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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
den streng mongolischen Erkennungszeichen bis zur gänzlichen
Uebereinstimmung mit den gesitteten Bewohnern des Abend-
landes. Diese Völkergruppe, welche Castren Altaier genannt hat,
schliesst sich eng an die Ost- und Südostasiaten an. Die Haut-
farbe ist eine gelbe oder gelbbraune; das Kopfhaar walzenförmig,
straff und schwarz; der Bartwuchs und das Haarkleid des Leibes
sprosst nur spärlich oder fehlt ganz; die Augen sind meistens
schief gestellt, die Jochbeine stark vorspringend, die Nase platt,
der Schädel sehr breit und auffallend niedrig. Je weiter wir aber
den Nordasiaten nach Westen folgen, desto mehr leidet die Rein-
heit der mongolischen Merkmale. Während die Samojeden in
ihrer Gesichtsbildung mit den Tungusen übereinstimmen, gleichen
die Ostjaken den Finnen und den Russen 1).

Unter diesen Umständen bleibt nichts übrig, als diese Gruppe
des Menschengeschlechtes der Sprache nach in fünf grosse Aeste
zu theilen, wie es von Alexander Castren geschehen ist, nämlich
in Tungusen, in wahre Mongolen, in Türken, in Finnen und in
Samojeden. Glücklicherweise ist der Sprachbau aller dieser Völker
in den Hauptzü en völlig übereinstimmend. Die Sinnbegrenzung
der Wurzeln erfolgt dadurch, dass eine zweite Wurzel nachgesetzt
wird, also stets durch Suffixe. Niemals wird ein Präfix geduldet.
Dazu gesellen sich eine Anzahl von gemeinsamen Wurzeln, die
jedoch nicht zahlreich genug sind, um als Beweise für eine Ur-
sprache zu gelten, die vielmehr ebenso gut durch Entlehnung er-
worben worden sein können. Ferner sind diesen Sprachen mehr
oder weniger strenge Wohllautgesetze eigenthümlich. Im Mokscha
jedoch ist die Vocalharmonie nicht so vollständig, wie im Tür-
kischen oder Finnischen ausgebildet oder wahrscheinlich durch
fremden Einfluss verloren gegangen. Doch haben sich immer
noch deutliche Spuren jener Lautgesetze erhalten 2). Zwei Con-
sonanten dürfen nie ein Wort beginnen oder beschliessen und der
Stammvocal bestimmt den Endungsvocal 3). Auch diese gewiss
auffallenden Uebereinstimmungen könnten vielleicht erst später sich
entwickelt haben, doch fällt demjenigen, der diese Ansicht be-

1) Pallas, Voyages. Paris 1793. tom. IV. p. 90.
2) A. Ahlquist, Mokscha-mordwinische Grammatik. Petersburg 1861.
§ 14. S. 3.
3) A. Castren, ethnologische Vorlesungen über die altaischen Völker,
herausgegeben von Anton Schiefner. Petersburg 1857. S. 18.

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
den streng mongolischen Erkennungszeichen bis zur gänzlichen
Uebereinstimmung mit den gesitteten Bewohnern des Abend-
landes. Diese Völkergruppe, welche Castrén Altaier genannt hat,
schliesst sich eng an die Ost- und Südostasiaten an. Die Haut-
farbe ist eine gelbe oder gelbbraune; das Kopfhaar walzenförmig,
straff und schwarz; der Bartwuchs und das Haarkleid des Leibes
sprosst nur spärlich oder fehlt ganz; die Augen sind meistens
schief gestellt, die Jochbeine stark vorspringend, die Nase platt,
der Schädel sehr breit und auffallend niedrig. Je weiter wir aber
den Nordasiaten nach Westen folgen, desto mehr leidet die Rein-
heit der mongolischen Merkmale. Während die Samojeden in
ihrer Gesichtsbildung mit den Tungusen übereinstimmen, gleichen
die Ostjaken den Finnen und den Russen 1).

