Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die amerikanische Urbevölkerung.
schliesslich der sichtbar reicheren Gliederung und der mannigfal-
tigen Individualisirung des Abendlandes zu. Diese Begünstigung
war jedoch nur auf zwei Räume der alten Welt beschränkt, näm-
lich auf Europa sammt den asiatischen und afrikanischen Mittel-
meergestaden und auf den Südosten, da wo sich Asien und Australien
durch Halbinseln und Inselketten zu nähern suchen, ohne dass
diese letzteren Räume jemals eine besonders hervorleuchtende Ge-
sittung beglückt hätte. Man darf sich sogar bedenken ob nicht,
als Ganze verglichen, die neue Welt günstiger gegliedert erscheine
als die alte. An Zierlichkeit der Umrisse und an anmuthiger
Schlankheit erweckt der Anblick des Landes auf der sogenannten
westlichen Halbkugel eine viel grössere ästhetische Befriedigung
als die etwas unbehilflichen Ländermassen der alten Welt. Wenn
wir aber auch in dem senkrechten Bau und der wagerechten
Gliederung Europa's einen genügenden Aufschluss finden wesshalb
die abendländische Gesittung so beträchtlich alles überragte was
sich in Amerika an Cultur im Jahre 1492 vorfand, so passt diese
Erklärung gar nicht zu der Thatsache dass auch eine fast ebenso
beträchtliche Ueberlegenheit in China sich entwickeln konnte, wo
die Vortheile einer glücklichen Gliederung nicht vorhanden waren
oder erst zur Geltung kamen als die dortige Cultur längst schon
höher stand als etwa die Gesittung im mexicanischen Anahuac oder
im Reiche der peruanischen Inca.

Es müssen daher den verschiedenen Gebieten der alten Welt
andere Vorzüge gemeinsam sein, welche die Erziehung der Menschen
weit mächtiger förderten als diess in den beiden Amerika der Fall
gewesen ist. Befremden muss es aber wohl jeden dass noch nie-
mand die Ursache der Ueberlegenheit darin gesucht und gefunden
hat worin sie doch am sichtbarsten vor uns liegt, nämlich in der
grösseren Geräumigkeit. Asien allein ist ein wenig grösser als die
neue Welt, und da Europa und Afrika zusammen fast so gross
sind als Asien, so folgt daraus, dass die neue halb so geräumig
ist als die alte Welt. Um die Werthe genauer übersehen zu lassen,
benützen wir die Ziffern in E. Behms geographischem Jahrbuche 1).
Dort finden wir für die:

1) Gotha 1866. Bd. 1. S. 128.

Die amerikanische Urbevölkerung.
schliesslich der sichtbar reicheren Gliederung und der mannigfal-
tigen Individualisirung des Abendlandes zu. Diese Begünstigung
war jedoch nur auf zwei Räume der alten Welt beschränkt, näm-
lich auf Europa sammt den asiatischen und afrikanischen Mittel-
meergestaden und auf den Südosten, da wo sich Asien und Australien
durch Halbinseln und Inselketten zu nähern suchen, ohne dass
diese letzteren Räume jemals eine besonders hervorleuchtende Ge-
sittung beglückt hätte. Man darf sich sogar bedenken ob nicht,
als Ganze verglichen, die neue Welt günstiger gegliedert erscheine
als die alte. An Zierlichkeit der Umrisse und an anmuthiger
Schlankheit erweckt der Anblick des Landes auf der sogenannten
westlichen Halbkugel eine viel grössere ästhetische Befriedigung
als die etwas unbehilflichen Ländermassen der alten Welt. Wenn
wir aber auch in dem senkrechten Bau und der wagerechten
Gliederung Europa’s einen genügenden Aufschluss finden wesshalb
die abendländische Gesittung so beträchtlich alles überragte was
sich in Amerika an Cultur im Jahre 1492 vorfand, so passt diese
Erklärung gar nicht zu der Thatsache dass auch eine fast ebenso
beträchtliche Ueberlegenheit in China sich entwickeln konnte, wo
die Vortheile einer glücklichen Gliederung nicht vorhanden waren
oder erst zur Geltung kamen als die dortige Cultur längst schon
höher stand als etwa die Gesittung im mexicanischen Anáhuac oder
im Reiche der peruanischen Inca.

Es müssen daher den verschiedenen Gebieten der alten Welt
andere Vorzüge gemeinsam sein, welche die Erziehung der Menschen
weit mächtiger förderten als diess in den beiden Amerika der Fall
gewesen ist. Befremden muss es aber wohl jeden dass noch nie-
mand die Ursache der Ueberlegenheit darin gesucht und gefunden
hat worin sie doch am sichtbarsten vor uns liegt, nämlich in der
grösseren Geräumigkeit. Asien allein ist ein wenig grösser als die
neue Welt, und da Europa und Afrika zusammen fast so gross
sind als Asien, so folgt daraus, dass die neue halb so geräumig
ist als die alte Welt. Um die Werthe genauer übersehen zu lassen,
benützen wir die Ziffern in E. Behms geographischem Jahrbuche 1).
Dort finden wir für die:

