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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
auf der Landenge von Darien 1) und Cabeza de Vaca2) bei den
Stämmen in Louisiana und Texas, wobei übrigens wieder zu er-
innern ist, dass wir auf diese Laster bei allen Beringsvölkern,
selbst bei den Tschuktschen an dem sibirischen Eismeere, genau
in der nämlichen Art gestossen sind3). Auch unter den Jäger-
stämmen der Vereinigten Staaten kommen Beispiele von Männern
in Frauenkleidung vor und zwar sehr merkwürdiger Weise bei den
alten Illinois, die nach ihren Ueberlieferungen von Westen her
in ihre späteren Sitze eingewandert sein wollen4). Zu den Eigen-
thümlichkeiten der Indianer gehören die vorschriftlichen Anreden
der Völker untereinander, wie sich die Delawaren von ihren Nach-
barn durch Verträge den Titel Grossväter hatten zusichern lassen
und die Irokesen den besiegten Huronen die Bedingung auferlegten,
künftig als jüngere Brüder angesprochen zu werden 5). In Brasilien
begegnen wir den nämlichen Bräuchen, denn auch dort reden sich
die Horden als Grossväter oder als Oheime an. Bei den
Mexicanern und den Bewohnern der Antillen kommen Sagen vor,
dass die belebten Geschöpfe aus Höhlen hervorgegangen seien
und die nämliche Rolle spielen die Höhlen wieder in den Schöpf-
ungssagen der Tehueltschen6). Diese Beispiele würden schon ge-
nügen um eine Geistesverwandtschaft zwischen den Bewohnern
der beiden Festlande nachzuweisen, ausserdem aber haben wir
noch die Aehnlichkeit im Bau der Sprachen, die auf eine gemein-
same Abstammung hindeutet.

Es sei uns nun verstattet zunächst einen Blick auf die Erd-
räume zu werfen, welche die Amerikaner inne haben. Wenn
die Bewohner der alten Welt zu einer viel grösseren Beherrschung
der Natur gelangt waren, als die Bewohner der neuen zur Zeit
wo beide in Berührung traten, so schrieb man dies bisher aus-

1) Gomara, Hist. de las Indias, cap. 68. Petrus Martyr, De [o]rbe
novo. Dec. III, cap. 1.
2) Ramusio, Navigationi et Viaggi. Venetia 1606. tom. III. fol. 270.
verso.
3) S. oben S. 424. not. 5. S. 427.
4) Charlevoix, Nouvelle France. tom. III, p. 303.
5) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 22.
6) Musters, Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 99.

Die amerikanische Urbevölkerung.
auf der Landenge von Darien 1) und Cabeza de Vaca2) bei den
Stämmen in Louisiana und Texas, wobei übrigens wieder zu er-
innern ist, dass wir auf diese Laster bei allen Beringsvölkern,
selbst bei den Tschuktschen an dem sibirischen Eismeere, genau
in der nämlichen Art gestossen sind3). Auch unter den Jäger-
stämmen der Vereinigten Staaten kommen Beispiele von Männern
in Frauenkleidung vor und zwar sehr merkwürdiger Weise bei den
alten Illinois, die nach ihren Ueberlieferungen von Westen her
in ihre späteren Sitze eingewandert sein wollen4). Zu den Eigen-
thümlichkeiten der Indianer gehören die vorschriftlichen Anreden
der Völker untereinander, wie sich die Delawaren von ihren Nach-
barn durch Verträge den Titel Grossväter hatten zusichern lassen
und die Irokesen den besiegten Huronen die Bedingung auferlegten,
künftig als jüngere Brüder angesprochen zu werden 5). In Brasilien
begegnen wir den nämlichen Bräuchen, denn auch dort reden sich
die Horden als Grossväter oder als Oheime an. Bei den
Mexicanern und den Bewohnern der Antillen kommen Sagen vor,
dass die belebten Geschöpfe aus Höhlen hervorgegangen seien
und die nämliche Rolle spielen die Höhlen wieder in den Schöpf-
ungssagen der Tehueltschen6). Diese Beispiele würden schon ge-
nügen um eine Geistesverwandtschaft zwischen den Bewohnern
der beiden Festlande nachzuweisen, ausserdem aber haben wir
noch die Aehnlichkeit im Bau der Sprachen, die auf eine gemein-
same Abstammung hindeutet.

Es sei uns nun verstattet zunächst einen Blick auf die Erd-
räume zu werfen, welche die Amerikaner inne haben. Wenn
die Bewohner der alten Welt zu einer viel grösseren Beherrschung
der Natur gelangt waren, als die Bewohner der neuen zur Zeit
wo beide in Berührung traten, so schrieb man dies bisher aus-

1) Gomara, Hist. de las Indias, cap. 68. Petrus Martyr, De [o]rbe
novo. Dec. III, cap. 1.
2) Ramusio, Navigationi et Viaggi. Venetia 1606. tom. III. fol. 270.
verso.
3) S. oben S. 424. not. 5. S. 427.
4) Charlevoix, Nouvelle France. tom. III, p. 303.
5) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 22.
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[437/0455] Die amerikanische Urbevölkerung. auf der Landenge von Darien 1) und Cabeza de Vaca 2) bei den Stämmen in Louisiana und Texas, wobei übrigens wieder zu er- innern ist, dass wir auf diese Laster bei allen Beringsvölkern, selbst bei den Tschuktschen an dem sibirischen Eismeere, genau in der nämlichen Art gestossen sind 3). Auch unter den Jäger- stämmen der Vereinigten Staaten kommen Beispiele von Männern in Frauenkleidung vor und zwar sehr merkwürdiger Weise bei den alten Illinois, die nach ihren Ueberlieferungen von Westen her in ihre späteren Sitze eingewandert sein wollen 4). Zu den Eigen- thümlichkeiten der Indianer gehören die vorschriftlichen Anreden der Völker untereinander, wie sich die Delawaren von ihren Nach- barn durch Verträge den Titel Grossväter hatten zusichern lassen und die Irokesen den besiegten Huronen die Bedingung auferlegten, künftig als jüngere Brüder angesprochen zu werden 5). In Brasilien begegnen wir den nämlichen Bräuchen, denn auch dort reden sich die Horden als Grossväter oder als Oheime an. Bei den Mexicanern und den Bewohnern der Antillen kommen Sagen vor, dass die belebten Geschöpfe aus Höhlen hervorgegangen seien und die nämliche Rolle spielen die Höhlen wieder in den Schöpf- ungssagen der Tehueltschen 6). Diese Beispiele würden schon ge- nügen um eine Geistesverwandtschaft zwischen den Bewohnern der beiden Festlande nachzuweisen, ausserdem aber haben wir noch die Aehnlichkeit im Bau der Sprachen, die auf eine gemein- same Abstammung hindeutet. Es sei uns nun verstattet zunächst einen Blick auf die Erd- räume zu werfen, welche die Amerikaner inne haben. Wenn die Bewohner der alten Welt zu einer viel grösseren Beherrschung der Natur gelangt waren, als die Bewohner der neuen zur Zeit wo beide in Berührung traten, so schrieb man dies bisher aus- 1) Gomara, Hist. de las Indias, cap. 68. Petrus Martyr, De orbe novo. Dec. III, cap. 1. 2) Ramusio, Navigationi et Viaggi. Venetia 1606. tom. III. fol. 270. verso. 3) S. oben S. 424. not. 5. S. 427. 4) Charlevoix, Nouvelle France. tom. III, p. 303. 5) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. S. 22. 6) Musters, Unter den Patagoniern. Jena 1873. S. 99.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/455>, abgerufen am 05.05.2024.