der Vogt kommen laſſen. Er hat ſich eben gar ſonderbarlich aufgefuͤhrt. Ich bin, ehe ich heim kam, bey ihnen auf der Arbeit geweſen, und wenn er eben aus dem Wirthshaus gekommen iſt: ſo macht mir das, was er geſagt hat, Unruhe; es iſt denn nicht aus ſeinem Hafen. Gertrud. Was iſt’s denn? Lienhard. Er ſagte: der Stein aus dem Schwendibruch waͤre ſo vortrefflich zur Kirch- mauer, und da ich ihm antwortete, die groſſen Feldkieſel, die in Menge nahe da herum laͤgen, waͤren viel beſſer, ſagte er; ich woll immer ein Narr bleiben und meine Sachen nie recht anſtellen. Die Mauer werde von den Schwendiſteinen viel ſchoͤner und anſehnlicher werden. Ich dachte eben, er F

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/106
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/106>, abgerufen am 21.11.2024.