Unter diesen Umständen bleibt nichts übrig, als diese Gruppe
des Menschengeschlechtes der Sprache nach in fünf grosse Aeste
zu theilen, wie es von Alexander Castrén geschehen ist, nämlich
in Tungusen, in wahre Mongolen, in Türken, in Finnen und in
Samojeden. Glücklicherweise ist der Sprachbau aller dieser Völker
in den Hauptzü en völlig übereinstimmend. Die Sinnbegrenzung
der Wurzeln erfolgt dadurch, dass eine zweite Wurzel nachgesetzt
wird, also stets durch Suffixe. Niemals wird ein Präfix geduldet.
Dazu gesellen sich eine Anzahl von gemeinsamen Wurzeln, die
jedoch nicht zahlreich genug sind, um als Beweise für eine Ur-
sprache zu gelten, die vielmehr ebenso gut durch Entlehnung er-
worben worden sein können. Ferner sind diesen Sprachen mehr
oder weniger strenge Wohllautgesetze eigenthümlich. Im Mokscha
jedoch ist die Vocalharmonie nicht so vollständig, wie im Tür-
kischen oder Finnischen ausgebildet oder wahrscheinlich durch
fremden Einfluss verloren gegangen. Doch haben sich immer
noch deutliche Spuren jener Lautgesetze erhalten 2). Zwei Con-
sonanten dürfen nie ein Wort beginnen oder beschliessen und der
Stammvocal bestimmt den Endungsvocal 3). Auch diese gewiss
auffallenden Uebereinstimmungen könnten vielleicht erst später sich
entwickelt haben, doch fällt demjenigen, der diese Ansicht be-

1) Pallas, Voyages. Pâris 1793. tom. IV. p. 90.
2) A. Ahlquist, Mokscha-mordwinische Grammatik. Petersburg 1861.
§ 14. S. 3.
3) A. Castrén, ethnologische Vorlesungen über die altaischen Völker,
herausgegeben von Anton Schiefner. Petersburg 1857. S. 18.
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[402/0420] Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. den streng mongolischen Erkennungszeichen bis zur gänzlichen Uebereinstimmung mit den gesitteten Bewohnern des Abend- landes. Diese Völkergruppe, welche Castrén Altaier genannt hat, schliesst sich eng an die Ost- und Südostasiaten an. Die Haut- farbe ist eine gelbe oder gelbbraune; das Kopfhaar walzenförmig, straff und schwarz; der Bartwuchs und das Haarkleid des Leibes sprosst nur spärlich oder fehlt ganz; die Augen sind meistens schief gestellt, die Jochbeine stark vorspringend, die Nase platt, der Schädel sehr breit und auffallend niedrig. Je weiter wir aber den Nordasiaten nach Westen folgen, desto mehr leidet die Rein- heit der mongolischen Merkmale. Während die Samojeden in ihrer Gesichtsbildung mit den Tungusen übereinstimmen, gleichen die Ostjaken den Finnen und den Russen 1). Unter diesen Umständen bleibt nichts übrig, als diese Gruppe des Menschengeschlechtes der Sprache nach in fünf grosse Aeste zu theilen, wie es von Alexander Castrén geschehen ist, nämlich in Tungusen, in wahre Mongolen, in Türken, in Finnen und in Samojeden. Glücklicherweise ist der Sprachbau aller dieser Völker in den Hauptzü en völlig übereinstimmend. Die Sinnbegrenzung der Wurzeln erfolgt dadurch, dass eine zweite Wurzel nachgesetzt wird, also stets durch Suffixe. Niemals wird ein Präfix geduldet. Dazu gesellen sich eine Anzahl von gemeinsamen Wurzeln, die jedoch nicht zahlreich genug sind, um als Beweise für eine Ur- sprache zu gelten, die vielmehr ebenso gut durch Entlehnung er- worben worden sein können. Ferner sind diesen Sprachen mehr oder weniger strenge Wohllautgesetze eigenthümlich. Im Mokscha jedoch ist die Vocalharmonie nicht so vollständig, wie im Tür- kischen oder Finnischen ausgebildet oder wahrscheinlich durch fremden Einfluss verloren gegangen. Doch haben sich immer noch deutliche Spuren jener Lautgesetze erhalten 2). Zwei Con- sonanten dürfen nie ein Wort beginnen oder beschliessen und der Stammvocal bestimmt den Endungsvocal 3). Auch diese gewiss auffallenden Uebereinstimmungen könnten vielleicht erst später sich entwickelt haben, doch fällt demjenigen, der diese Ansicht be- 1) Pallas, Voyages. Pâris 1793. tom. IV. p. 90. 2) A. Ahlquist, Mokscha-mordwinische Grammatik. Petersburg 1861. § 14. S. 3. 3) A. Castrén, ethnologische Vorlesungen über die altaischen Völker, herausgegeben von Anton Schiefner. Petersburg 1857. S. 18.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/420>, abgerufen am 28.04.2024.