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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
ist. Die Schädel der Amerikaner zeigen nicht selten vorspringende
Kiefern, aber wie bei den asiatischen Mongolen hält sich der
Prognathismus immer in mässigen Grenzen. Pruner Bey 1) äussert,
dass die Gestalt der amerikanischen Schädel bedeutend schwanke.
"Die Köpfe der Botocuden, fährt er fort, unterscheiden sich nicht
wesentlich von den chinesischen, die des toltekischen Völkerkreises
nähern sich den javanischen, und die der Neuseeländer lassen sich
mit denen der Rothhäute vergleichen." Wollten wir uns auf
Welckers Schädelmessungen berufen, so würden die Zahlen für die
mittlere Breite von 74 bei Brasilianern bis zu 80 bei Cariben und
Patagoniern heraufsteigen. Sie bieten also Schwankungen wie sie
innerhalb der Gruppe der asiatischen Mongolen ebenfalls vor-
kommen. Doch hat Barnard Davis gar nicht gewagt Breiten- und
Höhenverhältnisse für die Urbevölkerung Amerikas mit einziger
Ausnahme der Araukaner 2) anzugeben, obgleich er über eine be-
trächtliche Anzahl andrer Schädel verfügte. Auf beiden Festlanden
wurden nämlich die Köpfe der Kinder künstlich umgestaltet.
Diess geschah in Nordamerika nicht etwa blos bei den Flachköpfen
der Vancouverinsel und Oregons 3), sondern kam selbst unter
den Algonkinstämmen im Osten der Vereinigten Staaten vor 4).
Im südlichen Festlande huldigten dieser Mode alle Culturvölker
der Anden und daher finden wir bei Schädeln der Muysca, der
alten Bewohner Quito's und Perus Breitenindices die bis zu 100
ja über 100 reichen. Gegenwärtig lässt sich daher gar nicht an-
geben innerhalb welcher Procentsätze die Breite und Höhe unver-
dorbner amerikanischer Schädel schwankt, wo diess aber aus-
nahmsweise bei einzelnen Stämmen doch gelang, zeigte sich ent-
weder Mesocephalität oder Brachycephalität, wie es zu erwarten
war, wenn sie zu der mongolischen Race gehören sollten.

Die schmal geschlitzten und häufig schief gestellten Augen
die in beiden Festlanden bis zum äussersten Süden bei einzelnen

1) Resultats de craniometrie, in Mem. de la Soc. d'Anthropologie, tom.
II, p. 13.
2) Breite 80, Höhe 80. Thesaurus craniorum. p. 357.
3) S. oben S. 425.
4) Die Franzosen benannten deshalb Stämme mit künstlich und zwar
ganz rund gestalteten Schädel tetes de boule. Charlevoix, Nouvelle France,
tom. III, p. 324.

Die amerikanische Urbevölkerung.
ist. Die Schädel der Amerikaner zeigen nicht selten vorspringende
Kiefern, aber wie bei den asiatischen Mongolen hält sich der
Prognathismus immer in mässigen Grenzen. Pruner Bey 1) äussert,
dass die Gestalt der amerikanischen Schädel bedeutend schwanke.
„Die Köpfe der Botocuden, fährt er fort, unterscheiden sich nicht
wesentlich von den chinesischen, die des toltekischen Völkerkreises
nähern sich den javanischen, und die der Neuseeländer lassen sich
mit denen der Rothhäute vergleichen.“ Wollten wir uns auf
Welckers Schädelmessungen berufen, so würden die Zahlen für die
mittlere Breite von 74 bei Brasilianern bis zu 80 bei Cariben und
Patagoniern heraufsteigen. Sie bieten also Schwankungen wie sie
innerhalb der Gruppe der asiatischen Mongolen ebenfalls vor-
kommen. Doch hat Barnard Davis gar nicht gewagt Breiten- und
Höhenverhältnisse für die Urbevölkerung Amerikas mit einziger
Ausnahme der Araukaner 2) anzugeben, obgleich er über eine be-
trächtliche Anzahl andrer Schädel verfügte. Auf beiden Festlanden
wurden nämlich die Köpfe der Kinder künstlich umgestaltet.
Diess geschah in Nordamerika nicht etwa blos bei den Flachköpfen
der Vancouverinsel und Oregons 3), sondern kam selbst unter
den Algonkinstämmen im Osten der Vereinigten Staaten vor 4).
Im südlichen Festlande huldigten dieser Mode alle Culturvölker
der Anden und daher finden wir bei Schädeln der Muysca, der
alten Bewohner Quito’s und Perus Breitenindices die bis zu 100
ja über 100 reichen. Gegenwärtig lässt sich daher gar nicht an-
geben innerhalb welcher Procentsätze die Breite und Höhe unver-
dorbner amerikanischer Schädel schwankt, wo diess aber aus-
nahmsweise bei einzelnen Stämmen doch gelang, zeigte sich ent-
weder Mesocephalität oder Brachycephalität, wie es zu erwarten
war, wenn sie zu der mongolischen Race gehören sollten.

