ebenen gestaltet, immerhin aber sollten wir erwarten, dass sie nur von denjenigen Völkern erstiegen worden seien, die von stärkeren aus den bequemeren Niederungen verjagt wurden. Man könnte sich nun wohl dabei beruhigen, dass auch ein schwacher Stamm in den höheren Luftschichten und in der strengen Natur wieder erstarkt sei, allein nirgends in der Geschichte der alten Welt lässt sich nachweisen, dass die Cultur von den Höhen herab- gestiegen sei auf die Ebenen. Es müssen also in Südamerika absonderliche Verhältnisse die Cultur nach den Hochebenen ge- zogen haben.
Drei Naturproducten der peruanischen Hochlande verdanken wir die Erziehung der südamerikanischen Culturvölker, nämlich dem Vorkommen der Llama-Arten, der Kartoffel und der Kinoa- hirse (Chenopodium Quinoa). Der Inca Garcilasso 1), der uns die Gesittungsstufe im alten Peru so ausführlich beschrieben hat, be- merkt wiederholt, dass ein ausserordentlicher Mangel an Fleisch- nahrung dort herrschte. Nur bei den grossen Treibjagden, welche die Inca veranstalten liessen, erhielt das unterworfene Volk Llama- fleisch, wahrscheinlich weil es ausserdem verdorben wäre; an sonstigen Festtagen wurde als Leckerbissen von ihnen ein kleines Säugethier, nach Garcilasso's Angabe ein Kaninchen, verzehrt, welches sie sorgsam hegten, das auch nach Spanien frühzeitig ausgeführt, dort aber wegen seiner Unschmackhaftigkeit der Auf- züchtung nicht werth gehalten wurde. Auf dem regenlosen Küstensaume vollends bestand die Fleischkost nur in dem, was der Fischfang gewährte. Dadurch gewinnen wir die Beruhigung, dass es nicht nothwendig schwächliche Bewohner gewesen sein müssen, die, von stärkeren Stämmen verdrängt, auf die Punos von Peru oder Quito flüchteten, sondern dass vielmehr kühne und beherzte Männer zuerst die Cordillerenkette erstiegen haben mögen, um auf den Hochebenen die flüchtigen Llama-Arten zu jagen und zu zähmen. Doch hätten sie niemals auf jenen luf- tigen Ebenen Wohnsitze zu gründen und auf den Inseln des Titicaca-Sees der Sonne ehrwürdige Tempel zu erbauen vermocht, da der Mais dort nur an wenigen geschützten Stellen reift, wenn nicht die Kartoffel und die Kinoahirse selbst auf Höhen gediehen, wie unsere höchsten Berggipfel. Dass übrigens nicht von der
1) Commentarios Reales, libro VI. cap. 6. Lisboa 1609. tom. I. p. 134.
Die amerikanische Urbevölkerung.
ebenen gestaltet, immerhin aber sollten wir erwarten, dass sie nur von denjenigen Völkern erstiegen worden seien, die von stärkeren aus den bequemeren Niederungen verjagt wurden. Man könnte sich nun wohl dabei beruhigen, dass auch ein schwacher Stamm in den höheren Luftschichten und in der strengen Natur wieder erstarkt sei, allein nirgends in der Geschichte der alten Welt lässt sich nachweisen, dass die Cultur von den Höhen herab- gestiegen sei auf die Ebenen. Es müssen also in Südamerika absonderliche Verhältnisse die Cultur nach den Hochebenen ge- zogen haben.
