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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
mit Japanesen bemannt und von ihnen befehligt, über das Stille
Meer nach San Francisco und zurück. Allein ihre einigermassen
glaubwürdige Geschichte reicht nur bis Zinmu oder in das 7. Jahr-
hundert v. Chr. 1) hinauf und ihre Gesittung entlehnten sie bisher
immer aus China. Doch haben sie das Empfangene selbständig
weiter gebildet. So erfanden sie ein Lautalphabet von 47 Buchstaben,
behielten aber daneben die chinesischen Sylbenbilder bei. Viele
ursprünglich chinesische Gewerbszweige haben sie eigenartig weiter
entwickelt, wie die Porzellanbäckerei und die Stahlerzeugung. Ihr
Humor und ihre Schalkhaftigkeit drückt sich in ihren Caricaturen
aus, die bei hoher Lebendigkeit und glücklicher Beobachtung der
Natur nur an Verzeichnungen leiden. Unter allen Asiaten sind
sie die einzigen, bei denen wir ritterliches Ehrgefühl von hoher
Reizbarkeit, nach Art des spanischen Pundonor, antreffen. Auch
sonst sind sie von den mongolenähnlichen Völkern diejenigen,
welche an Sinnesart den Abendländern am nächsten sich an-
schliessen und durch ihren Reinlichkeitstrieb wieder am günstigsten
von den Chinesen abstechen.

Die Bewohner Korea's verdanken ebenfalls ihre heutigen
bürgerlichen Zustände den Chinesen; über ihre ältere Gesittung
sind wir aber nicht unterrichtet.

4. Die mongolenähnlichen Völker im Norden der
alten Welt
.

Vom ochotskischen Meerbusen bis nach dem europäischen
Lappland sitzen, abgesehen von den ostwärts vorgedrungenen
Russen, Bevölkerungen, die von Jagd, Fischfang und Viehzucht
leben, beständig, seitdem sie geschichtlich beobachtet werden
konnten, ihre Wohnsitze verändert und sich durch einander ge-
schoben haben. Wiederholt traten unter ihnen Eroberer auf,
welche die herrenlosen Horden zu einer gemeinsam handelnden
Masse zusammenschmolzen. Ob ehemals jenes geräumige Gebiet
von Menschen verschiedener Race bewohnt war, lässt sich gegen-
wärtig weder verneinen noch bejahen. Jedenfalls hat die be-
ständige Mischung des Blutes frühere Unterschiede verwischt, und
so finden wir daher in den Körpermerkmalen alle Uebergänge von

1) E. Kämpfer, Geschichte von Japan. Bd. 1. S. 173.
Peschel, Völkerkunde. 26

Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt.
mit Japanesen bemannt und von ihnen befehligt, über das Stille
Meer nach San Francisco und zurück. Allein ihre einigermassen
glaubwürdige Geschichte reicht nur bis Zinmu oder in das 7. Jahr-
hundert v. Chr. 1) hinauf und ihre Gesittung entlehnten sie bisher
immer aus China. Doch haben sie das Empfangene selbständig
weiter gebildet. So erfanden sie ein Lautalphabet von 47 Buchstaben,
behielten aber daneben die chinesischen Sylbenbilder bei. Viele
ursprünglich chinesische Gewerbszweige haben sie eigenartig weiter
entwickelt, wie die Porzellanbäckerei und die Stahlerzeugung. Ihr
Humor und ihre Schalkhaftigkeit drückt sich in ihren Caricaturen
aus, die bei hoher Lebendigkeit und glücklicher Beobachtung der
Natur nur an Verzeichnungen leiden. Unter allen Asiaten sind
sie die einzigen, bei denen wir ritterliches Ehrgefühl von hoher
Reizbarkeit, nach Art des spanischen Pundonor, antreffen. Auch
sonst sind sie von den mongolenähnlichen Völkern diejenigen,
welche an Sinnesart den Abendländern am nächsten sich an-
schliessen und durch ihren Reinlichkeitstrieb wieder am günstigsten
von den Chinesen abstechen.