Die schmal geschlitzten und häufig schief gestellten Augen
die in beiden Festlanden bis zum äussersten Süden bei einzelnen

1) Résultats de craniométrie, in Mém. de la Soc. d’Anthropologie, tom.
II, p. 13.
2) Breite 80, Höhe 80. Thesaurus craniorum. p. 357.
3) S. oben S. 425.
4) Die Franzosen benannten deshalb Stämme mit künstlich und zwar
ganz rund gestalteten Schädel tétes de boule. Charlevoix, Nouvelle France,
tom. III, p. 324.
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[432/0450] Die amerikanische Urbevölkerung. ist. Die Schädel der Amerikaner zeigen nicht selten vorspringende Kiefern, aber wie bei den asiatischen Mongolen hält sich der Prognathismus immer in mässigen Grenzen. Pruner Bey 1) äussert, dass die Gestalt der amerikanischen Schädel bedeutend schwanke. „Die Köpfe der Botocuden, fährt er fort, unterscheiden sich nicht wesentlich von den chinesischen, die des toltekischen Völkerkreises nähern sich den javanischen, und die der Neuseeländer lassen sich mit denen der Rothhäute vergleichen.“ Wollten wir uns auf Welckers Schädelmessungen berufen, so würden die Zahlen für die mittlere Breite von 74 bei Brasilianern bis zu 80 bei Cariben und Patagoniern heraufsteigen. Sie bieten also Schwankungen wie sie innerhalb der Gruppe der asiatischen Mongolen ebenfalls vor- kommen. Doch hat Barnard Davis gar nicht gewagt Breiten- und Höhenverhältnisse für die Urbevölkerung Amerikas mit einziger Ausnahme der Araukaner 2) anzugeben, obgleich er über eine be- trächtliche Anzahl andrer Schädel verfügte. Auf beiden Festlanden wurden nämlich die Köpfe der Kinder künstlich umgestaltet. Diess geschah in Nordamerika nicht etwa blos bei den Flachköpfen der Vancouverinsel und Oregons 3), sondern kam selbst unter den Algonkinstämmen im Osten der Vereinigten Staaten vor 4). Im südlichen Festlande huldigten dieser Mode alle Culturvölker der Anden und daher finden wir bei Schädeln der Muysca, der alten Bewohner Quito’s und Perus Breitenindices die bis zu 100 ja über 100 reichen. Gegenwärtig lässt sich daher gar nicht an- geben innerhalb welcher Procentsätze die Breite und Höhe unver- dorbner amerikanischer Schädel schwankt, wo diess aber aus- nahmsweise bei einzelnen Stämmen doch gelang, zeigte sich ent- weder Mesocephalität oder Brachycephalität, wie es zu erwarten war, wenn sie zu der mongolischen Race gehören sollten. Die schmal geschlitzten und häufig schief gestellten Augen die in beiden Festlanden bis zum äussersten Süden bei einzelnen 1) Résultats de craniométrie, in Mém. de la Soc. d’Anthropologie, tom. II, p. 13. 2) Breite 80, Höhe 80. Thesaurus craniorum. p. 357. 3) S. oben S. 425. 4) Die Franzosen benannten deshalb Stämme mit künstlich und zwar ganz rund gestalteten Schädel tétes de boule. Charlevoix, Nouvelle France, tom. III, p. 324.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/450>, abgerufen am 28.04.2024.