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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
pöbels in ernste Gefahren. Leben und Eigenthum geniessen in
China nur eine mangelhafte Sicherheit, die Küstengewässer werden
ohne Unterlass von Piraten beunruhigt, und es hat fast nie eine
Zeit gegeben wo in dem grossen Reiche nicht irgend ein Aufruhr
geherrscht hätte. Der Hang zu geheimen Gesellschaften, den die
Chinesen auch als Auswanderer überall mitbringen, trägt das
meiste dazu bei, dass die Fackel des Bürgerkriegs bald da, bald
dort auflodert.

In China reichen die Familiennamen hinauf in ein ehrwür-
diges Alterthum. Während in Europa selbst Dynastien ihre
Stifter urkundlich höchstens ein Jahrtausend zurückverfolgen kön-
nen, leben in China noch Nachkommen des Confutse, die nicht
bloss ihren Stammbaum bis auf diesen Weltweisen zurückführen,
sondern sich auch rühmen dürfen dass ihr Ahnherr selbst wieder
seinen Familiennamen schon 1121 v. Chr. nachweisen konnte. So
erklärt sich der Sinn der spöttischen Frage welche die Chinesen
an die europäischen Fremdlinge richten: "Habt ihr auch Fami-
liennamen?" nämlich so altbeglaubigte wie wir 1).

Es wurde schon früher bemerkt, dass Confutse keine Religion
gestiftet habe. Er hielt sich an die Verehrung von Himmel und
Erde, wie er sie in den sogenannten classischen Büchern aus
dem alten Reiche fand. China war zur Zeit seiner Geburt (551
v. Chr.) in 13 grössere Fürstenthümer und eine Anzahl Raub-
staaten zerfallen. In einem der ersteren stieg der Weltweise zum
Bürgermeister, dann zum Justizminister auf, verliess aber den
Staatsdienst aus Verdruss über die herrschende Maitressenwirth-
schaft und beschäftigte sich als Staatspensionär des Herzogthums
Wei mit schriftstellerischen Arbeiten über die Alterthümer seines
Volkes. Er lebte in Fülle, wenn auch ohne Verschwendung und
reiste stets im eignen Wagen. Hochbetagt starb er 478 v. Chr.
gefasst aber ohne Gebet, nicht getröstet von Weib und Kind,
enttäuscht über die geringe Wirksamkeit seiner Lehren und ohne
Hoffnung auf bessere Zeiten. Als ihn einer seiner Schüler über
die Fortdauer nach dem Tode befragte, verweigerte er ein auf-
richtiges Bekenntniss. "Würde ich sagen, äusserte er dabei, dass
die Abgeschiednen Bewusstsein hätten, so möchten fromme Söhne

1) James Legge, Life of Confucius. London 1867. p. 55.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
pöbels in ernste Gefahren. Leben und Eigenthum geniessen in
China nur eine mangelhafte Sicherheit, die Küstengewässer werden
ohne Unterlass von Piraten beunruhigt, und es hat fast nie eine
Zeit gegeben wo in dem grossen Reiche nicht irgend ein Aufruhr
geherrscht hätte. Der Hang zu geheimen Gesellschaften, den die
Chinesen auch als Auswanderer überall mitbringen, trägt das
meiste dazu bei, dass die Fackel des Bürgerkriegs bald da, bald
dort auflodert.

In China reichen die Familiennamen hinauf in ein ehrwür-
diges Alterthum. Während in Europa selbst Dynastien ihre
Stifter urkundlich höchstens ein Jahrtausend zurückverfolgen kön-
nen, leben in China noch Nachkommen des Confutse, die nicht
bloss ihren Stammbaum bis auf diesen Weltweisen zurückführen,
sondern sich auch rühmen dürfen dass ihr Ahnherr selbst wieder
seinen Familiennamen schon 1121 v. Chr. nachweisen konnte. So
erklärt sich der Sinn der spöttischen Frage welche die Chinesen
an die europäischen Fremdlinge richten: „Habt ihr auch Fami-
liennamen?“ nämlich so altbeglaubigte wie wir 1).

