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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
Amerika. Nun ist es leicht verständlich, namentlich für uns, die
wir in der gemässigten Zone leben und die heissen Erdstriche
fliehen, den Hochlanden unter den Tropen einen günstigen Ein-
fluss auf den Gang der Gesittung zuzuschreiben. Ihre Bewohner,
sagen wir uns, waren der erschlaffenden Luftwärme in den heissen
Niederungen entzogen, sie mussten sich zugleich gegen rauhe
Witterung durch Kleidung und Obdach schützen, sie waren, um
nicht zu verhungern, frühzeitig genöthigt, das Feld zu bestellen
und Vorräthe anzuhäufen, ja sie mussten sich auch bald zu-
sammenschaaren und bürgerliche Gliederungen begründen, um
leichter den höheren Anforderungen ihres Wohnortes genügen zu
können. So wahr dies alles klingt, löst es doch nicht das grössere
Räthsel, warum Völker freiwillig Erdräume aufgesucht haben, wo
sie auf erhöhte Schwierigkeiten der Ernährung stiessen? Auch
folgte in der alten Welt die Cultur stets den Niederungen. Wir
treffen sie bei äusserst geringen Meereshöhen an grossen Strömen,
wie der Nil, der Tigris, der Euphrat. Auch die Chinesen be-
haupten, dass ihre Gesittung sich erst entfaltet habe, als sie zu
dem Jangtse und dem Hoangho herabgestiegen waren. Die brah-
manischen Arier haben sich, als sie Indien betraten, zunächst in
den Gangesebenen ausgebreitet, sie erhoben sich nicht an den
Abhängen des Himalaya, wohl aber verdrängten sie die älteren
Ureinwohner in die Vindhyagebirge, sowie in die Dschengel der
Hochebene des Dekhan, wo sie noch jetzt in unzugänglichen Ein-
öden unverändert in ihrer Lebensweise seit vielleicht drei Jahr-
tausenden sich forterzeugen. Ueberall bewährt sich in der alten
Welt demnach die Regel, dass die Culturvölker, als die stärkeren
die bequemeren Niederungen aufsuchen und die schwächeren Ur-
sassen in die Gebirge vertreiben. Diess gilt selbst noch für alle
Inseln und Halbinseln Südostasiens, wo die Malayen stets die
Küsten in Besitz genommen haben, während in das innere Ge-
birgsland die rohen Papuanen sich flüchten mussten. Gebirge treten
auch sonst immer als Hindernisse der Civilisation entgegen. Sie
verstatten nicht wie die Ebenen ein engeres Zusammenrücken der
Bewohner, sie verbieten oder erschweren einen regen Verkehr der
versprengten Gemeinden, und steigt man in ihren engen Thälern
hinauf bis zum Centralkamm, so ist es, als näherte man sich
zwar nicht dem Ende der Welt, doch dem Saalbande der höheren
Gesittung. Günstiger wie Kettengebirge sind zwar die Hoch-

Die amerikanische Urbevölkerung.
Amerika. Nun ist es leicht verständlich, namentlich für uns, die
wir in der gemässigten Zone leben und die heissen Erdstriche
fliehen, den Hochlanden unter den Tropen einen günstigen Ein-
fluss auf den Gang der Gesittung zuzuschreiben. Ihre Bewohner,
sagen wir uns, waren der erschlaffenden Luftwärme in den heissen
Niederungen entzogen, sie mussten sich zugleich gegen rauhe
Witterung durch Kleidung und Obdach schützen, sie waren, um
nicht zu verhungern, frühzeitig genöthigt, das Feld zu bestellen
und Vorräthe anzuhäufen, ja sie mussten sich auch bald zu-
sammenschaaren und bürgerliche Gliederungen begründen, um
leichter den höheren Anforderungen ihres Wohnortes genügen zu
können. So wahr dies alles klingt, löst es doch nicht das grössere
Räthsel, warum Völker freiwillig Erdräume aufgesucht haben, wo
sie auf erhöhte Schwierigkeiten der Ernährung stiessen? Auch
folgte in der alten Welt die Cultur stets den Niederungen. Wir
treffen sie bei äusserst geringen Meereshöhen an grossen Strömen,
wie der Nil, der Tigris, der Euphrat. Auch die Chinesen be-
haupten, dass ihre Gesittung sich erst entfaltet habe, als sie zu
dem Jangtse und dem Hoangho herabgestiegen waren. Die brah-
manischen Arier haben sich, als sie Indien betraten, zunächst in
den Gangesebenen ausgebreitet, sie erhoben sich nicht an den
Abhängen des Himalaya, wohl aber verdrängten sie die älteren
Ureinwohner in die Vindhyagebirge, sowie in die Dschengel der
Hochebene des Dekhan, wo sie noch jetzt in unzugänglichen Ein-
öden unverändert in ihrer Lebensweise seit vielleicht drei Jahr-
tausenden sich forterzeugen. Ueberall bewährt sich in der alten
Welt demnach die Regel, dass die Culturvölker, als die stärkeren
die bequemeren Niederungen aufsuchen und die schwächeren Ur-
sassen in die Gebirge vertreiben. Diess gilt selbst noch für alle
Inseln und Halbinseln Südostasiens, wo die Malayen stets die
Küsten in Besitz genommen haben, während in das innere Ge-
birgsland die rohen Papuanen sich flüchten mussten. Gebirge treten
auch sonst immer als Hindernisse der Civilisation entgegen. Sie
verstatten nicht wie die Ebenen ein engeres Zusammenrücken der
Bewohner, sie verbieten oder erschweren einen regen Verkehr der
versprengten Gemeinden, und steigt man in ihren engen Thälern
hinauf bis zum Centralkamm, so ist es, als näherte man sich
zwar nicht dem Ende der Welt, doch dem Saalbande der höheren
Gesittung. Günstiger wie Kettengebirge sind zwar die Hoch-