1) Gotha 1866. Bd. 1. S. 128.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0456" n="438"/><fw place="top" type="header">Die amerikanische Urbevölkerung.</fw><lb/>
schliesslich der sichtbar reicheren Gliederung und der mannigfal-<lb/>
tigen Individualisirung des Abendlandes zu. Diese Begünstigung<lb/>
war jedoch nur auf zwei Räume der alten Welt beschränkt, näm-<lb/>
lich auf Europa sammt den asiatischen und afrikanischen Mittel-<lb/>
meergestaden und auf den Südosten, da wo sich Asien und Australien<lb/>
durch Halbinseln und Inselketten zu nähern suchen, ohne dass<lb/>
diese letzteren Räume jemals eine besonders hervorleuchtende Ge-<lb/>
sittung beglückt hätte. Man darf sich sogar bedenken ob nicht,<lb/>
als Ganze verglichen, die neue Welt günstiger gegliedert erscheine<lb/>
als die alte. An Zierlichkeit der Umrisse und an anmuthiger<lb/>
Schlankheit erweckt der Anblick des Landes auf der sogenannten<lb/>
westlichen Halbkugel eine viel grössere ästhetische Befriedigung<lb/>
als die etwas unbehilflichen Ländermassen der alten Welt. Wenn<lb/>
wir aber auch in dem senkrechten Bau und der wagerechten<lb/>
Gliederung Europa&#x2019;s einen genügenden Aufschluss finden wesshalb<lb/>
die abendländische Gesittung so beträchtlich alles überragte was<lb/>
sich in Amerika an Cultur im Jahre 1492 vorfand, so passt diese<lb/>
Erklärung gar nicht zu der Thatsache dass auch eine fast ebenso<lb/>
beträchtliche Ueberlegenheit in China sich entwickeln konnte, wo<lb/>
die Vortheile einer glücklichen Gliederung nicht vorhanden waren<lb/>
oder erst zur Geltung kamen als die dortige Cultur längst schon<lb/>
höher stand als etwa die Gesittung im mexicanischen Anáhuac oder<lb/>
im Reiche der peruanischen Inca.</p><lb/>
            <p>Es müssen daher den verschiedenen Gebieten der alten Welt<lb/>
andere Vorzüge gemeinsam sein, welche die Erziehung der Menschen<lb/>
weit mächtiger förderten als diess in den beiden Amerika der Fall<lb/>
gewesen ist. Befremden muss es aber wohl jeden dass noch nie-<lb/>
mand die Ursache der Ueberlegenheit darin gesucht und gefunden<lb/>
hat worin sie doch am sichtbarsten vor uns liegt, nämlich in der<lb/>
grösseren Geräumigkeit. Asien allein ist ein wenig grösser als die<lb/>
neue Welt, und da Europa und Afrika zusammen fast so gross<lb/>
sind als Asien, so folgt daraus, dass die neue halb so geräumig<lb/>
ist als die alte Welt. Um die Werthe genauer übersehen zu lassen,<lb/>
benützen wir die Ziffern in E. Behms geographischem Jahrbuche <note place="foot" n="1)">Gotha 1866. Bd. 1. S. 128.</note>.<lb/>
Dort finden wir für die:</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[438/0456] Die amerikanische Urbevölkerung. schliesslich der sichtbar reicheren Gliederung und der mannigfal- tigen Individualisirung des Abendlandes zu. Diese Begünstigung war jedoch nur auf zwei Räume der alten Welt beschränkt, näm- lich auf Europa sammt den asiatischen und afrikanischen Mittel- meergestaden und auf den Südosten, da wo sich Asien und Australien durch Halbinseln und Inselketten zu nähern suchen, ohne dass diese letzteren Räume jemals eine besonders hervorleuchtende Ge- sittung beglückt hätte. Man darf sich sogar bedenken ob nicht, als Ganze verglichen, die neue Welt günstiger gegliedert erscheine als die alte. An Zierlichkeit der Umrisse und an anmuthiger Schlankheit erweckt der Anblick des Landes auf der sogenannten westlichen Halbkugel eine viel grössere ästhetische Befriedigung als die etwas unbehilflichen Ländermassen der alten Welt. Wenn wir aber auch in dem senkrechten Bau und der wagerechten Gliederung Europa’s einen genügenden Aufschluss finden wesshalb die abendländische Gesittung so beträchtlich alles überragte was sich in Amerika an Cultur im Jahre 1492 vorfand, so passt diese Erklärung gar nicht zu der Thatsache dass auch eine fast ebenso beträchtliche Ueberlegenheit in China sich entwickeln konnte, wo die Vortheile einer glücklichen Gliederung nicht vorhanden waren oder erst zur Geltung kamen als die dortige Cultur längst schon höher stand als etwa die Gesittung im mexicanischen Anáhuac oder im Reiche der peruanischen Inca. Es müssen daher den verschiedenen Gebieten der alten Welt andere Vorzüge gemeinsam sein, welche die Erziehung der Menschen weit mächtiger förderten als diess in den beiden Amerika der Fall gewesen ist. Befremden muss es aber wohl jeden dass noch nie- mand die Ursache der Ueberlegenheit darin gesucht und gefunden hat worin sie doch am sichtbarsten vor uns liegt, nämlich in der grösseren Geräumigkeit. Asien allein ist ein wenig grösser als die neue Welt, und da Europa und Afrika zusammen fast so gross sind als Asien, so folgt daraus, dass die neue halb so geräumig ist als die alte Welt. Um die Werthe genauer übersehen zu lassen, benützen wir die Ziffern in E. Behms geographischem Jahrbuche 1). Dort finden wir für die: 1) Gotha 1866. Bd. 1. S. 128.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/456
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/456>, abgerufen am 23.12.2024.