Es wurde schon früher bemerkt, dass Confutse keine Religion
gestiftet habe. Er hielt sich an die Verehrung von Himmel und
Erde, wie er sie in den sogenannten classischen Büchern aus
dem alten Reiche fand. China war zur Zeit seiner Geburt (551
v. Chr.) in 13 grössere Fürstenthümer und eine Anzahl Raub-
staaten zerfallen. In einem der ersteren stieg der Weltweise zum
Bürgermeister, dann zum Justizminister auf, verliess aber den
Staatsdienst aus Verdruss über die herrschende Maitressenwirth-
schaft und beschäftigte sich als Staatspensionär des Herzogthums
Wei mit schriftstellerischen Arbeiten über die Alterthümer seines
Volkes. Er lebte in Fülle, wenn auch ohne Verschwendung und
reiste stets im eignen Wagen. Hochbetagt starb er 478 v. Chr.
gefasst aber ohne Gebet, nicht getröstet von Weib und Kind,
enttäuscht über die geringe Wirksamkeit seiner Lehren und ohne
Hoffnung auf bessere Zeiten. Als ihn einer seiner Schüler über
die Fortdauer nach dem Tode befragte, verweigerte er ein auf-
richtiges Bekenntniss. „Würde ich sagen, äusserte er dabei, dass
die Abgeschiednen Bewusstsein hätten, so möchten fromme Söhne

1) James Legge, Life of Confucius. London 1867. p. 55.
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[393/0411] Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. pöbels in ernste Gefahren. Leben und Eigenthum geniessen in China nur eine mangelhafte Sicherheit, die Küstengewässer werden ohne Unterlass von Piraten beunruhigt, und es hat fast nie eine Zeit gegeben wo in dem grossen Reiche nicht irgend ein Aufruhr geherrscht hätte. Der Hang zu geheimen Gesellschaften, den die Chinesen auch als Auswanderer überall mitbringen, trägt das meiste dazu bei, dass die Fackel des Bürgerkriegs bald da, bald dort auflodert. In China reichen die Familiennamen hinauf in ein ehrwür- diges Alterthum. Während in Europa selbst Dynastien ihre Stifter urkundlich höchstens ein Jahrtausend zurückverfolgen kön- nen, leben in China noch Nachkommen des Confutse, die nicht bloss ihren Stammbaum bis auf diesen Weltweisen zurückführen, sondern sich auch rühmen dürfen dass ihr Ahnherr selbst wieder seinen Familiennamen schon 1121 v. Chr. nachweisen konnte. So erklärt sich der Sinn der spöttischen Frage welche die Chinesen an die europäischen Fremdlinge richten: „Habt ihr auch Fami- liennamen?“ nämlich so altbeglaubigte wie wir 1). Es wurde schon früher bemerkt, dass Confutse keine Religion gestiftet habe. Er hielt sich an die Verehrung von Himmel und Erde, wie er sie in den sogenannten classischen Büchern aus dem alten Reiche fand. China war zur Zeit seiner Geburt (551 v. Chr.) in 13 grössere Fürstenthümer und eine Anzahl Raub- staaten zerfallen. In einem der ersteren stieg der Weltweise zum Bürgermeister, dann zum Justizminister auf, verliess aber den Staatsdienst aus Verdruss über die herrschende Maitressenwirth- schaft und beschäftigte sich als Staatspensionär des Herzogthums Wei mit schriftstellerischen Arbeiten über die Alterthümer seines Volkes. Er lebte in Fülle, wenn auch ohne Verschwendung und reiste stets im eignen Wagen. Hochbetagt starb er 478 v. Chr. gefasst aber ohne Gebet, nicht getröstet von Weib und Kind, enttäuscht über die geringe Wirksamkeit seiner Lehren und ohne Hoffnung auf bessere Zeiten. Als ihn einer seiner Schüler über die Fortdauer nach dem Tode befragte, verweigerte er ein auf- richtiges Bekenntniss. „Würde ich sagen, äusserte er dabei, dass die Abgeschiednen Bewusstsein hätten, so möchten fromme Söhne 1) James Legge, Life of Confucius. London 1867. p. 55.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/411>, abgerufen am 28.04.2024.