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[475/0493] Die amerikanische Urbevölkerung. Amerika. Nun ist es leicht verständlich, namentlich für uns, die wir in der gemässigten Zone leben und die heissen Erdstriche fliehen, den Hochlanden unter den Tropen einen günstigen Ein- fluss auf den Gang der Gesittung zuzuschreiben. Ihre Bewohner, sagen wir uns, waren der erschlaffenden Luftwärme in den heissen Niederungen entzogen, sie mussten sich zugleich gegen rauhe Witterung durch Kleidung und Obdach schützen, sie waren, um nicht zu verhungern, frühzeitig genöthigt, das Feld zu bestellen und Vorräthe anzuhäufen, ja sie mussten sich auch bald zu- sammenschaaren und bürgerliche Gliederungen begründen, um leichter den höheren Anforderungen ihres Wohnortes genügen zu können. So wahr dies alles klingt, löst es doch nicht das grössere Räthsel, warum Völker freiwillig Erdräume aufgesucht haben, wo sie auf erhöhte Schwierigkeiten der Ernährung stiessen? Auch folgte in der alten Welt die Cultur stets den Niederungen. Wir treffen sie bei äusserst geringen Meereshöhen an grossen Strömen, wie der Nil, der Tigris, der Euphrat. Auch die Chinesen be- haupten, dass ihre Gesittung sich erst entfaltet habe, als sie zu dem Jangtse und dem Hoangho herabgestiegen waren. Die brah- manischen Arier haben sich, als sie Indien betraten, zunächst in den Gangesebenen ausgebreitet, sie erhoben sich nicht an den Abhängen des Himalaya, wohl aber verdrängten sie die älteren Ureinwohner in die Vindhyagebirge, sowie in die Dschengel der Hochebene des Dekhan, wo sie noch jetzt in unzugänglichen Ein- öden unverändert in ihrer Lebensweise seit vielleicht drei Jahr- tausenden sich forterzeugen. Ueberall bewährt sich in der alten Welt demnach die Regel, dass die Culturvölker, als die stärkeren die bequemeren Niederungen aufsuchen und die schwächeren Ur- sassen in die Gebirge vertreiben. Diess gilt selbst noch für alle Inseln und Halbinseln Südostasiens, wo die Malayen stets die Küsten in Besitz genommen haben, während in das innere Ge- birgsland die rohen Papuanen sich flüchten mussten. Gebirge treten auch sonst immer als Hindernisse der Civilisation entgegen. Sie verstatten nicht wie die Ebenen ein engeres Zusammenrücken der Bewohner, sie verbieten oder erschweren einen regen Verkehr der versprengten Gemeinden, und steigt man in ihren engen Thälern hinauf bis zum Centralkamm, so ist es, als näherte man sich zwar nicht dem Ende der Welt, doch dem Saalbande der höheren Gesittung. Günstiger wie Kettengebirge sind zwar die Hoch-

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/493>, abgerufen am 04.05.2024.