Die Bewohner Korea’s verdanken ebenfalls ihre heutigen
bürgerlichen Zustände den Chinesen; über ihre ältere Gesittung
sind wir aber nicht unterrichtet.

4. Die mongolenähnlichen Völker im Norden der
alten Welt
.

Vom ochotskischen Meerbusen bis nach dem europäischen
Lappland sitzen, abgesehen von den ostwärts vorgedrungenen
Russen, Bevölkerungen, die von Jagd, Fischfang und Viehzucht
leben, beständig, seitdem sie geschichtlich beobachtet werden
konnten, ihre Wohnsitze verändert und sich durch einander ge-
schoben haben. Wiederholt traten unter ihnen Eroberer auf,
welche die herrenlosen Horden zu einer gemeinsam handelnden
Masse zusammenschmolzen. Ob ehemals jenes geräumige Gebiet
von Menschen verschiedener Race bewohnt war, lässt sich gegen-
wärtig weder verneinen noch bejahen. Jedenfalls hat die be-
ständige Mischung des Blutes frühere Unterschiede verwischt, und
so finden wir daher in den Körpermerkmalen alle Uebergänge von

1) E. Kämpfer, Geschichte von Japan. Bd. 1. S. 173.
Peschel, Völkerkunde. 26
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[401/0419] Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. mit Japanesen bemannt und von ihnen befehligt, über das Stille Meer nach San Francisco und zurück. Allein ihre einigermassen glaubwürdige Geschichte reicht nur bis Zinmu oder in das 7. Jahr- hundert v. Chr. 1) hinauf und ihre Gesittung entlehnten sie bisher immer aus China. Doch haben sie das Empfangene selbständig weiter gebildet. So erfanden sie ein Lautalphabet von 47 Buchstaben, behielten aber daneben die chinesischen Sylbenbilder bei. Viele ursprünglich chinesische Gewerbszweige haben sie eigenartig weiter entwickelt, wie die Porzellanbäckerei und die Stahlerzeugung. Ihr Humor und ihre Schalkhaftigkeit drückt sich in ihren Caricaturen aus, die bei hoher Lebendigkeit und glücklicher Beobachtung der Natur nur an Verzeichnungen leiden. Unter allen Asiaten sind sie die einzigen, bei denen wir ritterliches Ehrgefühl von hoher Reizbarkeit, nach Art des spanischen Pundonor, antreffen. Auch sonst sind sie von den mongolenähnlichen Völkern diejenigen, welche an Sinnesart den Abendländern am nächsten sich an- schliessen und durch ihren Reinlichkeitstrieb wieder am günstigsten von den Chinesen abstechen. Die Bewohner Korea’s verdanken ebenfalls ihre heutigen bürgerlichen Zustände den Chinesen; über ihre ältere Gesittung sind wir aber nicht unterrichtet. 4. Die mongolenähnlichen Völker im Norden der alten Welt. Vom ochotskischen Meerbusen bis nach dem europäischen Lappland sitzen, abgesehen von den ostwärts vorgedrungenen Russen, Bevölkerungen, die von Jagd, Fischfang und Viehzucht leben, beständig, seitdem sie geschichtlich beobachtet werden konnten, ihre Wohnsitze verändert und sich durch einander ge- schoben haben. Wiederholt traten unter ihnen Eroberer auf, welche die herrenlosen Horden zu einer gemeinsam handelnden Masse zusammenschmolzen. Ob ehemals jenes geräumige Gebiet von Menschen verschiedener Race bewohnt war, lässt sich gegen- wärtig weder verneinen noch bejahen. Jedenfalls hat die be- ständige Mischung des Blutes frühere Unterschiede verwischt, und so finden wir daher in den Körpermerkmalen alle Uebergänge von 1) E. Kämpfer, Geschichte von Japan. Bd. 1. S. 173. Peschel, Völkerkunde. 26

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/419>, abgerufen am 27.04.2024.