Drei Naturproducten der peruanischen Hochlande verdanken wir die Erziehung der südamerikanischen Culturvölker, nämlich dem Vorkommen der Llama-Arten, der Kartoffel und der Kinoa- hirse (Chenopodium Quinoa). Der Inca Garcilasso 1), der uns die Gesittungsstufe im alten Peru so ausführlich beschrieben hat, be- merkt wiederholt, dass ein ausserordentlicher Mangel an Fleisch- nahrung dort herrschte. Nur bei den grossen Treibjagden, welche die Inca veranstalten liessen, erhielt das unterworfene Volk Llama- fleisch, wahrscheinlich weil es ausserdem verdorben wäre; an sonstigen Festtagen wurde als Leckerbissen von ihnen ein kleines Säugethier, nach Garcilasso’s Angabe ein Kaninchen, verzehrt, welches sie sorgsam hegten, das auch nach Spanien frühzeitig ausgeführt, dort aber wegen seiner Unschmackhaftigkeit der Auf- züchtung nicht werth gehalten wurde. Auf dem regenlosen Küstensaume vollends bestand die Fleischkost nur in dem, was der Fischfang gewährte. Dadurch gewinnen wir die Beruhigung, dass es nicht nothwendig schwächliche Bewohner gewesen sein müssen, die, von stärkeren Stämmen verdrängt, auf die Punos von Peru oder Quito flüchteten, sondern dass vielmehr kühne und beherzte Männer zuerst die Cordillerenkette erstiegen haben mögen, um auf den Hochebenen die flüchtigen Llama-Arten zu jagen und zu zähmen. Doch hätten sie niemals auf jenen luf- tigen Ebenen Wohnsitze zu gründen und auf den Inseln des Titicaca-Sees der Sonne ehrwürdige Tempel zu erbauen vermocht, da der Mais dort nur an wenigen geschützten Stellen reift, wenn nicht die Kartoffel und die Kinoahirse selbst auf Höhen gediehen, wie unsere höchsten Berggipfel. Dass übrigens nicht von der
1) Commentarios Reales, libro VI. cap. 6. Lisboa 1609. tom. I. p. 134.
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Die amerikanische Urbevölkerung.
ebenen gestaltet, immerhin aber sollten wir erwarten, dass sie nur
von denjenigen Völkern erstiegen worden seien, die von stärkeren
aus den bequemeren Niederungen verjagt wurden. Man könnte
sich nun wohl dabei beruhigen, dass auch ein schwacher Stamm
in den höheren Luftschichten und in der strengen Natur wieder
erstarkt sei, allein nirgends in der Geschichte der alten Welt
lässt sich nachweisen, dass die Cultur von den Höhen herab-
gestiegen sei auf die Ebenen. Es müssen also in Südamerika
absonderliche Verhältnisse die Cultur nach den Hochebenen ge-
zogen haben.
Drei Naturproducten der peruanischen Hochlande verdanken
wir die Erziehung der südamerikanischen Culturvölker, nämlich
dem Vorkommen der Llama-Arten, der Kartoffel und der Kinoa-
hirse (Chenopodium Quinoa). Der Inca Garcilasso 1), der uns die
Gesittungsstufe im alten Peru so ausführlich beschrieben hat, be-
merkt wiederholt, dass ein ausserordentlicher Mangel an Fleisch-
nahrung dort herrschte. Nur bei den grossen Treibjagden, welche
die Inca veranstalten liessen, erhielt das unterworfene Volk Llama-
fleisch, wahrscheinlich weil es ausserdem verdorben wäre; an
sonstigen Festtagen wurde als Leckerbissen von ihnen ein kleines
Säugethier, nach Garcilasso’s Angabe ein Kaninchen, verzehrt,
welches sie sorgsam hegten, das auch nach Spanien frühzeitig
ausgeführt, dort aber wegen seiner Unschmackhaftigkeit der Auf-
züchtung nicht werth gehalten wurde. Auf dem regenlosen
Küstensaume vollends bestand die Fleischkost nur in dem, was
der Fischfang gewährte. Dadurch gewinnen wir die Beruhigung,
dass es nicht nothwendig schwächliche Bewohner gewesen sein
müssen, die, von stärkeren Stämmen verdrängt, auf die Punos
von Peru oder Quito flüchteten, sondern dass vielmehr kühne und
beherzte Männer zuerst die Cordillerenkette erstiegen haben
mögen, um auf den Hochebenen die flüchtigen Llama-Arten zu
jagen und zu zähmen. Doch hätten sie niemals auf jenen luf-
tigen Ebenen Wohnsitze zu gründen und auf den Inseln des
Titicaca-Sees der Sonne ehrwürdige Tempel zu erbauen vermocht,
da der Mais dort nur an wenigen geschützten Stellen reift, wenn
nicht die Kartoffel und die Kinoahirse selbst auf Höhen gediehen,
wie unsere höchsten Berggipfel. Dass übrigens nicht von der
1) Commentarios Reales, libro VI. cap. 6. Lisboa 1609. tom. I. p. 134.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/494>, abgerufen am 23.12.2024.
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