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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
an der sibirischen Grenze, wo das Quecksilber jeden Winter in
der Thermometerröhre gefriert, ebenso unangefochten gedeiht wie
n der Treibhauswärme Singapurs, wo die Muskatnuss vor dem
Ausbruch der letzten Seuche als Handelsgewächs gebaut wurde.
Der Chinese vereinigt sodann alles in sich was bei ruhigem Ge-
währenlassen zur raschen Uebervölkerung führen müsste: er ist
ein zärtlicher Vater der seine höchste Freude im Kindersegen
sucht, genügsam bis zum Uebermass, von musterhafter Sparsam-
keit, ein nie ermüdeter Arbeiter, der jede Sabbathruhe verschmäht
im Handel aber pfiffiger als ein Grieche. Schon die Kinder be-
sorgen Marktgeschäfte; Feilschen und auf Pfänder leihen sind ihre
beliebten Spiele 1).

Der Chinese hängt noch fest und zäh an der ersten Stufe,
auf welcher sich die menschliche Gesellschaft zu gliedern beginnt.
Ein jeder Befehl in China kommt aus väterlichem Munde, Ge-
horsam ist die erste heilige Kindespflicht, und Todesstrafe droht
jedem der sich an seinen Eltern vergreifen wollte. Die unbe-
dingte Macht der Monarchen gründet sich auf den Rechtssatz,
dass sie die Väter der chinesischen Gesellschaft sind. Die Macht-
fülle der bürgerlichen Obrigkeit aber beruht wesentlich auf dem
moralischen Ansehen, denn China hat als stehendes Heer nur
seine acht Banner Mandschu-Soldaten, jedes von 10,000 Mann,
die sich in dem weiten Reiche vollständig verlieren. Die Diener
der öffentlichen Sicherheit sind an Zahl ebenfalls verschwindend
klein, so dass der Mandarin einer Provinz oder Stadt von physi-
schen Zwangsmitteln völlig entblösst ist. Wohl darf es unsere
Bewunderung, fast unseren Neid erregen, dass 350 Millionen
Menschen mit einem geradezu geringfügigen Aufwand von Staats-
söldnern ohne Störung ihren Beruf verfolgen. So etwas ist nur
denkbar innerhalb einer Gesellschaft die seit Jahrtausenden bereits
den Schulzwang eingeführt hat, welche kein Amt verleiht ohne
günstig bestandene Prüfung, wo jedes Verdienst erworben sein
will, und wo es keinen erblichen, sondern nur einen persönlichen
Adel gibt. Freilich müssen wir auch der Schattenseiten gedenken
welche diese Sparsamkeit am Verwaltungsaufwand mit sich bringt.
Der Amerikaner Pumpelly gerieth mehrmals durch die gänzliche
Machtlosigkeit der Mandarinen bei einer Aufregung des Städte-

1) Huc, Das chinesische Reich. Bd. 2. S. 94.

Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
an der sibirischen Grenze, wo das Quecksilber jeden Winter in
der Thermometerröhre gefriert, ebenso unangefochten gedeiht wie
n der Treibhauswärme Singapurs, wo die Muskatnuss vor dem
Ausbruch der letzten Seuche als Handelsgewächs gebaut wurde.
Der Chinese vereinigt sodann alles in sich was bei ruhigem Ge-
währenlassen zur raschen Uebervölkerung führen müsste: er ist
ein zärtlicher Vater der seine höchste Freude im Kindersegen
sucht, genügsam bis zum Uebermass, von musterhafter Sparsam-
keit, ein nie ermüdeter Arbeiter, der jede Sabbathruhe verschmäht
im Handel aber pfiffiger als ein Grieche. Schon die Kinder be-
sorgen Marktgeschäfte; Feilschen und auf Pfänder leihen sind ihre
beliebten Spiele 1).

Der Chinese hängt noch fest und zäh an der ersten Stufe,
auf welcher sich die menschliche Gesellschaft zu gliedern beginnt.
Ein jeder Befehl in China kommt aus väterlichem Munde, Ge-
horsam ist die erste heilige Kindespflicht, und Todesstrafe droht
jedem der sich an seinen Eltern vergreifen wollte. Die unbe-
dingte Macht der Monarchen gründet sich auf den Rechtssatz,
dass sie die Väter der chinesischen Gesellschaft sind. Die Macht-
fülle der bürgerlichen Obrigkeit aber beruht wesentlich auf dem
moralischen Ansehen, denn China hat als stehendes Heer nur
seine acht Banner Mandschu-Soldaten, jedes von 10,000 Mann,
die sich in dem weiten Reiche vollständig verlieren. Die Diener
der öffentlichen Sicherheit sind an Zahl ebenfalls verschwindend
klein, so dass der Mandarin einer Provinz oder Stadt von physi-
schen Zwangsmitteln völlig entblösst ist. Wohl darf es unsere
Bewunderung, fast unseren Neid erregen, dass 350 Millionen
Menschen mit einem geradezu geringfügigen Aufwand von Staats-
söldnern ohne Störung ihren Beruf verfolgen. So etwas ist nur
denkbar innerhalb einer Gesellschaft die seit Jahrtausenden bereits
den Schulzwang eingeführt hat, welche kein Amt verleiht ohne
günstig bestandene Prüfung, wo jedes Verdienst erworben sein
will, und wo es keinen erblichen, sondern nur einen persönlichen
Adel gibt. Freilich müssen wir auch der Schattenseiten gedenken
welche diese Sparsamkeit am Verwaltungsaufwand mit sich bringt.
Der Amerikaner Pumpelly gerieth mehrmals durch die gänzliche
Machtlosigkeit der Mandarinen bei einer Aufregung des Städte-

1) Huc, Das chinesische Reich. Bd. 2. S. 94.
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[392/0410] Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen. an der sibirischen Grenze, wo das Quecksilber jeden Winter in der Thermometerröhre gefriert, ebenso unangefochten gedeiht wie n der Treibhauswärme Singapurs, wo die Muskatnuss vor dem Ausbruch der letzten Seuche als Handelsgewächs gebaut wurde. Der Chinese vereinigt sodann alles in sich was bei ruhigem Ge- währenlassen zur raschen Uebervölkerung führen müsste: er ist ein zärtlicher Vater der seine höchste Freude im Kindersegen sucht, genügsam bis zum Uebermass, von musterhafter Sparsam- keit, ein nie ermüdeter Arbeiter, der jede Sabbathruhe verschmäht im Handel aber pfiffiger als ein Grieche. Schon die Kinder be- sorgen Marktgeschäfte; Feilschen und auf Pfänder leihen sind ihre beliebten Spiele 1). Der Chinese hängt noch fest und zäh an der ersten Stufe, auf welcher sich die menschliche Gesellschaft zu gliedern beginnt. Ein jeder Befehl in China kommt aus väterlichem Munde, Ge- horsam ist die erste heilige Kindespflicht, und Todesstrafe droht jedem der sich an seinen Eltern vergreifen wollte. Die unbe- dingte Macht der Monarchen gründet sich auf den Rechtssatz, dass sie die Väter der chinesischen Gesellschaft sind. Die Macht- fülle der bürgerlichen Obrigkeit aber beruht wesentlich auf dem moralischen Ansehen, denn China hat als stehendes Heer nur seine acht Banner Mandschu-Soldaten, jedes von 10,000 Mann, die sich in dem weiten Reiche vollständig verlieren. Die Diener der öffentlichen Sicherheit sind an Zahl ebenfalls verschwindend klein, so dass der Mandarin einer Provinz oder Stadt von physi- schen Zwangsmitteln völlig entblösst ist. Wohl darf es unsere Bewunderung, fast unseren Neid erregen, dass 350 Millionen Menschen mit einem geradezu geringfügigen Aufwand von Staats- söldnern ohne Störung ihren Beruf verfolgen. So etwas ist nur denkbar innerhalb einer Gesellschaft die seit Jahrtausenden bereits den Schulzwang eingeführt hat, welche kein Amt verleiht ohne günstig bestandene Prüfung, wo jedes Verdienst erworben sein will, und wo es keinen erblichen, sondern nur einen persönlichen Adel gibt. Freilich müssen wir auch der Schattenseiten gedenken welche diese Sparsamkeit am Verwaltungsaufwand mit sich bringt. Der Amerikaner Pumpelly gerieth mehrmals durch die gänzliche Machtlosigkeit der Mandarinen bei einer Aufregung des Städte- 1) Huc, Das chinesische Reich. Bd. 2. S. 94.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/410>, abgerufen am 27.04.2024.